2025-07-25

Mimmo Bianco – Künstler in der Küche und Grenzgänger

Dass Mimmo Bianco nach Berlin gegangen ist, 1994, also vor vielen Jahren, eher eine Familiensache. Sein älterer Bruder Pino Bianco hatte Jahre zuvor die Heimat, die italienische Provinz Basilikata, verlassen und in Berlin sein Restaurant eröffnet, ihre Mutter Angela war dem Bruder nach Berlin gefolgt.

Die Kunst der Gastronomie liegt beiden Brüdern in den Genen, Vermächtnis des verstorbenen Vaters, der in Scanzano Jonico (Montalbano) immer schon in seiner Pizzeria die Gäste verwöhnt hatte. Mimmo folgte dem Ruf von Mamma Angela und Bruder Pino nach Berlin und eröffnete Jahre später das italienische Restaurant Sotto le Stelle.
2023 war Schluss. Mimmo hörte überdeutlich den Ruf seiner Heimat und folgte diesem gemeinsam mit seiner Frau Rosa. Das Großstadtleben hatte er satt. Die Zwillingssöhne standen längst auf eigenen Füßen. Das Sotto le Stelle wurde verkauft und kurz nach der Covid-Pandemie ging er mit seiner Frau entgültig zurück in die Heimat, in den südöstlichen Teil der Basilikata – kurz vor der Grenze zu Kalabrien. In die Familienresidenz in Scanzano Jonico (Montalbano), die nicht weit vom Meer entfernt liegt.

Die ehemalige Pizzeria des Vaters ist einigen charmanten Ferienwohnungen gewischen. Mimmos Frau, Rosa Massaro, begrüßt hier nun herzlich ihre Feriengäste in den acht vollständig ausgestatteten und hübschen Appartments im Jonico Guesthouse. Und falls Ihr eine Ferienunterkunft sucht in der Basilikata, gar nicht weit vom Meer entfernt – hier kann man sie buchen!

Ein Neuanfang in zwei italienischen Welten

Mimmo ist jetzt ein Grenzgänger, denn er hat sich noch einmal verliebt – in das kleine wunderschöne Dorf Rocca Imperiale. Das erste Dorf in Kalabrien, hinter der Grenze der Basilikata. Die Menschen, die hier an den Grenzen beider Provinzen leben, kennen sich und lieben sich und streben auch nach zwei Jahrhunderten weiterhin die kulturelle Vereinigung an.

Bis 1816 gehörte Rocca Imperiale nämlich zu Lukanien (Basilikata) – diese formale Trennung wird von den Bewohner*innen beider Provinzen möglichst ignoriert. Warum auch nicht? Sie sind zusammen zur Schule gegangen, haben im gleichen Fußballverein trainiert, sie teilen sich das gleiche Meer, die Kultur, die Küche. Es wurde und wird sich grenzübergreifend verliebt, geheiratet … was sind da staatliche verordnete Provinzgrenzen?

Und so pendelt Mimmo mehrmals in der Woche von der Basilikata hinüber nach Kalabrien in dieses traumhaft gelegene Rocca Imperiale mit seinen fantastischen Zitronen Rocca Imperiale I.G.P. und den freundlichen Menschen, die engagiert daran arbeiten, dieses Borgho più bello d’Italia über seine Region bekannt zu machen. Daran arbeitet Mimmo Bianco, der Lunkanier, genauso engagiert mit wie sein Freund Geschäftspartner Enzo Arcuri, der Kalabrese, aktiv mit.

Il Ristorante Ferrovie Calabro Lucane

Freunde sind sie schon ewig und haben sich einen lang gehegten Traum erfüllt: das gemeinsame Restaurant Ferrovie Calabro Lucane! Ihre moderne, dennoch sehr gemütliche Osteria begreifen sie als eine Sinnesreise zwischen den Welten. Sie verbinden die Tradition und Moderne beider italienischer Provinzen – und sind, wie sie selber liebevoll philosophisch sagen, auf einer Reise zwischen ihren Schwesterregionen.
In perfekter Lage des Borghos, am Corso Federico II di Svevia 30 – so etwas wie die Hauptstraße im Centro Storico von Rocca Imperiale – haben sie ihr neues Restaurant Ferrovie Calabro Lucane 2024 eröffnet! Das charmante Restaurant mit der kleinen, offenen Küche ist Cocktailbar, Kunstgalerie und kleiner Shop in einem! Die Außenterrasse mit dem sensationellen weiten Blick bis hin zum Adriatischen Meer und den überdimensionierten (sehr bequemen) Sitzkissen ist der abendliche Treffpunkt in Rocca Imperiale.

