2020-11-30

Rezension: Die Kunst des Foodpairing Peter Coucquyt, Bernhard Lahousse, Johan Langebick

Dieses Buch ist der Wahnsinn. Oder seine Autoren sind wahnsinnig. Die Kunst des Foodpairing spielt in einer Liga der Kochliteratur, die ihresgleichen sucht. Und wer der Kochkunst persönlich mit Wahnsinn begegnet, wer sich beim Thema Essen chemisch aber auch philosophisch in höhere Sphären begeben möchte, dem sei dieses besondere Buch wirklich ans Herz gelegt. Ich fürchte nur, dass hinterher im Kochleben einiges verrückt sein dürfte – verrückt in seiner psychischen als auch geographischen Bedeutung.

„Grün und Blau, trägt (schmückt) die Sau.” Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Kleidungsstil sich von Konventionen einengen ließ. Es gab Farbkombinationen, die galten generell als verpönt.

Das ist heute glücklicherweise anders. Getragen wird, was einem gefällt und wonach einem der Sinn steht. Der französische Staatspräsident hat den braunen Schuh zum blauen Anzug salonfähig gemacht. Und auch rothaarige Menschen tragen heute die Farben, die ihnen gefallen ohne ständig im gesund-konträren Grün erscheinen zu müssen, weil Grün halt „so gut” zur Haarfarbe passt.

Alles geht, nichts muss.

So ähnlich verhält es sich mittlerweile auch in der Geschmackswelt. Wild wird gemischt, was man früher niemals in einem Kochgefäss zur gleichen Zeit zusammen gerührt hätte. Die Globalisierung hat uns unsere Küchenwelt viel weiter göffnet, unsere Geschmacksnerven sich entwickeln lassen. Und Mut zugesprochen, neue Kombinationen von Zutaten ermöglicht und aufgezeigt, dass andere, ungewöhnliche Gewürzkombinationen an alten Hauptzutaten, z. B. einem Fleischgericht eine völlig neue Grandessa auf dem Teller erlauben. Unendliche Weiten …

Wann hatte das eigentlich angefangen? Als ich Grundschulkind war, hatte ich eine Schulfreundin, deren Papa aus dem Irak kam. Er war der Kochmann zu Hause und oft war ich nach der Schule zum Essen eingeladen und lernte dort schon mit sieben oder acht Jahren, dass Zimt nicht nur in den weihnachtlichen Keks oder an das Apfelkompott gehört, sondern auch dem Hackfleisch (oft gemeinsam mit Okraschoten und Tomaten geschmort) geschmacklich eine fantastische Geschmacksnuance mit auf den Weg gibt. Sich deutlich unterscheidend von der Bolognese meiner Mutter, bei der es das Hackfleisch lediglich mit viel getrocknetem Oregano an Spaghetti Bolognese gab. (Was man damals sich unter Spaghetti Bolognese hierzulande vorstellte.) Von dieser kindlichen sehr glücklichen Geschmackserfahrung mit Zimt als vollständiges Gewürz profitiere ich heute noch. Ich habe damals wahnsinnig gerne bei dieser Familie gegessen und dem Papa beim Kochen zugeschaut, dem Duft mir unbekannter Gewürze (Arabischer Pfeffer) vertraut.

Als ich das erste Mal Mitte der Neunziger Jahre mit einem stärkeren Blick in die französische Küche (ich liebte es, wenn deutsche TV-Köche französische Gerichte kochten) erlebte, wie – ich glaube, es war Witzigmann – zum Entenbrustfilet eine Sauce aus Sauerkirschen serviert wurde, war das für so manch einem deutschen Gaumen ein mittelgroßer Skandal. Aber Frucht, auch süßlich, am Fleisch, das war für mich vom ersten Moment an eine absolut logische Kombination. Und wie viel weiter hat sich in den letzten Jahrzehnten unsere Experimentierfreudigkeit in der Küche entwickelt?

