2010-05-16

Kino mit Rollstuhl besuchen

Raúl lebt in Berlin und bloggt und twittert. Raúl macht sowieso alles, was man im Web so tut – von Programmiererseite her. Mittlerweile hat er eine abgeschlossene Ausbildung als Telefonseelsorger. Nebenbei ist Raúl Initiator des Vereines SOZIALHELDEN e. V.. Aus zwei Studenten, die die Idee hatten bei anderen Menschen das Auge für gesellschaftliche Probleme anderer Menschen zu öffnen – um kreativ und mit Humor eine Änderung zu erwirken, ist mittlerweile ein großes Netzwerk geworden in dem Betroffene und Freiwillige gemeinsam kreativ auf Missstände aufmerksam machen, die anderen Menschen deren Alltag beeinträchtigen.

Ich kann Euch eine Geschichte erzählen, wie das funktionieren kann, wenn Menschen und Firmen gemeinsam die Möglichkeiten von Social Media als das benutzen, was es ist: die Möglichkeit eine Aufgabe gemeinsam und im Sinne aller offen und konstruktiv anzugehen.

Auf Raúl bin ich via Twitter aufmerksam gemacht worden. Einer meiner Follower schickte eines seiner Tweets als Reply rum. Jenseits seiner beruflichen Qualifikation und seines ehrenamtlichen Engagements ist Raùl auch Privatmensch und dieser wollte in Berlin mit Freunden ins Kino gehen. Alle hatten bereits ein Ticket im CinemaxX am Potsdamer Platz erworben und als er, Raúl ist Rollstuhlfahrer, und seine Begleiter im Saal Platz nehmen wollten, hieß es plötzlich, dieser Raum sei aus bautechnischen Gründen nicht für Rollstuhlfahrer zugelassen und man verwies sie – primär Raúl – des Saals und somit des Films. So eine Erfahrung ist in Deutschland im Jahr 2010 in einem verhältnismäßig neuen Kino so unnötig wie ein Kropf – und Raúl war dementsprechend verärgert.

Ich fand's, wie Raúl, selbst als Unbeteiligte unmöglich, denn das CinemxX am Potsdamer Platz wurde mit Gestaltung dieses Platzes neu gebaut und erst 1998 eröffnet. Daher kann ich per se keinen Grund als akzeptabel ansehen, warum in der heutigen Zeit überhaupt noch eine Vergnügungsstätte nicht 100 %ig behindertengerecht gebaut wird. Deutlicher: überhaupt gebaut werden darf, denn eigentlich ist das ja ein politisches Manko. So habe ich Raúls Tweet ebenso mit auf die Reise geschickt.

Kurze Zeit später meldete sich CinemaxX via Twitter in Persona von Alper – bei Raúl auch noch auf der Homepage mit einer Entschuldigung – und erklärte allen anderen, die Raúls Tweet weiter geschickt haben, dass man sich sich der Sache annehmen wolle. Das war ein Novum und wurde von mir anerkennend zur Kenntnis genommen. In der Hauptsache ging es vor allem darum, wenigstens in den Kinos und auf der Homepage klar und deutlich zu markieren, welche Säle von Rollstuhlfahrern benutzt werden können, um solche unschönen Moment in Zukunft zu vermeiden. Darüber ging etwas Zeit ins Land aber Raúl blieb hartnäckig dran und fragte immer wieder nach. Nun hat CinemaxX tatsächlich nachgepflegt und ab sofort informiert das Unternehmen online und offline durch simple grafische Darstellung in welchen Räumen aller CinemaxX-Kinos schlimmstenfalls auch Rollstuhlfahrer durch Notausgänge flüchten können.

Den Verein Sozialhelden e.V. kann man unterstützen, als Freiwilliger, als Fördermitglied für 50,– Euro/Jahr oder mit einer individuellen Spende dank Klick auf den Spendenbutton.

2 Kommentare:

Bettina hat gesagt…

Hallo!
Sowas macht mich immer noch wütend. Deshalb finde ich es umso besser, dass man sich wehrt, und es in diesem Fall etwas bewirkt hat. Ich bin jedes Mal wieder entsetzt, wie behindertenfeindlich unsere Gesellschaft ist. Ich bekomme immer das Gefühl, dass ICH mich dafür entschuldigen müsste, gehandicapt zu sein. Oder man bekommt deutlich zu spüren, dass manches Publikum eben nicht erwünscht ist.
Das fängt schon bei Kleinigkeiten an (zwar Lift, aber die Knöpfe verstellt durch Werbung oder sonstige Aufsteller; Behindertenklo ganz oben, aber OHNE Lift; Stufen und Treppen. wohin man nur schaut).
Vielen Dank, dass Du auch mitgeholfen hast!

Viele Grüße
Bettina

creezy hat gesagt…

@Bettina
Na, sehr viel habe ich ja nicht getan außer den retweet-Button zu drücken. Aber Deinen Unmut kann ich sehr gut verstehen. Meine Mutter war jahrelang schwer gehbehindert (Rollator) – alleine warum in den Restaurants in den Neubauten nach Mauerfall in Berlin die Toiletten in die Keller gelegt werden durften, verstehe ich bis heute nicht. Oder Fahrstühle im öffentlich Raum, die ständig kaputt sind – ohne dass man dann z. B. jemanden dort hinstellt, der sich um die Leute kümmert, die darauf angewiesen ist.

Eigentlich müsste man alle Menschen zwingen sich drei Wochen im Leben doppelseitig an Gehhilfen bewegen zu müssen – nur um ein Gefühl für die Schwierigkeiten der anderen zu bekommen.

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Fröhlich sein, freundlich bleiben und bitte immer gesund wieder kommen!