2009-03-01

Nun mehr …

befinde ich mich hinsichtlich meiner neuen beruflichen Aufgabe (der einen von den dreien oder nein, es sind doch eher vier) auf einem neuen Level des Lernens. In den ersten drei Monaten lernte ich viele Gesichter, Namen, Abkürzungen (im Geiste auszuschreiben), Zuordnungen (offensichtliche und versteckte) kennen, erlernte wieder das Reisen, das sehr frühe Aufstehen, lernte den Sekt von Lufthansa, die Laugenstange und den Playboy als Morgenlektüre von AirBerlin kennen. Lernte über merkwürdige Umgänge miteinander, hintereinander, voreinander, dass gestärkte Hemden ein trügerisches Anzeichen von Vorhandensein von Stil sein können aber nicht sein müssen, wie käuflich Menschen doch sind, wie armselig Menschen doch sind, wie – und das nehme ich am liebsten und am meisten mit – großartig Menschen doch sind. Ich lernte wie schlecht das Essen im Gesundheitswesen sein kann: werdet mir bitte bloß nie Politiker und seid dabei Vegetarier, denn das passt gar nicht! Ich las mich durch Akten, Fakten, Schreiben, Berichte, wunderte mich über Sprachen, denen ich doch aufgrund meiner geburtlichen Disposition eigentlich mächtig sein sollte, verstand vieles nicht. Und wenn ich verstand, erschreckte es mich recht ordentlich. Zum Glück werde ich wissend und wohlbehüted begleitet. Kurzum: ich habe meinen Spaß und sehe eine Entwicklung hinsichtlich des Verstehens zum Positiven hin. Allmählich.

Also folge ich nun der nächsten Stufe des Lernlevels: man schult mich. Sehr freundlich und intensiv sowie wohl umsorgt. Dabei lerne ich über mich, dass ich ja doch an der Schule ein bisschen was vom Dreisatz mitgenommen habe und man sich vor dem Wurzelziehen nicht übertrieben sorgen muss, solange man einen Taschenrechner besitzt. Ihr werdet es nicht glauben, ich hatte doch tatsächlich in der vergangenen Woche mathematische Erfolgserlebnisse. (Ich lernte übrigens auch, wie sehr unglaublich unterschiedlich einzelne Taschenrechner funktionen. Obwohl sie alle das Gleiche machen sollen.) Ich lerne, dass Menschen, mit 6+3 (oh, diese Aufgabe spendierte passend zum Thema eben der auf der Tastatur stehende Lino, dann soll sie bleiben) … mit abgeschlossenem Studium und Dissertationen im Hintergrund genau so ungerne rechnen wie ich, obwohl sie es in ihrem Job viel öfter können müssten als ich. (Was ein wenig Panikgefühl auslösen könnte, würde man länger und intensiver darüber nachdenken. Aber solange sie wenigstens unterm Strich ausgerechnet bekommen, was sie verdienen oder nicht – immer zuwenig –, ist's ja gut.)

Ich lernte in dieser Woche Studien und Reviews lesen und auswerten, was Evidenz bedeutet und wo sie einen in der Beurteilung von Statistiken gerne auf das Glatteis führt. Nun werde ich noch mehr Freude an Statistiken haben. Besonders viel Spaß machen dabei übrigens die der besonderen Sorte: von der Pharmazie in Auftrag gegeben. Heissa! Dann empfindet man detektivische Freude beim Lesen zwischen den Fakten und Zeilen. Zum Beispiel, wenn ein alteingesessenes Medikament in der Behandlung einer Diagnose untermedikamentiert wird, damit das als neu einzuführende Allheilmittel entgegen der alten Behandlung als das bessere Medikament dargestellt werden kann. (Was im Klartext bedeutet, dass man eine Menge x von Patienten schlicht bei krankhafter Disposition mal eben für die Zahlen über die Klinge springen lässt.) Kurz und gut: ich habe wirklich meinen Spaß! Nur ob mir die neue Form von Zynismus wirklich gut zu Gesicht steht, die ich gerade entwickle, ich weiß es nicht …

7 comments:

Anonym hat gesagt…

Jetzt bin ich neugierig. Gesundheitswesen, Politik. Nicht, dass wir uns mal über den Weg laufen ...

Anonym hat gesagt…

detektivische Freude beim Lesen hab ich auch, wenn ich versuche herauszufinden, was du beruflich machst.

Anonym hat gesagt…

Na dann siehtn man sich ja mal bei einem Gesundheitskongress.

Anonym hat gesagt…

".. wunderte mich über Sprachen, denen ich doch aufgrund meiner geburtlichen Disposition eigentlich mächtig sein sollte, verstand vieles nicht .."
da bist Du sicherlich nicht die Einzige und das ist unendlich traurig, geht es doch nicht um fach-spezifische Kommunikation sondern in der Regel um Alltägliches, das auch der "Otto Normalverbraucher" (die Otti selbstverständlich auch) verstehen sollte
.. oder?
Gruss aus Frankfurt am Main
Hajo
P.S.: ich liebe die deutsche Sprache (auch die eingebundenen Fremdworte) und die Art, wie Du damit umgehst :-D

creezy hat gesagt…

@die_schottin
Wäre das denn so schlimm? ,-)

@burnster
Ich lasse Dich noch ein bisschen zappeln …

@anonym
Dann sagen Sie ruhig «Hallo!»

@hajo
Erst einmal dankeschön für das Lob! ,-) Ja, es ist unendlich traurig. Zumal in meinem Bereich es tatsächlich um das Reporting an die Patienten geht und ich bin erstaunt, was die eine Seite glaubt, die andere Seite für eine Sprache spricht, sprechen kann oder soll. Mir ist natürlich klar, das Unvermögen sich «auf die niedrige Patientenschicht» herabzulassen, hat viel mit dem Wunsch der Verschleierung zu tun. Aber letztendlich bleibt unter dem Strich nur eines: viele Ärzte (nicht alle!) haben in diesem Land ein Kommunikationsproblem. Sie verstehen die Menschen nicht, die vor ihnen sitzen und umgekehrt. Das ist im Zweifelsfall fatal bis lebensbedrohlich …

Anonym hat gesagt…

@ creezy:
dazu kommt noch, dass eben diese Patienten (mehr oder weniger) gezwungen sind, einen "Persilschein" auszufüllen, bei dem es oftmals im wahrsten Sinne des Wortes "um Leben und/oder Tod" geht. Schon ein sch.. Gefühl, wenn man meint, etwas verstanden zu haben aber wenn einem eigentlich die Grundlage für das Verstehen fehlt.
Wenn ich mir das Ganze durchlese kann ich nur hoffen, dass Du (wie auch meine Mit-Kommentatoren) auch zwischen den Zeilen lesen kannst um meine Befürchtungen zu verstehen. Aber wenn ich Deine Antwort oben richtig lese, ist das der Fall.

Anonym hat gesagt…

Auch meine Neugier ist geweckt. Nachdem ich gestern so bereitwillig meinen Wohnort ausgeplaudert habe, könntest Du ja wiederum Deinen Beruf bekannt geben. Quid dinsgsda

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