Die Aufgaben der Freunde sind geteilt, Enzo empfängt als charmanter Gastgeber und Bartender, Mimmo ist sichtlich glücklich an den Kochtöpfen. In seiner Heimat, wo er mit den frischesten und fantastischen Produkte Italiens kochen kann, was auch heißt: Mit den besten Produkten überhaupt kochen zu dürfen!
Beide sind sie überzeugte Anhänger der Slow-Food-Philosophie. Im Ferrovi Calabro Lucane darf man sicher sein, was hier auf den Tellern landet, hat nur die berühmten Zero Kilometre zurückgelegt. Das italienische Siegel für die nachhaltigste Küche, die man servieren kann. Man vertraut den lokalen Produzenten, baut oft sogar selbst an.
Diese Küche ist zwangsläufig eine saisonale. Nur das, was die Saison und das Meer hergibt, wird in Mimmos Kochtöpfen verarbeitet werden. So zeichnet sich das Ferrovie Calabro Lucano natürlich auch durch seine saisonal-flexible Speisekarte aus.


Ferrovie Calabro Lucano – Verbindung auf einfachen Schienen

Ferrovie Calabro Lucane – so hieß die alte ehrwürdige Eisenbahnlinie, in deren Zügen auf der meist eingleisigen Schmalspur die Regionen der Basilikata und Kalabrien (teilweise auch Apulien und Kampanien) verbindend gereist wurde im vergangenen Jahrhundert. In ihrer Glanzzeit befuhr sie ein stattliches, knapp 740 km langes Streckennetz.

1961, nach einem schweren Unfall, wurde dem betreibenden Unternehmen die Konzession entzogen und die Bahnlinie verstaatlicht. Mit dem zunehmenden Autoverkehr in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts wurden dem Unternehmen immer mehr finanzielle Leistungen gestrichen, Linienabschnitte still gelegt bzw. als Buslinien auf die Straße verlegt.

Im Jahr 1989 ist das übrig gebliebene FCL-Netz aufgeteilt worden und wird von zwei separat agierenden staatlichen Betreibergesellschaften aufgeteilt: die Ferrovie Appulo Lucane (FAL) und die Ferrovie della Calabria (FC) – und die Ferrovie Calabro Lucane ad acta gelegt worden.
Für Mimmo und Enzo steht der Name Ferrovie Calabre Lucane sinnbildlich für die Förderung und Begegnung, den Austausch zwischen diesen beiden kultur- und traditionsreichen Regionen – und deren Entwicklung für ein künftiges Miteinander.
Das ist, was beide Männer mit ihrem Team hier im Kleinen abbilden: Verbundenheit, Tradition und der natürliche Kreislauf der Kulturen – vor allem den Küchen beider Provinzen –, die so vieles gemeinsam haben.

Köstliche Traditionen auf dem Teller, Kunst an den Wänden

Das trifft auch auf die Kunst zu. Das Obergeschoss des Restaurants ist gleichzeitig eine Galerie, wird selbstverständlich auch bewirtet. Hier, wie auch im ganzen Restaurant, können in regelmäßig wechselnden Ausstellungen lokale Künstler mit ihren Arbeiten die kreative Seele beider Regionen zum Ausdruck bringen.
Wir konnten uns selbst von der vorzüglichen Küche im Ferrovie Calabro Lucane überzeugen. Wer von Mimmo und Enzo begrüßt wird, spürt sofort: Beide haben hier ihren Platz gefunden.
Da strahlt die Freude in Mimmos Augen und grüßt die Herzlichkeit in Enzos Lächeln, beide verleihen diesem Restaurant eine gastfreundliche Aura schon beim Eintreten. Wer hierher findet, gehört zur Familie.

