2017-09-10

Beerdigung

Freitag war dann die Beisetzung vom verstorbenen Vater in der Urne. Wieder eine Beerdigung ohne Worte. Dieses Mal war ich darauf vorbereitet und insofern nicht mehr ganz so schockiert, wie ich es sehr war als die 104jährige Mama, Oma und Urgroßmutter beerdigt worden ist. Ein wundervoller Mensch, lebendig und liebevoll bis zum Schluss, drei Generationen – und all die, die diesen Abschied organisiert hatten (andere wurden nicht einbezogen), hatten nicht ein Wort für die Frau übrig. Nur Musik. Hätte nicht eine ihrer „Bibliothekskinder”, Oma arbeitete in Köpenick in einer Bibliothek und der Kontakt zu ihren deutlich jüngeren Kolleginnen hielt bis zum Schluss, wenigstens ein Gedicht von Fontane am Grab aufgesagt … ach nee, nicht schön. Gar nicht schön war das!

Und dann hat man die Frau, die Zeit ihres Lebens die Natur und den Wald liebte und sehr gerne in ihrer langjährigen Wohnung in unterster Etage wohnte, weil sie dort fast im Garten wohnte, in so ein Marzahner Plattenbau-Grab gestellt (diese hochwändigen Grabschränke, in denen die Urnen hinter Marmorplatten verschwinden). Für Mutti nur das Beste, wie man es selber meint es so für sich haben zu wollen. Kaum einen Gedanken daran zu verschwenden, was Mutti wirklich für sich gewollt hätte.

Schlussendlich ist es so, wenn man nicht vorher klipp und klar abklärt – oder wenigstens im sofortigen Zugriff es aufschreibt – wie man seinen eigenen Abschied sich wünscht oder vorstellt, wird man so begraben werden, wie andere es für sich selbst wünschen. Im Grunde ist jetzt der Vater auch so so beerdigt, wenn auch deutlich schöner als die Oma auf dem gleichen Friedhof, wie sich die Mutter es für sich selbst vorstellen kann. Der neueste Trend: Urnen werden um einen Baum in einer abgesteckten Baumscheibe in Gräber abgedeckt mit runden Metallplatten in einer Art Gemeinschaftsgrab beerdigt. Der Partner kann später dazu gelegt werden. Sehr kleines Grab, dessen Pflege genauso obsolet sein kann, weil der Friedhof eh etwas Grün auf die Scheibe pflanzt, wie man es aber auch pflegen kann – wenn man es wünscht bzw. noch kann.

Es sind dann doch erstaunlich viele Menschen zum Abschied nehmen gekommen. Menschen, die zwar im gelebten Alltag der Eltern kaum noch vorkamen – wer mag es ihnen verdenken, besuchen konnte man die Eltern in der Wohnung nicht mehr. Und raus konnten die Eltern nur noch selten. Wenigstens wollte man die Witwe bei diesem schweren Gang unterstützen.

Auch die Mutter des Verstorbenen, im neunten Lebensjahrzehnt, familiär unter „die Hexe” laufend, der Bruder – zu denen der Verstorbene keinen Kontakt mehr hielt – sind auf den Friedhof gekommen. Die Schwester zu der der Verstorbene wohl auch kaum Kontakt hielt, wenngleich man sich nicht gram war, kam extra nicht aus dem anderen Bundesland angereist, um nicht auf diesen Teil der Sippe stoßen zu müssen. Die Tragik, dass sie in der Woche in der er im Sterben lag, gerade in Berlin weilte. Mehrschichtige Stimmung also, Menschen, die sich gar nicht mehr die Hände reichen wollen und es nun doch taten. Und trotz der unschönen Geschichten, die ich natürlich im Laufe der Jahre immer wieder mal hörte: keine Mutter sollte verdammt noch mal am Grab ihres Sohnes (oder Tochter) stehen müssen.

„Wir gedachten N. M. in der Musik.” So heißt es dann, wenn der arbeitslose Trauerredner sich kurz vor der Urne verneigt und die Anwesenden auffordert, die eigenen Blumen wieder an sich zu nehmen und zum Auszug aus der Kapelle draußen ein Spalier zu bilden. Die Musik aus der Klischeekiste (okay, der CD-Sammlung zufolge war der Mann auch Klischeemusikliebhaber): Conquest of Paradise, Time to Say Goodbye. Geht immer in solchen Momenten! Kann man nichts falsch machen, Songs, die in dieser Umgebung auch Leuten feuchte Augen bescheren, die vielleicht gar keinen realen Grund dazu haben müssten.

