Das Ding mit dem Glauben …
Meine Eltern führten auf religiöser Ebene eine Mix-Ehe, eine war evangelisch getauft, der andere katholisch. Ich schreibe bewusst getauft, ich kann mich nicht erinnern, je mit einem Teil meiner Eltern in einer Kirche gewesen zu sein. Ja, wir beteten als Kinder, wenn wir ins Bett gebracht wurden. Im Kindergarten vor dem Essen. Irgendwann kam der Osterhase. Dann das Christkind.
Meine Eltern hatten beschlossen, uns nicht taufen zu lassen aufgrund ihrer unterschiedlichen Religionen und meinten, wir sollten das selber später für uns entscheiden. Keine Ahnung, ob das 1962 und 1965 besonders modern gedacht war. Beide waren Kinder der Kriegsgeneration, kannten Flucht, Bombardements und Trümmerwelten. Ich glaube, für diese Generation konnte es nur zwei Extreme geben: Entweder völlig extrem im Glauben abgedrifftet oder sich völlig von Gott verarscht gefühlt.
Als ich eingeschult wurde, wurde ich – ohne dass man uns je fragte – in den evangelischen Religionsunterricht gesteckt. Meine Mutter war evangelisch und irgendeine Gesetzgebung befahl, dass die Kinder dann in die Religionsrichtung der Mutter, in unserem Fall der Alleinerziehenden, sortiert wurden. (Das, ich lernte es Jahre später anlässlich meiner ersten Lohnabrechnung, setzte sich dann auch bei der Kirchensteuer einfach so fort. Ich musste aus einer Kirche austreten, in die ich nie eingetreten bin.) Diesen Religionsunterricht habe ich anderthalb Jahre mitgemacht, um festzustellen, dass er mich doch ziemlich langweilte. Ich durfte dann damit aufhören und kam in dieser Stunde in irgendeine Aufsichtsklasse.
Zwischenzeitlich hatte meine Mutter ihren damaligen Lebenspartner kennengelernt, der Buddhist war. Meine Mutter neigte dazu, sich die Interessen bzw. Hobbys ihrer aktuellen Partner anzueignen, also wurde sie auch Buddhistin. Wenn ich ehrlich bin, kann ich bis heute nicht sagen, inwieweit sie da wirklich tief in diesem Glauben verwurzelt war. Oder ob es die multikulturelle Gemeinschaft war, die Schickness anders zu glauben als der Rest Deutschlands. Damals gab es anfänglich vielleicht 20 Buddhisten in Deutschland, die sich dem Buddhismus des Nichiren Daishonin zugehörig fühlten.
Für meinen Bruder und mich war es aber auf jeden Fall in der Zeit der Trennung meiner Eltern, der Neusortierung unseres Lebens, Einschulung in neue Schulen mitten im Schuljahr, dem ganzen sehr unschönen Gedöns, was so eine Elterntrennung damals auch in dem restlichen Teil der Familien verursachte, ein guter Halt. Da waren Menschen, die sich vor allem untereinander nur Gutes wollten, gemeinsam einen Plan hatten (eine Idee, die quasi in unserer Familie kaum existent war) und konsequent in Regelmäßigkeit Zeit miteinander verbrachten, um ihren Glauben zu praktizieren. Wir chanteten, sprachen das Gongyo, sangen und musizierten miteinander. Kulturelle Konsequenz – it wasn't that bad!
Heute weiß ich, dass diese ganzen tollen Erfahrungen der Menschen, die sie sich sehr gerne erzählten – immer in tiefer Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich – im Grunde die perfekte Selbsthilfegruppe war. Das Chanten, als Stilmittel der Meditation, setzt natürlich Glückshormone frei. Wer täglich morgens (oder an anderen Tagen stundenlang, ja, es gab auch Chant-Marathons) Namu Myōhō Renge Kyō vor sich hin sagt, der sorgt dafür, dass der Körper von selbst in den perfekten Atmenrhythmus kommt. Atmungstechnisch ist man im Flow und das wirkt immer gut auf den Organismus und schickt energetisch einige Hochgefühle vorbei. Damals war es natürlich der Glauben. Und toll. Für mich ist es heute Physik und Chemie – aber immer noch toll. Ich praktiziere heute den Buddhismus nicht mehr (regelmäßig), aber ich weiß, bevor ich ins autogene Training renne, kann ich auch eine halbe Stunde chanten. Gleicher Effekt, und es ist kein schlechter.
