2008-02-07

Meinungsbildung

Ein Haus brennt. Menschen sterben. Das ist sehr tragisch. Aber es ist etwas, das passiert. Immer wieder. Jede Feuerwehr in einer deutschen Großstadt rückt mehrmals am Tag aus, um Brände zu löschen. Nun gehörte das Haus in Ludwigshafen einem Türken und es sind türkischstämmige Menschen ums Leben gekommen bzw. verletzt worden. Das nimmt der ganzen Tragik nicht ein Stück.

Bevor überhaupt die Untersuchungen auf der Brandstelle abgeschlossen sind, wird in der Presse hinsichtlich Brandstiftung und natürlich fremdenfeindlichen Hintergrund spekuliert. In einer Art und Weise, die mir Sorge macht.

Das führt beispielsweise dazu, dass selbst «neutrale» Nachrichtensendungen wie das «Heute Journal» Backsteine zeigen auf denen zweimal die Worte «Nazis» gekritzelt wurden. «Dies könnte ein Indiz sein», so berichtet man in der Sendung und «man müsse jetzt hinterfragen, wie alt diese Kritzeleien sein.» Das finde ich insofern interessant, weil ich, wenn dieser Brand einen kriminellen und zusätzlichen fremdenfeindlichen Hintergrund wirklich haben sollte, braune Socken so dämlich (oder clever, wie man es sehen will) einschätzen würde, dass sie dann Parolen gegen Ausländer schmieren würden. Ein «Nazi» oder «Arschloch» oder «Vergewaltiger» an die Hauswand gemalt, zeugt nach dem Gesetz der Wandmalerei immer noch von der Idee, der Verursacher glaubt in dem Haus wohne jemand, der sich solch einer Beschimpfung «verdient» gemacht hätte. Oder?

Vermutlich habe ich von Wand-Propaganda auch keine Ahnung mehr. Aber Stückchen für Stückchen wird so Meinung gebildet, die vielleicht gar nicht gebildet gehört, weil – hoffentlich – die Ursache für den Brand ein ganz anderer war.

Ach und Heath Ledger, dem ja die allermeisten Medien einen Selbstmord mindestens aber Heroin- und Kokain-Sucht nachgesagt haben, hat nun definitiv laut dem offiziellen toxikologischen Gutachten und Pathologie-Abschlussbericht keinen Selbstmord begangen. Er hat mehrere Schmerztabletten geschluckt, die in Kontraindikation mit zwei anderen Medikamenten zu einem Herz- und Kreislaufversagen geführt haben. Tragisches Zusammenspiel, keine Überdosierung. Etwas was im übrigen gar nicht so selten passiert.

Nur hat man den Mann, solange man es nur konnte, in den Medien gerne als Selbstmörder abgestempelt. Der Auflage zuliebe. Ich kenne aus eigener Familiengeschichte sehr genau den Unterschied zwischen dem Tod eines lieben Menschen und dem Selbstmord eines lieben Menschen. In beiden Fällen trauert man. Im letzteren Fall fressen einen die Selbstvorwürfe auf. Und zwar unabhängig davon, ob die Gründe für den Freitod nachvollziehbar sind oder nicht. Man bleibt zurück und leidet in unbeschreiblichen Dimensionen und ist sich immer sicher, nicht genug getan zu haben. Das ist schreckliche pure Verzweiflung, die immer an einem nagen wird.

Ehrlich: aufgrund meiner Erfahrung mit dem Freitod meiner Oma, meinen vielfachen Erfahrungen mit dem Sterben unter der Diagnose Krebs in meiner Familie, bin ich dem Thema Selbstmord offen und moderat gegenüber eingestellt. Ich bin in meiner Auseinandersetzung mit dem Tod auch davon getrieben worden im Falle eines Falles vor dem Tod keine Angst mehr haben zu müssen und gewisse Dinge für mich selber zum Abschluss bringen zu können. Freunde (vor allem diejenigen, deren Großeltern und Eltern besonders lange lebten) haben mir die Auseinandersetzung immer gerne als «Hang zum Morbiden» ausgelegt, was völliger Quatsch ist. Für mich ist der Tod etwas, das definitiv zum Leben gehört, der wird nämlich meinen Schlusspunkt setzen. Ich wollte vorbereitet sein und keine Angst davor haben müssen. Lustig fand ich ihn deswegen nie und auch Lust habe ich noch lange nicht darauf.