Drei Songs, ein Spalier, ein kurzer Gang hinter die Kapelle zum Grab, ein bisschen am Grab stehen. Außerordentlich viele Blumene. Im Grunde nicht mal große Beileidsbekundungen an die Ehefrau, vor allem nicht an die Mutter. Allgemeine Verabschiedung. Der Rest: Abgang zum Essen.

69 Jahre Leben. Und das war's dann. Formeller Abschied, Teil eins.

Formeller Abschied, Teil zwei, führte uns in den Ratskeller in der Köpenicker Altstadt. Dort, wo er immer noch mal hin wollte, aber wie es mit Kellern so ist: es führen Treppen in den Keller, die befährt kein Elektrorollstuhl. Das Buffet war mehr als ordentlich, gutes Brot, frische Salate, Mozzarella Caprese mit Analogmozzarella, gedünsteter Fisch mit Kräuterkruste an frischem Gemüse, dto. die etwas trockene Hühnerbrust und Sauerkraut mit Haxe satt. Zum Dessert Mohnpielen, Berliner Luft und Rote Grütze. Was ich übrigens nach wie vor so sehr schätze an den älteren Generationen, vor allem denen aus dem ehemals Ostsektor dieser Stadt kommend: da wird kein Gewese um das Essen gemacht! Durchaus erholsam, wenn einfach nur gegessen wird, sich alle über eine Haxe freuen und nicht einmal das Wort „Glutamat” fällt.

Über den Verstorbenen wurde so gut wie gar nicht gesprochen – außer vielleicht von denen, die von außerhalb angereist waren und über die Jahre noch etwas Update in seiner Entwicklung bzw. Nichtentwicklung haben wollten. Naja. Ich weiß nicht, vielleicht ist das auch eine familiäre Sache von Pragmatismus: was weg ist, ist eben weg. Bei den Beerdigungen in meiner Familie wurde dann doch immer etwas mehr über die gesprochen, wegen denen man sich aus traurigem Anlass zusammen gefunden hatte.

Schön im Unschönen: der Mutter geht es im Moment erstaunlich gut! Sie scheint zu sich zu kommen, zu erwachen. Sie ist einer neuen Therapie und dem vorsichtigen Abbau der, sie so emotionslos machenden, Medikamente gegenüber nicht abgeneigt. Auch dem Thema Tagesklinik öffnet sie sich immer mehr. Dass Freunde sich ihr nun wieder zuwenden, tut ihr gut. Die Blumen auf dem Balkon, den ich neulich für sie putzte und bepflanzte, die gießt sie fleißig und freut sich über die Blumen. Und kommentiert das sogar von selbst. Ich, für meinen Teil, bin wirklich voller Hoffnung, dass sie jetzt vielleicht noch mal ohne diesen Ballast in ihrem Leben, die Kurve bekommen kann.

Tsja, manchmal muss einer erst dafür sterben.

Ich indes werde in den nächsten Tage eine Rede schreiben, von der ich mir wünsche, dass sie zu meiner Abschiedsveranstaltung vorgelesen wird. Und ich werde die Songs aufschreiben, die ich mir wünsche, dass sie gespielt werden sollen (und auch aufschreiben, warum gerade diese Songs gespielt werden sollen.) Ich fürchte, das sind vielleicht nicht so die Lieder, die dem Anlass angemessen sein werden – nach heutigem Beerdigungsstandard – dafür sind es dann meine Lieder.

Ich möchte keine Stille. Ob überhaupt jemand da sein wird, der etwas über mich sagen könnte, ist unwahrscheinlich. Familie ist da kaum (gehen wir davon aus, ich werde älter als der bisherige Durchschnitt meiner Familie). Wohl eher Freunde. Ich möchte da keine Mühe machen, aber ich möchte in meinem letzten Moment post mortem danken und vielleicht noch einen Lacher spenden.

