2007-03-25

Unfassbar!

Der väterliche Freund und Künstler und ich haben heute zum letzten Mal das Kinderprogramm in einem Charlottenburger Edel-Club durchgeführt. Wir wollen nicht mehr. Obwohl er das Geld gut gebrauchen kann. Die sehr miesen Attitüden in dem Laden waren ihm bzw. uns den Streß, die ewige Unlust für uns dort noch hinzugehen, einfach nicht mehr wert. Irgendwann lässt sich das auch nicht mehr über den Spaß regeln, den man dabei den Kindern bringt. Kapitulation. Die Energien müssen wir einfach auf Besseres verwenden.

Das Verhältnis war schon früh von dem Tag an massiv gestört, als er abends mit seiner Band und seinem Jazzprogramm auftreten sollte, und er von der vereinbarten Summe € 300,– an seine Band bezahlen musste. Und der Club den Abend versehentlich doppelt belegt hatte, man ihn nicht anrufen konnte, ihn mit Band antanzen ließ, um ihm zu sagen, man würde nur € 125,–zahlen und er hätte nur maximal 60 Minuten zu spielen. (In solchen Momenten war der Geschäftsführer, der sonst den Hintern nicht aus dem Laden bewegt bekommt, plötzlich weg und telefonisch nicht zu erreichen.) Und Du kannst als Künstler nicht mal sagen „Nee, so nicht mit mir!“, weil Du den ganzen Laden voll hast mit Deinen Freunden.

So oder so ähnlich läuft es nur dort. Wir hatten heute sowieso den Plan zu sagen, dass es das letzte Mal ist für uns. Als ob er es geahnt hätte, hieß es mitten in der Show: Etat um 40 % gekürzt. Der Geschäftsführer hatte mir vorher noch die Hand gegeben, wir haben alles geklärt, plötzlich heißt es wieder „xy ist weg“ (sonst jeden Sonntag die ganze Show über immer anwesend), Kellner z hätte das Geld, es sind aber nur so und so viel Euro. Und der Künstler steht da und soll davon die Gastband und seinen Techniker finanzieren - selber nichts verdienen. Heute habe ich ganz klar gesagt, ich quitiere nur die erhaltene Summe, der Rest der Rechnung wird überwiesen werden – andernfalls Klage. Der Künstler ist dort seit Monaten für's gleiche Geld und legal gegen Rechnung aufgetreten, wir hätten das problemlos beweisen können und gewonnen – da ich seit dem letzten Fiasko bei Gesprächen auch immer an seiner Seite stand, hätten sie sich nicht rausreden können. Viel hin- und her, Geschäftsführer nichts ans Telefon bekommen, hatte mich nicht interessiert, letztendlich haben sie murrend doch gezahlt. Stimmung komplett hin.

Die Krone des heutigen Abends aber waren die Gäste. Die Gastband heute war eine Big-Band mit Kindern und Jugendlichen aus der jüdisch-orthodoxen Gemeinde, die Russen sind ja in Charlottenburg mehr als etabliert. Die Band: coole Nummer. Der Laden also voll mit Russen, deren Kinder dann aufgetreten sind. Milton hatte es bisher immer geschafft in seinem Programm auch die Eltern zu bewegen bei seinen Animationen mitzumachen – gem. der Devise „der Nachmittag ist für die Kinder und wir sind heute alle Kinder“ – was auch immer sehr gut ankam. Normalerweise sind die Eltern hinterher mit strahlenden Augen zu uns gekommen, um zu sagen, wie viel Spaß sie unerwarteter Weise gehabt hätten. Manchmal war das superzäh und ich kam mir gelegentlich wie eine Animateurin vor, die erwachsenen Menschen beibringen muss, wann man klatschen muss. Zum Beispiel dann, wenn sich ein Kind auf die Bühne traut und etwas vorführt (wovor 98 % Erwachsenen selber Muffensausen ohne Ende hätten, sich sowieso verweigern würden.) Aber irgendwie haben wir selbst die sprödesten Tage irgendwann rumreissen können und die Sache geschmissen – zum Wohle der Kinder. Üblicherweise gingen wir immer aus dem Laden – genervt von dem Klima – aber immer glücklich, weil die Kinder so grandios waren und eine schöne Zeit hatten. Naja, bei Kinderarbeit wird man bekannterweise nicht reich, das ist viel Herzenssache.

