Mimmo Bianco – Künstler in der Küche und Grenzgänger
Dass Mimmo Bianco nach Berlin gegangen ist, 1994, also vor vielen Jahren, eher eine Familiensache. Sein älterer Bruder Pino Bianco hatte Jahre zuvor die Heimat, die italienische Provinz Basilikata, verlassen und in Berlin sein Restaurant eröffnet, ihre Mutter Angela war dem Bruder nach Berlin gefolgt.
Die Kunst der Gastronomie liegt beiden Brüdern in den Genen, Vermächtnis des verstorbenen Vaters, der in Scanzano Jonico (Montalbano) immer schon in seiner Pizzeria die Gäste verwöhnt hatte. Mimmo folgte dem Ruf von Mamma Angela und Bruder Pino nach Berlin und eröffnete Jahre später das italienische Restaurant Sotto le Stelle.
2023 war Schluss. Mimmo hörte überdeutlich den Ruf seiner Heimat und folgte diesem gemeinsam mit seiner Frau Rosa. Das Großstadtleben hatte er satt. Die Zwillingssöhne standen längst auf eigenen Füßen. Das Sotto le Stelle wurde verkauft und kurz nach der Covid-Pandemie ging er mit seiner Frau entgültig zurück in die Heimat, in den südöstlichen Teil der Basilikata – kurz vor der Grenze zu Kalabrien. In die Familienresidenz in Scanzano Jonico (Montalbano), die nicht weit vom Meer entfernt liegt.
Die ehemalige Pizzeria des Vaters ist einigen charmanten Ferienwohnungen gewischen. Mimmos Frau, Rosa Massaro, begrüßt hier nun herzlich ihre Feriengäste in den acht vollständig ausgestatteten und hübschen Appartments im Jonico Guesthouse. Und falls Ihr eine Ferienunterkunft sucht in der Basilikata, gar nicht weit vom Meer entfernt – hier kann man sie buchen!
Ein Neuanfang in zwei italienischen Welten
Mimmo ist jetzt ein Grenzgänger, denn er hat sich noch einmal verliebt – in das kleine wunderschöne Dorf Rocca Imperiale. Das erste Dorf in Kalabrien, hinter der Grenze der Basilikata. Die Menschen, die hier an den Grenzen beider Provinzen leben, kennen sich und lieben sich und streben auch nach zwei Jahrhunderten weiterhin die kulturelle Vereinigung an.
Bis 1816 gehörte Rocca Imperiale nämlich zu Lukanien (Basilikata) – diese formale Trennung wird von den Bewohner*innen beider Provinzen möglichst ignoriert. Warum auch nicht? Sie sind zusammen zur Schule gegangen, haben im gleichen Fußballverein trainiert, sie teilen sich das gleiche Meer, die Kultur, die Küche. Es wurde und wird sich grenzübergreifend verliebt, geheiratet … was sind da staatliche verordnete Provinzgrenzen?
Und so pendelt Mimmo mehrmals in der Woche von der Basilikata hinüber nach Kalabrien in dieses traumhaft gelegene Rocca Imperiale mit seinen fantastischen Zitronen Rocca Imperiale I.G.P. und den freundlichen Menschen, die engagiert daran arbeiten, dieses Borgho più bello d’Italia über seine Region bekannt zu machen. Daran arbeitet Mimmo Bianco, der Lunkanier, genauso engagiert mit wie sein Freund Geschäftspartner Enzo Arcuri, der Kalabrese, aktiv mit.
Il Ristorante Ferrovie Calabro Lucane
Freunde sind sie schon ewig und haben sich einen lang gehegten Traum erfüllt: das gemeinsame Restaurant Ferrovie Calabro Lucane! Ihre moderne, dennoch sehr gemütliche Osteria begreifen sie als eine Sinnesreise zwischen den Welten. Sie verbinden die Tradition und Moderne beider italienischer Provinzen – und sind, wie sie selber liebevoll philosophisch sagen, auf einer Reise zwischen ihren Schwesterregionen.
In perfekter Lage des Borghos, am Corso Federico II di Svevia 30 – so etwas wie die Hauptstraße im Centro Storico von Rocca Imperiale – haben sie ihr neues Restaurant Ferrovie Calabro Lucane 2024 eröffnet! Das charmante Restaurant mit der kleinen, offenen Küche ist Cocktailbar, Kunstgalerie und kleiner Shop in einem! Die Außenterrasse mit dem sensationellen weiten Blick bis hin zum Adriatischen Meer und den überdimensionierten (sehr bequemen) Sitzkissen ist der abendliche Treffpunkt in Rocca Imperiale.