Foodpairing.com

Das Unternehmen foodpairing hat sich zur Aufgabe gemacht, Hauptzutaten, Gewürze in differenzierten Garprozessen zu analysieren und mit Hilfe dieser Prozesse ganz neue Zusammenführungen einzelner Zutaten zu entwickeln – und zu dokumentieren. Herausgekommen ist dabei die größte Aroma-Datenbank der Welt, basierend auf mittlerweile über 3000 Zutaten. Und ein Ende ist noch nicht in Sicht. So gibt es zu jeder dieser 3000 Zutaten ein eigenes Aromaprofil, das auf logische Weise die passenden Sparingspartner finden lässt – und Kombinationen generiert, auf die man alleine hätte kaum kommen können. Dem Fachwissen von Foodpairing vertrauen heute weltweit schon eine halbe Million Köche, Bartender und Barista sowie Industrieproduktionsunternehmen. Die drei Gründer Bernard Lahousse (Ingenieur), Peter Coucquyt (Koch und Sommelier) und Johan Langenbick (Industriedesigner) haben sich gefunden und sind mit der Idee, das verschiedene Zutaten durchaus aromatische Verbindungen haben, in dieses große Abenteuer der Aroma-Analyse gestartet. Nach nun über zehn Jahren Forschung und Entwicklung haben sie dieses großartige Verzeichnis in Buchform heraus gebracht, das sich wie ein kulinarischer Krimi liest – obwohl es gänzlich abstrakt aufbereitet ist.

Der Geschichte des Die Kunst des Foodpairing ist ein Vorwort von Heston Blumenthal vorangestellt, Chefkoch im „The Fat Duck”, der 3-Michelin-Sterne hält. Er bekennt sich dazu, dass er mithilfe von Foodpairing seine eigene Kreativität in der Küche viel weiter entwickeln konnte.

Dieses erste Kapitel sorgt für ein DéjaVù unseres Chemieunterricht. Dieses Mal recht kurzweilig. Wir begegnen flüchtigen organischen Verbindungen, Molekülen oder Schlüsselduftstoffen, ohne dass es sich allzu wissenschaftlich abgehoben liest. Interessant in diesem Buchteil ist die physiologische Erklärung, wie Geruch und Geschmack gemeinsam funktionieren – auch ein Laie versteht nun, warum ein Sommelier merkwürdige Mundbewegungen beim Verkosten macht. Gefolgt von der eigenen Aromabibliothek wird deutlich, wie subjektiv geschmeckt wird und wie man mit Übung der eigenen Geschmack-Sensorik sich völlig neue Welten erarbeiten kann.

Ich ziehe meinen Hut vor dieser fantastischen Fleißarbeit!

Denn schon steigen wir LeserInnen ein in die wundersame Welt des Foodpairings. Dabei helfen die Aromaräder. Die einzelne Schlüssselingredienz wird farblich gecodet ihren 70 Aromadeskriptoren und 14 Aromatypen zugeordnet. Am Beispiel des Pilsner Bieres ist hier die immense Dimension visuell herausgestellt, die ein Bier geschmacklich abbilden kann. Andere Aromaräder erscheinen deutlich eintöniger. Ich als Nichtbiertrinkerin habe erstmals die große gustatorische Macht eines Bieres begriffen. Dem Aromarad vorangestellt, werden die einzelnen Zutaten in ihrer natürlichen Entstehung, chemischen Produktion und typischen Einsatzgebieten (z. B. Chilis in der Peruanischen Küche). Hier und da kommen namhafte Köcher zu Wort und verraten einige ihrer besonderen Zusammenstellungen – ein echtes Rezeptebuch ist Die Kunst des Foodpairing dabei allerdings an keiner Stelle.