Kann man denn mehr wollen in einer – vielleicht für einen selbst als Tourist noch fremden Umgebung? Also neben der wirklich köstlichen Küche von Kalabrien und Lukanien?
Mimmo serviert eine sehr ehrliche Küche ohne ChiChi oder Fine-Dining-Ästhetik. Da leuchten die Farben des Frühlings auf unseren Tellern im traditionellen Design Süditaliens - mal mit Erdbeeren (und was sind sie köstlich im Frühling in der Basilikata), Fetakäse und bunten Blattsalaten und einer Vinaigrette mit aromatischem Balsamico, den er uns zur Vorspeise serviert.
Ein anderes Mal mit einem strahlendem Grün eines würzigen Erbsenpürees, darauf Calamaretti, Straciatella, Olio und knusprigem Pane oder Calmari su crema di piselli e straciatella. Möchte ich immer wieder und wieder essen!
Und was für ein köstliches Zusammenspiel von grünem Spargel mit Butter und Walnüssen, Parmesan und dem gebratenem Eigelb mit Trüffel!
Der Salat mit Carosello (Melonengurke), bunten Tomaten und der herrlich weichen, aromatischen Straciatella. Dazu für uns extra noch aufgeschnitten: Prosciutto di Suino Nero Lucanco, zarter köstlicher luftgetrockneter Schinken vom schwarzen Schwein aus der Basilikata.
Weiter geht es mit Ravioli gefüllt mit Ricotta und Zimt in einer Sugo aus Tomaten mit karamellisierter Limone di Rocca Imperiale I.G.P. als Topping. Der Zimt und diese intensive Zitrone, wie können so einfache Zutaten ein Gericht so köstlich, neu und aufregend schmecken lassen?
Oder die Ravioli mit Ricotta auf dem Püree mit Guanciale … Es folgen Orecchiete al Sugo di Pezzente Lucano-Sauce. Salame Pezzente ist die typische Salami der Basilikata, mit Fenchel und viel süßer Peperoncini gewürzt, dann vier Tage luftgetrocknet und mit mindestens einen Monat Reifung. Dieses Pastagericht ist herrlich fruchtig und würzig.
Dazu (extra anlässlich meiner großen Augen, als er das Gericht dem Nachbartisch servierte, nochmals für uns angerichtet – Danke! Danke! Danke!): Polipo su crema di patate e zafferano servito con crusco olive e capperi – Tintenfisch auf Kartoffel-Safran-Creme, serviert mit Oliven und Kapern. Was für eine Freude! Gebt einfach Safran an euer nächstes Kartoffelpüree – dazu zarter Pulpo – ich würde diesen Gang immer wieder bestellen wollen!

Was war dieser Teller für eine Freude! Überhaupt, habe ich noch keinen Koch getroffen, der ein so geschmackssicheres Händchen für Pürees hat, wie Mimmo. Da gerät das Erbsenpüree, als Beilage gedacht, zum geschmackvollen Hauptdarsteller, würzig mit einer selbstbewussten Existenz auf dem Teller, dass man alleine davon gerne eine Kelle mehr hätte. Und das, obwohl es doch bei den Antipasti lediglich die sanft geschmorten Calamaretti mit Guanciale begleiten sollte.
Der Wein – aus der Basilikata

Dazu trinken wir einen süffigen Aperitivio zur Begrüßung, einem Spritz natürlich mit dem Limoncello der Limone Rocca Imperiale I.G.P.

Und später zur Begleitung unseres Abendessens einen lukanischen Weißwein: Re Manfredo IGT von 2022. Gewürztraminer und Müller-Thurgau, freundliche Fruchtigkeit mit Pfirsich, Birne und Litschi und dann lässt grüner Apfel den Wein überhaupt nicht ins Liebliche abdriften. Dazu die hellgelbe Farbe von reifer Birne mit seiner geschmeidigen Textur, die er an die Glaswände zeichnet. Ja, es mussten einige Flaschen von ihm geöffnet werden an unserem Tisch an diesem schönen Abend.
Angebaut wird der Wein auf dem Bergmassiv eines erloschenen Vulkans im Norden der italienischen Provinz Potenza in der Basilikata – oder wie es einfach heißt, ein Produkt der Cantina Terre degli Svevi. König Manfredi war übrigens der Sohn des hier – in Kalabrien wie auch der Basilikata – sehr verehrten Stauferkönigs Federico di Svevo II. Man entkommt dieser Familie hier einfach nicht!
Also wirklich, wer immer die Basilikata oder Kalabrien besuchen möchte, freut euch an der Grenze beider Regionen auf einen wundervollen herzlichen Austausch dieser italienischen Provinzen, deren Grenzen bewusst nicht gezogen werden wollen.

Und … besucht Rocca Imperiale unbedingt an den Tagen, an denen das Ferrovie Calabro Lucano geöffnet hat! Nach dem Besuch des Castello di Svevo und einem Spaziergang durch die alten pitoresken Gassen des wunderschönen Dorfes, vereint das Abendessen im Ferrovie Calabro Lucano beide Welten geschmacklich auf den Tellern. Ein Abendessen in diesem Restaurant, macht das Leben einfach reicher.


Ristorante Ferrovi Calabro Lucane
Corso Federico II di Svevia, 30, Rocca Imperiale, Italy
Phone: +39 375 787 0686
E-Mail: ferroviecl@gmail.com
Instagram: instagram.com/ferroviecalabrolucane

2025-07-21

Das Leben der Arbëresh in der Sibaritide

Schon einmal etwas von den Arbëresh gehört? Nun, ich muss es zugeben – bei mir hatte nicht geklingelt, als ich davon in dem Programm der Pressereise gelesen habe. Aber meine Freundin, die smarte Suchmaschine, half mir auf die interessanten Sprünge und brachte mich direkt in fremde Welten Albaniens und doch Italiens. Als Arbëresh wird eine alteingesessene, ethnische Minderheit albanischen Ursprungs in Italien bezeichnet. So geht Reisen in neue Welten online – natürlich sind die Ausflüge in die reale Welt der Arbëria das Leben viel bejahender.

