Beck‘scher Nachtrag – oder was er uns eigentlich sagen wollte …
Noch einmal zu Kurt Beck und dieser Posse, die sich mittlerweile schon medial mit dem benutzten After Shave des SPD-Politikers, seinen Wasch,- Rasier- und sonstigen Pflegegewohnheiten auseinander setzt. Und Herr Beck sich nicht zu blöd ist, solche Presseanfragen wahrheitsgemäß zu beantworten.
Nur frage ich mich: „Hat der Mann nicht einen Auftrag seiner Wähler und dem zur Folge Wichtigeres zu tun?“ Und: „Wenn nun in Folge dieses Seifen-Eklats, sich die Unternehmer in der Mainzer Staatskanzlei bei Herrn Beck die Klinke in die Hand geben, um den Herrn Henrico Frank eine Job-Offerte zu unterbreiten und diese Vermittlung NICHT über die Agentur für Arbeit verläuft – was läuft falsch bei der Agentur und wann muss mal ein Verantwortlicher dafür die Konsequenzen ziehen?“
Ich lese in den Artikeln und Stellungnahmen anderer Menschen, die sich als Personalentscheider outen: „Gepflegtes Äußeres erhöht natürlich die Einstellungschancen. Wer ordentlich gekleidet zum Einstellungsgespräch erscheint ist auf jedem Fall im Vorteil.“, so wird Klaas Hübner, SPD-Bundestagsabgeordneter und mittelständischer Unternehmer auf bild.de zitiert.
Rainer Brüderle, der Vizevorsitzende der FDP relativiert in der Berliner Zeitung: “Die gepflegte Erscheinung bei der Jobsuche, ist hilfreich, dennoch noch keine Jobgarantie.“ Und: „Man kann den Menschen nicht nur nach dem Äußeren beurteilen – entscheidend sei der Gesamteindruck.“
Und Herr Heinrich Alt, Vize der Bundesagentur für Arbeit, betont auf spiegel.de: „Machen wir uns doch nichts vor: Für den ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance." Zu diesem Eindruck gehöre auch ein angemessenes Äußeres. Das sei etwas, was man in jedem Bewerbungstraining lerne.“
(Ich hätte das seinerzeit bei dem von der Agentur organisierten und von der 1-Euro Jobberin eher lustlos durchgeführte Pseudo-Bewerbungstraining nicht gelernt. Gut, ich wusste das auch so, aber wussten die sechs anderen teilnehmenden ehemaligen Sozialempfänger das auch hinterher?)
Generell gehe ich mit den Aussagen dieser Herren völlig konform. Ich bin für jeden meiner Mitmenschen ein angenehmeres Gegenüber, wenn ich nicht miefend aber gepflegt auftrete, dazu muss ich mich auch nicht erst bewerben müssen. Das nenne ich angewandte Höflichkeit im Miteinander und ein schönes Gefühl mir selbst gegenüber. Im Bewerbungsalltag sowieso, das gehört zum Spiel dazu.
Was mir aber an dieser Diskussion wieder sehr bitter aufstößt, ist diese mediale Reduzierung aller Arbeitslosen auf einen einzelnen, der mit sich und mit seiner äußeren Erscheinung – und sei es nur aus seiner inneren Kündigung seines Arbeitslosenlebens gegenüber – etwas nachlässiger oder auch einfach generell nur lässig umgeht.
Zunehmend erweist sich dank der aktuellen Diskussion meine Befürchtung hinsichtlich der eigentlichen Aufgabe der IV. Stufe der Hartz-Konzeption als treffend: Das Bild des gemeinen sozialschmarotzenden Arbeitslosen bei der Mehrheit zu installieren und jegliche Lobby (falls es die überhaupt gibt in diesem Land) pro Arbeitslose eines Besseren zu belehren. Man hat hier Menschen, die langjährig schon als Sozialhilfeempfänger ihr Leben gefristet haben, in die große Gemeinschaft der Arbeitslosen aufgenommen und ihnen mehr schlechte als sinnvolle Bewerbungstrainings zukommen lassen und sie dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt.