Die Aufgaben der Freunde sind geteilt, Enzo empfängt als charmanter Gastgeber und Bartender, Mimmo ist sichtlich glücklich an den Kochtöpfen. In seiner Heimat, wo er mit den frischesten und fantastischen Produkte Italiens kochen kann, was auch heißt: Mit den besten Produkten überhaupt kochen zu dürfen!
Beide sind sie überzeugte Anhänger der Slow-Food-Philosophie. Im Ferrovi Calabro Lucane darf man sicher sein, was hier auf den Tellern landet, hat nur die berühmten Zero Kilometre zurückgelegt. Das italienische Siegel für die nachhaltigste Küche, die man servieren kann. Man vertraut den lokalen Produzenten, baut oft sogar selbst an.
Diese Küche ist zwangsläufig eine saisonale. Nur das, was die Saison und das Meer hergibt, wird in Mimmos Kochtöpfen verarbeitet werden. So zeichnet sich das Ferrovie Calabro Lucano natürlich auch durch seine saisonal-flexible Speisekarte aus.
Ferrovie Calabro Lucano – Verbindung auf einfachen Schienen
Ferrovie Calabro Lucane – so hieß die alte ehrwürdige Eisenbahnlinie, in deren Zügen auf der meist eingleisigen Schmalspur die Regionen der Basilikata und Kalabrien (teilweise auch Apulien und Kampanien) verbindend gereist wurde im vergangenen Jahrhundert. In ihrer Glanzzeit befuhr sie ein stattliches, knapp 740 km langes Streckennetz.
1961, nach einem schweren Unfall, wurde dem betreibenden Unternehmen die Konzession entzogen und die Bahnlinie verstaatlicht. Mit dem zunehmenden Autoverkehr in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts wurden dem Unternehmen immer mehr finanzielle Leistungen gestrichen, Linienabschnitte still gelegt bzw. als Buslinien auf die Straße verlegt.
Im Jahr 1989 ist das übrig gebliebene FCL-Netz aufgeteilt worden und wird von zwei separat agierenden staatlichen Betreibergesellschaften aufgeteilt: die Ferrovie Appulo Lucane (FAL) und die Ferrovie della Calabria (FC) – und die Ferrovie Calabro Lucane ad acta gelegt worden.
Für Mimmo und Enzo steht der Name Ferrovie Calabre Lucane sinnbildlich für die Förderung und Begegnung, den Austausch zwischen diesen beiden kultur- und traditionsreichen Regionen – und deren Entwicklung für ein künftiges Miteinander.
Das ist, was beide Männer mit ihrem Team hier im Kleinen abbilden: Verbundenheit, Tradition und der natürliche Kreislauf der Kulturen – vor allem den Küchen beider Provinzen –, die so vieles gemeinsam haben.
Köstliche Traditionen auf dem Teller, Kunst an den Wänden
Das trifft auch auf die Kunst zu. Das Obergeschoss des Restaurants ist gleichzeitig eine Galerie, wird selbstverständlich auch bewirtet. Hier, wie auch im ganzen Restaurant, können in regelmäßig wechselnden Ausstellungen lokale Künstler mit ihren Arbeiten die kreative Seele beider Regionen zum Ausdruck bringen.
Wir konnten uns selbst von der vorzüglichen Küche im Ferrovie Calabro Lucane überzeugen. Wer von Mimmo und Enzo begrüßt wird, spürt sofort: Beide haben hier ihren Platz gefunden.
Da strahlt die Freude in Mimmos Augen und grüßt die Herzlichkeit in Enzos Lächeln, beide verleihen diesem Restaurant eine gastfreundliche Aura schon beim Eintreten. Wer hierher findet, gehört zur Familie.
Kann man denn mehr wollen in einer – vielleicht für einen selbst als Tourist noch fremden Umgebung? Also neben der wirklich köstlichen Küche von Kalabrien und Lukanien?
Mimmo serviert eine sehr ehrliche Küche ohne ChiChi oder Fine-Dining-Ästhetik. Da leuchten die Farben des Frühlings auf unseren Tellern im traditionellen Design Süditaliens - mal mit Erdbeeren (und was sind sie köstlich im Frühling in der Basilikata), Fetakäse und bunten Blattsalaten und einer Vinaigrette mit aromatischem Balsamico, den er uns zur Vorspeise serviert.
Ein anderes Mal mit einem strahlendem Grün eines würzigen Erbsenpürees, darauf Calamaretti, Straciatella, Olio und knusprigem Pane oder Calmari su crema di piselli e straciatella. Möchte ich immer wieder und wieder essen!