Daher bringt uns der Bus in das Hinterland der Sibaritide, genauer in die Berge des Pollino Nationalparks. Auf den Strade del Benessere – im Verlauf des Abends werden wir den Präsidenten der Gal della Sibaritide, Antonio Pomillo, kennenlernen, der sich mit der Organisation Gal della Sibaritide dankenswerterweise für unseren spannenden Ausflug in diese Region von Kalabrien verantwortlich zeigt.

Und so treffen wir auf die Menschen, die ihre familiären Ursprünge in Albanien haben und den Kontakt zu ihrer Kultur bewusst nie verloren haben. Nachfahren der Menschen, die seit dem 15. Jahrhundert immer wieder aus den unterschiedlichsten Gründen ihre albanische Heimat verlassen mussten und vorrangig im Süden Italiens eine neue Heimat fanden. Im Gepäck: Ihre Sprache, Musik, farbenfrohe Trachten, Gebräuche und die orthodoxe Religion. Arbëresh bedeutet Albaner – und in Italien spricht man von dem Siedlungsgebiet im Land, das durchaus zerstreut zu benennen ist, von der Arbëria – und das beinhaltet die Provinzen Abruzzen, Basilikata, Kalabrien, Kampanien, Molise, Apulien und Sizilien.
Hier in der kalabrischen Provinz Cosenza, in der Gegend der Sibaritide heißen die Dörfer, in denen der Anteil der Italiener mit albanischen Vorfahren groß ist: San Giorgio Albanese, Vaccarizzo, San Demetrio Corone, Santa Sofia d’Epiro, San Cosmo Albanese. Es ist faszinierend, wie in ihrer Intensität die Kultur der albanischen Heimat auch in den jüngeren Generationen überlebt. Zwar sprechen die jungen Arbëreshi in diesen Dörfern zunehmend weniger noch die ursprüngliche albanische Sprache, sondern in der Art, wie sie sich hier über die Jahrtausende entwickelt hatte zu einem Gemisch zwischen Albanisch, Griechisch und Italienisch. Aber die ergreifenden Lieder ihrer Vorfahren, sie werden weiterhin in deren Duktus von ihnen gesungen.

Dies ist wohl auch der italienischen Gesetzgebung geschuldet, 1999 mit der Nummer 482 erlassen, schützt dieses Gesetz historische Sprachminderheiten im Land. Daher sprechen fünf Jahrhunderte nachdem die ersten, nach dem Tod des albanischen Nationalhelden Skanderbeg, nach Italien geflohenen Arber bzw. Arbëri in Italien Fuß gefasst haben, ihre Nachfahren teilweise auch noch neben dem Italienisch die Sprache ihr Ur-Mütter und -Väter. Tatsächlich würden sich die Arbëreshët, so nennen sie sich im albanischen Dialekt, kaum noch mit den heutigen Albanern gut veständigen können in ihrer ursprünglichen Sprache. Man kann davon ausgehen, dass lediglich 45 % der Arbëreshwörter mit der aktuellen albanischen Sprache Albaniens noch übereinstimmen, 15 % sind durch Neologismen der italo-albanischen Sprachentwicklung ersetzt – alles andere ist der Kontamination mit der italienischen Sprache, vor allem den süditalienischen Dialekten geschuldet.