Und diese Menschen sind von Stunde an „die visualisierten typischen Arbeitslosen Deutschlands“, die dem glücklichen Arbeitnehmer in Arbeit von nun an präsentiert werden: Es sind diese Menschen, die gerne in den TV-Dokumentationen (für ein paar schwarze Euro auf die Kralle) vorzugsweiser privater Sender ihre persönliche Arbeitsunlust breit grinsend in die deutschen Wohnstuben transportieren. Des Betrugs überführte Sozialschmarotzer, die sich bei den Streifengängen der Prüfer der Agentur vor laufender Kamera überführen lassen, sie i n ihre Wohnung lassen. Und niemand fragt sich, wie das sein kann, dass jemand so klug ist den Staat zu bescheissen und dann so doof, sein Vergehen bei laufender Kamera einzugestehen, wenn ihm daneben noch eine Anzeige wegen Betruges droht?
So wird dank der Medienwelt im Gehirn des dummen Kabel-TV-Konsumenten die Meinung „von der arbeitslosen ungepflegten faulen Sau“ schön fest im Gehirn manifestiert. Und die Aussage des Herrn Beck beweist mir nicht anderes, als das auch der deutsche Politiker ein etwas weltfremdes Bild vom „gemeinen deutschen Arbeitslosen“ im Kopf trägt. Und ich mich ernsthaft fragen muss, ob der Mann mittlerweile gar nicht mehr weiß wie das Volk aussieht, dem er da zu dienen hat?! Wie kann es sein, dass ein Politiker eine so offensichtliche klare negative Meinung zu einem Menschen ohne Arbeit haben kann ohne auch nur ein Wort mit diesem vorher gewechselt zu haben?
Wie sieht denn die Realität eines „Langzeitsarbeitslosen“ aus im Vorstellungsgespräch, wenn er dann frisch geduscht, frisiert (und bei den Herren auch rasiert) ist: Mein Wintermantel z. B. ist über vier Jahre alt, wurde getragen in der Zeit. Auch meine Winterstiefel sind mittlerweile so alt. Seit Oktober spendiere ich ihnen neue Absätze im Geiste und verkneife mir das in der Realität, weil sie sich nach vier Jahren aufzulösen beginnen. Zu gut deutsch: das sind keine Stiefel, die ich guten Gewissens während eines Vorstellungsgespräches in dem ich zu 100% gut an- und rüberkommen will, tragen kann. Ja, das mag komisch klingen: aber die Dinge werden nicht besser mit den Jahren. Auch die restliche Kleidung – von mir immer für als „für gut“ aufbewahrt – ist nach vier Jahren mitnichten Up-to-date. Und wenn man sich für bestimmte Positionen in bestimmten Hierarchien bewirbt, dann braucht man mit Kleidung, die nicht up-to-date ist, im Grunde kaum antanzen.
Und dann geht dieses sich bewerbende Menschenskind, möglicherweise seit einigen Jahren ohne Job mit großen Zweifeln daran, was es eigentlich mal konnte, noch kann und ob es überhaupt dem heutigen Markt noch gerecht werden kann, mit Klamotten, die jedem halbverständigen Personaler auf den ersten Blick klar machen, der „aktive“ Lebenslauf die letzten vier Jahre wird wohl getürkt sein, und kann nicht mal aus der Klamotte ein klein wenig mehr Selbstbewusstsein für sich in diesem wichtigen Gespräch ziehen.
Neu kaufen? Wovon? Von den € 130 die im Schnitt vom Arbeitslosengeld II (es gibt übrigens nicht eine einzige soziale Leistung in Deutschland, die Hartz IV heißt, es gibt auch nicht einen einzigen Hartz IV-Empfänger in diesem Land!) im Monat übrig bleiben – und zwar bevor man den Kühlschrank gefüllt hat?
Und nein, um noch mal mit dem viel gehörten Irrtum aufzuräumen: Es gibt in der Arbeitslosengeld-II-Leistung keine einmalige Leistungen namens Kleidungsgeld etc.
