2011-08-04

In den Mühlen des Sozialstaates

Dies ist ein Gastbeitrag im Rahmen des Netzwerkes der Blogpaten von Gabriela Pichelmayer aus Wien.

Hatten Sie schon einmal einen Auto- oder Haushaltsschaden? Und mussten Sie dann um die ihnen zustehende Versicherungssumme streiten? Oder ist die Auszahlung gar abgelehnt worden, obwohl Sie jahrelang eingezahlt haben?

Ähnlich verhält es sich beim gesetzlichen Pflegegeld. Nur mit dem Unterschied, dass dieses eine Lebensnotwendigkeit impliziert. Seit man berufsunfähig geworden ist, ist die Pensionsversicherungsanstalt auch Machthaber über das Pflegegeld. Ganz sicher nimmt man staatliche Hilfe nicht gern in Anspruch. Jetzt, wo es aber so sein muss, gilt es sich zu arrangieren und zu kämpfen. Denn Gerechtigkeit, soziales Engagement und Kompetenz sind Begriffe, die der Versicherungsträger ersetzt durch Willkür, Bürokratismus und Eigennutz. Zwar könnte man sich in allen Belangen an dessen Ombudsmann wenden, hätte einem dieser nicht zu verstehen gegeben, dass er Ombudsmann der Pensionsversicherungsanstalt ist und nicht des/der Versicherten.
Man wundert sich. War man doch der Meinung, dass der Ombudsmann eine Person innerhalb einer Organisation vertritt und nicht die Organisation an sich. Aber natürlich lässt man sich auch hier gern eines Besseren belehren. Schließlich könne man sich ja auch vertrauensvoll an den Bürgermeister wenden, heißt es. Jedoch drängt sich die Frage auf: Was hat der Bürgermeister mit folgender Problematik zu tun? Nämlich mit der Einstufung des Pflegegelds.

Auszug aus dem Bundespflegegesetz: „Ziel ist es, in Form eines Beitrages pflegebedingte Mehraufwendungen pauschaliert abzudecken, um pflegebedürftigen Personen soweit wie möglich die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern, sowie die Möglichkeit zu verbessern, ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu führen” (§ 1 Bundespflegegeldgesetz). Ein Satz, mit dem man sich anfreunden könnte, würde er der Realität entsprechen. Trotzdem traut man sich und sucht um Erhöhung an. Hat sich doch der Gesundheitszustand in den letzten zwei Jahren drastisch verschlechtert. Das Bundessozialamt erkennt, dass der Behinderungsgrad von 50% auf 70%angehoben werden muss und die Gebietskrankenkasse bewilligt einen Elektroscooter, damit Mobilität im Alltag kein Fremdwort mehr bleibt. Nur die Pensionsversicherung sieht das offensichtlich anders. Zwar kommt der Anstaltsarzt ins Haus, auch untersucht er die Körperfunktionen mehr als gründlich, wenngleich man ihm Befunde der letzten 27 Jahre vorlegt. Er spricht eine Litanei in sein Diktafon, was man alles nicht mehr selbstständig bewerkstelligen kann, und wünscht alles Gute.

Letztendlich ist man angewiesen auf eine Haushaltshilfe, denn Putzen, Kochen und Einkaufen gehört schon lange nicht mehr zur alltäglichen Bewältigung. Ein Zivildiener ist notwendig, um die außerordentlichen Erledigungen zu übernehmen und darüber hinaus werden Familienangehörige benötigt, die beim Anziehen, Essen zerkleinern, Massieren und bei der Körperpflege behilflich sind. Nichts desto weniger erhält man sechs Wochen später einen ablehnenden Bescheid.

Vielleicht wäre es zu verhindern gewesen, hätte man nicht darauf bestanden, die Klettverschlüsse der Schuhe selbst zuzumachen. Man ist nämlich froh, wenigstens das noch eigenständig zu Wege zu bringen und will sich dabei von keinem fremden Mann helfen lassen. Ein Fehler? Stellt das ein Kriterium des gesamten Pflegebedarfs dar?
Natürlich weiß man, dass Versicherungen darauf bedacht sind, die zustehenden Beträge nicht auszahlen zu müssen. Aber mit der gleichen Vorgangsweise im Pflegebedarf hat man nicht gerechnet.

