2008-10-10

creezy und die Polen

Seit gestern, mit einer kurzweiligen nächtlichen Unterbrechung, sitze ich in der Wohnung einer Freundin wie der Wachhund auf Schießpatrouille. Während sie ihrem Tagesgeschäft in der dem schönen Polenlande nahe gelegenen Cité Frankfurt/Oder nachgeht, an das ich anlässlich meines knapp vierstündigen Aufenthaltes in einer von außen baufälligen von innen wunderschön restaurierten Villa anlässlich einer Älterwerdungsrituales nicht unweit des Hauptbahnhofs nur gute Erinnerungen hege. Davon abgesehen, dass der Zug zurück enorme Verspätung hatte, ein Akt ordinärer Gewöhnlichkeit der Deutschen Bahn, was er uns aber ruhig vorher hätte telegrafieren können. Mit vorher meine ich, bevor wir uns im Stechschritt nach einem fürstlichen Gelage insofern also mit vollem Bauch, in knappe 7,5 Minuten vom Ort der Feierlichkeit in Richtung Bahnhof fliegend bewegten, um dann zu sehen, dass wir uns auch ruhig viel Zeit hätten lassen können. Dafür kann aber Frankfurt/Oder und sein Bahnhof natürlich nichts.

Der Bahnhof selbst in Frankfurt/Oder bei Nacht bietet ausreichendes Filmkulissenpotential, wenn dann die Züge in Richtung Ostblock in der Dunkelheit dort zwischen halten, ihren Dampf zischend ablassen und die polnischen Kontrolleure an den Gleisen die Wagons abgehen und die Achsen als auch Räder auf Klangunreinheiten abschlagen. Das könnte die Deutsche Bahn ruhig öfter bei ihren neuen ICEs auch so tun, nicht immer nur so neumodisch elektronisch abtasten, wenn wieder die Generalüberholung in der Hütte ansteht. Dann brechen die Achsen doch und keiner will's gewesen sein. Aber mit so einem altmodischen Achsenklopfer, da hätte man sofort einen Schuldigen, den man teeren und federn, mindestens aber großspurig suspendieren könnte. Den Anlass dazu nur würde es aber nie geben, weil nichts Schreckliches mit den Achsen unter hoher Last passieren würde, denn der Achsenklopfer würde seine Arbeit lieben und sehr gewisssenhaft ausführen. Die hohe Kunst den Lärm von Bahnhöfen auszublenden und auf das Geräusch der abgeklopften Achse zu lauschen, das kann nicht jeder. Merkwürdige Messinstrumente können das allemal nicht.

Ich bin also absolut für den Erhalt des Achsenklopfkontrolleurs.

Und jetzt zurück zu den Polen, die zwar geographisch gesehen näher an Frankfurt/Oder leben, momentan aber fast alle hier in Berlin sind. Und das Zusammentreffen mit ihnen gestaltet sich gelegentlich schwierig. Nicht das die Polen schwierig wären, oh nein. Im Gegenteil, sie sind nette Menschen, so wie wir Deutschen manchmal auch. Die Polen mit denen ich es gerade zu tun habe, arbeiten ungemein fleißig. Tun das, was sie hier tun mit viel Begeisterung und sie scheinen von meinem naiven Standpunkt aus ihr Handwerk allemal zu verstehen. Dieses Handwerk besteht aktuell darin, die Fenster samt ihrer Verschalung aus altem Gemäuer zu stemmen und sie durch neue Fenster mit weniger Holz, dafür mit mehr Plastik zu ersetzen. Und da sie das mit ausreichend Lärm sowie einer gehörigen Portion Dreck machen, gehe ich davon aus, dass sie wissen was sie tun. Es hört sich gut an. Und der Staub, der durch die Wohnung wabert sieht so aus, als wäre er von professioneller Hand verursacht und kompetent auf den Weg in alle Ritzen gebracht. Ich bin soweit also sehr zufrieden mit diesen Polen hier.