Ich möchte, dass auf meiner Beerdigung gelacht wird. Viel, herzlich und laut. Vielleicht sogar über mich. Das fände ich knorke.

Leseempfehlung

Die AfD ist für gar nichts die Alternative. Punkt. Warum aber die FDP genauso wenig eine Alternative für oder gegen Merkel, pro und contra Schulz (wie man es immer sehen möchte) ist, … ach lest selbst:

Programm der FDP – Warum uns mit Merkels Praktikant die Krise droht.

2017-09-09

Franzl!!!

Ich hatte mir als Erben für die vor fünf Wochen verstorbene Nachbarkatze Paula einen Kuhkater gewünscht. (Purer Egoismus, mir fehlt Lino. Und Kuhkater sind's einfach irgendwie.) Naja, man kann ja als Ferienpflegebeauftragte ruhig mal Wünsche äußern.

Gestern Abend fuhr die Nachbarin sich um 18:00 Uhr einen 9jährigen Kater einer Kollegin angucken (ein zweites Baby, da ist die Katze zuviel – no comment.)

Um 20:00 Uhr hat sich ein aufgeweckter neuer vierbeiniger Freund in meine Hand geschmiegt und bewundern lassen (bildschön bis hin zur weißen Schwanzspitze im schwarzen Schwanz).

Ein perfekter freundlicher Kuhkater. Namens Franz.

2017-08-25

Aprikosen-Desaster 2017

Ich habe in diesem Jahr versucht Aprikosen in allen Varianten für traurige aprikosenfreie Zeiten zu konservieren. Also habe ich sie eingefroren, eingeweckt und als Kompott eingemacht. Und überhaupt kein Glück dabei gehabt. Na gut, von den eingefrorenen Aprikosen kann man das noch nicht sagen – aber die eingeweckten Aprikosen waren kurz vor dem Hochgehen. Das Kompott schimmelte.

Hat jemand Ideen? Oder sind Aprikosen dafür einfach nicht gemacht?

2017-08-24

Tempelhofer Feld

Heute mit den Kumpanen aus der Maßnahme für Glück und Lebensfreude wieder einmal auf dem Tempelhofer Feld gewesen: Drachen steigen lassen. Für Nichtberliner: auf dem ehemaligen Flugfeld vom Flughafen Tempelhof geht eigentlich immer ein bisschen Wind. Deswegen weiß man auch immer, wenn man auf diesem Feld ist, dass Berlin doch am Meer liegt.

Dieses Feld ist so toll, immer wieder. Es hat einfach ein irre gutes Energiefeld. Es ist als würde man dort auf einer riesigen Tankstelle liegen, laufen, stehen, skaten, Rad fahren – was auch immer – und Kraft tanken. Dieses Feld ist einfach ein Stück Wunder.

Und wir hatten viel Spaß mit unseren Drachen. Ein Mignon-Drache hatte das Weite gesucht und überquert vermutlich gerade die Ostsee. Aber am Besten flog der Star Wars-Drachen für 2 Euro 99 vom MäcGeiz so vor sich hin. Habe seit heute großen Respekt vor Star Wars-Drachen.

Den lustigen Clowns-Drachen hatten wir dem nebenan befindlichen Ehepaar mit zwei Jungen aus den Niederlanden zum Spaß haben leihweise überlassen. (Und die hatten Spaß!) Verdammt, wieder vier Leute mehr, die diesem Ausland erzählen werden, dass wir Berliner so verdammt nett sind.

(Aus der Reihe: Als ich dieses Blogpost schrieb, habe ich eine Mücke getötet. Mit Mücken habe ich es nicht mehr so in diesem Jahr. Mückenoverload.)

2017-08-22

Meldung

Ich bin gerade etwas faul im Blog. Die letzten zwei Wochen waren durchaus bewegt, wir haben die Mutter der besten Freundin versucht zu begleiten hinsichtlich der Trauer, ihres Zustandes im Allgemeinen und ihrer künftigen Wohnsituation im Speziellen.

Die Wohnsituation … sehr sehr gruselig, trotz hochgradiger Pflegestufen, die Wohnung – die wir seit Dezember mehrfach selbst geputzt haben und eigentlich für gutes Geld regelmäßig gereinigt verstanden hatten über das Pflegeunternehmen – in einem noch viel schlechteren Zustand als jemals zuvor – als die Mutter nämlich selbst noch keine Pflegestufe hatte.

