2023-05-20

Die Rettungsgasse in einer Zeit der Egoisten

Als ich meinen Führersein gemacht hatte, 1983, bin ich da relativ unbedarft ran gegangen. Verkehrserziehung in der Schule war damals noch nicht so sehr das Thema. Es gab zwar, jedoch wenige, Verkehrsgärten für Kinder aber zumindest in meiner Grundschulzeit sind wir dort nur mit dem Hort zwei Mal nachmittags gewesen. Wer nicht im Hort war, Pech gehabt. Seitens der Schule gab es de facto keine echte Verkehrserziehung, der nächste Verkehrsgarten lag einfach zu weit weg, um das im Unterricht zu bewerkstelligen. Außerdem herrschte damals auch schon eklatanter Lehrermangel und somit gab es keine begleitenden zusätzliche Lehrkraft, für – es war die Gastarbeiterzeit – zu großen Klassen. (Also lasst euch von niemandem erzählen, die heutigen Probleme in den Schule hätten Deutschland gänzlich unvorbereitet getroffen.)

Mofa bin ich nie gefahren, nur Fahrrad. Das spätestens mit dem Wechsel auf das Gymnasium, das eher kompliziert mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen war, sehr regelmäßig. Und das war gar nicht immer so richtig lustig, denn mit 12 (das Alter in dem man in Berlin von der sechsten Klasse in die Oberstufe wechselte) ist man vollpubertär und zunehmend intensiv auf das Äußerliche fixiert und auf Jungs – und dem aktuellen Schwarm wollte man einfach nicht begossen wie ein Pudel nach einer Radfahrt durch ein Regengebiet begegnen. Das mit dem Verkehr auf dem Rad war damals relativ einfach: Ich bin allermeist auf Radwegen gefahren. Habe mich an Ampelsignale gehalten, was ein Vorfahrtschild für eine Bedeutung hat und rechts vor links, waren Regeln, die meine Auto fahrende Mutter mir als Beisitzerin nebenbei beigebracht hatte.

Irgendwann kam der Sommer nach dem ich im Herbst 18 werden sollte und der Führerschein, der war damals noch in meiner Generation ein „must have”-Thema. In meiner Familie stand der Besitz des Führerscheins auch als ein Zeichen der Emanzipation. Mit dem Besitz des Führerscheins, den mein Vater nie machen sollte, hatte sich meine Mutter mit „der Wanne”, dem runden Ford Taunus, relativ schnell aus der unschönen Familiensituation frei gefahren.

Im Prinzip machte man damals den Schein im Klassenkollektiv – und es galt als gesetzt, dass man den (mit etwas Behördenglück) zum 18 bei der Dienststelle abholen konnte, vorherige bestandene Prüfungen vorausgesetzt. Aufgrund meiner finanziellen Familienverhältnisse musste ich mir meinen Führerschein zum allergrößten Teil selber finanzieren, ich schuftete die Sommerferien morgens als Reinigungskraft im Hôpital Militaire Louis Pasteur im Quartier Napoléon (französische Streitkräfte), dazu musste ich mit den Öffentlichen von Tiergarten nach Tegel, um 05:30 Uhr war Dienstbeginn. Fuhr dann zwei Stunden später zurück nach Hause, um Mittag zu essen, um dann von Tiergarten mit dem Rad in die Flughaftenstraße nach Neukölln zu rasen, weil ich dort im Schwimmbad am Columbiadamm nachmittags im Imbiss Geschirr abwusch und Eisbecher mit Erdbeeren baute. Ich habe mir meinen Führerschein hart erkämpft und teuer verdient. 25 Fahrstunden, das war damals guter Durchschnitt, Theorie 0 Fehler, Fahrprüfung beim ersten Mal bestanden bei Herrn Zieselinksi, der damals dafür bekannt war, human zu Fahrschülern in der Prüfung zu sein. Sein Ding waren wohl Einbahnstraßen, dieses sich links einordnen, wenn man aus einer Einbahnstraße nach links fahren möchte. Hatte ich voll drauf.

Übrigens hatte ich kein Behördenglück, nämlich erst vier Tage nach meinem 18. Geburtstag den praktischen Prüfungsgermin zugeteilt bekommen.

Mein Kalkül war mich als Tiergartnerin in einer Fahrschule in Charlottenburg anzumelden, in der Hoffnung nicht in Tempelhof oder Spandau geprüft zu werden, sondern eben in Charlottenburg – wo ich mich, weil ich dort die ersten Lebensjahre lebte und mein Vater als auch Großmutter zu diesem Zeitpunkt immer noch lebten, gut auskannte. Mein Kalkül ist gut aufgegangen. (Tief in meinem Herzen ist Charlottenburg auch heute noch mein Kiez.) Aber da hätte auch nix schief gehen dürfen, weil mein Führerscheinbudget hart auf Kante genäht war.

In der Fahrschule, den Theoriestunden, also begegnete mir erstmals bewusst das Prinzip Rettungsgasse. „Cool!”, dachte ich damals und das denke ich auch noch heute: „Das ist doch ein kluge Lösung für alle Probleme, wenn einmal ein Unfall passiert und der Platz knapp ist. Alle rücken zusammen und verhalten sich nach diesem Regelwerk und wenn du ggfs. selbst vorne halb am verbluten bist, können Rettungskräfte dich trotzdem sehr schnell retten.”