Es ist nur in einem Punkt schwierig: sie sprechen kein Deutsch. Sie sprechen kein Deutsch heißt, sie sagen zum Beispiel kein Wort, wenn man ihnen zum ersten Mal die Tür öffnet. Kein Wort sagen heißt, sie sagen nicht «Guten Tag». Sie gucken einem nur offen freundlich in die Augen, deuten mit lässiger Geste auf ihr Werkzeug, danach in Richtung irgendeines imaginären Fensters in der Wohnung, treten durch die Tür und gehen davon aus, dass man weiß, was sie von einem und der Behausung wollen: Fenster stemmen, Dreck machen und Fenster einsetzen, verputzen, was unbedeutend gleichbedeutend mit wieder Dreck machen ist.

Nun ist es zunächst gar nicht tragisch, wenn man dabei kein Deutsch sprechen kann. Weltweit werden hier und da immer mal wieder Fenster ausgetauscht, ohne dass die ausführenden Menschen in irgendeiner Weise auf Deutsch kommunizieren würden. Es wäre wohl auch unsinnig, weil mit vielen dieser Fenster vermutlich niemals in ihrem Fensterleben jemals deutsch gesprochen wurde. Ich wage zu behaupten, dem gemeinen Fenster ist völlig egal, welche Sprache der Mensch spricht, der es da aus seiner 60- bis 100-jährigen Verschalung pult. Es lauscht dem Klang der Fräse, es spürt den treffenden Schlag des Hammers und dann ist schon Schluss mit lustig und dem Unterhaltungsprogramm. Das Fenster findet sich im Müllcontainer wieder und diese Sprache ist wohl mehr als deutlich, darüber hinaus international verständlich. Dazu bedarf es nun wahrlich keinen Volkshochschulkurs in Deutsch oder üblicher Fenstersprache.

Es sind nur gelegentliche kleine Feinheiten, die mir ein wenig an der fehlenden Wortgewandheit der netten polnischen Fenstermonteure aufstoßen. Es ist nicht, dass sie mich nicht verstehen, wenn ich sie frage, ob ich meinen frisch aufgebrühten Kaffee mit ihnen teilen darf. Da bin ich mit ausreichend Einfallsreichtum ausgestattet. Ich stelle mich mit der Kaffeekanne in den Raum und spreche den Mann an, der sich gerade ungesichert im vierten Stock aus dem Fenster lehnt, um das Fenster auch von außen ein bisschen mit Silikonschaum zu verwöhnen. Der dreht sich sehr lässig um, ich zeige auf die Kanne, er nickt ohne eine Miene zu verziehen. Auf meine fröhliche intime Frage, weil irgendwann mal so gelernt, «ob mit Milch und Zucker?», reagiert er schon nicht mehr, da wieder seinem Silikon zugewandt (nun endlich habe ich begriffen, warum sich so manches Weib gerne Silikon verlegen lässt. Muss was mit einem Aufmerksamkeitsdefizit beim Mann zu tun haben, wenn kein Silikon im Spiel ist.) Von meiner eigenen fehlenden Silikoneinlage abgesehen, harmonieren wir in Punkto Kaffee aber in tonaler Stille perfekt miteinander. Ich stelle den Kaffee in die Küche, sortiere Milch, Löffel und Zucker dazu und er versteht wie von Zauberhand: wenn der Kaffee nicht umgerührt zu ihm kommt, muss er zum Kaffee in die Küche kommen. Da steht alles, er bedient sich und wir freuen uns beide über das Tässchen Kaff und wie unkompliziert mehrsprachig es zu uns gefunden hat.