Gestern sollte die Mutter erstmals wieder in der (für viel Geld von einem Profiunternehmen komplett gereinigten Wohnung … naja) übernachten. Da kam die Physiotherapeutin vorbei, die erzählte, dass die Eltern (wir erinnern uns: der Vater nach seinem letzten Krankenhausaufenthalt wirklich auf Pflege angewiesen mit mindestens täglicher Reinigung seiner Atemgeräte) teilweise bis zu vier Tage komplett unversorgt blieben. Es ist nicht auszuschließen, dass die Eltern vielleicht die Termine selber abgesagt hatten – nur hätte es dann Meldung bei der Tochter geben müssen. Nichts. Außer Geld kassieren. Offensichtlich wurde mehr Pflegestufe, mehr Geld verstanden als weniger Leistung erbringen müssen. Ich habe schon seit einigen Tagen das Gefühl, dass sich das noch zum Krimi entwickeln könnte.

Man, man, man. Wer in diesem Land auf Pflege angewiesen ist und niemanden mehr hat, der ständig auf deren Qualität guckt – der hat verloren!

Gestern noch schnell zu zweit den Keller ausgeräumt. Heute war Sperrmülltermin, der die nicht mehr so schönen Matratzen abholen sollte, die Kleidung vom Vater und diversen medizinisches Gerät, das anderen nicht mehr zumutbar ist. Das wollten wir kurzerhand nutzen. Gefühlte Millionen von Schrauben, gesammeltem Geschenkpapier, Reiseprospekten (!) und Übertöpfe entsorgt. Plastikaufbewahrungsbehälter! In allen Variationen mit Netz und ohne, mit Deckel und ohne. Es war offensichtlich des Vaters große Leidenschaft Behältnisse aus Plastik zu sammeln. Ich glaube nicht, dass ich lüge, wenn ich sage, dass wir alleine acht Sperrmüllsäcke nur mit solchem Plastikkram befüllt haben. Und glaubt nich, wir hätten jetzt die Mutter in absoluter Tupperwaren-Armut zurück gelassen. Direkt ein angestrengtes Verhältnis zum Keller bekommen. Wieder einmal begriffen, wie wertlos die Dinge werden, die einmal Wert hatten. Dinge gefunden, die in der Geschichte, den Vater noch einmal mehr als Arschloch gegenüber seiner Tochter präsentiert haben.

Ich habe keine Ahnung, was diesen Mann dazu getrieben hatte in seinem Sein so ein Unmensch den Menschen gegenüber zu sein, die er eigentlich hätte lieben, beschützen und glücklich machen sollen. Da gibt es keine Entschuldigung, auch nicht in einer verkorksten Kindheit.

Gestern früh die Idee gehabt der Freundin, die doch so wenig essen kann, aus den wenigen Dingen die sie verträgt schnell ein Macadamianuss-Krokant gemacht. Das ihr offensichtlich gut getan hatte. Also im halbwegs vertragen können und in der Freude.

Apropos Freude: ich weiß, ich bin spät mit meinem Dankeschön – aber ganz lieben Dank für die liebevolle Katzenunterstützung, auch im Namen von Tally und Shiinchen. Das ist mir immer eine große Freude und den Katzen sowieso! Danke!

2017-08-12

Das pure Leben bis zum Tod

Was für eine Woche. Kaum den Italienischkurs und eigene gesundheitliche Probleme in der vergangenen Woche verdaut, Sonntag der Anruf von der weltbesten Freundin (in Aachen weilend, um dort die Asche vom Onkel des weltbesten Freundes zu beerdigen und den anderen krebskranken Onkel zu besuchen), ich solle die Mutter zusammen mit dem Enkel einsammeln und ins Krankenhaus. Der Vater, der dort seit einigen Wochen im mehr oder wenigen wieder kritischen Zustand lag, wurde erneut auf die Intensivstation verlegt, nun neu: Nierenversagen.

