2010-04-01

Feng Shui im Tempelhofer Hafen

Ich kann wie ein Rohrspatz schimpfen auf alles was in dieser Stadt bautechnisch verbrochen wurde, seit dem Fall der Mauer. Das einzige Gebäude der Berliner Neuzeit auf das ich nicht mit verzweifelter Qual gucke, ist das Jüdische Museum. Bei allem anderen wird mir im gemäßigten Fall unwohl. Insofern habe ich damals sehr kritisch geguckt, als man anfing den alten Speicher vom Tempelhofer Hafen zu entkernen, um hier eine der vielgeliebten 1:1 abbildbaren Einkaufshöllen zu integrieren. Da man dem Bezirk ein allgemeines Sterben vorhersagte – nachdem der Flughafen Tempelhof dicht gemacht wurde, der das prognostizierte Wiederbeleben dieses Bezirks in den ganzen 20 Jahren nach Mauerfall auch nicht ermöglicht hatte – fand ich den anlässlich seiner Schließung prognostizierten Bezirksbankrott etwas fern von der Realität geäußert: in keinem Bezirk der Stadt, trotz relativ mittiger Lage, gibt es so viel Büro-Leerstand wie hier. Und auch Miet-Leerstand, denn dank der 4. Stufe der Hartz-Konzeption, dürfen Menschen ohne Arbeit mit Familie keine Vierzimmerwohnungen mehr bewohnen. Dieser Bezirk war schon mit Flughafen mehr tot als lebendig.



Tempelhof sollte also nach Schließung des einen Lufthafens mit Restaurierung der anderen Wasserhafen reanimiert werden. Und auch wenn ich mir den Speicherausbau zur Straßenseite deutlich spannender gewünscht hätte, anstelle der farblosen weißen schnörkelfreien Fassade, zur Wasserseite hin haben sie einen ganz guten Job gemacht. Nun, nach gut einem Jahr der Öffnung, ist der Tempelhofer Hafen als Einkaufsmeile gut akzeptiert. Mittlerweile nimmt auch der Hafen-Ausbau Formen an, die ersten Anlegestellen sind gesetzt – alleine mir fehlt noch das Boot – und die gastronomischen Einrichtungen, in denen man gerne am Wasser sitzend seine Zeit verstreichen lässt, addieren sich in diesem Frühjahr von dem einen Café im letzten Jahr zu mehreren in diesem Frühjahr. Das Gebäude auf der Brücke, der so genannte Wieneke-Bau, das ich ihm Rohbau noch ängstlich als mögliche Parkhauszufahrt zu interpretieren bereit war, hat sich als Behausung für mehrere Fress-Etablissements und einem Ärztehaus geoutet und in der einen Restauration war ich neulich, um mich der Feng Shui-Kompetenz des stillstehenden Hafenwassers hinzugeben.



Noch wird gebaut am alten Speicher der Querachse vor der der alte Kahn „Tempelhofer Liebe“ liegt, die natürlich irgendwann ein Restaurationsschiff sein wird. Und wenn sie endlich wieder die Uhr vom Ullstein-Haus in Gang brächten, könnte eigentlich alles „chic“ sein da in Tempelhof am von mir so geliebten Wasser.



„Sensai“ heißt das Thai-Restaurant, das schon am Anfang zwei elementare Fehler für sich vereint. Es vergisst in seiner Feng Shui bedingten Harmonie die Kommunikation mit dem Kunden und weigert sich außen auf das Vorhandensein oder die Qualität seiner Speisen bildhaft hinzuweisen. Man muss blind Vertrauen schenken und das ist schwierig bei einem Restaurant, das den in Berlin üblichen Spagat von Thai-Küche zur Sushi-Küche macht, womit auch schon Fehler Nummer 2 benannt ist. Zwar liegen Thailand und Japan bekanntermaßen gemeinschaftlich im Asiatischen Teil der weltlichen Anordnung, Nachbarn sind diese Länder deswegen aber noch lange nicht und daher sind ihre Küchen als grundverschieden zu bezeichnen. Warum sich zunehmend immer mehr Läden aufmachen, uns einen nur minimalen Teil (Curryhuhn in rot-gelb-grün und Reisbandnudel) der einen Landesküche mit einem minimalen Teil (Maki, Sashimi) der anderen Landesküche im langweiligen Kollektiv zu offerieren, begreife ich nicht. Aber ich stehe ja auch immer noch fassungslos vor Döner-Buden, die auch Currywürste ohne Zusatzkennzeichnung „aus Rind“ anbieten oder einen auf türkischen Chinesen machen.

