Berliner Dialoge
Gestern sehr früh in der U-Bahn fragt die Mama ihren kleinen Knirps, der noch völlig abgeschlafft vom Aufstehen in seinem Buggy regiert, ob er denn die vergangene Nacht etwas geträumt hätte? Und er brabbelt zwischen seinen weißen Milchzähnen hervor: „Ja. Von einer Maus. Und die ist in mein Bett gekommen. Das war aber eine liebe Maus.“ Und guckte dabei sehr sehr glücklich milde lächelnd.
Gerichtstermin, ich begleite eine Freundin zum Arbeitsprozess. Es ist ein großes Unternehmen, das sein Geld damit verdient, Menschen in Arbeit zu verleihen. Es geht um eine Kündigung, nach der die Arbeitnehmerin zunächst offiziell freigestellt wurde, dann doch wieder in einen Job vermittelt wurde, sie Vorstellungsgespräche zu absolvieren hatte. Woraufhin man die nicht erfolgte Freistellung dennoch zugunsten des Unternehmens verrechnen wollte mit ihrem Zeitkonto. Und es geht um die Abfindung, die man nach dreieinhalb Jahren Betriebszugehörigkeit wohl verlangen darf. Vorher hat das Unternehmen mit Hinhaltetaktik versucht, Fristen hinten herum auszusetzen. Es ist unglaublich wie der Betriebsrat des Unternehmens in der Sache agiert, er macht sich zum Spielball der Geschäftsleitung und ist sich nicht zu dumm in einem Telefonat damit zu drohen, seine Funktion als ehrenamtlicher Richter beim Arbeitsgericht gegen die Arbeitnehmerin zu verwenden, kommt es zu einer Verhandlung in der nächsten Instanz.
Das Unternehmen muss seine Angestellten für sehr minderbemittelt halten. Andererseits, ich als Beisitzerin, denke mir zwischendurch in der Verhandlung auch, welcher Arbeiter ohne Abitur und Studium soll eigentlich dieses hin- und herrechnen von Zeitkonten verstehen und wissen, wie ungesetzlich der Arbeitgeber ihn versucht in die Pfanne zu hauen, wenn er in der rechtlichen Lage von Zeitarbeitsgesetzen nicht allwissend ist? Die Anwältin dieses Unternehmens kann zeitweilig selbst nicht mehr folgen, sie darf dann ihre Existenzberechtigung daraus ziehen, dass man ihr in der Abfindungssumme um 60,– Euro entgegen gekommen ist. Mit der Auflage, dass das Unternehmen zu zahlen hat, was der Arbeitnehmerin aufgrund ihrer geleisteten Arbeit auch zusteht. Die Richterin musste mehrfach hoch belustigt ungläubig lachen – immer und ausschließlich in die Richtung der Anwältin des Unternehmens. Ob sie das noch tun kann, wenn sie nach einem langen Arbeitstag am Arbeitsgericht nach Hause geht?
Wir gehen danach zur Feier des Tages, des Sieges und der Möglichkeit für einen Neuanfang einen Kaffee trinken. An der Decke der Josef-Rot-Diele steht aus seiner Biografie geschrieben: „ … und die Armen sind es, die bei uns zu Hause singen, nicht die Glücklichen, wie in den westlichen Ländern …“
Singen wir denn überhaupt noch? Wir in den westlichen Ländern?
Stunden später auf dem Nachhauseweg zur Docking Station zwei junge Frauen vor mir auf dem Weg zu Discounter, die eine schreit sehr erregt die andere mehr oder weniger an, obwohl diese selber gar nicht der Grund ihrer Emotion zu sein scheint. Sie ist nur die Freundin, die sich von der anderen, kurz vor den Tränen stehend, die Vermutung anhören muss, dass deren Freund eine andere zu haben scheint. Und sie klagt dann laut keifend: „Weißt Du, der hat mich seit vier Wochen nicht mehr angerührt …“ Und ich denke so bei mir, „Mädel, und das scheint mir auch ein klein wenig verständlich.“ Sie ist schwanger und sie scheint sich seit ihrer vollendeten Fruchtbarkeitsdiagnose nicht mehr gewaschen und noch gepflegt zu haben.