Ein Déjà vu vom Dezember letzten Jahres, als der Vater noch einmal sehr gnädig eine Chance, von wem auch immer, und wie durch ein Wunder (hartes Arbeiten von Medizinern und Pflegepersonal) erhalten hatte, die er – das muss man so hart sagen – nicht genutzt hatte. Der eh schon im innern nicht so schöne, noch mental gereifte Mensch, der es im Vorfeld schon geschafft hatte vom Hausarzt der Praxis verwiesen zu werden, da er zu offensiv ablehnte an seinem Gesundungsprozess mitzuarbeiten – und deutlich unterhalb der üblichen Zeit aus der Reha entlassen wurde „Wenn Sie nicht mitarbeiten, können wir hier nichts für sie tun.” mutierte nach Sauerstoffunterversorgung, damals mehreren Wochen im künstlichen Koma und zwischenzeitlichem Schlaganfall endgültig zum Patiententerroristen.

Die Vorhersage – und dazu musste man keine medizinisch ausgebildete Fachkraft sein – dass er, wenn er seine Lebenseinstellung nicht um mindestens 180 Grad dreht, in spätestens einem halben Jahr wieder im gleichen Zustand sein würde wie in seiner letzten Krise, war nichts, was etwa als sonderlich esoterisches Glaskugelgedankgut gelten sollte.

So war dem auch. Aufnahme im Krankenhaus ins Schlaflabor, weil er nicht gut schlafen konnte. Wobei ich bis heute nicht verstanden habe, was ein Mensch, dem die Lunge unter der Vorerkrankung aber eben auch Adipositas im körpereigenen Wasser absäuft, in einem Schlaflabor zu suchen hatte. Dort stellte man also fest, dass seine Lunge voller Wasser war, der Zustand wieder extrem kritisch, verlegte ihn auf die Intensivstation und ins künstliche Koma und prognostizierte ihm ein künftiges Leben als Pflegepatient an der Beatmungsmaschine.

Alle Versuche ihn ins aktive Bewusstsein zurück zu holen scheiterten, weil er sich mit der Beatmung nicht abfinden wollte. Natürlich ist es eher Panik fördernd aufzuwachen und fremdbestimmt beatmet zu werden – nur muss man da leider durch. Und wenn man sich diesem Prozess verweigert, hat man eher keine Chance auf … irgendwas. Von Genesung konnte man in diesem Fall eh nicht mehr sprechen.

Einige Tage auf einer anderen Station in Quarantäne. Nun Keimbefall – angeblich der einer anderen Patientin. Aber schlussendlich lag der Mann die vergangenen Jahre zu oft selbst im Krankenhaus, um nicht über eigene resistente Keime am Mann zu verfügen. Zwischenzeitlich wurde ein externer Betreuer beauftragt. Die einzige Vollmacht, die existierte, war eine Betreuungsvollmacht der Ehefrau, die aber aufgrund ihrer psychischen Erkrankung zu rationalen Entscheidungen eher nicht mit solchen Entscheidungen beauftragt werden sollte. Die Tochter wollte aufgrund des sehr gespaltenen Verhältnisses zum Vater künftige Entscheidungen über sein Leben nicht tragen. Der Dissens lag auf der Hand: der Patient hätte unbedingt leben wollen, das war bekannt. Sein künftiges Leben wäre aber ein Siechtum gewesen und somit ein Albtraum – und zwar für alle Beteiligten.

Das Wochenende stand an mit dem Beerdigungstermin des Onkels. Die Diskussion, ob sie nun nach Aachen fahren sollte oder auch nicht? Das Hinfahren ein emotionaler Herzenswunsch. Schlussendlich hätte der Vater jetzt auch noch Monate so liegen können, wie es aber auch jederzeit zur Krise kommen hätte können. Insofern sagte ich zu im Notfall die Begleitung und aktive Betreuung der Mutter zu übernehmen. Und natürlich legte sich der Vater ganz unbewusst ins Zeug, der Tochter auch diese Reise möglichst schwer zu machen. Denn, wie schon geschrieben, Sonntag wurde er zurück auf die Intensivstation verlegt mit dem Nierenversagen.

