2010-03-16

Aufmerksamkeit

Gestern fragte ich auf twitter unter meinen Followern wie zur Zeit der Missbrauchsskandal der katholischen Kirche in Deutschland in denen der katholischen Kirche nahen europäischen Ländern wie Italien und Spanien über die Vorgänge in unserem Land diskutiert wird. Mich irritiert, wie fast jeden Tag aus irgendeinem beliebigen Flecken dieses Landes neue Berichte über Übergriffe (meist) katholischer Pfarrer und Lehrer gemeldet werden und zunehmend in unseren Alltag einfließen, als sei es beinahe schon normal und üblich.

Auch irritiert mich sehr, dass all diese Meldungen sich ausschließlich auf Vergehen berufen, die angeblich verjährt sein sollen. Da kann etwas nicht stimmen, das hieße, heute passiert das nicht mehr. Wenn das stimmen soll, was ist wann passiert, dass offensiver Missbrauch ausgerechnet nur hier nicht mehr erfolgt ? Missbrauch 2010 – tatsächlich nur von dem lieben Onkel in der eigenen Familie oder vom bösen Nachbarn in der Straße praktiziert? Zur Zeit sind so viele Fragen noch offen und wir scheinen uns immer mehr an den Skandal zu gewöhnen. Und da guckt ein ganzes Land einschließlich seiner Medien, die im Besonderen, auf diesen Papst, einen Papst der unsere Sprache spricht und erwartet eine öffentliche auf dem Vatikanbalkon zelebrierte Reaktion, die er natürlich nie geben wird – gar nicht geben kann. Denn das verbietet sich in diesem Konsortium alter Traditionen und täglich zelebriertem Stillstand. Rückt auch dieser Skandal immer mehr in Ratzingers persönliche Nähe: die katholische Kirche hat noch nie schlechte Erfahrungen mit dem Procedere des Aussitzens gemacht. Warum also nicht auch dieses Mal – zumindest es versuchen?

So interessierte mich, was sagt Europa zu diesen Missbrauchsvorwürfen? Missbraucht wird in dieser Institution doch nicht nur in Deutschland, wer will das ernsthaft glauben? Natürlich nicht repräsentativ aber doch von mir erwartet, die Hinweise von Hande von Vino Roma, die in Rom lebend und arbeitend, primäres Stillschweigen in den Gazetten des Landes vermeldet. Gelegentliche Gerüchte auf den Straßen, weiter getragen von Mund zu Mund, aber dass Zeitungen über den kirchlichen Skandal im Beinahe-Nachbarland berichten? Fehlanzeige! Missbrauch in der katholischen Kirche gibt es im Gottesstaat Italien nicht. Nun ist Berichterstattung im Berlusconi-Medienland eh ein Thema für sich, dennoch selbst für die linke Oposition scheint unser Thema in Rom kein Thema zu sein. Was natürlich eine Reaktion aus dem Vatikan, die einem Zugeständnis gleich käme, unwahrscheinlich macht – wir brauchen uns da wohl nicht zu wichtig nehmen! (Edit: bitte unbedingt den 1. Kommentar von Hande beachten!)

Markus von Text & Blog berichtet zumindest in Spanien von journalistischer Berichterstattung in der El País und somit auf dieser Ebene öffentliche Diskussion in den Kommentaren – die Sorge vor noch mehr Missbrauchsfällen ausdrücken.

Wie sieht es in anderen europäischen Ländern aus? Bekommt Ihr mit, wie in zum Beispiel Polen, Ungarn oder moslemisch geprägten Ländern unseres Kontinents über den Fall Missbrauch in der katholischen Kirche berichtet und diskutiert wird?

Und nebenbei MFA hat ein Stopp-Schild für (katholische) Kirchen herausgegeben.



Ich bin nicht für Sachbeschädigung und rufe auch nicht dazu auf. Aber man könnte so einen Flyer ja Sonntags vor der Messe den Menschen in die Hände drücken. Druck von unten kann Berge versetzen!

4 Kommentare:

Hande hat gesagt…

Danke für die Erwähnung meiner Sicht der Dinge (und überhaupt fürs Post, finde ich richtig). Aber ich fürchte, ich habe mich wohl misverständlich ausgedrückt, sei es wegen twitter kurzform oder wegen meine nicht perfekte Schreibfähigkeiten: Es wird über die Deutsche Fälle schon berichtet, sogar ziemlich viel und ausführlich (nur mit einem interessanten/manchmal verzerrenden Blickwinkel, siehe tweet mit Maximilianstr. usw.); was ganz und gar nicht geschrieben wird ist ob/was in Italien was in der Richtung passiert. USA, Irland, jetzt Deutschland, davon wurde und wird schon viel berichtet, nur sagt keiner mal "warte mal, wir haben auch die gleichen Institutionen hier, gab/gibt es das Problem bei uns vielleicht auch?" Irgendwie habe ich das Gefühl, als ob die Italiener denken, das, was da passiert ist der Nation speziell, bei uns passiert sowas nicht. "Wenn da (Deutschland) was falsch läuft, müssen die bei sich korrigieren" scheint mir die Einstellung zu sein; ob die Kirche in Italien was betrifft, (oder generell die Kirche) das ist ein großes Tabuthema....