Herzliches San Giorgio Albanese

Begrüßt werden wir nach einer Fahrt über die Passstraße in immerhin 420 Meter über dem Meeresspiegel in San Giorgio Albanese von Bürgermeister Gianni Gabriele, der wie eine fröhliche Lichtgestalt wirkt.
Und was ist das für ein herzlicher Empfang! Ein Großteil der knapp 1300 Einwohner zählenden Gemeinde wartet auf uns, die kleine, gerade acht Journalisten zählende Gruppe. Und zudem ein grandioser Ausblick auf die Landschaft.
Einige Damen leuchten geradezu in ihrer prachtvollen Tracht in der warmen Sonne des Sonnenuntergangs, die sie extra uns zu Ehren angelegt haben.
Gestärkte wunderschön geklöppelte weiße Spitzenblusen passen zu farbenfrohen langen, eng plissierten Röcken mit bestickten Westen, die oft den gesellschaftlichen Stand der Person verraten und auf dem Kopf tragen sie Kopftücher, die Peshqira oder Keza – alles wundervolles Handwerk aus vielen natürlichen Materialien! Viel Silberschmuck gehört auch zum Festkleid.
Sehr viele Musikanten spielen in der riesigen Musikkapelle Santo Patrono auf dem großen Piazzale Padre Daniele Refrontolotto vor der
Chiesa di San Giorgio Megalomartire für uns auf.
In dieser farbenprächtigen Kirche singt für uns später auch ein Frauenchor Lieder in dem mehrstimmigen Kehlkopfgesang, der albanischen Iso-Polyphonie. Immer schwingt etwas Traurigkeit und Leiden in diesem kraftvollen, immer leicht sakral klingenden und doch lebensbejahenden Musik mit, die inzwischen zum UNESCO-Kulturerbe zählt.
Später lädt uns Gianni gemeinsam mit Produzenten der Gemeinde ein, am Buffet die Weine und Wurstwaren zu probieren. Sie teilen großzügig ihr Brot und Olivenöl mit uns – und die Art und Weise, mit welcher Offenheit, Freundlichkeit und Freude die Menschen uns Besuchern begegnen, berührt mich persönlich sehr.

Der Spaziergang durch den Ort ist leider viel zu kurz.
Wir gehen entlang der prachtvollen Straßenkunst – mit eingefärbten Salzkristallen wurden bunte wunderschöne Gemälde auf der – immerhin recht abschüssigen – Via Roma ausgelegt.
In einer kleinen Schneiderei, Creazioni Magicam, werden uns die Trachten der Arbëresh erklärt.
Und im Rathaus singen die Damen noch einmal für uns ihre stimmungsvollen Lieder. Auch dort begegnet uns an den Wänden in den Gemälden diese farbenfrohe Kunst dieser eigenen Kultur, die mir schon in der Chiesa di San Giorgio Megalomartire mit ihren Malereien visuell Freude bereitet hatte. Viel zu schnell müssen wir San Giorgio Albanese wieder verlassen!

Die Fröhlichkeit von Vaccarizzo Albanese

Auf geht’s nach Vaccarizzo Albanese. Der Bürgermeister Antonio Pomillo dieser knapp 1000 Einwohner zählenden Gemeinde, begrüßt uns in der Chiesa di S. Maria di Constantinopoli in der die Gottesdienste nach wie vor im Byzantinischen Ritus zelebriert werden. Sie ruht direkt neben einer lateinischen Kirche Chiesa della Madonna del Rosario, die heute allerdings nicht mehr für Gottensdienste aber für kulturelle Veranstaltungen genutzt wird.

Beide Kirchen sind miteinander verbunden. Die Chiesa steht für und der Bürgermeister erzählt von der Geschichte der Arbëreshi und der Entstehung der Gal della Sibaritide, deren Vorsitzender er ebenfalls ist. Und erneut erklingen für uns die Lieder der Arbëreshi in diesem Gebäude, das seit 1612 hier steht. Auch in Vacccarizzo Albanese Menschen zeigen sich uns die Bewohner*innen in ihren Trachten!
Die Vereinigung begreift sich als Beschützerin ihrer Kultur in der Gegenwart, möchten vor allem die Jugend davor bewahren, die eigene Kultur zu verlieren und kämpft für die Anerkennung ihrer Sprache, Musik und Kultur. In San Giorgio Albanese geschieht das im Studienzentrum für ethnische Minderheiten (Centro Studi per le Minoranze Etniche).
In Vaccarizzo Albanese ist das Museum Muzeu i Veshjes dhe i Arëvet Arbëreshë die Begegnungsstätte und es zeigt die Vielfalt der Trachten über die Jahrhunderte und von den einzelnen Gemeinden spendierten Trachten für gesellschaftliche Ereignisse, wie beispielsweise Hochzeiten. Übrigens hat jedes einzelne Dorf seine eigene Hochzeitstracht.
Vaccarizzo wurde in den griechischen Vorsilas um 1470 n. Chr. gegründet von den vor den Türken geflüchteten Albanern, das ist auch der Entstehungszeitpunkt von San Giorgio Albanese. Den Zusatz Albanese im Namen erhielt Vaccarizzo erst 1863 nach der Befreiung von den Lehnschaften.