Aber heute? Dicke fette Menschen (im Hirn und im Portemonnaie, nicht zwangsläufig nur in der Figur), die weder den Hintern noch ihre Hände hoch bekommen haben. Dann traten deren abgerichteten Sprößlinge auf, zogen ihre einstudierte perfekte Show ab - und obwohl das angeblich ja mehr oder weniger Gemeindemitglieder waren – die haben sich nicht für die anderen Kinder bewegen wollen. Der Laden war voll, die Kinder haben sich auf der Bühne präsentiert – wobei es in unserem Programm nie um Qualität ging, die sollten auf der Bühne stehen und einfach nur ihren Spaß haben, mal „Star“ sein (was vielen Kindern schon erschreckend schwer fällt). Und diese erwachsenen Arschlöcher kriegen es nicht auf die Reihe für das Kind ihres Nachbarn, die Hand zu heben und ihm so zu zeigen: „das was Du da eben gemacht hast, war toll!“?

Ganz schlimm war als zwei Kinder aus Miltons Tanzgruppe aufgetreten sind. Komplette Ignoranz. Und die Mädels können wirklich was. Dann trat ein kleines dreijähriges Mädchen in ihrem Faschingsprinzessinenkostüm auf, hat getanzt vor den Leuten, war halt Prinzessin für zwei Minuten und hat sich im Kreis gedreht. Über zweihundert Leute; keiner hat geklatscht. Da kommen diese Kinder von der Bühne, sollen sich super fühlen, einen tollen Moment in ihrem Leben gehabt haben und ich stehe da und muss die Kleinen erst mal wieder aufrichten, weil die anderen Erwachsenen (die selber Kinder haben) einfach nur dumme arrogante Arschlöcher sind.

Ich weiß im Moment nicht, ob ich noch sauer bin wegen der Geldgeschichte oder so perplex, weil ich heute gerade genau gesehen habe, warum's mit unserer Gesellschaft nur noch bergab gehen kann. Der Junge am Piano war brilliant, aber wie an seiner Körperhaltung zu sehen war auf dem direkten Weg in die Depression: 14 Jahre alt. Ich glaube nicht, dass seine Eltern das schon realisiert haben. Er hat sich einmal bei seinem Solo verspielt, danach hatte er pure Panik im Gesicht.

Entschuldigung, wenn das jetzt lang wurde, aber im Moment weiß ich nicht wohin mit mir und diesem Nachmittag. Ich habe heute das Grauen gesehen. Funktionierende Kinder. Da hatte nicht ein Kind heute echten Spaß. Und mir ist zum heulen.

3 comments:

Anonym hat gesagt…

Wirklich unfassbar.
Mir ist gerade eben richtig kalt geworden, als ich das gelesen habe.
Ich kenne solche armen Gören aus der Umgebung meiner Kinder. Kinder, die von ihren Eltern nur wahrgenommen werden, wenn sie klar definierte Leistungen erbringen. Furchtbar. Den Therapieplatz kann man eigentlich schon im Kleinkindalter buchen. In dieser Reinform gibt es das zum Glück nicht allzu oft, aber Ansätze dazu sieht man immer häufiger.

Anonym hat gesagt…

Oh. Oh. Oh.

Du kannst dich wieder fangen. Aber die Kinder können es nicht. Siehe oben, wie Pepa schon gesagt hat - der gerade Rutsch in die Depression oder andere kranke Fluchtformen. Die armen Kinder.

creezy hat gesagt…

@pepa
Ja, sie werden immer mehr, sie dürfen nicht mal mehr länger als sechs Jahre Kind sein. Besonder schlimm, weil dieses Kinderprogramm dazu da ist, Kinder machen zu lassen was sie wollen, uneingeschränkt ihr Talent rauslassen – vielleicht auch, um mal ein besonderes Talent zu entdecken.

Da standen ganz oft Kinder bei uns auf der Bühne, deren Eltern hinterher erst wussten, was für eine tänzerische oder musikalische Begabung ihr Kind hat. Aber die Eltern am Sonntag hatten die Talente ihrer Kinder schon fest verplant.

@frau indica
Ich weiß nicht, ob ich mich fange – ich bin heute zwei Tage danach immer noch fassungslos …

Kommentar veröffentlichen

Fröhlich sein, freundlich bleiben und bitte immer gesund wieder kommen!