Kopflos
Da stecke ich nun in den Reisevorbereitungen, um nächsten Montag nach Spanien zu fliegen, genauer auf's 17. Bundesland, um die Asche meiner Mum „ihrer Insel” zu übergeben. Übernächsten Sonntag wäre sie 65 geworden, wenn sie nicht im letzten Jahr in ihre nächste Existenz rüber gemacht hätte. Und ihr Plan war, diesen Ehrentag auf „ihrer Insel“ verbringen zu wollen. Das passt dann also zeitlich schon.
Und ich bin zur Zeit einfach nur kopflos. Viele Dinge vor denen ich vor einem Jahr mir noch den Kopf gemacht hätte, bezüglich der Überführung, haben sich in der Zwischenzeit relativiert und sind von mir auf das Notwendigste reduziert, wie z.B. Urnentransport im Handgepäck und wie das auf ein Minimum reduzieren. Mittlerweile scheint es mir als seien Urnentransporte im Handgepäck das Nebensächlichste auf diesem Planeten überhaupt.
Der Plan sagt ein oder zwei Tage mit ihr ihre Lieblingsplätze bzw. die Plätze ihres Wirkens und Lebens (sie lebte drei Jahre lang dort) dort abzuklappern, damit sie – wenn auch in einem völlig anderen Aggregatzustand – Abschied nehmen kann, was selbstverständlich nichts anderes ist als für mich ein Abschied nehmen. Ja, all das klingt auch in meinen Ohren merkwürdig. Der Bauch aber sagt, so ist es gut so.
An ihrem Ehrentag wäre es schön, wenn die, die sie noch kennen auf der Insel sich zu einem Geburtstagskaffee zusammen finden – für mich dann wohl die zweite Abschiedsfeier – und wie bei den Buddhisten natürlich einem Gongyo. Und dann an diesem oder dem nächsten Abend, möchte ich ihre Asche an ihren Lieblingsplatz am Meer bringen und in dem von ihr so geliebten Sonnenuntergang an dieser Stelle dem Meer als auch der Insel übergeben.
Da ich vor diesem Akt selber eine Heidenangst habe (es muss ja auch alles dezent abgehen) und in solchen Dingen genau null Erfahrung, gehe ich davon aus, das es so sein wird wie immer in meinem Leben: die Erlebnisse, vor denen ich mich am stärksten und am längsten fürchte, sind dann gar nicht so schlimm. Ich hoffe, ich kann dieses Mal auch darauf vertrauen.
So oder so ist es wohl deutlich schöner, die Asche in der untergehenden Sonne vom Wind mitgetragen zu sehen über einen Fleck Erde, den dieser Mensch über alles geliebt hatte, als ein Metallgefäß in die dunkle Erde irgendeines Friedhofes versenkt zu sehen, der von den Angehörigen ausgesucht wurde, weil er so praktisch um die Ecke liegt. Jedenfalls stelle ich mir das so vor. Ich habe das ja auch noch nie gemacht.
Ich denke, nein, ich glaube hundertprozentig, sie wäre sehr glücklich gewesen, hätte sie im Vorfeld gewusst, wie wir das machen vor allem wo sie hinkommt. In einem unserer letzten Gespräche saß sie auf ihrer Couch und meinte noch im Nebensatz als sie mir wieder einmal erzählte, (sie wollte immer eine Seebestattung, seit es diese in Deutschland für Normalsterbliche gibt, die schien ihr aber immer nicht finanzierbar) „Ein anonymes Grab, bloß keinen Aufwand und Geld ausgeben“ für das Unvermeidliche, aber am liebsten „Würde ich ja auf Mallorca bestattet werden wollen. Aber daran ist ja in unserer finanziellen Situation nicht zu denken.“ Nee, ist es auch immer noch nicht. Zumindest nicht im üblichen Sinne mit einem festen Grab vor Ort. Sie hatte ihren sterblichen Überresten gegenüber immer eine sehr sehr pragmatische Einstellung und war auch – bis auf die letzten drei Jahre hier, die eher von Medikamenten fremdbestimmt waren – immer eine moderne fortschrittliche Frau. Meine Mum frei wie der Wind dort gehen zu lassen, wo sie es geliebt hatte zu sein, passt viel besser zu ihrem Charakter. Anstatt des Steines gibt es Seifenblasen und Luftballons. Man muss die Feste eben feiern wie sie fallen und gefeiert hat sie schließlich immer mit Leidenschaft – und für ihr Leben gerne.
Nur ich bin nach wie vor völlig kopflos. Und frage mich, wie ich eigentlich in diese merkwürdige Situation geraten konnte und was ich hier bitteschön tue (und mir dabei antue). Nicht, dass ich den Grund nicht wirklich wüsste. Mit mehr monetären Mitteln auf der Tasche hätte ich das vermutlich auch problemlos einen Bestatter machen lassen. Andererseits treibt einen das kein Geld zu haben für außergewöhnliche Geschehnisse tatsächlich zu außergwöhnlichen Befähigungen und Taten an. Vermutlich fühle ich mich hinterher deutlich stärker. Vermutlich. Wir werden es sehen.