Liisa hat gesagt…

Ich fürchte inzwischen auch, dass durch die Art der Berichterstattung zum Thema der fast schon übliche "Übersättigungs-" bzw. "Gewöhnungs-Effekt" einsetzt. Die Überlegung, wieso alle nur über die Vergangenheit sprechen aber kaum einer mal fragt, was geht eigentlich heute in Internaten, Heimen, etc. vor sich, hatte ich auch schon. Vermutlich hört man dann in zwanzig, dreißig Jahren darüber was und wieder werden alle nichts gewußt haben wollen. :(

Was das Verteilen von "Flyern" angeht - ich fürchte "Druck von unten" kann höchstens dazu führen, dass widerwillig zugegeben wird, dass es solche "Vorkommnisse" (Originalton!) gegeben hat. Dadurch wird es aber keinen Pädophilen weniger in diesen Institutionen geben.

Interessant fand ich in diesem Zusammenhang ein Interview mit einem katholischen Priester, der wohl Psychologe ist und obendrein mit der Ausbildung des Nachwuchses zu tun hat und der sagte: heutzutage würde man schon bei der Auswahl, wen man überhaupt an die Theologischen Seminare und die weiterführende Ausbildung nimmt, viel genauer hinschauen und entgegen der landläufigen Meinung sei es eben nicht mehr wie noch vor dreißig Jahren, dass die Katholische Kirche jeden nähme, der sich melde. Er nannte eine recht hohe Prozentzahl von Bewerbern, die abgelehnt würden, weil man durch die Vorstellungsgespräche, etc. den Eindruck gewonnen habe, dass sie charakterlich nicht wirklich gefestigt genug seien, dass nicht die Gefahr bestünde, sie könnten evtl. mal in Richtung Mißbrauch von Kindern gehen. Das fand ich dann doch recht bemerkenswerte Aussagen. Behebt zwar meine Skepsis nicht wirklich, ließ mich mich aber fragen, ob sich das unter Umständen tatsächlich vermindernd auf die Zahl von solchen Fällen in der Zukunft auswirken wird.

Was die Berichterstattung in anderen Nachbarländern angeht, kann ich da leider nicht wirklich weiterhelfen. Über die Situation (dass in Deutschland mittlerweile so viele Fälle bekannt werden)wird schon berichtet, das habe ich mitbekommen aber ich glaube in vielen Ländern wird derzeit auch ein bisschen die Luft angehalten und gehofft, dass sich die "Welle" nicht ausbreitet und auch noch zu ihnen hineinschwappt.

Markus hat gesagt…

Eine wichtige Nachfrage von Dir, die es in der Tat wert ist, gestellt zu werden und deren Beantwortung in unser aller Sinn ist. Oder deren Nicht-Beantwortung durch die Kirche nicht mehr länger toleriert werden darf. Ganz gleich welcher Religion man angehört, oder ob man überhaupt einer Religion angehört.

Aktuelles zum Thema Spanien in Ergänzung meiner Ausführungen von oben, die Du dankenswerterweise in Deinem Artikel zitierst: Gerade heute wird in Spanien von einem besonders dreisten Fall des Missbrauchs an Minderjährigen durch einen spanischen Geistlichen (53) berichtet, der mittlerweile in Chile lebt, aber die Taten in Spanien beging. Unter dem Vorwand eine Doktorarbeit über das Wachstum von Gliedmaßen während der Pubertät zu schreiben (die er tatsächlich schrieb), hat ein spanischer Geistlicher mind. 15 Minderjährige im Alter von 12-14 Jahren an drei verschiedenen spanischen religiösen Schulen zur genauen Vermessung der Gliedmaßen zu sich "zitiert" und die Kinder heimlich dabei gefilmt (in den Jahren 1992 y 2005). Das Ganze fiel durch Verfolgung von Kinder-"Pornographie"-Downloads in Chile auf, die zum jetzigen Aufenthalt des geistlichen in Chile führten. Neben anderen Filmen wurden dort auch die selbst gedrehten Filme mit spanischen Kindern entdeckt. Der Kerl hat auch noch summa cum laude für seine Dissertation bekommen.

Auch wenn die automatisierten Übersetzungen immer schlecht sind, kann man mehr oder weniger verstehen, was da vorging, auch wenn man kein Spanisch kann, indem man den Artikel in der automatischen Google-Übersetzung liest. Wer Spanisch versteht, findet den Original-Artikel hier: Un religioso encarcelado en Chile filmó cómo abusaba de 15 menores en España.

fotoralf hat gesagt…

In Belgien wird die ganze Angelegenheit eher beiläufig zur Kenntnis genommen.

Gestern ging ein Artikel über einen Schriftsteller und ehemaligen Senator durch die Presse, der berichtete, wie er im Alter von 12 Jahren von einem katholischen Priester "aufgeklärt" wurde. Er ist weggelaufen und hat die Sache seinem Vater erzählt, der einen anderen Priester verständigt hat, woraufhin die ganze Angelegenheit in bewährter Weise vertuscht wurde.

Die belgische Kirche, die gerade letztens unter die Leitung des erzkonservativen Monsignore Léonard, eines engen Vertrauten von Herrn Ratzinger, gekommen ist, dürfte diesbezüglich auch noch einiges an Leichen im Keller haben.

Gerade heute morgen hat in einem Interview im belg. Rundfunk noch ein Vertreter der belgischen Katholen darauf hingewiesen, daß die Kirche für eventuelle Mißbrauchsopfer eigens eine Hotline nebst Kommission eingerichtet habe (...damit die Leute nicht am Ende noch bei der Staatsanwaltschaft anrufen).

Im Westen also nix neues.

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