2007-11-29

Control


© 2007 capelight pictures/Dean Rogers

Ein Film ist ein guter Film, wenn ich ihn auch riechen kann. Subjektiv empfunden. Das passiert nicht so oft. Vorgestern war aber wieder Riechkino: «Control» funktioniert auch auf den anderen Sinnesebenen. Der erste Spielfilm von Anton Corbijn. Anton Corbijn dürfte den Allermeisten bekannt sein als Künstlerfotograf, Haus- und Hoffotograf von U2, Art-Director von Depeche Mode, Stagedesigner von Herbert Grönemeyer, Videoregisseur von um die 80 Clips für illustres Musikvolk wie Front 242, Art of Noise, Danzig, Nick Cave … um nur einige zu nennen. Nun versuchte er sich in Zelluloid.

«Control» erzählt die viel zu kurze Lebensgeschichte von Ian Curtis, beginnend ab seinen späten Teenager-Jahren in Macclesfield, einer Kleinstadt südlich von Manchester, bis zu seinem Freitod mit nur 23 Jahren. In dieser kurzen Zeitspanne lagen eine Eheschließung, ein Baby, die Diagnose Epilepsie, eine zweite große Liebe, seine Arbeit mit Behinderten als Sozialarbeiter, seine Leidenschaft als Sänger und Songschreiber mit zwei veröffentlichten Alben (eines davon posthum), Touren durch Europa und die erste US-Tournee in direkter Aussicht von einer Band – und das macht Ian Curtis heute noch zum Mythos – namens Joy Division. Die läuteten damals eine neue Ära in der Musikgeschichte ein, die heute gerne als frühe Form des Punk bezeichnet wird. Auf ihrer einzigen Europatour spielten Joy Division ihr letztes Konzert am 21. Januar 1980 im Kant Kino hier in Berlin. Am 18. Mai 1980 war Ian Curtis tot.

Zwei Fakten vorneweg: «Control» ist kein Joy-Division-Film, auch wenn die Band natürlich im Film eine Rolle spielt. Der Joy-Division-Fan, der glaubt, hier die letzten Interna zur Band zu erfahren, kann sich seiner Enttäuschung sicher sein. Was nicht heißt, dass Fans den Film nicht mögen werden. «Control» ist auch kein Musikfilm, obwohl Bühnenperformances zu sehen und viel gute Musik zu hören ist, so dass die Kinobänke oft im Beat der Besucher wackeln. Aber dafür steht zu sehr die eigentliche Geschichte im Vordergrund: «Control» ist ein Film über den introvertierten, begnadeten, jungen Songschreiber und Sänger Curtis, der – sehr wahrscheinlich infolge der Medikationen zur Behandlung seiner Epilepsie (Gastauftritt als Arzt: Herbert Grönemeyer), die noch in den frühen 80igern mehr auf Basis von «Try & Error» anstelle von echtem Wissen erfolgt sind – an schweren Depressionen litt. Den Rest besorgten wohl Sex, Drugs & Punk Rock. Eines Morgens, zwei Tage vor Aufbruch zur US-Tournee von Joy Division, die der Band vermutlich gebracht hätte was gerne als Weltruhm bezeichnet wird, kapitulierte Ian Curtis. Vor sich und seiner Verantwortung als Ehemann, Vater, Geliebter, Sänger, seiner Krankheit – und seiner Zukunft.

Die Last, die ihn dazu trieb, kann der Zuschauer spüren, der Film ist nicht leicht. Obwohl «Control» zweifelsohne auch seine humoresken Ecken hat, im Film selber allerdings wird nur einmal am Anfang richtig gelacht als Ian seiner Jugendfreundin Deborah sehr früh einen Heiratsantrag macht. Wohlbemerkt: das einzige Kind der beiden kam erst vier Jahre später auf die Welt. Keine dieser Zwangsehen also. Wenn sie Ian Curtis auch mit fortschreitendem Erfolg der Band als Zwang erschienen sein mag. Deborah ist es, die ihren Mann in ihrem Haus 1980 stranguliert auffindet. Die Szene ist eindringend und geht durch und durch. Dass dieser Film das schafft, obwohl man im Grunde doch genau weiß was passieren wird, ist etwas Besonderes.

