2017-07-20

Königliche Nebenschauplätze

Der gestrige Tag lief gestern nicht so wie geplant. Auf dem Weg zu einer Freundin, der ich die wundervolle Welt des Blogschreibens näher bringen wollte, führte mich mein Weg am Holocaust Denkmal entlang. Dieses wurde gestern vormittag präpariert für den Besuch der Herzogin und des Herzogs von Cambridge. Präpariert heißt zu diesem Zeitpunkt, es standen Absperrgitter herum. An der Straße bewachten diverse Mannschaften den Straßenbereich und eine Firma verlegte Kabel, längs rund um das Mahnmal. Und anstatt, dass sie diese Kabel gleich unterhalb der Bordsteinkante verlegten, verlegte sie sie im rechten Drittel längs entlang auf dem Radweg.

Nun sind solche Schikanen bekannterweise auf Radwegen verpönnt, weswegen man schon seit Jahrzehnten keine Radwege mehr mit minimal erhöhten Schwellsteinen, wie früher als Sicht- und Fühlkante installiert, anlegt.

Links stand eine Dame mit einem geschienten Arm und unterhielt sich mit einem der Polizisten am Polizeiauto und vorausschauend Rad fahrend, sah ich, dass beide ihr Gespräch offensichtlich beendet hatten und die Frau sich wieder zum Mahnmal umdrehen wollte. Da nun die Möglichkeit bestand, dass sie auf den Radweg tritt ohne auf den Radverkehr zu achten, ich aber auch schon zu nahe dran war, um zu klingeln oder noch zu bremsen wich ich vorsichtshalber nach rechts aus, wo diese vermaledeite Kabel den Reifen meines Fahrrades die Haftung entzog und dieses unter mir wegrutschte, was in physischer, ganz logischer Konsequenz zu einem akuten Stoppmoment dank asphaltösem Aufprall führte.

Soweit so schnell so doof gelaufen. Hätte nicht passieren müssen, würden Menschen nicht immer wieder Fahrradwege als Straßenbereich zweiter Klasse erachten. Und das ist das, was mich an der Sache auch etwas sauer macht.



Was praktisch ist, fällt man vor einer versammelten Polizeimannschaft auf die Fresse (im wahrsten Sinne der Berliner Umgangssprache, denn ich stoppte mit meinem Kinn), es wird sich vom ersten Moment an höchst professionell gekümmert. Vielleicht auch zu schnell, denn bevor ich mich sortiert hatte nach einem Schmeck- und Tastbefund, dass noch alle Zähne an Ort und Stelle sind (Halleluja!), wurde ich auf eine Wagentreppe gesetzt, bekam eine Wasserflasche in die Hand gedrückt gegen das Zittern und kühlte man mir den verletzten Arm (nur Prellung und Schürfwunde) und hielt mir eine Mullbinde ans Kind, wo die „kleine” Platzwunde meinen Rock voll blutete. Sie hielten die arme Frau fest, die nun wirklich nichts für meinen Unfall konnte, was mir wahnsinnig leid tat. Die aber sehr reizend und verständnisvoll war (die Schiene am Arm trug sie nach einem Radunfall). Sie riefen die Polizeistreife, die später den Unfall aufnahm. Und sie riefen einen Rettungswagen, nachdem ich anmerkte, dass ich beim Aufprall den Nacken deutlich nach hinten überzogen hatte und das Hirn beim Aufprall hübsch hin- und her schwappte.

Währenddessen hatte man dafür gesorgt, dass das dämliche Kabel an dem ich gestürzt war, nun im Bordstein verschwunden war, legte aber mittlerweile die nächsten beiden Kabel wieder in gleicher Manier über den Radweg! Und da war ich auch richtig sauer. Der Mann mit Papierunterlagen, der die Kabel kontrollierte und dem ich – dann doch stinksauer – mein Kinn zeigte und ihm erklärte, dass ich so aussehen würde, weil sie gerade prima Unfallmöglichkeiten in die Strecke bauten, hat's abbekommen. (Ich fand allerdings auch uncool, dass die beistehenden Beamten, die meinen Sturz mitbekommen hatten, das auch wieder so zugelassen hatten.)

Soweit so blöd. Die Sanitäter kamen, legten mir die Halskrause an und ich machte zum ersten Mal in meinem Leben die Erfahrung in so einem Rettungswagen liegend Berlin im Rückwärtsgang zu erleben. Was auch ganz interessant ist, also auf diese Art von Transport sich geographisch zu verorten. Man überließ mir die Entscheidung, ob ich in die Charité oder ins Bundeswehrkrankenhaus gebracht werden wollte. Da ich – als Patient, so ich das irgendwie vermeiden kann – nie die Charité betreten werde, entschied ich mich für die Bundeswehr. Das hat den besonderen Vorteil, dass man dort von hübschen Menschen in schmucken Uniformen empfangen, behandelt und betreut wird. (Pfleger und Assistenzärzte selbst ist natürlich eher im aufmunternden fliederfarbenem Kittelstyle unterwegs.)

Das Bundeswehrkrankenhaus hat ein grandioses Feature: wird man nämlich von der Notaufnahme zum Röntgen gefahren, muss man einen Weg überwinden, der eine erstaunliche Steigung aufweist. Damit, falls einem der Uniformierten vielleicht doch mal der Rollstuhl oder das Krankenbeet entgleist, die Abfahrt zwar ungünstig aber vielleicht nicht überschnell ihren Weg nehmen wird, baute man in die Steigung hin- und wieder Schwellen ein. Diese Schwellen im Krankenbett mit gutem Tempo durch zu fahren, das ist wie Achterbahn für Dreijährige. Ein – im Sinn der an sich von vorne bis hinten unnötigen Sache – durchaus vergnüglicher Moment.