Auch hier wandern wir ein wenig durch den Ort und machen einen Stopp in einem historischen Weinkeller, um köstlichen Wein zu verkosten.
Es ist die Musikforscherin Jessica Novello, künstlerische Leiterin der Musikforschungsgruppe „Ajri i Lumit“, die gemeinsam mit Rosaria Iantorno als zweite Stimme uns in die alten musikalischen Lieder der Arbëresh entführt in der Chiesa.
Später tritt Jessica gemeinsam mit Rocco Marco Moccia auf und begleitet uns durch den Abend mit der Musik einer stolzen und geschichtsträchtigen Zivilisation und vermittelt uns während des Abendessens einen tiefen Einblick in die musikalische Tradition ihrer Vorfahren.
Und wir erhalten einen wundervollen Eindruck von der Lebensfreude der Menschen! Unser Weg führt uns von dem großen Platz vorbei an dem Albero dei Frammenti (dem Baum der Auswanderer) bewundern, ein zeitgenössisches schmiedeeisernes Kunstwerk des Künstlers Cosmo Orofino. Und wenig später finden wir uns an einer langen Tafel vor der Bar Le Cupole wieder, wo uns ein Abendessen mit den köstlichen Produkten und Weinen dieser Region serviert wird. Dabei erklingen immer wieder die klangvollen Lieder der Arbëresh von Jessica und Rocco vorgetragen.
Irgendwann hält es uns nicht mehr auf den Sitzen, wir sind angesteckt von der Lebensfreude dieser Menschen – womöglich ist es auch etwas dem köstlichen kalabrischen Wein geschuldet. Bis in die späte Nacht tanzen und feiern wir mit unseren liebenswerten Gastgeber*innen und den Künstler*innen! Wer eine so schöne Zeit erleben durfte gemeinsam mit den Arbëreshi, wird immer wiederkommen wollen!

2025-07-16

Kalabrien entdecken! Le Strade del Benessere: Die Sibaritide

Disclosure • Pressreise • Auf Einladung des Gal della Sibaritide in und unter der Reiseorganisation von Carmen Mancarella durfte ich an zwei aufeinander folgenden Bildungsreisen in der italienischen Region Kalabrien, Provinz Cosenza, im Gebiet der Magna Graecia (dem früheren historischen Großgebiet Griechenlands) für Reiseoperatoren und -journalisten teilnehmen.

Der Gal della Sibaritide, unter der Leitung von Präsident Antonio Pomillo, ist ein Zusammenschluss der Gemeinden in der Sila Greca, die zusammen den Tourismus in der nordöstlichen Gegend entlang der Küste des Ionischen Meeres der Provinz Cosenza fördern und vermarkten. Ich bin auf den Spuren der „Le Strade del Benessere” – den Straßen des Wohlbefindens – gereist. Eine von der Organisation für Touristen entwickelte Route, um alle vielfältigen Aspekte – die Landschaft, Geschichte, Kulinarik, Wellness und natürlich das Meer – dieser wunderschönen Gegend erleben zu können. Und ich nehme euch hier im Blog gerne mit!


Sibaritide – die Sila Greca

Die Piana di Sibari in Kalabrien, ist eine riesige grüne Fläche umschlossen von den beiden Nationalparks der Gebirgsmassive Pollino und Sila. Ein ökologisch, kulturell und historisch immens reiches Gebiet, das ein heute noch sehr authentisches Italien präsentiert.

Wer Sibari besucht, das zwischen den Höhen von Sila Greca und Pollino eingeschlossen liegt, am klaren Wasser eines der schönsten Meere Italiens, dem Ionischen Meer, wird einen reichhaltigen und farbenfrohen Urlaub verbringen können. Voller Geschichte – zu erleben in modernen Museen oder liebevoll restaurierten und gestalteten Palazzi in charmanten Dörfern. Diese faszinieren schon durch ihre besondere Lage mit ihrer Präsenz und laden ein, ihre einzigartigen Traditionen und Küchen zu entdecken. Immerhin: Die Dichte der Borghi più belli d’Italia ist hier immens!

Jeder Winkel dieser Region zeigt eigenen Charakter in einer ursprünglichen Umgebung. Da ist die farbenfrohe Lebendigkeit der Küstenstädte, die den Touristen entspannenden Badetourismus in den vielen Lidi ermöglichen – die eine herausragende (nicht nur) Fi me schküche servieren zum Sonnenspaß!