An dieser Stelle: sollte jemals jemand meiner Mitlesenden in die Versuchung zu kommen in Berlin im Neukölner Krankenhaus auf die Intensivstation 2 zu kommen: flieht! Ein einziger Schlachthaufen. Uninformierte Ärzte, dass man immer wieder Zweifel haben musste, sie würden jedes Mal von einem anderen Patienten sprechen. Plumpe Versuche Unterlagen nicht rausgeben zu wollen. Angehörige, die wegen des kritischen Zustandes in die Klinik berufen werden, lässt man über eine Stunde im Vorraum warten ohne irgendeine Nachricht. (Schlussendlich war der Patient in einer Untersuchung und alleine diese Information hätte viel Stress bei der Mutter, die hochgradige Angstpatientin ist, vermieden.) Sehr unangenehme Erfahrung.

Der Mann war verkeimt, das war bekannt. Der Magen-Darm-Trakt wohl schon seit Tagen befallen, was man bis Sonntag den Angehörigen allerdings nicht mitgeteilt hatte. Und was dafür sprach, dass er nämlich der Keimträger war, der zur Isolierung führte – was mir dann sehr leid tut für die Patientin, die vorher mit ihm zusammen gelegen hatte. Was aber auch ganz deutlich macht, wie immer noch so schlecht in Deutschen Krankenhäusern mit MRSA umgegangen wird. Nun konnten die Nieren nicht mehr, eine Herzkatheteruntersuchung ergab speziellen Bakterienbefall auf einer Herzklappe, die es nun auszutauschen galt, vorher hätte man den Mann nicht an die notwendige Dialyse hängen können, sonst würde der Keim im gesamten Körper verteilt.

Wir hatten hier also einen aktiven Sterbeprozess. Das beginnende multiple Organversagen, einhergehend mit einer Sepsis bei einer sehr schlechten Zukunftsprognose. In sehr vielen anderen Ländern, wo die gesundheitliche Versorgung über ganz andere Finanzierungsmodelle definiert wird – oder es die durchaus hochfähige medizinische Versorgung gar nicht gibt – hätte man den Mann jetzt sterben lassen. Insbesondere hätte er eine Patientenverfügung verfasst und unterzeichnet.

Schwierig, denn immerhin hatten wir schon im Dezember gedacht, er würde die Krise nicht überleben, hatten die Ärzte ihm damals keine 24 Stunden mehr gegeben. Wer will da entscheiden?

So aber – und eben in dem Bewusstsein, der Patient hätte leben wollen – wurde er in das Herzzentrum vom Virchow Klinikum von Neuköln in den Wedding verlegt und noch in der Nacht operiert. Unter dieser OP hatte er als erstes einen 30minütigen Herzstillstand. Die Entscheidung die OP dennoch durchzuführen, traf der Operateur, weil klar war: einen zweiten Versuch würde es nicht geben. Es wurde also noch einmal sehr viel Energie von Ärzten und Pflegekräften und sehr viel Geld in diesen Patienten versenkt. Montag vormittag – die Tochter hielt die ganze Zeit telefonischen Kontakt – die Nachricht, wir sollten schnellstmöglich kommen.

Also wieder Enkel (aus Kladow) die Mutter (aus Köpenick) eingesammelt. Wir, Enkel und ich, die wir nicht von Medikamenten im Denken ruhig gestellt waren wie die Mama, mit dem Wissen, was uns dort erwarten würde und in der Sorge, es nicht rechtzeitig zu schaffen. Unter dem Aspekt wirkte der kurze Aufenthalt in der Aufnahme, wo die Mutter allerlei komische Fragen hinsichtlich des Datenschutzes, künftiger Rehaorganisationen und somit Entbindung von Schweigepflichten noch zu unterzeichnen hatte, äußerst surreal auf mich. Unterschriften für eine Zukunft, die es nie geben würde.

Dann im Vorraum zur Intensivstation sofortige Benachrichtigung, dass gleich jemand zu uns kommen würde – und ganz anders als im Neukölner Krankenhaus, konnte man sich hier wenigstens in der Gefühlsnot an einem Wasser- oder Kaffeebecher emotional festhalten. Der Chefarzt erklärte uns dann in einem ruhigen Zimmer – vor allem der Mutter (deren Neigung zum möglichen Suizid in den Akten immer vermerkt wurde) sehr behutsam den Zustand des Ehemannes, der klipp und klar „aktiver Sterbeprozess” lautete mit einer Prognose, dass er den Abend nicht erleben würde.