Mich hatte – als Berlinerin kannte man das Prinzip Stau im Straßenverkehr schon damals ganz gut – die Logik einer Rettungsgasse sofort überzeugt. Platz machen in einer Notsituation für andere. Tut nicht weh, ob man nun mitten auf der Fahrbahnspur steht oder etwas weiter rechts, oder? Wenn kann das ernsthaft stören? Denn allermeist kommt man entweder eh gerade nicht wirklich weiter. Oder man kommt doch bei fließendem Verkehr sehr schnell wieder weiter. Aber auch dann hat das Bilden einer Gasse keinen ungünstigen Einfluss auf das eigene Tagesgeschehen.

Tatsächlich finde ich das Prinzip der Rettungsgasse auch heute noch ein Stück weit großartig. Ich weiß, da ist irgendwo ein oder sind mehrere Menschen in schlimmer gesundheitlicher oder anderer Not – und Sanitäter, Notärzte oder Polizisten sind auf dem Weg diesen Menschen in Not zu helfen – und indem ich mich in dem einen sehr kurzen Moment sozial und gemäß geltender Verkehrsregeln verhalte, kann ich bestenfalls deren Leid verkürzen. Das tue ich übrigens genauso auch als Fußgängerin oder Radfahrerin. Ja: Auch als Radfahrerin. Es gehört nämlich auch zu meiner Pflicht stehen zu bleiben auf dem Radweg, so dass Autos in dem Moment auf dem Radweg ausweichen können, um die Mitte beider Fahrbahnen freizumachen. Dann wird halt die eine Ampelphase später genommen. So fucking what? Aktiv dazu beitragen, dass Leid zeitlich verkürzt wird. Gerettet wird. Oder Straftaten verhindert werden können. Ist das nicht das coolste Ding überhaupt?

Ich werde nie begreifen, was einzelne Verkehrsteilnehmer daran hindert, es mir gleich zu tun: außer, dass sie schlicht zu blöd sind.

Und nein, Klimaaktivisten auf den Straßen sind hierfür zu keinem Zeitpunkt jemals die Ursache gewesen, dass Rettungsgassen nicht gebildet werden.

Das Problem blöder Autofahrer haben wir deutlich länger als das Phänomen auf Straßen klebender junger Menschen. Wer keine Rettungsgassse bildet oder solche durchfährt (weil es im Mofa zu warm ist unter der Lederkluft), der ist zu blöd. Und wer hierfür zu blöd ist, braucht seinen Führerschein nicht, denn: die Person ist nachweislich zu blöd sich an Verkehrsregeln zu halten.

So einfach. Und kein „aber …”! Einfach zu blöd!

4 Kommentare:

-thh hat gesagt…

Eine Rettungsgasse ist (nur) auf Autobahnen und auf Straßen außerhalb geschlossener Ortschaften mit mindestens zwei Richtungsfahrstreifen zu bilden. In beiden Fällen wird man nur selten auf Fußgänger oder Radfahrer treffen.

(Und die Bildung der Rettungsgasse funktioniert nach meinem Eindruck mittlerweile deutlich besser als in früheren Jahrzehnten.)

creezy hat gesagt…

Nö, stimmt so nicht. Straßenverkehr ist überall – und Fahrzeugen im Rettungseinsatz ist dann freie Fahrt zu ermöglichen von anderen Verkehrsteilnehmern. Ich wohne an einer Straße, die Hauptzufahrt a) zur Feuwerwache und b) zu zwei Krankenhäusern ist. Diese Straße ist nur teilweise in beide Richtungen zweispurig, meist einspurig mit breiten Radweg. Wenn da Verkehr ist (und meist ist zu bestimmten Uhrzeiten Stau) muss dort eine Rettungsgasse gebildet werden an der dann auch Fußgänger/Radfahrer beteiligt sind.

Das mit dem besser funktionieren mag möglicherweise regional unterschiedlich sein?

Massimo hat gesagt…

Das Konzept der Rettungsgasse finde ich auch total simpel und mich regt es auch immer auf, wenn sich Autofahrer nicht daran halten. Wobei mir das auch erst vor ein "paar" Jahren erst in Bewusstsein gelangt ist. Ich kann mich nicht erinnern das in der Fahrschule gelernt zu haben.
Ich habe auf jeden Fall durch das Verhalten der Autofahrer und alles was in der Coronazeit passiert ist sehr stark angefangen an der Mitmenschlichkeit in diesem Land zu zweifeln. Zum Glück gibt es aber immer noch genug Andere die mir auch das Gegenteil beweisen.

ClaudiaBerlin hat gesagt…

Nicht nur die Rettungsgasse wird nicht eingehalten, auch das "Einfädeln im Reissverschlusssystem" scheitert am hier völlig fehlgeleiteten Egoismuss der Autofahrenden. Vorschrift ist nämlich, so lange wie möglich zweispurig zu fahren und so den Platz zu nutzen. Das geht aber nur, wenn vorne an der Verengung auf eine Spur die Wagen der 2.Spur auch reingelassen werden. Klappt aber nicht, die meisten fädeln sich früh links ein,da steht dann der Stau und rechts daneben die Spur bleibt frei. Und wenn sich jemand wagt, sie zu nutzen und vor zu fahren, lassen sie den nicht rein! Komplett idiotisch!

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