Vermutlich können sich Nichtbetroffenen gar nicht vorstellen, wie schwierig es immer mehr wird aus diesem Kreis der Langzeitarbeitslosigkeit auszubrechen – auf so vielen Ebenen, die jemand, der die Situation nicht kennt, gar nicht zu erfassen vermag. Wer würde sich mit einem fünf Jahre alten Bewerbungsklamottenstatus z.B. bei Media Design, einer der bekanntesten Design-Schmieden Deutschlands bewerben? Seien wir realistisch, gewisse Dinge können, sollten auch immer probiert werden. Es tut aber auch niemandem weh, wenn man sie im Ansatz knickt, weil man weiß, wie die Welt draußen tickt und man sich selbst damit eine weitere sichere Enttäuschung erspart. Das sind doch alles nur Äußerlichkeiten und geben keinen Hinweis auf die Qualifiktation der Bewerber? Stimmt, aber dann mal abends den Stammtisch der Personaler belauschen, da kommt Freude auf. Nur ordentlich und sauber zum Bewerbungsgespräch reicht in vielen Fällen eben nicht. Diese Welt tickt nicht immer fair.
Und wer in diesem Kreislauf steckt und zunehmend mehr darunter leidet, ärgert sich wahnsinnig über die Oberflächlichkeit des Herrn Kurt Beck, die nämlich nur auf den ersten Blick lächerlich lustig wirkt.
„Herr Beck, mir hat Ihre Anmerkung mehr Abgrund in Ihrem sozialen Gedankengut gezeigt, als Ihnen wohl jemals selbst bewusst sein dürfte.“
Und allen anderen wünsche ich, dass sie sich nicht von dem von den Medien installierten Bild des ungepflegten Sozialschmarotzers als typischen deutschen Arbeitslosen allzu kritiklos einnehmen lassen. Die Mehrheit der deutschen Arbeitslosen sind gepflegte, gebildete und absolut arbeitswillige Menschen. Sehr viele von denen setzen auch alles daran, ihre Kinder als gepflegte, saubere und gebildete Menschen heran zu ziehen – keine Ahnung, wie sie das schaffen unter den gegebenen Umständen.
P.S. Ich werde mich jetzt auch mal bei Angie beschwerden und ihr ein von mir frisch gewaschenes Foto schicken. Es ist gegen das Grundgesetz und unpassend im Jahr eins einer deutschen KanzlerIn, dass dieser männliche Politiker nur einem männlichen Arbeitslosen Hilfe versprach. Ich hoffe, die feministischen Vereinigungen Deutschlands sind bereits für mich mit auf die Barrikaden gestiegen! (Mir ist das zwar schnurzpiepe, wollte aber angemerkt haben, dass ich die geschlechtliche Ungerechtigkeit bemerkt habe.)
4 comments:
Für mich ist das Schlimmste an dieser Sache, dass sich so viele Menschen gedemütigt und wehrlos fühlen. Jeder der lange arbeitslos war, kennt die Auswirkungen, die die Arbeitslosigkeit nach und nach auf das Aussehen hat und welche Kraft und Energie es kostet, dafür zu sorgen, dass es nicht all zu sehr auffällt. Ein bißchen schlechtes Gewissen bleibt daher oft - und wieder mal fühlt man sich schuldig.
Stimmt, am meisten ärgert mich wie diese Sache nun komplett wieder zu einer im Kern „gegen Arbeitslose“-Seifenoper mutiert. Der Typ ist faul, will nicht oder hat gesundheitliche Probleme, er bekommt den Mund nicht auf und hat nun eine Pressesprecherin – alles was er tut (und niemand weiß wirklich was er tut) ist contra Arbeit. Aber DAS stand medial ja bereits sehr früh fest.
Und die, die hingucken müssen und in der gleichen Situation sind, fühlen sich wieder ein Stück kleiner …
sehr gut auf den punkt gebracht!
wegen der klamottenmisere: komm wir warten einfach 10 jahre - die sind dann wieder hip!
:-))))
@regardez-moi
Das versuche ich gerade in der Schuhmode zumindest. Darfst natürlich nicht ein Gramm zunehmen in der Dekade. ;-)
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Fröhlich sein, freundlich bleiben und bitte immer gesund wieder kommen!
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