In der Grundschule in der fünften Klasse fing ich an, in die katholische Kirche zu gehen. Alle meine Freundinnen waren katholisch getauft und wir verbrachten so einfach mehr Zeit miteinander. Ich mochte das ganze zeremonielle Getue bei den Katholike sehr, das Singen, irgendwann es drauf zu haben, was man betet, wann man aufsteht, sich wieder setzt. Diese ganze christliche Choreografie. Wenn ich ehrlich bin, fand ich die Show im Katholizismus einfach ansprechender als bei den Evangeliken. Die Geschichte mit verbotenen Äpfeln (die Frau war schuld!), unbefleckter Empfängnis, Jesus, Kreuzigung etc. – das alles hatte ich eh immer für die Übertragung von Märchen gehalten.
Damals hätte ich mich sogar taufen lassen wollen und sprach unseren Pfarrer darauf an. Der Mann war komisch, er wollte mich nicht als Schaf einfangen. Er zeigte nie das Interesse, eine Bindung zu mir aufbauen zu wollen. Vielleicht hatte ich die falschen Fragen gestellt? Vermutlich auch mal davon erzählt, dass wir in der Familie halt auch Buddhismus praktizieren. Ich lernte damals übrigens schon, wie weit es mit der Toleranz von erwachsenen Menschen bestellt war, wenn es um den Glauben ging. Vielleicht war er auch nur klug, der Meinung, ich sollte das etwas später für mich entscheiden – ähnlich wie meine Eltern, dem Glauben seine Zeit geben.
Was man heute so weiß aus dieser Zeit über Kirchen und ihren Umgang mit den ihnen verantworteten Kindern, war sein Desinteresse vielleicht auch mein Glück (oder ich hatte einfach das falsche Geschlecht.) Wie auch immer, er war uninteressiert und somit verlor sich nach der sechsten Klasse auch mein Interesse. Selbstverständlich wurde es auch überschrieben von den anderen relevanten Themen eines die Schulstufe wechselnden pubertierenden Teenagers. Zumal es immer noch den Buddhismus gab, ich war ja nie verloren. Und diese Gemeinschaft war über die Jahre enorm gewachsen, noch bunter, interessanter und überdrehter.
Dieses Aufwachsen inmitten der glaubenden Menschen in allen ihren Extremen und teilweise scheiternden Existenzen und auch spannenden positiven Entwicklungen, hatte mich immer davor geschützt irgendwelchen esoterischen Scharlatan*innen auf den Hut zu gehen. Ich hatte ein untrügliches Gefühl dafür entwickelt, was realen Bestand hat und was abgehobene Interpretation ist.
Aber das Prinzip im Buddhismus, dass man gute Ursachen setzen sollte, um gute Wirkungen zu erfahren, fand ich konzeptionell tatsächlich eine völlig stimmige Idee. Auch dass man nicht über sieben Brücken gehen muss, um irgendwann nicht in einer Hölle zu landen, sondern man quasi sich sein eigener Buddha ist und man mit gesunder Liebe zu sich selbst und Spaß an eigener Entwicklung, man bestenfalls nach dem Abgang noch mehr Buddhaschaft in sich trägt als am Anfang. Der Katholik indes sündigt, beichtet, bettet ein bisschen und weil ihm immer hübsch vergeben wird, sündigt er halt wieder. Konzeptionell halte ich die Idee im Buddhismus, den Mist gar nicht erst zu bauen, für die positivere Variante. Tue ich auch heute noch.
Nun besuche ich auf den Pressereisen, insbesondere denen von Carmen (Abschluss in Kunstgeschichte ) organisiert, natürlich nicht selten Kirchen in allen Größen und Zuständen in Italien. Man kommt nicht drumherum. Und ganz oft sind es auch wirklich interessante Begegnungen, wenngleich mir dieser absolute Glaube im Katholizismus immer noch nicht geheuer ist. Die Einbindung des Glaubens in Süditalien ist doch noch einmal eine ganz andere Geschichte als wir Religion hier im Osten Deuschland praktizieren.
Ich verbuche unsere Besuche in den Kirchen – und es ist wirklich faszinierend, wenn italienische Journalisten bei den gleichen Reisen unterwegs sind, wie wirklich groß deren Interesse an dieser Materie ist – unter kultureller Begegnung. Es sind für mich Besuche in Museen, ausgesprochen kunstvolle Museen. Damit fahre ich mittlerweile sehr gut. Ich kann gucken, staunen und bewundern, muss nicht glauben und langweile mich nicht mehr so sehr dabei wie noch am Anfang der Reisen. Denn eigentlich bin ich mit einer Kirchenbesichtigung am Tag völlig zufrieden. Da sind's meist bis zu drei Gotteshäuser. Ich kann auch einfach dasitzen und mich am Interesse der anderen Reiseteilnehmer erfreuen.