Nur wenige Kilometer in das Landesinnere eingetaucht, genießt man leicht hügelige Ebenen in großer farblicher Vielfalt. Angesichts weiter Flächen hiesiger Landwirtschaft – mit weitreichenden Feldern voller Clementinen- und Orangenbäumen, Weizenfeldern, Olivenbäumen und Rebstöcken, grasenden Tierherden wie Schafe und Kühe, sind die Touristen schon auf dem Weg in ihre Unterkünfte eingeladen in die köstliche Küche Kalabriens. Das helle Grün der Reisfelder, rund um Sibari, die einzige Region Südmittelitaliens, in der Reis, der Riso Sibari, angebaut wird, leuchtet besonders saftig in der hochsommerlichen Sonne.
Durchbrochen ist die Szene von breiten Betten voller grauem Geröll, die die früheren, nun versiegelten Flüsse durch die Landschaft gezogen haben. In nicht weiter Ferne begleiten uns die hoch gelegenen Baustellen der entstehenden Hochgeschwindigkeitstrasse der Nord-Süd-Eisenbahnlinie, von der EU gefördert. Gelegentlich säumen Ruinen moderner Bauversuche in der Landschaft unseren Weg. Häuser, die als solche nie Vollendung finden sollten, auch das ist frühere Geschichte Kalabriens. Sie wird uns dieses Mal nicht interessieren, wir reisen historische Jahrtausende zurück und genießen dabei die moderne Gastfreundschaft auf unserer Reise auf den Strade del Bennessere.
Denn verlässt man den schnellen Verkehr der in der gleißenden Sonne liegenden Küstenstraße, findet man alsbald friedliche Stille auf den vielen Passstraßen die uns zu wunderschönen Dörfern führen. Cariati, San Giorgio Albanese, Vaccarizzo, Schiavonea, Rossano, Corigliano-Calabrese, Cerchiara, Roseto Capo, Oriolo und Rocca Imperiale – um nur einige von ihnen zu nennen.

Überall begegnet man Ansammlungen alter und neuer Häuser rund um und in die Felsen gebaut, auf denen dann ein Castello thront. Sie erzählen Geschichten von dem legendären, hier sehr verehrten Federico di Svevia (Friedrich von Hohenstaufen) und den vielen feindlichen Versuchen über die Jahrtausende, die Stellungen einzunehmen. Auch hier erzählt man von den friderizianischen Schlössern – dabei ist allerdings eine deutlich frühere Geschichtsepoche im Baustil gemeint als mit dem gleichen Begriff in der deutschen Geschichte gemeint ist.
Harmonische Einfachheit der kleinen ländlich gelegenen Weiler, die eine unerwartete und einzigartige Pracht von architektonischen Monumenten und darin enthaltenen Kunstwerken besitzen. Wer sie entdecken möchte, wird um ein Vielfaches reicher aus dem Urlaub zurückkehren. Sie sind alle umgeben von einer mächtigen Natur, an den unzugänglichsten Stellen rau und wild, an anderen Orten bringt sie eine außergewöhnliche Harmonie einer hingebungsvoll, mit viel Weisheit kultivierten Landschaft zum Ausdruck. Und irgendwo glitzert immer ein Stück Meer.
Kurz: Es ist traumhaft schön hier! Und es gibt jeden Tag etwas zu entdecken. Und die Begegnung mit den freundlichen, interessierten Menschen Kalabriens sind einzigartige, emotionale Geschenke eines besonderen Urlaubs.

Museo della Liquirizia „Giorgio Amarello”

Ich reise mit dem Flugzeug von Berlin nach Bari und ein Shuttle bringt mich in knapp zwei Stunden nach Rossano-Corigliano – wir durchfahren dabei einmal komplett die Basilikata und so gilt hier schon: Der Weg ist das Ziel. Eine Dusche und ein reichhaltiges Mittagessen im Relais Il Molino
später warte ich in dem entzückenden Museum Amarelli auf die Reisegruppe, die schon am Abend zuvor zusammen gefunden hatte.
In dem Museo della Liquirizia „Giorgio Amarello” dreht sich alles um Lakritze. Es liegt an der Contrada Amarelli in Rossano, nicht weit vom Meer entfernt. Das Unternehmen Amarelli wurde offiziell 1731 gegründet, die Familie hatte sich aber schon seit dem frühen 16. Jahrhundert mit der Herstellung von Lakritze ihr Geld verdient.
Amarelli gilt heute als eines der ältesten Unternehmen der Welt, das sich heute noch in Familienbesitz befindet! Wir werden sogar von Geschäftsführer Dottore Fortunato Amarelli begrüßt – er führt Amarelli nun in der elften Generation. Das Unternehmen ist Mitglied der ehrwürdigen Association les Hénokiens.
Der heutige Firmenpatron erzählt uns, dass sein Museum mit über 70.000 Besuchern im Jahr auf Rang zwei liegt, direkt nach dem Ferrari-Museum, in der Erfolgsstatistik aller italienischen Museen. Der Enthusiasmus für Lakritze dieses Unternehmens ist offensichtlich weltweit ungebrochen groß.

