2007-05-30

Klatschen ist auch eine Art von Kultur


Ein Künstler der Bühne lebt von dem Applaus, den ihm sein Publikum während und nach der Show gibt. Das Geld ist es nicht, die wenigsten Künstler heute und sei es auch ein noch so herausragendes Talent, können nur alleine von ihrer Kunst leben. Die meisten Künstler stehen den einen Abend auf ihrer Bühne, die nächste Nacht zum Miete verdienen hinter dem Tresen in irgendeiner Spelunke. Aber sie leben von und für den Applaus, es ist dieses kleine ganz einfach zu signalisierende Zeichen mit denen das Publikum dem Künstler zu ruft «Ich mag, was Du da tust. Ich respektiere das. Du bringst mir Freude.»

Meine letzten Erlebnisse in der Kulturszene lassen mich als Zuschauerin langsam aber sicher an dem Berliner Publikum zweifeln. Konsumiert wird. Amüsiert wird. Zurückgegeben wird nicht. Offensichtlich hat es seiner Schuldigkeit mit dem Kauf einer Karte bereits genüge getan. Alleine vom dem Kartenerlös empfängt der Künstler oft nur einen Obolus. Doch soweit denkt der Gast nicht.

Gestern erlebte ich eine musikalische Revue bei Pomp Duck and Cirumstance. Es ist eines der kleineren Programme der großen Company, die allerletzte Show nach zweieinhalb Jahren. Das Restaurant-Theater verlässt Mitte Juni die Stadt, um in Stuttgart die Zelte aufzuschlagen. Diese letzte ist also eine sehr besondere Show. Die Künstler – die Band oder die drei brillianten Protagonisten – offerieren ihrem Publikum ihr sehr solides Handwerk, ihr ausgezeichnetes Talent, hervorragende Stimmen und das Wichtigste: immer noch unglaublich viel Spaß in ihrem Spiel.

Es ist eine Show ohne biederem Ernst in der Geschichte mit bekannten italienischen Schlagern, das Publikum vom Alter her sollte auch die älteren Songs kennen können. Es ist kein klassisches Programm, bei dem man die Luft anhalten muss. Es ist ein lautes stimmungsvolles Programm, bei dem man mitmachen kann und tatsächlich soll – Shows dieser Art sind so konzipiert, dass sie vom Publikum mitgetragen werden. Diese Shows funktionieren nur so. Und das weiß man, wenn man zu den Events von Pomp Duck and Circumstance geht.

Dieses Publikum tut es nicht. Es quatscht lieber, während gesungen wird. Es klatscht zögerlich bei den „Gassenhauern“ mit. Frühestens nach ausdrücklicher Aufforderung der Sänger bemüht es sich mal, lässt aber jedes Engagement nach nur wenigen Takten sofort wieder im Keim ersticken. Das Publikum an diesem Abend konsumiert lieber, die Musik, die Kunst, später die Pasta und einige von ihnen wären tatsächlich in einem biederen Restaurant deutlich besser aufgehoben gewesen. Traurig. Das hätte mit einem solventen begeisterten Publikum ein deutlich schönerer Abend – für alle – für die Künstler in der Hauptsache aber für das Publikum ein unvergesslicher werden können. Dieses hier derweil spielte nicht mit, es gefiel sich zu sehr in der Rolle als biederer lahmarschiger Konsument.

Ein besonderes stilloses Highlight des letzten Abends dieser einen Show in der Stadt: Dem Ensemble werden Blumen zum Abschied vom Berliner Bühnenboden überreicht. Liebevoll geht anders: niemand von den Verantwortlichen von Pomp Duck and Circumstance spricht ein paar Worte zum Dank an alle Beteiligten. Der im Publikum anwesende Regisseur und auch musikalischer Leiter werden nicht auf die Bühne geholt. Die Künstler müssen Abschiedsworte an sich selber und an die Stadt nach getaner Arbeit und sichtlich berührt, noch selber formulieren. So lässt man seine Künstler nicht gehen! Nun, Stil hat man oder man hat ihn nicht.