In Bari gibt es die Basilica di San Nicola in der Altstadt. Ein imposantes Gebäude, vergleichsweise – für katholische Verhältnisse – nüchtern gestaltet.
Zumindest so lange man nicht an ihre Decke guckt, denn die hat es tatsächlich wirklich in sich. Sie ist eine der seltenen Kirchen, die schon früh ein Zuhause unterschiedlicher Konfessionen war, ist sie auch ein Zuhause der orthodoxen Gläubigen. Das finde ich gut, gelebte Toleranz in den Religionen – hätten die Menschheit das immer schon so smart untereinander geregelt, was hätten wir uns über die Jahrtausende an Leid ersparen können?
In dieser Basilica teilt man sich hier also Nicos Reliquien in höflicher Gemeinsamkeit. Tatsächlich ist die Krypta im Kellergewölbe der Basilica, wo die übrig gebliebenen Gebeine des heiligen Nikolaus ruhen, etwas prunkvoller im orthodoxen Stil gestaltet als der Hauptteil oben.
Als ich das erste Mal einen Ausflug nach Bari unternommen hatte, 2019 im Spätwinter, war ich am Vormittag in Polignano a mare unterwegs – und ziemlich enttäuscht von dieser kleinen Stadt, die sich touristisch völlig hat aufkaufen lassen. Somit stieg ich nochmals in den Zug, fuhr weiter nach Bari und schlug mich bis in die Altstadt durch. Aber ich war dementsprechend müde, sehr müde. Ich war halt viel gegangen, hatte viel gesehen, obendrauf diese Enttäuschung. Und ich konnte in den Bars keinen Platz finden, um einen Café zu trinken. Ich hatte also Laune!
So bin ich dann etwas verloren in diese Basilica gegangen, habe mich dort hingesetzt – erst im oberen Bereich, dann auch unten in der Krypta – und habe da einfach nur gesessen.
Und als ich nach einer halben Stunde wieder aufgestanden bin und – zwei Kerzen angezündet hatte (es war die Covid-Zeit, echte (und nur die!) Kerzen anzünden war und ist meine Methodik „Danke!” zu sagen) – bin ich aus der Basilica getreten und fühlte mich wie ein neuer Mensch. Energetisch völlig auf Anfang gesetzt, zwar nicht frisch geduscht, aber spannend ausgeruht und mit aufgeladenen Batterien zurück in den restlichen Tag entsendet. Das war spürbar … ungewöhnlich!
Diesen Resett so zu fühlen, das war schon extrem. Ich kenne Orte (und Menschen), die mir extrem schnell und stark Energien rauben. Ich weiß, dass ich gute Antennen habe für solche Schwingungen. Aber das auch einmal umgekehrt erleben zu dürfen, einen Ort zu betreten, der mich umhüllt und spürbar sorgsam mit mir umgeht … Das war mir so dann doch neu.
Seitdem sorge ich dafür, dass ich jedes Mal, wenn ich in Apulien bin, die Basilica San Nicola besuche und einfach etwas Zeit in ihr verbringe. Beim vorletzten Mal hatte der Chor des Zollministeriums für uns gesungen (geprobt), das war wunderschön! Während der letzten Reise hatte ich mir im Anschluss zweieinhalb Tage Bari (mit Übernachtung) endlich einmal gegönnt und war jeden Tag in der Basilica. Und: Ich war dieses Mal jedes Mal so tief entspannt, dass ich tatsächlich die Augen schließen konnte (ein no go! in der Öffentlichkeit für mich!) und dort sitzend einschlafen konnte. Der pure Frieden.
Ich kann nie irgendwo mal eben schlafen. Mir fällt es schwer, außerhalb meiner Sicherheitszone zu schlafen. Aber da konnte ich es. Und: jeden Tag wieder.
Das ist alles kein Wunder, aber für mich durchaus bemerkenswert. Somit: Gönnt euch auch als Nichtgläubige einen Besuch der Basilica di San Nicola in Bari, wenn ihr einmal in Apulien seid. Sie kann was!
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Fröhlich sein, freundlich bleiben und bitte immer gesund wieder kommen!
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