Aber ich möchte beispielsweise bei der Diagnose Krebs im Endstadium auf einen Teil meines Sterbens selbstbestimmt verzichten, solange ich das kann. Ich war u. a. Zeugin dabei, wie mein Vater gestorben ist, Diagnose Lungenkarzinom. Er hatte nicht nur Schmerzen, er ist auch zwei Monate lang erstickt. Dieser Form von abschließendem Leid, kann ich mir vorstellen, möchte ich gerne eine Absage für mich erteilen. Im Grunde ist es ein reiner Pragmatismus, ich konnte bisher keinen Sinn erkennen in diesem Leid.

Das ist meine Meinung zum Freitod aufgrund meiner Erfahrungen, was nicht heißt, dass ich es tatsächlich tun würde unter ähnlichen Umständen. Es kommen nämlich noch ein paar andere Faktoren, wie beispielsweise Mut oder besondere Lebensumstände hinzu. Aber ein Faktor ganz besonders, der mich wohl doch immer davon abhielte, wäre der Umstand: wen lasse ich mit welchen Gefühlen mit dieser Entscheidung zurück? Ein Selbstmörder – so sehr er seinen seelischen Frieden verdient haben mag – richtet bei seinen Liebsten etwas an. Er lässt sie immer mit Schuldgefühlen zurück. Und die sind übel. Die verändern das Leben der Zurückgebliebenen ein Leben lang. Und ich würde das Menschen, die ich mag, niemals zumuten wollen. (Es ist klar, dass ein Mensch, der diesen Weg z. B. aus einer depressiven Erkrankung heraus für sich wählt, in dem Moment selten so klar denken kann und andere in seiner Verzweiflung gar nicht mehr sieht.)

Aber gerade aus diesem meinem Wissen heraus, habe ich eine gute Vorstellung von dem, was die Angehörigen von Ledger in den letzten Wochen bis zur abschließenden Diagnose haben durchmachen müssen. Zusätzlich zu der Trauer dauernd im Hinterkopf zu haben: «Unser Sohn, Bruder, Freund, Vater ist möglicherweise selbstbestimmt gegangen», sich deswegen mit Fragen quälen zu müssen: «Wo waren wir? Waren wir für ihn wirklich da? Warum ist er nicht zu uns gekommen?«Wieso haben wir die Zeichen nicht gesehen?», das muss die Hölle für sie alle gewesen sein.

Und die Presse haut da noch drauf. Rücksichtslos. Immer wieder. Nur um Geld und Quote zu schaffen. Das kotzt mich so etwas von an!

Geht mir weg mit dieser medialen Scheiße, die noch das längst abgegriffene Schild «Wir informieren Euch doch bloß!» und am Schlimmsten: «Unsere Zuschauer, Leser wollen das doch sehen, lesen!» hochhalten und ihr lügenreiches Handeln so versuchen zu erklären. Nein, will ich nicht!

Passend: taz schreibt die Wahrheit über Britney Spears oder spiegelkritik entdecktgestellte Szenen bei Spiegel online

9 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Danke, für wahre und weise Worte. Offenbar gilt für viele Pressefuzzis die Unschuldsvermutung schon lange nicht mehr. (Und ich war mir sicher, daß Heath Ledger keinen Grund gehabt hat, sein Ende selbst zu bestimmen. Sowas gehen meist Anzeichen voraus und die waren nicht gegeben. Der erste Bericht in der NYT, den ich gestern abend dazu gelesen habe, hat mir auch recht gegeben.)

Anonym hat gesagt…

falls du das buch dann mal fertig hast schaust du eh keine nachrichten mehr :-0

auch hier gilt: man macht es sich lieber selber )oder guten freunden)

dann hat man auch wieder spaß daran, wenn man verarscht wird…


noch viel schlimmer finde ich allerdings, dass selbts heute/tagesschau kein problem mehr damit haben gerade verblutende/menschen mit den letzten zuckungen zu zeigen…

Maren hat gesagt…

Du hast es wunderbar ausgedrückt, - sowohl Deine Gedanken zum Thema "Pressefreiheit" und auch Deine Gedanken zum Thema Selbstmord. Wer das nicht erleben mußte, wird es schwer verstehen können. Meine Tante hat sich vor 3 Jahren unvermittelt das Leben genommen. An den Folgen leidet die Familie noch immer.

Anonym hat gesagt…

Ja, die bösen Medien. Wittern immer das Schlimmste.