Gelegentlich unterstütze ich einen Künstler in seiner Bühnenshow mit Kindern. Die Kinder kommen aus dem Publikum auf die Bühne und arbeiten aktiv im Programm mit. Sie erzählen, tanzen, singen. Manche der kleinen Minimenschen – oft mit faszinierend viel Talent – tun es mit einem Selbstverständnis, als hätten sie schon immer auf der Bühne gestanden, andere haben vorher sichtlich Angst und sind schüchtern, sie trauen es sich dennoch und verdienen allen Respekt. Dann gucke ich durch das verhältnismäßig große Etablissement und sehe die Eltern, Freunde und restliche Familie der kleinen Bühneneleven dort sitzen und die allerwenigsten von ihnen kriegen die Hände zusammen geschlagen, um ihre eigene Brut zu motivieren. Das zu sehen – ein echtes Trauerspiel. Ich bin dort mittlerweile zur Klatsch-Animateuse mutiert.

Eines meiner finsteren Erlebnisse im letzten Jahr, ein Placebo-Konzert – for free. Gehe ich in ein Rockkonzert, möchte ich tanzen, mich der Musik hingeben, Spaß haben, aus dem Konzert kommen, strahlen, schwitzen, nie mehr runter kommen von dem Level. Ich vereinsame mit meinem Anspruch. Im vorderen Bereich der Bühnen reichen an ihrem Ende in Massen silber blitzenden Krakenarme ihre Handy- und Fotokameras hoch. Es wird gefilmt bis die Speicherkarte qualmt, um den besonderen Moment für immer festzuhalten, den man zwar physikalisch anwesend erlebt. Dennoch sind sie nicht dabei. Man gibt den einzigartigen Moment lieber ab an die Technik. So ein Filmchen soll möglichst ruckelfrei aufgezeichnet sein. Da muss man die Leute, die um sich herum mit der Musik mitgehen möchten, dauernd sehr genervt und erzieherisch strafend angucken. Zwischen den Stücken applaudieren? Geht nicht, die Technik muss doch gecheckt werden, die Aufnahme will kurz angespielt sein. Da stirbt gerade ganz gewaltig etwas von dem besonderen Zauber der Konzertkultur.

Dabei weiß jeder, dass ein Gehaltscheck am Ende des Monats zur Motivation alleine nicht aussreicht, ein Lob hier und da, lässt jeden geflügelt durch seinen Arbeitsalltag schweben. Warum werden wir dann Künstlern gegenüber immer geiziger mit unserem Lob? Wie gesagt: ein Artist lebt von und für den Applaus.

1 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Traurig, das. Ich kenn das aus unserem Theater in der Provinz auch - ruhig mal in den Vortrag/Song/Dialog reinquatschen. Ich hab ja bezahlt, ich darf mich benehmen, wie es mir passt. Und besonders gern bei qualitativ etwas höherrangigen Darbietungen. Boulevard wird natürlich bejubelt wie blöde. Nichts gegen Boulevard an sich natürlich - da hab ich auch schon sehr schöne Stücke rezensieren dürfen. Aber bloß nicht ne moderne Shakespeare-Inszenierung beklatschen.

Und was die Kinder angeht: Das kenn ich zum Beispiel von Sportveranstaltungen: Die Kinder werden abgegeben, die Eltern fahren heim und machen sich nen schönen Nachmittag ohne die Brut. Und fragen nachher tatsächlich, wenn das Kind sagt, es sei Erster/Zweiter/Dritter/egal geworden: "Und wie viele waren da?"
Oder sie stehen während des Wettkampfes ihres Kinds an der Würstchenbude, fressen, saufen und rauchen. Anstatt mal ihr Kind anzufeuern oder auch nur zu zeigen, dass sie das sind.

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