Dazwischen riecht man, sieht man die Coolness der mit engem Beinschnitt behosten dürren Jungs jener Zeit, denen die Fluppe auf die Lippen genäht schien und ständig schaler Biergeschmack umgeben scheint. Spürt man die Tristesse eines Englands in der tiefen Wirtschaftskrise der späten 70iger Jahre, die für Außenstehende ungemein attraktiv war, denn sie genau gebar den Punk, New und Dark Wave. Musikrevolution. Erfolg für kleine Jungen aus den Vorstädten, die damit nie gerechnet hätten und an dem nicht nur ein Ian Curtis zerbrochen sein wird. Das alles liebevoll originalgetreu in Szene gesetzt (wenn das mal nicht ein Austin Morris 1100 ist, der in der ersten Fußszene links im Bild steht), zum Teil an den Originalschauplätzen gedreht.

Für den ausgesucht hässlichen Kleidungsstil von Deborah Curtis, gespielt von einer atemberaubend guten Samantha Morton, ist man leicht versucht, Corbijn zur Strafe einen Tag selber in solchem Fummel über die Straße laufen zu lassen. «Endlich mal eine Frau mit Figur in einem Film», findet meine Begleitung. Stimmt. Trotzdem zu oft gesehene Bedienung eines 08/15-Klischees: das Weibchen am Herd darf mit Rundung, Augenringen und im Oma-Look dem Mann resigniert hinterher blicken, die Geliebte hingegen tritt edel blass und schön im XS-Modellformat in sein Leben. Realität ist selten so trivial. Alexandra Maria Lara als Curtis‘ belgische Geliebte Annik Honoré besetzt, tut auch hier leider nur das, was sie offensichtlich am besten kann: gucken. Sie bleibt schöne schwarz gefärbte Kulisse. Diese Beziehung ist auch die einzige Schwachstelle des Filmes, denn warum Ian und Annik zueinander, was sie überhaupt aneinander fanden, wird nicht begreifbar. Allenfalls in einem Brief von ihm an sie in einer der Schlussszenen, doch da schon versteht man das Paar nicht mehr. Allen anderen besetzten Nebenrollen spielt Toby Kebbell als Rob Gretton, der Manager von Joy Division, den Rang ab. Eine fuckin‘ nette Type.

Sam Reily zelebriert Ian Curtis intensiv und authentisch – mit ihm steht dieses Werk. Allein wegen seiner Leistung ist dieser Film sehenswert. Seine Vergangenheit als Sänger wird ihm dabei geholfen haben. Als Schauspieler trat er vor diesem Film in nur einer einzigen Nebenrolle an. Die Zerrissenheit des depressiven Ian Curtis nimmt man ihm dennoch jede Minute ab. Sein Talent lässt ihn sehr sehr nahe am Original auf der Bühne tanzen, singen und bewegen – und darin war Curtis bekanntermaßen speziell. Tatsächlich wird die Musik in «Control» von der Filmband eingespielt, kein Playback. Obwohl einer der Schaupspieler der Band erst zwei Monate vor dem Drehbeginn erstmals sein Instrument in den Händen gehalten hatte. Respekt. Das war vom Regisseur so nicht geplant. Genau diese Art von Commitment aller Beteiligten merkt man dem Film an.

«Control» ist im klassischen feinen Schwarzweiß von Kameramann Martin Ruhe gezeichnet, und das passt zu dieser Zeit. Spürbar oft schlägt das Auge des Fotografen im Regisseur durch: die Totale weichgezeichnet in die Ian Curtis erst von rechts scharf ins Bild läuft – solche Szenen mit Bildkunst gibt es einige und sie können wirken, weil Corbijn dem Film und einigen Szenen viel Zeit spendiert hat. Wohltuend viel Zeit. «Control» kann als langsamer Film bezeichnet werden, ohne Leerlauf, dafür erzählt er zu viel. Auch denen, die die Geschichte schon kennen. Und danke an den europäischen Film, dass bei uns ein Filmende noch real, entgültig traurig sein darf. Im Vergleich zu dem was aus Hollywood kommt, ein Luxus.