Gut ging es H.L. aber wohl nicht, sonst hätte er nicht gemeint, so viele verschiedene Medikamente einnehmen zu müssen. Ob das wirklich nicht so selten passiert, dass sich jemand versehentlich einen tödlichen Medikamentencocktail einverleibt, glaube ich nicht.

Julius hat gesagt…

@anonym
Es passiert auch oft genug, dass Ärzte versehentlich zwei miteinander inkompatible Medikamente verschreiben, was tragischerweise auch zu etlichen Todesfällen führt. Insofern ist ein Versehen nicht wirklich unwahrscheinlich.

creezy hat gesagt…

@mona_lisa
Soweit man das von Weitem überhaupt beurteilen konnte gab es da auch keine Gründe zu sehen.

Mich ärgert auch diese Konzentration auf einen einzigen zusammengerollten Geldschein von dem sehr schnell von den US-Behörden bekannt gegeben wurde: keine Spuren von Drogen. Ließ man hier erst mal drei Tage unter den Tisch fallen, die no drugs-Information. 90 aller männlichen US-Bürger rollen ihre Geldscheine und tragen sie in der Hosentasche. Das ist bei denen Kultur. Was soll so ein Bockmist?

@prinz «bitte nich' würgen»
Ja, soweit ich bis jetzt vorgedrungen bin, merke ich schon jetzt wie ich sensibilisiert bin. Zunehmend.

Ja, Tagesschau und Heute sind keine Deut besser mehr als die «Magazine» der privaten Sender in der Beziehung. Ich fand das Zeigen von Bildern anlässlich dieses Hochhausbrandes sehr unangenehm. Man zeigt keine Menschen, die in Todesangst auf Fenstersimsen stehen und um ihr Leben betteln, während hinter ihnen andere Menschen sterben ihr Hab und Gut verbrennt. Es reicht völlig die kurze Aufnahme eines brennenden Hauses. Ich muss Menschen nicht vorgeführt bekommen, um zu wissen, dass sie Todesängste empfinden. Aus dem Fenster fliegende Babys als «Meldung» zu verwerten, finde ich ebenfalls unnötig und zum Kotzen.

Information: ja. Aber zu glauben Menschen in Not vorzuführen, hätte Informationswert, da sind die Arschlöcher von Redakteuren auf dem Holzweg.

@maren
Danke. Ich muss leider sagen, dass ein Selbstmord in seinen Folgen und Empfinden einen auch nie verlässt. Obwohl er bei meiner Oma sogar verständlich war und wir irgendwann damit unseren Frieden machen konnten. Aber das «Glück» haben sehr viele der Zurückbleibenden oft nicht.

@anonym
Dem Mann mag es möglicherweise nicht gut gegangen sein. Ja. Aber: er hat ja offensichtlich professionelle Hilfe gesucht, damit ihm geholfen werden kann. Daher schon war diese Diskussion Selbstmord der eher nicht anzunehmende Gau. Denn diese Menschen wissen, dass da jemand ist, den sie in einer akuten Krise anrufen können.

Gut, nun muss man wissen, dass gerade bei jungen Menschen, die, wenn sie wegen Depressionen medikamentös behandelt werden, insbesondere in den ersten zwei Monaten die Selbstmordrate tatsächlich ansteigt bei bestimmten Medikamenten. Aus logischen Gründen: das Medikament wirkt dahingehend die Lethargie auszuschalten, der Mensch wird wieder aktiver, die Ursache der Depression ist aber noch lange nicht behoben insofern ist die Schwelle bestimmte Schritte zu gehen «medikamentös» niedriger gestaltet. Da muss man sehr aufpassen. Vor allem bei Jugendlichen.

Nur, so jung war der Mann auch nicht mehr. Und man weiß auch nicht wie lange er nun schon in Therapie war.

Was die Querwirkung von Medikamenten angeht, doch, das passiert häufig. Denk mal nur daran, was passiert, wenn Du ein Schmerzmittel mit Milch einnimmst. Du kotzt. Oder wie Vitamin C auf viele Medikamente einwirkt, sie in ihrer Wirkung komplett aussetzt. Ähnliches gilt für die Pille. Der Körper reagiert sehr schnell auf Medikamente in Kombination mit anderen Wirkstoffen. Das müssen nicht einmal zusätzliche Medikamente sein: Alkohol. Alkohol verstärkt in den allermeisten Fällen die Wirkung von Medikamenten.

