2008-02-12

Gesundheitspolitik – und was derzeit wirklich passiert

Jan Erik Döllein ist Arzt, Gemeinderat und CSU-Politiker. Er meint, «Es ist nicht meine Aufgabe, solche Texte zu schreiben […]» und tut es dennoch auf den Nachdenkseiten:

Rechte wie die freie Arztwahl will ich hier gar nicht erwähnen, man wird froh sein, dass sich überhaupt noch jemand der Bürger annimmt. Unsere breit gefächerte Arztlandschaft soll also ganz bewusst umgebaut werden zu einer reinen Monokultur, die nur der Gewinnerzielung dient und den einzelnen Patienten als Wertschöpfungsfaktor und nicht als Mensch behandelt.

Und dazu sage ich mal nichts:
Am 30.1.2008 haben sich 7000 von 8000 Hausärzten zu einer Protestveranstaltung in Nürnberg getroffen und diese war die größte und eindrucksvollste ihrer Art seit Bestehen der GKV. Keine der großen Boulevardzeitungen brachte meines Wissens einen adäquaten Artikel, keiner der privaten und öffentlich-rechtlichen Sender ging tiefer und nachhaltiger auf diese Veranstaltung ein.

Lang und sehr lesenswert!

5 comments:

Julius hat gesagt…

Einfach nur gruselig.

Quintus hat gesagt…

Vielen Dank für den Hinweis, mir wird gerade speiübel.

Anonym hat gesagt…

Ja, das ist wirklich gruselig. Unter welchem Druck die Ärzte inzwischen stehen bekomme ich bei mehreren Freunden (keine Klinikärzte) quasi live mit und auch deren Verzweiflung, weil die Bevölkerung überhaupt nicht realisiert, was da eigentlich im Gange ist und welche verheerenden Folgen das für das Gesundheitssystem und die Menschen haben wird. Der Existenzdruck für die Ärzte ist zur Zeit unglaublich hoch und läuft darauf hinaus entweder mitmachen oder komplett aufgeben und die Praxen schließen. Wer noch am "alten" und angeblich überkommenen Arzt-Bild und Arzt-Ethos festhält wird gnadenlos abgeschossen, Ärzte dermaßen mit Papierkram und unsinnigen Vorschriften eingedeckt, dass die Zeit für die Patienten immer knapper wird etc. etc. Hier wird tatsächlich ein gutes und eigentlich auch stabiles Gesundheitssystem regelrecht an die Wand gefahren und zerlegt. Ich fürchte, wenn die Auswirkungen erstmal richtig auf die Bevölkerung durchschlagen, werden wir uns noch alle umschauen - nur leider wird es dann zu spät sein.

Was die Macht bestimmter Konzerne angeht: gebündelte Macht beinhaltet immer auch eine gewisse Gefahr was Mißbrauch dieser Macht angeht. Das gilt für den Staat aber noch mehr für Konzerne, denn für den Staat gibt es zumindest theoretisch (und nach wie vor bei uns in D. auch größtenteils praktisch) Kontrollgremien und - instanzen und die Bürger haben die Möglichkeit bei Wahlen oder praktisch vor Ort mitzubestimmen. Bei Konzernen gerade wenn es sog. Global Player oder solche Markt beherrschenden Konzerne sind, ist diese breite Kontrolle überhaupt nicht mehr gegeben und das macht das ganze brandgefährlich, erst recht, wenn es dann den Konzernen gelingt sich mit denen die Politik machen zu verweben.

Da die Masse der Menschen aber leider nach wie vor nach dem Prinzip funktioniert "Was mich nicht direkt betrifft (und mir spürbar wehtut) interessiert mich kaum geschweige denn läßt es mich aktiv werden, laufen da über Jahre Entwicklungen ab die eigentlich haarsträubend sind ohne dass die Masse der Menschen/Bürger darauf auch nur ansatzweise reagieren.

Ach ich könnte noch ewig weiterschreiben aber ich hör dann mal auf ... Abschließend nur soviel: gruselig ist im Grunde noch untertrieben.

Anonym hat gesagt…

Monopolisierung ist niemals schön, weil die Kontrolle dem Bürger entzogen wird. hier sogar schleichend.

Ich finde es sehr schade, dass der Staat unter dem Deckmantel der Wettbewerbsbildung eher dem entgegenwirkt und Monopolisierung im Gesundheitsbereich fördert.

Ein Trend, der sich hoffentlich nciht bewahrheitet.

Anonym hat gesagt…

Es ist schlimmer als hier beschrieben, weil der Karren auch ganz ohne Verschwörungstheorie in der Lage ist selbstständig in den Dreck zu fahren. Es genügte hier der Anstoß durch eine Reform - der Rest passiert scheinbar auch fast von allein.

Dass allerdings die Veranstaltung der bayerischen Hausärzte in den Medien so konsequent totgeschwiegen wurde, ist ein Umstand, der mir auch recht beachtenswert vorkommt und der den Verdacht nahe legt, dass eben diese Medien nicht so vollkommen unabhängig sind, wie sie es gern vorgeben.
Ich bete übrigens inständig, dass sich die Kollegen mit ihrer geplanten Zulassungsrückgabe nicht selbst ins Knie schießen. Das System aus dem sie aussteigen wollen ist mächtiger, als man es gemeinhin glauben möchte.

Es wäre jedenfalls schon eine ganze Menge gewonnen, wenn diese Bild der geldgierigen Weißkittel, wie es in den Medien seit geraumer Zeit gern gemalt wird endlich mal ein wenig korrigiert würde. Blöd ist nur, dass der einzelne Arzt das immer nur einzelnen Patienten vermitteln kann, die ihm oder ihr das auch glauben - zumindest bis zur nächsten Fernsehsendung über diese elend raffgierigen Pfuscher.

Und den medizinischen Kahlschlag, den haben wir schon. Neulich habe ich mit einem ostdeutschen Landarzt gesprochen, der nicht nur der Verweifelung nahe war, weil er am Vormittag des Tages bereits 100 (in Worten hundert!) Patienten mehr durchgeschleust als behandelt hatte, sondern der auch am dekompensieren war, weil alle Kliniken in seinem Umkreis dicht gemacht worden sind, alle Fachärzte in seiner Umgebung aus Altergründen die Praxen geschlossen haben und neue Anwärter keine Zulassung mehr bekommen, weil weit entfernte große Medizinische Versorgungszentren (MVZ) die mittlerweile alle inne haben.

Wir stehen nicht erst am Abgrund, nein, wir sind schon einen Schritt weiter.

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