Der Südseekönig
Die Debatte ob der „Negerkönig” durch den „Südseekönig” bei Astrid Lindgrens Pipi Langstrumpf ersetzt werden soll, sie lässt einen nicht los. Gerade folgte ich den Verlinkungen von Kiki auf ihrem Blog e13.de zu diesem Thema und las die persönlichen Stellungnahmen vom wondergirl und kittykoma. Beides sehr interessante Ausführungen zu dem Thema – mit sehr unterschiedlichen Sichtweisen.
Meine persönliche Meinung ist vergleichsweise trivial. Grundsätzlich finde ich, dass an den Werken von Künstlern, also auch Autoren, nicht von fremder Hand herum gefeilt gehört. Schon gar nicht post mortem eines Künstlers, wenn er dazu nicht Einspruch erheben kann. (Im Fall von Lindgren ist ihre Verweigerung an Änderungen ihres Werkes übrigens bekannt, denn sie musste sich mit den Rassismus-Vorwürfen noch zu Lebenszeiten auseinandersetzen). Üblicherweise wird Kunst zu ihrer Zeit geschaffen und wenn sie so verbreitet, also angesehen ist, dass sie diese überdauert, ist das ein Qualitätsmerkmal. Insbesondere dann, wenn sie zudem diskutiert werden muss. Dass sich die Diskussion der Kunst über eine gesellschaftliche Entwicklung hinweg ändert, ist logisch nachvollziehbar. Aber muss sich deswegen die Kunst auch ändern? Und wer, bitteschön, will bestimmen, dass die heutige Entscheidung hierzu noch in 100 Jahren eine richtige war?
Vor allem, wo wollen wir anfangen, wo sollen wir aufhören? Den „Otello the Moor of Venice”, also „Otello, der Mohr von Venedig” in „Otello, der People of Color von Venedig” umbenennen? Was nun die nächste einzig sinnvolle Entscheidung wäre, würden wir diesen Weg gehen hinsichtlich eines Reinigung aller diskriminierenden Texte. Mir ist persönlich lieber ein Kind erhält die Chance sich dem Wort „Mohr” bei Otello bewusst sehr kritisch zu nähern, weil es Bescheid weiß. Weil es nämlich zuvor ein Kinderbuch gelesen hat, das als Bildungsauftrag gleich mitgegeben hat, welcher Sprachgebrauch heute kein angemessener ist – und vor allem: warum er es nicht ist.
Vermutlich würde es Astrid Lindgren sehr gefallen, wenn anhand ihrer Bücher über die Zeit, eine sprachliche Hausaufgabe an die Eltern inklusive käme. (Womöglich tut es dem einen und anderen Erwachsenen auch gut beim Vorlesen und Erwähnung des „Negerkönigs” eine erklärende Fußnote gleich mitzulesen?)
So oder so aber gilt für mich, wenn Menschen mit dunkler Hautfarbe, People of Color, in diesem Land entscheiden, sie möchten dieses Wort ersetzt sehen – weil es sie verletzt – sollte man dies tun. Mich stört aber massiv, dass es hierzulande die „weißen” Sprachwissenschaftler sind, die das für sie entscheiden – vor allem die Diskussion für sie führen.
Ich habe mir im Zuge der Diskussion seit Tagen Gedanken darüber gemacht, wie ich damals diese Pipi-Geschichte als solche als Kind erlebt habe. Es gibt ja die Szene, wenn Pipi Taka-Tuka-Land betritt, dass sich die Menschen dort vor ihr verneigen. Natürlich kann einem aufstoßen, dass sich bildlich hier dunkelhäutige Menschen vor einem hellhäutigen Menschen verneigen. Vielleicht aber verneigen sich dort auch nur Menschen vor einer Königstochter? Ist das wirklich von der Autorin willentlich dargestellter Rassismus oder lediglich eine (hierzulande bei europäischen Königshäusern durchaus noch übliche) Ehrerbietung? Nach meinem Gefühl damals haben sich lediglich Menschen an einem anderen Ort vor meiner Heldin verneigt, was ich als völlig stimmig empfand. Zudem sie rote Haare hatte, wie nämlich meine Mutter auch. (Kinder können Kinderbücher so subjektiv lesen, wir Erwachsenen haben ja gar keine Ahnung!)