Es stehen trotz Sonnenschein draußen viele leere Stühle vor dem Restaurant, das sich innen im Feng Shui-Chic als rund und weich eingerichtet outet – mit ebenso vielen leeren Sitzgelegenheiten. Der mangels Arbeit gelangweilte sehr nette Kellner springt mit Ultraschallgeschwindigkeit auf mich zu und bevor ich in die Karte gucke von der ich eh keine Überraschungen erwarte, entscheide ich mich für eines der über der offenen Küche offerierten Tagesgerichte mit üblicher Tom-Kha-Kai-Suppe und einem Ananas-Minze-Shake und nehme draußen mit Blick auf's Wasser Platz.



Die Thom-Kha-Kai kommt sehr schnell und ärgert mich ehrlich gesagt, weil sie offensichtlich aus Tüten-Curry fabriziert wurde. Allererstes Merkmal dafür: sie ist schlicht versalzen – wie eigentlich alle Suppen dieser Art versalzen waren, die ich in letzter Zeit in dieser Stadt zu mir genommen habe (einzig akzeptable Ausnahme ist die aus dem dreckigen Imbiss in der Brunnenstraße.) Es fällt unangenehm auf, dass die Hühnerfleischstücke einen mundgerechten Passus offerieren über den sich ein Löwe freuen würde – hier mit einem Löffel zu essen, ist es allenfalls eine unangenehme und eine für die Klamotten schwer zu meisternde Herausforderung. Den Rest des Suppenamüsements teilte ich mit der Aufgabe, der in der Suppe in Übermacht vorhandenen in kleine aber eben nicht hauchdünne Streifen geschnittene gefühlt aus mindestens sechs Kaffir-Limetten-Blattsammlung Herr(in) zu werden. Ich überlege, warum ich nicht gleich in der Tierhandlung eine Packung Heu und einen Salzstein geordert habe … und gebe mit dem bitteren Gedanken hier zwangsläufig zu einem Hasen degradiert zu werden bei der Suppe auf.



Lustig finde ich immer, dass die Asiaten, die hierzulande Restaurationen eröffnen, das Speiseangebot in sträflicher Weise dem europäischen Geschmack anpassen, andererseits aber gerne die hier übliche Servierreihenfolge von Hauptspeise folgt Vorspeise gänzlich ignorieren. Der Hauptgang steht also schon auf dem Tisch als ich noch die Blattstreifen in der Suppe sortiere und friert trotz Märzsonne vor sich hin. Die Reisbandnudeln in einer dunklen Sauce sind reichlich bedacht mit Garnelen und frischem Gemüse und einem etwas zu gut gemeintem Haufen Röstzwiebeln. Auch das asiatische Gemüse ist im „Sensai“ bereits eingedeutscht, ich kann mich nicht erinnern, jemals bei einem Thai Rotkohl und Radieschen in meinem Curry gehabt zu haben. Alles in allem bestärkt mich dieser Ausflug einmal mehr in einem Vorurteil: Tempelhof ist kein Bezirk für Asiaten, das FengShui stimmt einfach nicht in diesem Bezirk. Allerdings, was soll ich sagen, ich kann mich eh nicht erinnern in Tempelhof jemals gut oder sogar außerordentlich gut gegessen zu haben!

Lobend erwähnen kann ich aber den Shake, der ist aus frischer Ananas gemacht, das beweisen die noch minimalen Stücke im Shake (weswegen man sich aber das Anreichen eines Strohhalmes auch hätte sparen können) und ist eine leckere Angelegenheit. Und der Blick auf's Wassser war auch reinigend. Nebenan gibt es übrigens Currywurst.

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