Es ist in der Pharmazie z.B. hinlänglich bekannt, dass Medikamente eigentlich bei unterschiedlichen Geschlechtern differenziert getestet werden müssten. Werden sie aber nicht. Die Dosierungen in den allermeisten Packungen werden einem «Durchschnittsmenschen» zugeordnet. Dass eine Frau – oder ein Mann mit schmächtigem Körperbau (Schauspieler sind nicht groß i. A.) dann weniger nehmen sollten, wird oft leider nicht berücksichtigt. Die 160 cm große 45 Kilo wiegende Frau bewegt sich also u. U. bei schon einer Tablette schneller an der überhöhten Dosis als z. B. der 180 m große 90 Kilo wiegende Mann.

Wenn Du nun einem Arzt auch noch verschweigst, was Du zur Zeit einnimmst (machen gerade Menschen, die Antidepressiva nehmen aus Schamgefühl gerne) und er Dir den nächsten Klopper verschreibt, dann reicht u. U. die eine Tablette zu viel. Haste vielleicht noch von Natur aus einen niedrigen Blutdruck, fällt schnell das Kreislaufsystem zusammen. Kriegt das keiner mit in Deinem Umfeld, wirst Du nicht reanimiert, biste eben sehr schnell weg.

Das sind dann die Sterbefälle mit Herz- u. Kreislaufversagen. Toxische Gutachten werden selten umfassend angeordnet in Deutschen Pathologien, die kosten viel Geld.

Und selbst, wenn Du es Deinem Arzt nicht verschweigst. Bei der Masse an Pharmazie auf dem Markt ist das Thema Kontraindikation eher etwas was auf «hope & pray» basiert, nicht auf Fachwissen und Erfahrung. (Wofür ich sogar Verständnis habe.)

Und nicht vergessen: die allermeisten, die die Chemie schlucken haben ja keine Ahnung von dem was sie da schlucken. Beispiel: wie viele Frauen wissen tatsächlich, dass Antibiotika (bestimmte Sorten) die Wirkung der Pille außer Kraft setzt? Erstaunlich wenige …

Anonym hat gesagt…

Hört sich ja furchtbar an!

creezy hat gesagt…

Nö, nicht wirklich. Augen auf beim Tablettenkau. Weniger ist immer mehr. Selber nachdenken. Nicht auf den Arzt verlassen. Ein gesundes Verhältnis zu Krankheit haben. Dann biste auf der sichern Seite.

Anonym hat gesagt…

Liebe Creezy, ich wurde vor vielen Jahren mit einem Selbstmord konfrontiert. Nicht direkt aber doch in "zweiter Reihe". Eine junge Frau, in meinem Bekanntenkreis hat beschlossen, ihrem Ende das ultimative Ende zu setzen und warf sich vor einen schnell fahrenden Zug. Wie sich bei den Ermittlungen raus stellte, hat sie alles gut geplant. Sie hat keinen Abschiedsbrief hinterlassen und jeder war überrascht. Nur ich nicht - im Nachhinein gesehen. Sie hatte mir eine Postkarte geschrieben und ich dachte mir "oh, Andrea geht es nicht gut." Dass es ihr derart schlecht ging, hatte ich nicht geahnt. Sonst hätte ich zumindest versucht, mit ihr zu sprechen.

Ich denke, wenn jemand keinen Selbstmordversuch unternimmt, sondern alles tut, damit es kein Zurück gibt, ist die Verzweiflung und die innere Einsamkeit so groß, dass sich niemand Vorwürfe machen sollte. Wenn ich heute, nach sehr vielen Jahren, daran denke, wie sich die junge Frau gefühlt haben muss, kommen mir die Tränen. Doch es ist jedermanns eigene Entscheidung, aus dem Leben zu gehen.Ich finde deshalb auch die Diskussion über Sterbehilfe sehr fragwürdig, weil der Wille der Betroffenen nicht respektiert wird. Jeder von uns hat das Recht, zumindest insoweit über sich selbst zu bestimmen. Wir sind in allen Lebensbereichen fremdbestimmt - von Menschen, die uns gar nicht persönlich kennen. Wenn ich in so eine Situation käme, hätte ich gern einen Menschen an meiner Seite, der mich unterstützt bei meinem Vorhaben, wenn ich es denn hätte und wenn ich es selbst nicht ausführen könnte.
Es ist ein breites Thema ....
Kennst du übrigens "Das tibetanische Buch vom Leben und Sterben"? Wenn nicht, leg es dir zu,es ist ein sehr gutes und hilfreiches Buch.
Ganz lieber Gruß vom Ammersee - Renate

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