2008-09-28

Mauerkind



Für mich als gebürtiges Kind dieses einen Berlins, das in dieser Stadt mit permanenten grauen Begrenzungstrich; mit Transitreisen auf Autobahnen nicht über 100 km/h, Aufenthalten in Dreilinden selten unter zwei Stunden; Versteckspielen von Mickey Mouse-Heften oder später der BRAVO vor den Grenzkontrolleuren; mit Zugreisen aus der Stadt raus immer nur in den abgewrackten Waggons der Deutschen Reichsbahn in denen es selten eine funktionsfähige Toilette gab und wenn doch, dann maximal eine auf alle Waggons verteilt; mit Tagesreisen an Omas Hand nach «Drüben» zur Potsdamer Familie und mit schüchternen, ratlosen, betroffenen Blick auf Omas heftige Tränen zum Abschied, weil für mich empfunden nur ein Kaffeebesuch bei langweiligen Erwachsenen mit unglaublich langer Anreise; mit dem leckeren Softeis, das «Drüben» viel besser schmeckte als hier; mit einer Großcousine, die uns bis zu ihrem 16. Lebensjahr noch besuchen durfte, danach still aus unserem Leben verschwand; mit gepackten Paketen für «Drüben» und dem dazugehörigen unglaublichen Papierantragsaufwand für dessen postalische Einreise; mit Panzeraufmärschen und Militärdemonstrationen alliierter amerikanischer, britischer, französischer und sowjetischer (am Abendbrottisch immer «Der Russe» genannt) Freunde zum 17. Juni, «unserem» Tag der Deutschen Einheit, denen wir Berliner in Massen am Wegesrand der Straße des 17. Juni beiwohnten; mit Schulausflügen zum Checkpoint Charlie mindestens einmal im Jahr; mit Straßenbahnen, die damals im Westteil der Stadt noch fuhren; mit U-Bahnen, die abgedunkelte, stillgelegte Bahnhöfe unter dem Ostteil der Stadt ohne Halt langsam durchfuhren; das zu Weihnachten diese herrlichen Ölfarben und über das ganz Jahr «Ökoschulhefte» mit grauem und garantiert nicht holzfreiem hochglänzenden Papier aus der DDR geschenkt bekam und sie liebte, weil sie so anders waren; mit Meldungen über erfolgreich geglückte Fluchtversuche und Schlagzeilen über missglückte Fluchtversuche und Todesopfer im Todesstreifen; dank dem selten gesehenen Teil der Familie mit tschechischen Märchen; in dessen Familie DDR 1 und 2 zwangsläufig zu den Hausprogrammen zählten, weil die altersschwache Antenne deren Signale eher empfing als das ZDF oder die dritten Programme; mit einer Kindheit am brach liegenden Potsdamer Platz in den Bunkern der Umgebung spielend; in den Ruinen des verfallenen Botschaftsviertels rumkletternd; mit Mittagessen bestehend nur aus Kartoffelpüree im Kreis der Großfamilie oben im vierten Stock des damals halb verfallenen Hauses Huth, wo das Sozialamt die alleinerziehende Mutter der Grundschulfreundin untergebracht hatte und sie dort mit den Tauben hausten; einer Grundschullehrerin in der zweiten Klasse, die zu ihrem Mann in die DDR zog, was ein gefühlter von den Eltern inszenierter Riesenskandal war, den wir Kinder nicht verstehen konnten, wir aber spürten, wir würden sie wohl niemals mehr wiedersehen, also als Kind in dieser besonderen geteilten Stadt Berlin groß geworden ist, ist der 9. November 1989 für mich der eigentliche Tag der Einheit und immer noch mit das größte und heute noch unfassbare Glück in meinem Leben als Deutsche und Berlinerin, auch wenn wir ihn nun am 3. Oktober feiern.

Impressionen von der Gedenkstätte zum Gedenken der Todesopfer der Berliner Mauer


















(Fotos mit der alten ixus V3 gemacht)

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Für einen Berliner müsste der Tag der Einheit am 22.12.1989 sein. Was oft vergessen wird: Der Mauerfall war am Anfang recht einseitig. Von Ost nach West ging gut, aber als Wessie in den Osten war weiterhin Schikane angesagt.

Für mich ist es zumindest der 22.12. An diesem Tag konnten West-Berliner ohne demütigende Prozedur in der Passierscheinscheinstelle erstmals wieder in den Osten der Stadt reisen. Ich erinnere mich nich, wie ich bei der Ansprache am Brandenburger Tor zusammen mit anderen über die Mauer bin, es hat in Strömen geregnet, und erstmals durch das Brandenburger Tor gegangen bin. Es gab ausserdem einige tausend West-Berliner, die keinen Passierschein bekommen haben und über Jahre nicht nach Ost-Berlin und die DDR einreisen konnten - wie mich. Begründung gab es keine, seit ich meine Stasi-Akte kenne, weiss ich warum.

shadow hat gesagt…

Danke.

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