2006-07-31

Glauben

Meine Mum war Buddhistin. Wie wir heute festgestellt haben in Deutschland mit eine der ersten Deutschen überhaupt, die aktiv dabei waren. Ca. zwei Jahre nach der Scheidung meiner Eltern, brachte ihr neuer Freund, ein amerikanischer Jazzmusiker, sie zum Buddhismus der Nichiren Shôshû (nach ihrem Lehrmeister Nichiren Daishônin). In diesem Umfeld bin ich groß geworden. Als gläubig würde ich mich nicht bezeichnen, in erster Linie glaube ich an mich. Da schließt sich aber wieder der Kreis zum Buddhismus, denn hier hofft keiner auf irgendein (Gottes-) Wunder, sondern hier ist jeder selbst für sich in seiner Entwicklung verantwortlich. Die buddhistische Philosophie habe ich nun von klein auf mitbekommen, und auch wenn ich nur sehr wenig praktiziere, so glaube ich unbedingt an das Gesetz von Ursache und Wirkung. Und ich finde auch andere Gesetze und Überlegungen in der Philosophie des Buddhismus selbst in der heutigen Zeit realistisch, anwendbar und modern.

Der Tod im Buddhismus ist kein solcher im Sinne der christlichen Überzeugung. Im Gegenteil, der Tod ist hier sehr positiv besetzt. Denn bildlich gesprochen bedeutet er im Buch des Lebens nichts anderes als das Ende eines Kapitels in einem Buch und mit der Seite, die sich zu dem letzten Kapitel schließt, öffnet sich automatisch mit der sich öffnenden Seite bereits ein neues Kapitel. Da man mit jedem Leben als Buddhist dem Ziel der eigenen Buddhaschaft näher kommt, weil man die nächste Karmastufe erklimmt, steht der Tod im Buddhismus sogar für die Freude darüber. Deswegen trauern wir nicht, wir nehmen allenfalls Abschied.

Im Zusammenhang mit dem Tod meiner Mama kann ich damit gut leben. Ich weiß, ich muss physikalisch in Zukunft auf sie verzichten und auch viele Dinge sind nicht so gelaufen, wie sie es hätten sollen. Ich weiß aber eben auch, sie ist schon längst wieder unter uns und wird ihren Weg weiter gehen und ein schöneres Leben leben können, als das Vergangene es vielleicht für sie war.

Heute haben wir uns in der Wohnung meiner Mum getroffen und für sie gechantet. (Chanten heißt, man wiederholt immer wieder 'Nam myôhô renge kyô', dem Daimoku.) So konnten wir alle von ihr in ihrer Wohnung Abschied nehmen und ihr auf ihrem Weg unsere Wünsche mitgeben. Im Buddhismus wird für den Verstorbenen mindestens 42 Tage lang intensiv gebetet (ursprünglich eine japanische Tradition), das ist in etwa der Zeitrum, den der Verstorbene hinüber in sein neues Leben benötigt. Man schickt ihm Frieden, Kraft und gute Wünsche, begleitet ihn noch auf auf diesem Stück seines Weges: viel Zeit zum Ausruhen hat meine Mum also nicht. Das zu tun ist für Buddhisten wichtig, sie machen das gerne.

Ich weiß, dass ihr buddhistischen Freunde (und so wenig sind das nicht) in Deutschland, Italien und Spanien seit dem sie von ihrem Tod erfahren haben, genau das sehr viel tun und ihr den Weg ebenen. Meine Mum ist somit sehr gut aufgehoben.

So war es heute das erste Mal in dieser Woche, dass ich mir die Zeit nehmen und konstruktiv etwas für meine Mum tun, ihr viel sagen und wünschen konnte. Das vor IHREM Gohonzon zu tun (der sinnbildlich für das Spiegelbild desjenigen steht, der ihn besitzt) war am Anfang und zwischendurch sehr schwer und zwischendurch und am Ende auch sehr schön. Bis jetzt war die ganze Woche nur ein destruktives Agieren und Befolgen irgendwelcher behördlicher Vorgänge und Regularien, dem Saugen von Informationen über Dinge, die ich nie wissen wollte. Aber das heute hat mir wieder Kraft gegeben und auch ein bisschen Frieden gebracht.

Wir haben danach noch über sie gesprochen. Ich kann nicht verstehen, warum Hinterbliebene in der christlichen Welt immer so still und klein gehalten werden in den Trauerzeremonien. Über meine Mum zu sprechen, die ich gerade am meisten vermisse, einfach laut sagen zu können, warum ich sie vermisse, was ich ihr wünsche, gibt soviel mehr Kraft als dieses stille Trauern. Klar habe ich dabei vor allen geheult. Es gehört dazu.