Schwierig wird es nur, wenn ich den Herren erklären muss, der Boden im Flur muss besonders geschützt werden und dort dürfen keine Fenster abgestellt werden, weil der Korkboden so sensibel ist, wie wir Frauen nach dem monatlich wiederkehrenden Abschwung des Gelbkörperhormonpegels. Das mach dann mal in Berlin-Kreuzberg, wo der Mietvertrag noch auf Deutsch verfasst wird, wenn Du so gar kein Polnisch sprichst! Oder dass sie bitte die Tür in dem Zimmer hinter sich schließen sollen während sie stemmen, damit die Kleidung, die im Flur in offenen Regalen untergebracht ist, noch einen Hauch von Chance hat nicht im Baustaub vollends Baden zu gehen. Geht, weil man das zeigen kann. Der Pole ist, was saubere Wäsche angeht, offensichtlich verständig.

Einen kurzen Moment der stillen Verzweiflung hatte ich indes gestern, als ein neuer, mir bis dahin unbekannter Pole, von außen vom Gerüst ans (das Haus bekommt nicht nur neue Fenster sondern auch Dämmung und neue Fassade) Fenster klopfte und mir per Handzeichen zu verstehen gab, die Unmengen von Terracotta-Töpfen auf dem Balkon müssen morgen (also heute) runter vom Balkon, weil dieser nun fällig sei die Dämmung zu empfangen. Wie erklärt man des Polnischen nicht mächtig, dass in dem Zimmer am gleichen Tag eigentlich das Fenster und die Balkontür ausgebaut werden sollen, insofern in dem Zimmer alles zusammengeräumt stünde und langsam kein Platz mehr ist für zusätzliche Abstellmasse? Wie auch immer. Ich habe heute den Fassadendämmunsspezialisten aus Polen weder gesehen noch gesprochen, die Dämmung vom Balkon ist germanisch typisch nicht zum vereinbarten Zeitpunkt erfolgt. Hoffentlich ist er gestern nicht noch vom Gerüst gefallen. Womöglich spricht das ja auch kein Polnisch.

Der einzige in meinem eingeschränkten Wortschatz kommunizierende Pole in der lustigen Fenstermonteurriege ist der Vorarbeiter, ein lustiger Mann mit erstaunlich wenigen Zähnen im vorderen oberen und unteren Bereich seines Mundes. Trotz deren Abwesenheit spricht er ein beinahe perfektes Deutsch mit polnischem Akzent aber – und das ist für mich die kleine Sensation – ohne auch nur ein klitzekleines bisschen zu lispeln. Ist wieder typisch: kriegen wir Deutschen unsere Dritten, stellen wir uns wochenlang dämlich an und tun so, als würden wir das Sprechen neu erlernen. Der Mann hat fast gar nix mehr im Mund und legt die perfekte Kür hin und dazu noch in einer Fremdsprache. Damit beindruckte er mich heute sehr. Allerdings auch mit der Mitteilung, man hätte für das Zimmer mit Balkontür nicht die richtige Balkontür geliefert bekommen. Ich meldete Protest an, denn ich bin tatsächlich der Meinung, man muss nicht jemanden zumuten, der sein komplettes Zimmer zusammen geräumt und in Umzugskartons verpackt hat, für ein lapidares «wir wissen nicht, wann die richtigen Türen kommen, kann eine Woche oder vierzehn Tage dauern» Verständnis zu haben. Er guckt jetzt mal, seit ungefähr vier Stunden schon, was er machen kann. Vermutlich ist er mal eben kurz rüber nach Polen …

Ich wünsche nunmehr inständig, ich könnte Polnisch sprechen. Dann könnte ich die üble Nachricht der Wohnungsinhaberin und ihrer Untermieterin auf Polnisch erklären, sie würden mich nicht verstehen und ich wäre enorm fein raus aus der Sache.