Was jetzt? Man sucht Unterstützung bei der Arbeiterkammer und erhebt Klage gegen die Pensionsversicherungsanstalt. Gewiss hat man im bisherigen Leben davon Abstand genommen, die Gerichte zu bemühen. Ist man doch der festen Annahme, dass gesunder Menschenverstand genügen müsste, um zu seinem Recht zu kommen. Weit gefehlt!

Das Arbeits- und Sozialgericht erkennt jedoch die Notwendigkeit und die Erhöhung der Pflegestufe wird rechtskräftig, wenngleich die Pensionsversicherung sich nach wie vor gegen die Niederlage wehrt. Auszug aus dem neuerlichen Bescheid: „Pflegestufe 3 wird bis 31. 7. 2008 anerkannt. Der Gesundheitszustand lässt nach medizinischer Erfahrung eine Besserung erwarten, die den Wegfall (die Herabsetzung) des Pflegegeldes wahrscheinlich macht.” Das mutet sarkastisch an, durchlebte man doch die letzten 27 Jahre das genaue Gegenteil.

Wenn man davon ausgeht, dass „Erfolgserlebnisse” von Menschen mit Behinderung sich mehr oder weniger auf die Erhöhung der Pflegestufe reduzieren, so erfährt man auch zum wiederholten Mal einen Verlust in der Wertvorstellung vom sozialen Verständnis unseres Landes. Offensichtlich benötigt auch die Pensionsversicherungsanstalt bei der Abhandlung der einzelnen Versicherungsfälle dringend Hilfe, damit endlich Gerechtigkeit und Kompetenz, nicht nur Eigennutz und Willkür zum Einsatz kommen! - Die Pensionsversicherung, ein Pflegefall?

Gabriela Pichelmayer, geb. 1960, Multiple Sklerose seit 1980, Pensionsversicherungsanstalt/Vergleichsurteil vom 16.5.2007: Pflegestufe 3 befristet bis 31.7.2008 zuerkannt. Auf Grund einer wiederholten ärztlichen Untersuchung im Juli 2008, Pflegestufe 4 unbefristet zuerkannt.

7 Kommentare:

mar_tin hat gesagt…

Text ist schwer verständlich, polarisiert zu wenig, Handlungsanweisung fehlt und in der dritten Person geschrieben. Dieses "man weiß, dass ... ,durchlebte man ..." usw. spricht niemanden an. Ich durchlebte das nicht, ich weiss nichts von deinen Problemen, ich verstehe auch den Text nicht und ich habe das Glück keine Schmerzen zu haben. Mit anderen Worten: Text umschreiben ... Du konkurrierst gegen 500 000 hungernde Kinder mit Kulleraugen und Maschinengewehr im Arm in Afrika, Flutopfer, Radioaktive Strahlen, ... Weltwirtschaftskrise,

Anonym hat gesagt…

nein, gabi konkuriert nicht mit denen. sie ist vielmehr ein teil dessen. fight for your right!

Anonym hat gesagt…

ich schreibe absichtlich nicht in ich-form, weil es alle betrifft, die in einer ähnlichen situation sind wie ich. zumindest in österreich. ich konkurriere mit niemandem, das liegt mir ferner als fern. ich will aufzeigen, hinausschreien und auch dich zum nachdenken anregen. mir ist die massive missachtung der ersten welt gegenüber der dritten welt durchaus bewusst, aber das ist ein anderes thema! grüße aus wien schickt gabi pichelmayer

nachtschwester hat gesagt…

Dieser Beitrag lässt auch mich ratlos.
Du hast dein Recht eingeklagt, recht bekommen, mittlerweile Pflegestufe 4 unbefristet zuerkannt? Ist das kein ... Erfolg? Das ist eine aufrichtige Frage, ich bin mir nicht sicher, wieviele Pflegestufen es in Österreich gibt, gehe aber davon aus, das auch die höchste bei diesem Grad der Hilfsbedürftigkeit kein Leben in Luxus ermöglicht.
Trotzdem schließe ich mich mar_tin an, ich erkenne die Stoßrichtung deines Beitrags nicht ganz.