Jedenfalls bin ich froh, dass ich dort nicht alleine bin, sondern einige liebe Menschen mich unter ihre Obhut nehmen, sonst wäre das auch nicht machbar. Und mich vom Flughafen abholen. Ich bin nie auf dieser Insel gewesen ohne dass meine Mum mich nicht dort abgeholt hätte bzw. beim letzten Mal, da ging es ihr nicht so gut, in der Wohnung auf mich gewartet hätte. Dieses Wissen zieht mir auch den Boden unter den Füßen weg. Aber danach ist es auch vorbei. Dann darf es nur noch aufwärts gehen. Bis dahin mal eben etwas kopflos.
16 comments:
ich werde ganz fest an dich denken und dich von hier aus stützen. ich bin mir sicher, du wirst eine schöne zeit mit vielen schönen - wenn auch traurigen - erinnerungen haben und vor allem vielen (sprichwörtlichen) eindrücken erleben, die dir - wie die erinnerungen - keiner nehmen kann. und ich wünsche dir, dass du die zeit und die menschen und das ritual mit und für deiner mama geniessen kannst.
fühl dich feste gedrückt!
Es ist einfach nur bewundernswert, wie du diese wichtige Reise vorbereitest und uns an deinen Gedanken dazu teilhaben lässt. Dafür danke ich dir und für deine 'Viaje a la isla' wünsche ich dir Alles Gute.
wer braucht schon einen kopf, wenn er ein herz hat?
senfundkren: hallo und guten tag, war im ersten moment erstaunt, dass du über einen aus der bloggeria schreibst, aber dann war alles klar. bleib weiter so kopflos, es soll dir nichts ärgeres passieren.
übrigens: www.kopflos.eu heißt der knabe.
kopflos oder nicht... das klingt alles richtig und gut, eine art von glück. also wird es so, ganz bestimmt.
sabbeljan hat es eigentlich auf den Punkt gebracht! Ich bin sicher, alles wird gut werden und Du wirst es schaffen und die Erinnerung kann Dir niemand nehmen. Werde auch viel an Dich denken!
Obwohl es ein bisschen paradox klingt, hört sich das nach einem schönen Abschied an...
Du machst das schon richtig, so wie du es machst, und das mulmige Gefühl gehört doch zu einem Abschied dazu.
Virtuell umarmt dich bel mit zwei Zitaten für dich und deine Mutter:
"... May your journey, when it comes, be a swift one, with happiness waiting, and friends..."
"...'God is great, God has called her... She has won the Truth: she is in Paradise. In the night does she see the sun, and in the darkness does she see light. When God decreeth a matter, it is not for man to deny him.' 'I would have said farewell,' Nicholas said. 'The loss is yours and not hers,' said the Arab"..."
(beide von DD)
Es ist ein besonderer Moment, und Du bist nicht allein, das ist für mich das Wichtigste.
Du trennst Dich von der Asche, aber Du kannst jederzeit besonders schöne Zeiten mit ihr vor Dein inneres Auge holen. Es gibt sicher keine 100%ige Bewältigung dieses Gefühls von Abschiedsschmerz.
Mein Vater ist bspw. gestorben, da war ich 7 Jahre alt. An diesem Tag habe zu ihm gesagt "Papa, wenn Du mal tot bist, heiratet die Mama einen anderen". 1h später war er tot. Keine Ahnung, warum ein kleines Kind so etwas sagt. Es beschäftigt mich immer noch, hin und wieder. Irgendwie habe ich es nach diesen Worten nie geschafft, einen wirklichen Abschied hin zu bekommen. Und das, obwohl meine Erinnerungen an ihn selbst minimal sind.
Das soll kein Trost sein, für Dich in Deiner Situation, aber die Zeit schleift die harten Kanten des Schmerzes etwas weicher ...
Wir mögen Dich auch kopflos
Ich finds toll wie Du das machst/bisher gemacht hast und glaube, dass Deine Mutter stolz auf Dich wäre.
Das sind so Momente, da wünschte ich mir, dass jemand da wäre, der irgendwann meine Asche auf einer meiner Inseln verstreuen würde …
Das wird sicher alles andere als leicht für Sie, aber es ist ein wunderschöner Gedanke, der zu Ihrer Mutter perfekt zu passen scheint. Manchmal muss man Dinge tun, die schwer fallen, um das Richtige zu tun.
Als mein Dad starb, habe ich auch etwas gemacht, von dem ich nicht wusste, ob ich es letztlich fertigbringe, aber es war gut so.
Ich hoffe, Sie werden danach genauso zufrieden sein, wenn Sie einen so gedankenvollen Abschied genommen haben und dann können Sie sich wieder um Ihren Kopf kümmern.
Ich denk an Sie....
Sie machen das richtig. Alles Gute!
Ich weiss mal wieder nicht, was ich sagen soll. Du machst das schon richtig so, soviel ist klar. Dir eine schöne Reise zu wünschen wäre jetzt sehr unangebracht, aber alles Gute wünsche ich Dir natürlich auch.
Du machst das schon!
Und Du machst es richtig.
Das wird schon alles klappen, ich drücke die Daumen. Erst Herz hoch und dann wieder Kopf hoch!
du haust ja wirklich ab, also alles liebe und schick uns ordentliche grüsse aus den fernen landen
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Fröhlich sein, freundlich bleiben und bitte immer gesund wieder kommen!
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