Schlussendlich hatte man den Mann solange an den Apparaten gehalten bis wir kamen. Seine Chance am Vormittag seine Werte zu verbessern, konnte der Körper nicht nutzen. So lag der Mann mit offenem Brustkorb (natürlich abgedeckt), zwecks etwaig notwendiger direkter Reanimation am Herzen, durch von den Maschinen suggerierten stabilen Werten vor uns. Man versicherte uns, dass er durch die Medikamente tief schlafen würde und keinerlei Schmerzen haben würden – da hier mit der möglichen Höchstdosis versorgt.

Was für mich – als vergleichsweise neutrale Begleitperson, ich hielt an dem Mann emotional deutlich weniger Aktien, als ich sie z. B. bei der Mama meiner Freundin halten würde – mitgenommen hatte, war, dass eben jene Mutter bis zu diesem Moment deutlich ausgeblendet hatte, dass ihr Mann dieses Mal wirklich sterben würde. Sie glaubte bis zu diesem Montag an seine Wiedergenesung durch die Operation und auf ihre Frage in den Raum gestellt „Was das denn alles heißen würde?” ihr – alle professionelle Behutsamkeit des Arztes zunichte machen zu müssen – klar sagen zu müssen „N. wird jetzt sterben, wir müssen uns nun verabschieden”, das war und ist auch im Nachgang für mich eine Hausnummer, die ich noch zu verarbeiten habe. Es ist ein Unterschied, ob man diesen Sachverhalt für sich im Stillen realisiert oder ihn nach außen kommunizieren muss. An die Person, die maximal darunter leiden wird.

N. hatte ein ruhiges Zimmer ganz am Ende der Station, wo wir in aller Ruhe Abschied nehmen konnten. Wir wurden sehr umsorgt von den Ärzten und dem Pflegepersonal, wurden ständig erinnert, dass man uns für alle Fragen oder Wünsche bereit stünde. Ich durfte im Vorraum telefonieren. Es war ein völlig anderes Erleben von Intensivstation als im Krankenhaus Neuköln und ich bin sehr froh, für den Mann und seine Frau und Enkel, dass der Mann im Herzzentrum gehen durfte.

Die telefonische Rückversicherung der sich auf der Autobahn befindlichen Tochter, dass wir nicht auf sie warten sollten, ihn nicht länger leiden lassen sollte. Telefonate, die der Mensch nicht braucht. Mit Kommunikation dieser Nachricht an den Arzt, einer letzten Blutuntersuchung mit trostlosem Resultat und seit unserem Eintreffen stetig sinkenden Pulsschlag, war die Stimmung gesetzt. Ich animierte seine Frau ihm noch schöne Worte mit auf den Weg zu geben oder mit ihm von den schönen gemeinsamen Momenten zu sprechen, einzig zur Sicherheit, falls er im Innern jenseits der Medikamente doch etwas mitbekommen sollte, dass ihn dabei schöne Erinnerungen begleiten sollten. Seine Tochter arbeitet in der Hospizbegleitung, ich habe viel von ihr gelernt über das Gehen und ich wollte es in ihrem Sinne für ihn richtig machen. (Denn wenn sie auch mit ihrem Vater seit längerem abgeschlossen hatte, ist sie ein liebevoller und fürsorgender Mensch, der solche Dinge korrekt händeln würde und dabei über jeden Schatten springen würde.)

Irgendwann das Gespräch mit der Ärztin der Nachmittagsschicht, die sehr deutlich sagte, dass man bei dem jetzigen Pulsschlag üblicherweise reanimieren würde aber sie das in seinem Fall nicht mehr tun werden. Sie legte indirekt direkt das Abschalten der Geräte nahe, im Grunde lag vor uns ein toter Mann. So war schon die Aussage vom Chefarzt eine Stunde zuvor, als ich nochmals auf den Betreuer hinwies, dass diese Entscheidung über den Zeitpunkt alleine bei den Ärzten liegen würde.