In der Konklusio fand ich die Geschichte aber als Kind großartig, denn sie vermittelte mir ein Gefühl von einer Welt in der Menschen zwar unterschiedlich aussehen aber für eine Sache gemeinsam etwas tun und schlussendlich zusammen glücklich mit dem Ergebnis sind. Das ist, was ich aus dieser Geschichte mitgenommen hatte: eine glückliche Gemeinschaft vieler unterschiedlicher Menschen. Der „Negerkönig” oder nun „Südseekönig” war für mich ausschließlich Pipis Vater. Die Idee, dass ein Volk einen Fremden sich als König erwählt, fand ich als Kind völlig abwegig. Als König wird man nämlich geboren, das hatten mir vorher längst meine Märchenbücher unmissverständlich beigebracht.
Man kann aus so vielen Blickpunkten – allgemeinen, gesellschaftlichen, subjektiven, politischen – auf so ein Werk blicken, dass ich es für mich ablehne, entscheiden zu wollen, was heute für die Kinder von morgen die richtige Entscheidung wäre. Können wir überhaupt Rassismus in der Zukunft wirklich eliminieren, weil wir ihn aus der Vergangenheit löschen? Nein. Vor allem wir Deutschen können genau das nicht, Rassismus und Diskriminierung ist ein Teil unserer Geschichte. Und wir haben schon zu viel Schaden an Kunst und Kultur aus den falschen Gründen angerichtet, als dass ich mir hier noch mal die Finger dreckig machen würde wollen. Auch wenn die Beweggründe heute andere bessere sind.
Ich habe eben gegoogelt, weil ich mich noch mal mit Pipi näher beschäftigen wollte und in Google das Wort „Südseekönig” eingegeben. Bereits an dritter Stelle folgt ein Wikipedia-Eintrag zu dem Stichwort einer Person namens Johan Cesar VI. Godeffroy. Dieser Mann entstammt einer Familie mit hugenottischen Wurzeln, die Anfang des 18. Jahrhunderts von Berlin kommend nach Hamburg übersiedelte. Seine Firma „Joh. Ces. Godeffroy & Sohn” war eine Handelsgesellschaft, man handelte mit und verschiffte Erze, später Zucker aus Nord- und Südamerika und dann Südafrika, Australien sowie der Südsee. Also den Kolonialgebieten.
Ich zitiere aus diesem Wikipedia-Artikel:
1857 verlegte Johan Cesar VI. Godeffroy seine Aktivitäten in den Südpazifik. Er verschiffte auf der Route dorthin bis 1881 zahlreiche Auswanderer nach Südafrika und Australien. Auf Samoa betrieb er Kokosplantangen. Die Früchte wurden zerkleinert, nach Hamburg verschifft und zu Öl gepresst. Die Erfolge dieses Geschäftes brachten ihm den anerkennenden Beinamen „Südseekönig“.
[…]
Auf Samoas Hauptinsel Upolu wurden 1865 große Gebiete gekauft und erste eigene Plantagen eingerichtet, um in den beginnenden Koprahandel einzusteigen. Godeffroy organisierte Expeditionen ins Landesinnere, bei denen Ureinwohner verschleppt wurden, um diese auf den Plantagen als Zwangsarbeiter einzusetzen.
Ist das so? Wir haben in der deutschen Historie einen Menschen, der diesen Titel „Südseekönig” trug, auch weil er sich als typischer Kolonialist gebärdete? Und jetzt wollen wir mit genau mit diesem Titel ein Kinderbuch in der deutschen Ausgabe von Diskriminierung und Rassismus rein waschen?
Das können auch nur wir Deutschen bringen. Den vermeintlichen Missgriff einer Fantasie mit dem Vergehen einer realen Vergangenheit im positiven Sinn ersetzen zu wollen.
Wenn dem so ist, sollten wir natürlich schleunigst den „Negerkönig” durch den „Südseekönig” in den Kinderbüchern von Astrid Lindgren ersetzen, dann sind wir Deutschen wenigstens wieder auf der rechten Seite.
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