Meine Perspektive ist möglicherweise durch meine Arbeit in einem dieser missachteten Länder, in dem MS-Kranke und andere Erwerbsunfähige genau null € Sozialleistungen erhalten - egal, wie lange sie eingezahlt haben - verändert. Diese Dinge sind ein anderes Thema, wie du schreibst, Dir geht es ums Hinausschreien.

Aber was genau prangerst du an, was willst du erreichen? Höhere Bezüge? Wut über deine Krankheit kommunizieren? Schnelleres Procedere behördenseitig? Worüber sollen wir Leser nachdenken?

Anonym hat gesagt…

nun denn, es ist schade und etwas traurig, dass mein text hier nicht erreicht was er zum ausdruck bringen soll. zumal er auch platz in einer tageszeitung gefunden hat.

http://search.salzburg.com/articles/1966753?highlight=gabriela+pichelmayer+

ich habe keine wut auf meine krankheit mit der ich die öffentlichkeit belästigen will. nein, das wäre nach 31 jahren bissel zu billig. ich will auch nichts erreichen, ausser gehört zu werden.

es mit der dritten welt zu vergleichen, erscheint mir etwas müßig. klar, es gibt immer viel schlimmeres! aber um das, scheint mir, gehts doch in meinem text nicht...

ich prangere einen sozialstaat an in dem man nur durch in anspruchnahme der obersten gesetzmäßigkeit zu seinem recht kommt! sollte man sich dessen nicht trauen zu bedienen, wie die meisten von 1,5 mill. gehandicapten österreicherInnen, verdienen die sozialversicherungen indem sie zustehende beträge nicht auszahlen. ja, das prangere ich an!ich prangere an, dass krankheit ein geschäft ist. ja, das prangere ich an! und ich denke, dass sich doch einige "kranke" menschen angesprochen fühlen, auf jeden fall bei uns, was die erfahrung zeigt.

um nochmal auf den vergleich mit der dritten welt zurückzukommen.
keines der länder bezeichnet sich LEIDER als sozialstaat. deswegen hinkt dieser vergleich.
und doch bitte ich das nicht falsch zu verstehen. meine sympathie, mein engagement, mein bedingungsloses entsetzen über die vorgänge dort stehen ausser frage! aber das ist eben ein anderes thema....

schönen abend aus wien!
gabi pichelmayer

Klaus-Peter hat gesagt…

Ich finde, dieser Beitrag ist sehr gut geschrieben. Gerade die allgmeine "man"-Form finde ich in diesem Fall sogar treffend, da sich sowieso niemand in die Situation von Frau P. hinein versetzen kann. Dieses "man" signalisiert, dass das auch garnicht erwartet wird, MAN soll einfach nur mal hinsehen und zuhören. So lese ich diesen Text. Wer Ähnliches wie Frau P. erlebt hat, kann sicher besser nachvollziehen, wie frustrierend es sein muß, immer nur über seine Defizite definiert zu werden und dabei diese Bürokratie erleben zu müssen. Leider ist es wohl so, wer nicht selbst betroffen ist, kann/will das kaum nachempfinden, bzw. will sich mit solchen Themen besser nicht befassen.

nachtschwester hat gesagt…

ich prangere einen sozialstaat an in dem man nur durch in anspruchnahme der obersten gesetzmäßigkeit zu seinem recht kommt! - Danke für die Klärung, jetzt bin ich dabei.
Die deutsche Pflegeversicherung meines Vaters hat im Zusammenhang mit seiner ebenfalls chronisch-progressiven neuromotorischen Erkrankung bisher jeden Antrag bewilligt, und das zügig. Höherstufung, Zuschüsse für Umbaumaßnahmen, reibungslos.
Es tut mir sehr leid, dass Du andere Erfahrungen machen musstest.

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