Und was für ein köstliches Zusammenspiel von grünem Spargel mit Butter und Walnüssen, Parmesan und dem gebratenem Eigelb mit Trüffel!
Der Salat mit Carosello (Melonengurke), bunten Tomaten und der herrlich weichen, aromatischen Straciatella. Dazu für uns extra noch aufgeschnitten: Prosciutto di Suino Nero Lucanco, zarter köstlicher luftgetrockneter Schinken vom schwarzen Schwein aus der Basilikata.
Weiter geht es mit Ravioli gefüllt mit Ricotta und Zimt in einer Sugo aus Tomaten mit karamellisierter Limone di Rocca Imperiale I.G.P. als Topping. Der Zimt und diese intensive Zitrone, wie können so einfache Zutaten ein Gericht so köstlich, neu und aufregend schmecken lassen?
Oder die Ravioli mit Ricotta auf dem Püree mit Guanciale …
Es folgen Orecchiete al Sugo di Pezzente Lucano-Sauce. Salame Pezzente ist die typische Salami der Basilikata, mit Fenchel und viel süßer Peperoncini gewürzt, dann vier Tage luftgetrocknet und mit mindestens einen Monat Reifung. Dieses Pastagericht ist herrlich fruchtig und würzig.
Dazu (extra anlässlich meiner großen Augen, als er das Gericht dem Nachbartisch servierte, nochmals für uns angerichtet – Danke! Danke! Danke!): Polipo su crema di patate e zafferano servito con crusco olive e capperi – Tintenfisch auf Kartoffel-Safran-Creme, serviert mit Oliven und Kapern. Was für eine Freude! Gebt einfach Safran an euer nächstes Kartoffelpüree – dazu zarter Pulpo – ich würde diesen Gang immer wieder bestellen wollen!
Was war dieser Teller für eine Freude! Überhaupt, habe ich noch keinen Koch getroffen, der ein so geschmackssicheres Händchen für Pürees hat, wie Mimmo. Da gerät das Erbsenpüree, als Beilage gedacht, zum geschmackvollen Hauptdarsteller, würzig mit einer selbstbewussten Existenz auf dem Teller, dass man alleine davon gerne eine Kelle mehr hätte. Und das, obwohl es doch bei den Antipasti lediglich die sanft geschmorten Calamaretti mit Guanciale begleiten sollte.
Der Wein – aus der Basilikata
Dazu trinken wir einen süffigen Aperitivio zur Begrüßung, einem Spritz natürlich mit dem Limoncello der Limone Rocca Imperiale I.G.P.
Und später zur Begleitung unseres Abendessens einen lukanischen Weißwein: Re Manfredo IGT von 2022. Gewürztraminer und Müller-Thurgau, freundliche Fruchtigkeit mit Pfirsich, Birne und Litschi und dann lässt grüner Apfel den Wein überhaupt nicht ins Liebliche abdriften. Dazu die hellgelbe Farbe von reifer Birne mit seiner geschmeidigen Textur, die er an die Glaswände zeichnet. Ja, es mussten einige Flaschen von ihm geöffnet werden an unserem Tisch an diesem schönen Abend.
Angebaut wird der Wein auf dem Bergmassiv eines erloschenen Vulkans im Norden der italienischen Provinz Potenza in der Basilikata – oder wie es einfach heißt, ein Produkt der Cantina Terre degli Svevi. König Manfredi war übrigens der Sohn des hier – in Kalabrien wie auch der Basilikata – sehr verehrten Stauferkönigs Federico di Svevo II. Man entkommt dieser Familie hier einfach nicht!
Also wirklich, wer immer die Basilikata oder Kalabrien besuchen möchte, freut euch an der Grenze beider Regionen auf einen wundervollen herzlichen Austausch dieser italienischen Provinzen, deren Grenzen bewusst nicht gezogen werden wollen.
Und … besucht Rocca Imperiale unbedingt an den Tagen, an denen das Ferrovie Calabro Lucano geöffnet hat! Nach dem Besuch des Castello di Svevo und einem Spaziergang durch die alten pitoresken Gassen des wunderschönen Dorfes, vereint das Abendessen im Ferrovie Calabro Lucano beide Welten geschmacklich auf den Tellern. Ein Abendessen in diesem Restaurant, macht das Leben einfach reicher.
Ristorante Ferrovi Calabro Lucane
Corso Federico II di Svevia, 30, Rocca Imperiale, Italy
Phone: +39 375 787 0686
E-Mail: ferroviecl@gmail.com
Instagram: instagram.com/ferroviecalabrolucane