Also musste ich der Mutter sagen, dass wir nun Abschied nehmen müssten und in den nächsten 15 Minuten die Maschinen abgestellt würden. Die Frage der Ärztin, ob wir dabei bleiben wollten, beantwortete die Mutter mit einem „Nein.”, ich mit meinem „Ja.” (das war mein Job hinsichtlich meiner Aufgabe als Freundin, sie hätte ihn nicht alleine sterben lassen) und der Enkel mit „Ja. Aber er würde bei seiner Oma bleiben.” Daraufhin schickten wir die Ärztin wieder raus und sprachen mit der Mutter (Angstpatientin!), wovor sie denn jetzt Angst hätte? Der Enkel und ich erklärten ihr, dass es auch für sie wichtig wäre (später), wenn sie ihren Mann jetzt begleiten würde und dass sie keine Sorgen haben müsse, dass er irgendetwas mitbekommen würde oder in irgendeiner Weise reagieren würde. Sie ließ sich überzeugen. Und die Ärztin freute sich sichtlich, dass wir dabei bleiben wollten, weil das wohl doch nicht so viele Angehörige tun würden.

Dann gab es noch einen surrealen Moment als ich sie fragte, ob sie ihm nicht nochmal (im lebendigen Zustand) zum Abschied einen Kuss geben wollte, was sie (man muss einfach verstehen, dass sie unter ihren Medikamenten sehr fremdgesteuert ist und eigene Bedürfnisse kaum angehen kann, noch kommunizieren kann und man deswegen ein bisschen für sie mitdenken muss und ihr Handeln ständig anleiten muss) dann auch versuchte. Das funktionierte nicht, sie kam nicht an ihn heran, weil sie einfach zu klein und – so deutlich muss man es sagen zu dick – ist, ich bot ihr an, dass uns da der Pfleger sicherlich behilflich sein konnte. Aber so wichtig war es ihr nicht, nun, der Versuch zählt.

Und so hielt der Enkel sie, während sie die Hand ihres Mannes hielt und ich streichelte seine andere Hand. Währenddessen stellte die Ärztin die Maschinen aus, am Anfang noch erklärend bis sie bemerkte, dass von ihren Ausführungen eh nichts bei der Ehefrau ankam und ging hinaus und wir konnten bleiben in der dann doch (für mich sehr) angenehmen Stille ohne das den kritischen Zustand des Patienten tonal begleitende Gepiepe.

Der Vater regte sich natürlich nicht – man ließ im Sterben das Narkotikum und Schmerzmittel hochdosiert weiter laufen –, wurde recht schnell gelb. Zehn Minuten später stand der Seelsorger im Zimmer, der die Mutter sehr liebevoll versuchte aufzufangen, was sie aber störrisch ablehnte, denn Seelsorger ist irgendwas mit Kirche und das bräuchte sie nicht. Es gab Angebote an uns, den Vater später noch einmal im Ruheraum jenseits der Maschinen verabschieden zu wollen, was sie ablehnte (und was, wie ich wusste, die Tochter auch nicht mehr brauchen würde, denn sie hatte sich auf ihre Weise verabschiedet.)

Dann machten wir uns auf den Weg. Sie stürmte mit dem Enkel raus, während ich mich noch einmal bei der Ärztin und dem Pfleger bedankte, die „Zum Abschied-Informationsmappe” in die Hände gedrückt bekam und wir fuhren zu mir uns mit Kaffee und Kuchen zu betäuben bevor wir nach Kladow fuhren, um dort die Tochter am Abend zu empfangen. Die Oma saß auf dem Sofa (thank god to those cute little pills!), der Enkel, dem ich allen Respekt zolle, dass er das mitgemacht hatte und bei seiner Oma und Opa geblieben ist, das macht auch nicht jeder junge Mensch mit) kuschelte mit dem Kater und bereitete später das Abendessen, ich therapierte mich im großen Garten mit dem Gießen der Blumen und kescherte die Insekten bzw. die Kiefernnadeln aus dem Pool.

Langes Blogpost, kurzes Fazit: bleibt bei Euren Angehörigen, wenn sie so ruhig gestellt und im Grunde planbar auf der Intensivstation gehen werden. Es tut wirklich nicht weh, es passiert nichts, man muss davor keine Angst haben. Aber es ist das Letzte, das man dem Sterbenden mitgeben kann: dass er/sie es nicht alleine gehen muss. Die Mutter ist jetzt im Nachgang froh, dass sie bei ihrem N. geblieben ist. Und das ist, was dann bleibt in der Trauer. Ein gutes Gefühl.