5 comments:
"welcher Arbeiter ohne Abitur und Studium soll eigentlich ..." -- Wie wahr! Immerhin, wenn es so läuft wie in diesem Fall, dass die Richterin Durchblick gehabt zu haben scheint, hat man ja noch Glück gehabt.
Ich habe ja jetzt glücklicherweise nach fünf Monaten Zeitarbeit den Absprung geschafft.
In diesen fünf Monaten hat es mich etliche Stunden Recherche und mehrere Telefonate gekostet, meine Gehaltsabrechnungen auf richtige Abrechnung zu kontrollieren. Und ich bin ausgebildete Kauffrau, sowas gehört zu meinem Job...
Korrekt war übrigens genau eine einzige Abrechnung. Mal ganz abgesehen davon, dass man selbst wenn alles korrekt läuft immer noch über den Tisch gezogen wird und das mit Wissen und vollem Einverständnis des Gesetzgebers.
Du fragst "Wer singt in den westlichen Ländern überhaupt noch?"
Stimmt, früher wurde viel mehr gesungen, auch mit den Kindern. Heute singe ich im Auto, aber auch das wird seltener. Meine ganze Schulzeit über sang ich im Chor. heute singt man bestenfalls (!) noch zu Singstar, schlimmstenfalls bei DSDS und Popstars. Singen wird heute mit dem Traum vom Ruhm gleichgesetzt; kaum einer tut es noch aus Spaß. Bei den Geburtstagsfeiern meiner Großeltern wurde IMMER gesungen. Die alten Kriegs-, Volks- und Sauflieder. Im Bus bei den Klassenreisen "Wir lagen vor Madagaskar", u.ä. Manchmal auch noch mit der Gitarre am Ort der Klassenfahrt. ja, schade. Ich singe gerne. Und wenn es von Herzen kommt, höre ich es auch gerne, selbst wenn es ein bisschen schief ist.
@notquitelikebeethoven
Ja, ich sage es mal so: bei der Richterin hatte man das Gefühl, ihr ist dieses Unternehmen nicht zum ersten Mal begegnet. ;-(
@Andrea
Ich hatte ein Erlebnis mit einer Zeitarbeitsfirma, dass mich Monate später sehr viel Geld gekostet hatte, weil die nicht wie verabredet wichtige Unterlagen rechtzeitig an die Agentur weiter geleitet hatten. Da bin ich natürlich empfindlich – aber so sehr ich mich auch anstrenge, ich höre von Zeitarbeitsfirmen grundsätzlich nichts Gutes. Huren sprechen liebevoller über ihre Zuhälter!
@Petra
Ja, ich erinnere mich auch an fröhliche Chorstunden und wir haben in unserer Familien gerne Volkslieder gesungen. Das fiel mir neulich wieder ein, als irgendwo „Hoch auf dem gelben Wagen“ gesungen wurde. Und die guten alten Seemannslieder. Und es geht einem immer so gut danach!
Bei mir schlug es übrigens im letzten Jahr am Silvesterabend wie ein Blitz ein, als ich feststellte, wie glücklich ich früher war – als großer Abba-Fan *wir durften sie ja noch live erleben, seufz* immer Abba-Lieder gesungen habe. Daraufhin habe ich mir alle Platten vom Server gezogen (meine LPs sind alle mal einem Hochwasser im Keller meiner Mum zum Opfer gefallen) und singe seitdem lauthals mit. Und es tut gut!
Ich sing eh nur, wenn ich allein bin, im Auto z.B. - aus Gründen …
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Fröhlich sein, freundlich bleiben und bitte immer gesund wieder kommen!
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