Wird nun jedenfalls Zeit, dass ich wieder nach Hause und mit dem Rechner ans Netz komme. Ich muss unbedingt einen Volkshochschulkurs in Polnisch belegen. Neulich wurde die Wohnung unter meiner renoviert, wofür der Fenstermaler 14 Tage brauchte. Nicht wegen dem vielen Holz, sondern weil er den ganzen Tag in einer mir fremd klingenden Sprache funkfernsprach (der Hall von leerem Wohnraum und das Esspapier als zwischengezogene Decke ermöglichen hier vieles, worauf man gerne verzichten könnte). Da wurde mir schon klar, sollte die seit acht Jahren angekündigte Modernisierung meines Wohnraumes doch noch zügig in den nächsten acht Jahren durchgeführt werden, sollte ich einiges mehr an Fremdsprachen auf Lager haben, als nur Deutsch, Englisch, blasses Französisch und rudimentäres Spanisch, um mit den Freunden der Handwerkskunst fröhlich kommunizieren zu können. Dachte ich bis gestern noch an Türkisch (wegen diesem besonderen Einzugsgebiet Neukölln), denke ich aber nun Polnisch ist die erste Wahl, möglicherweise wären Rumänisch und Tschechisch ebenso praktisch. Vielleicht könnte ich aber auch nur für den Moment meine Wohnung übergangsweise nach Russland transferieren. Irgendwo müssen die deutschen Handwerker doch abgeblieben sein?

10 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Powodzenia! Ist nicht die einfachste Sprache.

shadow hat gesagt…

Silikon schäumt nicht, bzw. wenn sie etwas schäumen sehen haben war dies PU-Montageschaum.

Trotzdem schön geschrieben.

Anonym hat gesagt…

Der Mann ohne Zähne spricht deshalb unlispelnd Deutsch, weil das im Vergleich zu den gefühlten 25 verschiedenen polnischen Zischlauten ein warmes Spüppchen im Abgang ist. Meinerseits bin ich jedenfalls schon bei diesem Polnisch-Kapitel gescheitert. Trotz engagierten Lehrers (mit Zähnen).

Anonym hat gesagt…

ähm... Süppchen natürlich. Baustaub in der Tastatur.

creezy hat gesagt…

@Anonym
Neee, ich bin auf dem Gymnasium in die freiwillige Russisch-AG eingetreten und nach sechs Wochen wieder ausgetreten. Leider habe ich so gar kein Ohr für slawische Sprachen. Das macht es noch schwerer.

@shadow
Na gut, danke für die Baunachhilfe. Aber ich wette in dem Stoff zum Fensterbrett abkitten ist der Lieblingsstoff drinnen. ,-)

@generator
Das mag natürlich die Lösung sein! Hm, und polnisch habe ich ausgerechnet ihn nicht sprechen hören …

The Exit hat gesagt…

Ein Hoch auf das neue Europa! Und diesen grandiosen Text von Frau Creezy! Und die Mieterhöhung, für die die Fenster ausgewechselt werden müssen und ohne die die Welt diesen Artikel nie erlebt hätte.

creezy hat gesagt…

@The Exit
Die Einleitung, lieber Herr Exit, die habe ich nur Ihnen gewidmet! ,-)

Anonym hat gesagt…

Frau Creezy, der Vorturner, mit dem ich seit Wochen abends funkfernspreche, um Koordination in das Chaos zu versuchen zu bringen (ja, das muss man genau so formulieren), der hat deutsche und polnische Vorfahren. Man erzählt sich ja so einiges bei den allabendlichen Telefonaten. Nur nichts Konkretes über Fenster-Liefer- und -Einbautermine. Grpf.

Anonym hat gesagt…

Ähnlich ging es mir beim Einbau einer Balkontür ebenfalls mit einem Mitarbeiter, dessen Sprache ich nicht mächtig war.

Erst nach einem Telefonat mit der Firma und mit Hilfe eines deutschsprachigen Mitarbeiters ließ sich zwei Tage später die Tür auch schließen... ;-)

So schön wie du, hätte ich es jedoch nicht beschreiben können, klasse!

creezy hat gesagt…

@Frau Indica
Das er nicht gerne über falsche Türen spricht, kann ich sogar verstehen ist peinlich, wenn man zu spät kontrolliert … ,-(

@Ute
Langsam beschleicht mich das Gefühl, dass Balkontüren so generell ihre Tücken haben. ,-)

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