Die Röntgenaufnahmen vom Arm und HWS-Bereich ergaben zum Glück keine Verletzungen, die Platz- und Schürfwunde am Kinn musste nicht mal genäht werden (Strike!), die beiden ultragroßen blauen Hämatome am Oberschenkel haben den riesigen Vorteil, dass ich mir den Lenker dahin geschoben habe, wo er vergleichsweise weniger Schaden anrichtet als wenn er im Unterbauch in der Milz gelandet wäre. Die Prellung im Ellenbogen einschließlich die Schürfwunden am Körper verteilt, werden heilen. Da ich mittlerweile offensichtlich beim Stürzen im advanced level spiele, habe ich dieses Mal sogar die Knie unberührt gelassen. 'Ne leichte Gehirnerschütterung und ein gesamtes Körperempfinden, das man halt so hat, wenn man mit 20-30 km/h auf dem Asphalt landet kurz: prellbockt, das kenne ich und werde ich lässig überstehen. Das Krankenhaus arbeitet übrigens angenehm zeitgemäß bei dem, was man in Deutschland Schleudertrauma nennt (und in anderen Ländern der Erde, wo Versicherungen für derartige Bagatellreaktionen keinen Schadensersatz zahlen). Kaum kam die schriftliche Bestätigung vom Radiologen, dass der Halswirbelbereich unverletzt ist, kam die Halskrause wieder weg.

Wie es dem Rad geht, ist noch vage. So sieht es gut aus, Kette ist sichtlich runter gesprungen. Ob richtig was kaputt gegangen ist, muss ich dieser Tage sehen.

Unterm Strich: dumm gelaufen – aber ich hatte auch wieder einmal mehr Glück als Verstand. Realisiert, dass ich so viel Gedöns um meine Person einfach nicht mag. Das hat mich mittlerweile jeder gefragt und nein, ich habe keinen Fahrradhelm getragen. Und ja, es ist natürlich viel intelligenter einen zu tragen. Trotzdem: ich hätte jede meiner gestrigen Verletzung auch mit einem Helm davon getragen, denn bei dieser Art von Sturz hätte er überhaupt nichts verhindert. Vielleicht hätte ich dann aber doch einen Kieferbruch gehabt, weil für die Art von Sturz die Schnalle dumm gesessen hätte bzw. wäre der Nackenbereich noch weiter überdehnt worden. Ein Helm bietet ganz sicher Vorteile. Und manchmal eben auch Nachteile.

Sehr merkwürdig: die Frau, die mir im Röntgen die Bleischürze umlegen und zielsicher sagte: „Schwanger werden Sie ja nicht mehr sein.” (Ich habe mich offensichtlich weniger schon an die 50 gewöhnt als ich mit der dazugehörigen Schubladisierung sympathisieren möchte.)

So süß: Der sehr junge uniformierte erst- oder zweisemestrige Beisitzer, der mir bei der Ausreinigung der Wunden durch die Schwester erklärte, „seine Oma hätte immer gesagt, bis ich heirate, sei das wieder vorbei.”

Sehr dankbar: allen, die sofort helfend bereit standen und sich gekümmert haben (ja, auch wenn es vielleicht eh deren Job ist: es hat gut getan.)

Sehr glücklich: dass man in einem kurzen Moment des Selbstmitleids eine Freundin anrufen kann, die alles stehen und liegen lässt und durch die halbe Stadt fährt, um einen in den Arm zu nehmen und nach Hause zu transportieren, ein tolles Abendessen kocht und da ist für einen.

Sehr nachdenklich: wenn die Patientin im Nebenraum in der Notaufnahme mit starken Unterbauchschmerzen nach dem Ultraschall die Diagnose Tumor bekommt. Und auch wenn der Arzt ihr erklärte „für uns ist ein Tumor erst einmal nichts Bösartiges”, relativiert es das eigene Geschehen und Schmerz sofort.

Verhältnis empfindsam gestört: Wenn William zum gestrigen Tag in Berlin meint: „We have already had a fascinating first day here in Berlin.”, kann ich nur sagen: „Same here! Nur anders doof.”

Bitte merken: nie Dinge längs auf bzw. direkt an Radwegen grenzend verlegen. Für Zweiräder ist so etwas unter Umständen tödlich. Quer verlegt, kann man überfahren, längs ist wie Schienen in der Straße.

1 Kommentare:

ClaudiaBerlin hat gesagt…

Danke für diese mitreissende Schilderung eines selbst erlebten Dramas aus dem Radfahr-Alltag! Und Glückwunsch, dass es nix Schlimmeres verursacht hat!

Warum nie Charité? Schreib doch mal darüber. Oder hattest du das schon irgendwo?

Der ADFC ist übrigens gegen Helm: Weil man damit riskanter fahre... Und ein Gesetz dazu gibts bisher nicht, weil Studien offenbar ergeben haben, dass auch Autofahrer gegenüber Helm-tragenden Fahrradfahrer/innen weniger vorsichtig fahren.
Alsdenn: ich trage auch keinen Helm.

"(Ich habe mich offensichtlich weniger schon an die 50 gewöhnt als ich mit der dazugehörigen Schubladisierung sympathisieren möchte."

Ja, zwischen 50 und 60 ist die Zeit, in der man sich mit der Tatsache des unabweisbaren "alt seins" arrangieren muss. :-) Aber hey, das geht! Und es gibt ja tatsächlich positive Aspekte, die den Jüngeren nicht zugänglich sind.

Lieben Gruß - und gute Besserung!

"(Ich habe mich offensichtlich weniger schon an die 50 gewöhnt als ich mit der dazugehörigen Schubladisierung sympathisieren möchte.

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