Und ganz ehrlich: Dieses Museum ist wirklich entzückend!
Es führt in den früheren Produktionsstätten auf zwei Ebenen und drei Räumen durch die ganze Geschichte der Familie Amarello und deren Firma, einschließlich Hochzeitskleid einer der Ur-Großmütter,
Blech-Spielzeug der Amarelli-Kinder, Familienfotos, Lieferscheine, Stempel. Hier die drei Brüder, die das Unternehmen in den sehr schweren Zeiten des 20. Jahrhunderts durch alle Krisen geführt – und Amarelli modernisiert haben.
Ich mag solche Rückblicke und bin begeistert mit diesem Ausflug in die Welt kalabrischer Historie eines Produktes, das nun wirklich die ganze Welt kennt.
Und bestaune natürlich die Gerätschaften früherer Lakritzproduktion, wie früher auf offenem Feuer das Süßholz aus den Wurzeln der Pflanze gekocht wurde, die alten Gießformen bis hin zur Ausstellung antiquierter bis zur neuesten Bürotechnik – was dann auch schon einmal ein Apple II und iMac ist. In den sehr goldenen Zeiten gab es sogar in der Gegend eine eigene Fluggesellschaft für den Lakritztransport, die Liquirizia Lealmair! 2001 wurde dieses Museum mit dem Guggenheim Preis ausgezeichnet.
Ein wirklich sehr unterhaltsamer Ausflug in die Welt der Lakritze, die Führung sehr professionell. Sie kann übrigens auch in englischer Sprache gebucht werden und findet in dem anliegenden Shop in einem Kaufrausch bei so großer Lakritze-Vielfalt seine Erfüllung.
Die Führung dauert ca. 45 Minuten – staunen und entdecken kann man noch sehr viel länger. Montags bis Freitags kann zwischen 10:00-11:00 Uhr auch die Produktion besichtigt werden – bei vorheriger telefonischer Anmeldung. Und ich möchte das besonders erwähnen: Das Personal in diesem Museum ist wirklich wundervoll, aufmerksam und zuvorkommend!
Das Abendprogramm führte mich in eine völlig neue, spannende – und sehr fröhliche – Welt in das Hinterland der Sibaritide – aber das ist wirklich ein eigenes Blogpost wert.

Relais Il Mulino

Eingeladen war ich im Relais Il Mulino – einem wunderschönen Agriturismo, das auf den Grundmauern einer alten Olivenöl-Mühle aus dem 18. Jahrhundert gebaut ist. Ich durfte in einem charmanten Appartement schlafen, ausgestattet mit kleiner Wohnküche, Jacuzzi-Badewanne – und wunderschön umgeben von den Wäldern von Clementinen- und Olivenbäumen und Weinreben, der eigenen Landwirtschaft der Mühle.
Maulbeeren begleiteten den Weg zu meinem Appartement und die Lebensfreude der Vögel über diese schöne Lage, hat meine Stimmung sehr getragen. Hier schläft man mit viel Natur und das ist wunderschön! Über 100 Hektar werden bewirtschaftet und …
… unter anderem werden die Clementinen Piana di Sibari IGP angebaut.
Zur Unterkunft gehört ein kleiner Pool, eine eigene Kapelle, natürlich für Hochzeiten zu buchen, die in den drei Restaurants unterschiedlichen Stils ihre feierliche Vollendung finden können.
Das Meer liegt mit dem Auto ca. zehn Minuten entfernt, die Bahnstation zwei Minuten. Natürlich gibt es auf dem kostenlosen Parkplatz auch eine Tanksäule für E-Mobility. Zum Relais Il Mulino gehört am Strand der Lido Frida Beach!
Was ich persönlich mochte, als Enkeltochter eines Kunstschmieds, die vielen kunstvollen Eisenelemente, die überall in die Architektur des Relais Il Mulino eingeflosssen sind – teilweise modern, teilweise antiquiert.
Die Küche ist wirklich Zero 0, denn in unmittelbarer Nähe liegen Stallungen mit Eseln. …
Ziegen, Kühen und Schweinen – die hauseigene Fromagerie befindet sich direkt gegenüber.
Und nachdem ich bei meinem Mittagessen und Frühstück dort schon fantastischen frischen Ricotta und Käse (und ja, auch Wurstwaren) essen durfte, habe ich hier tatsächlich meine bisher köstlichsten Nodini (Mozzarella) probieren dürfen im dazugehörigen Shop, der natürlich auch das Gemüse des Realis Il Molina anbietet. Sie waren zart, saftig und wunderbar würzig!

Museo della Liquirizia „Giorgio Amarello”
Contrada Amarelli Strada Statale 106 AU
Rossano 87064 Corigliano Rossano CS

Relais Il Mulino
Contrada Santa Domenica
Contrada Chiubbica
87 064 Corigliano (CS)
Tel. 0983 88 93 16
https://www.relaisilmulino.it/

Weitere Blogposts zu den Sibaritide und Le Strade del Benessere und Kalabrien.