Nachfolgend der Aromaräder gibt es unzählig viele Kombinationsraster, die visuell klare Geschmacksdominanz der Ingredienzen (in unterschiedlichen Zuständen) in Kombinationen an Fleisch, Käse oder Früchten präsentieren – dabei aber auch unterschiedliche Texturen reflektieren.

Korianderblätter an Edamame lassen diese Bohnen geschmacklich kräftiger erleben, während sie zu Möhren diesen deutlich mehr Frische im Geschmack verleihen. Ananassaft an Matcha hebt dessen Karamellnoten hervor. Kardamom vermittelt den Nordseekraben eine zitrusartige Note, ganz ohne den Einsatz von Zitrusfrucht und so weiter, so unendlich weiter. Das Verzeichnis der Zutaten am Ende des Buches umfasst alleine 14 Seiten – um die umfangreiche Dimension der in Foodpairing aufgezeigten Kombinationen zu verdeutlichen.

Kommen wir noch einmal zurück zum Barista. Jeder, der schon einmal einer Kaffeeverkostung beiwohnen durfte, weiß, wie sehr unterschiedlich Kaffee bei unterschiedlichen Temperaturen schmeckt und wie differenziert Speisen zum Kaffee schmecken – ob Schokolade, Brot, Kuchen. Kaffeebohnen unterschiedlicher Sorten, ihr Röstgrad, Brühmethode, Temperatur beim Trinken – alle Varianten wirken auf den Geschmack ein. Und zack – eröffnet sich selbst für den normalsterblichen Kaffeekonsumenten eine völlig neue geschmackliche Weite!

Am Beispiel Kaffee wurde überlegt, da sein Aromaprofil – viele karamellartige, käsig-butterige und auch fruchtige Aromastoffe – sehr ähnlich dem braunen Bratensatz vom Kalbsfond ist – ob man dann aus Kaffee nicht eine vegane Variante zum Rinder- oder Kalbsfond machen kann? Die Antwort gibt das Buch: Kann man! Mit etwas Doengjang (koreanische fermentierte Sojabohnenpaste) oder Sojasauce. Wie schnell steht man da selber als LeserIn am Herd und probiert es selber aus?

Vermutlich ist dieses Buch nicht komplett auszulesen, denn man möchte wirklich immer gleich testen, kombinieren, ausrobieren und experimentieren – und vor allem schmecken. Darüber kann man bei der schieren Menge der hier in Foodpairing aufgezeigten Möglichkeiten relativ alt werden. Wer sich, seiner Geschmackswelt, seiner Kocherfahrung neue Erlebnisse schenken möchte, die eigene Urteilsfähigkeit schulen möchte, Essen neu erleben möchte – dem sei dieses wunderschöne Grundwerk unbedingt für Bibliothek empfohlen.

Immerhin 10 000 Geschmacks- und Aromakombinationen stellt uns für den Anfang Foodparing vor. Wie ich oben schon anmerkte, das Buch ist der Wahnsinn!

„Die Kunst des Foodparing
Autoren: Bernard Lahousse, Peter Coucquyt und Johan Langenbick
Verlag: ZS Verlag
ISBN: 978-3-96584-072-0

2 Kommentare:

arboretum hat gesagt…

Klingt spannend. Schade nur, dass der Preis mein Budget sprengt, um es Rosarium und Kaktus zu schenken.

Aber Frucht, auch süßlich, am Fleisch, das war für mich vom ersten Moment an eine absolut logische Kombination.

In der schlesischen Küche kennt man das auch, zum Beispiel "Schlesisches Himmelreich" (wobei ich das nicht mit Schweinebauch, sondern Kassler kenne).

creezy hat gesagt…

@arboretum
Ja ein Schnäppchen ist das Buch nicht, stimmt. Aber es ist auch ein sehr großes Buch … und dick! ;-)

Hihi, Schlesisches Himmelreich, hier guck mal von 2010:

https://holyfruitsalad.blogspot.com/2010/11/schlesisches-himmelreich.html

;-)

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