Angelehnt ist das Filmscript an das Buch «Touching From A Distance» von Deborah Curtis, 15 Jahre nach dem Selbstmord ihres Mannes hatte sie ihre Version der Geschichte aufgeschrieben. Curtis ist Co-Produzentin des Films. Regisseur Anton Corbijn ist 1979 wegen der Musik von Joy Divsion nach England gezogen. Seine erste Langspielplatte (tolles Wort, schreibt man viel zu selten.) «Unknown Pleasures» (s. Interview) hatte es ihm angetan. Nur zwei Wochen nach seiner Ankunft auf der Insel hatte er sein erstes Fotoshooting mit der Band, eines von insgesamt zweien – daraus resultierte das wohl berühmteste Foto von Joy Divison: vier Jungs, die in einen U-Bahntunnel laufen von denen sich nur einer umdreht: Ian Curtis. Ein Foto von einer Band von hinten wollte damals kein Magazin drucken, nach Curtis‘ Tod aber wollten sie alle die besondere Mystik, die Prophezeiung, in der Aufnahme erkannt haben. 1988 drehte Corbijn das Video zur bereits 1980 veröffentlichten Single «Atmosphere». Die ihm immer unterstellte freundschaftliche Nähe zu Ian Curtis lehnt Corbijn als nicht existent ab, sein Englisch wäre damals noch zu schlecht gewesen, um überhaupt eine ernsthafte Konversation betreiben zu können. Er hat Curtis einen guten, erdigen Film spendiert, der dem Menschen Ian nahe kommt und nicht dem über die Jahrzehnte idealisierten Star Ian Curtis mit einem inzwischen völlig verzehrten Mythos. Spendiert im wahrsten Sinne des Wortes – der Film ist zu einem großen Teil von ihm selbst finanziert worden. Schwarzweißfilme sind bei den Finanziers der große Schrei wohl nicht. Indes: der bisherige Festivalerfolg von «Control» gibt Anton Corbijn Recht, ein kommerzieller Erfolg wäre ihm nun zu gönnen.

«Control» läuft in Deutschland erst am 10.01.2008, dafür synchronisiert in den deutschen Kinos an. Wer in Berlin nicht solange warten möchte, den echten Akzent und vor allem die einzigartige Stimme von Sam Reily in der Originalversion hören will, hat die Gelegenheit den Film nächste Woche vorab im Rahmen des 2. Berliner Independent Filmfestival «Around The World In 14 Films» am Fr., 7. u. Sa., 8.12. um 19:30 Uhr zu sehen. Am Freitag live präsentiert vom Regisseur Oskar Roehler. Das Festival beginnt am 30.11.2007 und endet am 08.12.2007, Veranstaltungsort: Babylon in Mitte.

Für's Hauptstadtblog

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Danke für den Hinweis. Das wird dann die zweite filmische Biografie, die ich mir in diesem Jahr ansehe. (Nach dem auch äußert sehenswerten Joe Strummer Film.)

Nannte man die Musikrichtung von Joy Division nicht eher 'New Wave'?

Der Arnonüme



By the way:
Das Poster von 'Love Will Tear Us Apart' hing Jahre lang in meinem Zimmer. Schnief.

creezy hat gesagt…

@arnonüme
Joe Strummer habe ich noch nicht gesehen ,-(
Über New Wave oder Post Punk kann man streiten. Ich nach meinem Verständnis würde Joy Divison noch mehr zu Post Punk zählen und New Order zu New Wave.

Weiß nicht, New Wave stand natürlich eine Zeitlang als der Oberbegriff bis sich dann Punkt, Dark Wave etc rausgebildet haben … aber für mich hängt New Wave irgendwie doch schon mehr mit dem Einsatz von Synthis zusammen. Joy Division haben ihre Sounds recht analog kreiiert …

Ach ja … ja, guck‘ Dir den Film mal an. Der ist wirklich berührend und gut anzusehen. Selbst wenn man JD nicht kannte.

Anonym hat gesagt…

erst liefs unter punk, dann eher dark wave; bin froh alles noch auf vinyl zu haben...
ein kleines geschenk, weiss nicht
ob es erlaubt ist, mir aber völlig
wurscht
http://youtube.com/watch?v=sHhVydgvuAc

villeicht gefällts euch

Anonym hat gesagt…

neben dem original jd-video sind noch
ein paar interessante cover/interpretationen u.a. von den swans
wenn man den youtube link kopiert
und einfügt, aber das kennt ihr ja alle

creezy hat gesagt…

@gigaoeli
Ja, mittlerweile bin ich ganz gut durch auf YouTube diesbezüglich. Mir gefällt die Susanne-Version nicht so. Zu ruhig (für meinen Geschmack).

Die Versionen aus dem Film, die ganze Filmmusik ist sehr gut. Schade, dass auf dem Soundtrack nur ein Stück von der Casting-Band ist.

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