Abschließend haben wir dann ihren Gohonzon eingerollt, der nun meiner ist. Das heißt, ich habe jetzt eine sehr große Verantwortung übernommen. Und das wiederum heißt, es geht weiter.

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Vielen Dank für die zahlreichen Infos zum Buddhismus; habe schon so einiges gehört (Urlaub in Asien; Sie erinnern sich?! :)), aber vieles von dem hier ist mir neu.

Sollte ich mich mal dazu entschließend, mir viel Zeit für Religion(en) zu nehmen, würde ich tatsächlich bevorzugt den Buddhismus wählen - nicht, weil es gehyped wird (wobei das ja auch schon wieder vorbei ist) oder ich wieder einmal "anders" sein möchte, vielmehr weil viele Gesetze und Überlegungen einfach wirklich Sinn machen.

Nur dieses hier:
"Chanten heißt man wiederholt immer wieder 'Nam myôhô renge kyô', dem Daimoku."
Habe ich immer noch nicht verstanden...

creezy hat gesagt…

Nee, Urlaub in Asien muß vor meiner Zeit gewesen sein, ich bin ja noch nicht ganz durch das gehobene Zauberwerk des MC Winkel durch. ;-)

Och sich mit Buddhismus auseinander zu setzen ist so oder so nicht verkehrt. Zum einen – auf rein intellektueller Ebene – kann man ruhig wissen, woran zig Millionen Menschen auf diesem Planeten so glauben. Zum anderen ist es wirklich kein bisschen uninteressant.

Zum bemängelten Satz, Recht haste, da sind ja auch einige merkwürdige Vokabeln versteckt:

Buddhismus praktizierst Du aktiv in dem Du Dich mit den Lehren des Nichiren Daishonin auseinander setzt. Dazu liest man und studiert diese, trifft sich regelmässig mit seiner Gruppe und spricht darüber – und versucht sie im Endeffekt für sein Leben auch durchzusetzen.

Der zweite aktive Teil ist das Daimoko und Gongyo machen. Gongyo spricht man 2 x täglich, das sind Kapitel aus dem Lotus Sutra die (auf japanisch) rezitiert werden. Davor und danach rezitiert ('chantet') man als Buddhist 'Nam myôhô renge kyô' so oft, so viel man will, Zeit und Muße hat. (Das ist dieser Singsang, den man aus Dokumentationen kennt.) Man wiederholt das einfach sehr häufig hintereinander weg. Und das nennt man dann 'Daimoku' machen.

Nam myôhô renge kyô selber bezeichnet das ultimative Gesetz des Lebens, das das ganze Universum durchdringend das Leben aller Menschen verbindet (Genaue Übersetzung hier!

So, und praktisch übt man Buddhismus aus in dem sich vor einen Budsudan (das Haus Buddhas, Schrein) setzt in diesem in eine Schriftrolle aufgehangen, das ist der Gohonzon (übers.: Objekt der Verehrung). Diesen Gohonzon bekommt man früher oder später überreicht, wenn man sich zum Buddhismus bekennt, diesen praktiziert und studiert. Zu sehen ist eine Art Pergament, auf eine Rolle aufgebracht, mit Schriftzeichen, seinerzeit von Nichiren Daishonin aufgeschrieben. Dieser Gohonzon steht sinnbildlich für den Buddha in dem Praktizierenden selber, dem er 'gehört'. Man braucht ihn eigentlich nicht, um zu praktizieren, aber vielen hilft diese Form der Materialisierung ihrer Buddhaschaft. Es gibt es noch einige Accessoires (Kerzen, spezielle Räucherstäbchen, Obst, Wasser), die zum Budsudan gehören. Das alles wird sehr verehrt und gepflegt. Ein Gohonzon wird z.B. nicht fotografiert.

Tut alles garantiert nicht weh. Man nimmt sich einfach morgens und abend eine halbe Stunde Zeit und besinnt sich mal auf sich. Das ist ziemlich meditativ (finde ich).

Ganz nette Seite mit einer guten Einführung zum Thema hier

Anonym hat gesagt…

"Man nimmt sich einfach morgens und abend eine halbe Stunde Zeit"

Klingt gut, nur: WOHER??? :)
Aber vielen Dank nochmal!

creezy hat gesagt…

Woher die Zeit nehmen? Ich denke, der Mensch kann sich für alle Dinge, die ihm wichtig sind, sich alle Zeit der Welt nehmen. Die Leute stellen sich einfach den Wecker eine halbe Stunde früher. Außerdem kann man ja auch im Bus, auf dem Rad, in der U-Bahn chanten …

Aber vermutlich haben nicht soviele Buddhisten Wasserbetten … ;-)

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