Meine erste Begegnung mit dem Dolce Salce di Servia hatte ich bei einem Geschmackserlebnis während meines ersten Ausflugs in die Emilia Romagna nach Misano Adriatico. Auf dem Filetsteak im Restaurant Il Mulino schmeckte ich dieses köstliche Salz, das eine eigene kleine Hauptrolle auf dem Teller für sich beanspruchte, sodass ich unbedingt wissen musste, was es für eines war. Ihr erinnert euch vielleicht?
Ihr könnt euch also vorstellen, wie begeistert ich über die Aussicht war, dass während der Reise nach Ravenna ein Ausflug nicht nur nach Cervia in die Stadt des Salzes geplant war, sondern vor allem ein Ausflug in die dazu gehörigen Salinen! Hier ermöglicht ein Verein interessierten Besuchern das Begehen der historischen Salinen.
Es war für mich nicht nur ein sehr lehrreicher, sondern ungemein charmanter und friedlicher Ausflug. Zwar waren die Felder zu dieser Jahreszeit bereits abgeerntet, die regenfreie Saison ist spätestens im Oktober vorüber, da muss das Salz eingebracht sein. Aber der Aufenthalt hier war wunderschön und ich kann ihn nicht nur Salz-Enthusiasten empfehlen. Weite, Farbspiele, Ruhe und in der Weite unendlich viele Flamingos, beim richtigen Sonnenstand ist diese Landschaft in so schönes Licht getaucht! Und: Ornithologen kommen hier sehr auf ihre Kosten.
Warum ist Sale di Cervia so besonders?
Nun – es ist das „Il Sale dei Pape”! Ist in Ländern mit Monarchien das beste Prädikat, das ein Produzent bekommen kann, Hoflieferung zu sein, ist es hier der Vatikan. Italien halt. Wer Salz verschenkt in Italien, wünscht der/dem Beschenkten übrigens Glück und Wohlstand.
Dolce Sale di Cervia ist es ein sehr mildes Salz. Die Art der frühen Ableitung vom Meer sorgt dafür, dass viele Bestandteile üblicher Salze hier nicht mehr zum Tragen kommen. Diese Bestandteile geben Salzen im Abgang die bittere Note. Da sie hier fehlt, schmeckt das „Dolce Sale di Cervia” tatsächlich rund und beinahe süß – und ergänzt Essen auf eine umschmeichelnde Weise, wo andere Salze einen Kontrast generieren.
Durch frühzeitige Messung des Salzgehaltes im ursprünglichen Meerwasser in der ersten Verdunstungszone, Moraro, wird das Wasser ab einem Gehalt von 3,5 Grad Baumé über Wochen auf die immer kleiner werdenden Felder umgeleitet, mit klanghaften Namen wie Gaitone, Lavorieri, Corboli und Salanti. Mit dieser frühen Ableitung (Cervese) erreicht es eine Konzentration von maximal 26/28 °Bè. Geerntet wird es aus den kleinen Feldern, den Cavedini, die nur noch 32 Quadratmeter groß sind. Aufgrund dieser frühen Begrenzung im Salzgehalt wird die Ablagerung anderer Substanzen verhindert, die dem Salz den sonst üblichen bitteren Nachgeschmack verleihen. So bleibt dieses Salz sehr mild, beinahe süßlich und besonders im Geschmack.
Ach ja: Für alle, die sich, wie ich, in Physik lieber unten im Schulfoyer einen heißen Kakao gezogen haben: Baumé ist die altertümliche Grad-Einteilung des Beaumé-Ärometer zur Dichtebestimmung nach Antoine Baumé benannt. Wird heute nur noch in der Nahrungsmittelindustrie verwendet.
Abgepackt wird Sale di Cervia in zwei Varianten: Grosso (grob) in der blauen Verpackung und in der roten Verpackung in Medio Fine (mittelfein). Üblicherweise kann man das Kilo in Plastikverpackungen verpackt einkaufen. Es gibt aber auch die netten Geschenkverpackungen in den Jutesäckchen mit meist weniger Inhalt für – Überraschung – mehr Geld. Wer gerade nicht in der Emilia Romagna weilt, diverse italienische Onlineshops haben es mittlerweile im Sortiment, das große A. sowieso. Ich empfehle Medio Fine, es ist noch ausreichend strukturiert, um auf dem Steak sichtbar zu sein.
Das „Sale dei Pape” ist übrigens 2004 als Slow-Food-Produkt anerkannt!
Die Historie der Salinen di Cervia
Allererste Erwähnung in Dokumenten stammen aus dem 5. und 6. Jahrhundert n. Chr. Sie beschreiben erstmals die Bedeutung des Ficolense-Gebietes. Das Gebiet der Salinen direkt in der Nähe der Küstenlinie, liegt heute gut zwei Kilometer von der Adria entfernt. Dünen und Schwemmland und sehr lehmhaltiger Boden trennten das Meer von der Staatsstraße „Adriatica” und hier entdeckte man zur Zeit der Römer, dass sich die im Sommer absetzende glitzerne Substanz gleichzeitig sehr würzig schmeckte.
Erstmals offiziell wird Cervia und dessen Salzproduktion im Jahr 1000 n. Chr. erwähnt. Es existieren heute zwei Pergamentrollen von 1192 und 1194, die deutlich machen, dass ein Mönch der Abtei Santa Maria di Marola, Don Guido, zwei Salzsalinen besaß und mit diesen alle Mönche in der Region – damals nur Emilia – mit Salz versorgte.
„Weißes Gold” nannte man damals das Produkt aus dem Meer und die Region, die es schöpfen konnte, galt als reiche Region und war dementsprechend hart umkämpft bis in das 20. Jahrhundert. Cervia unterstand in den Jahren den Herschafften der Da Polenta (1285-1371), der streiwütigen Malatesta (1383-1463), der damaligen Republik Venedig und die Kirche wollen wir auch nicht außer Acht lassen. Der Kirchenstaat verdiente sehr gut am Salz bis zur Vereinigung Italiens, dann traten die Salinen in den Besitz des Staates über.
1959 wurde die Art der Salzproduktion industrialisiert. Die ehemals 148 kleineren Salinenbecken, die von Hand und mit Geräten wie Ghévar, Forabus und Cariòl im Dialekt genannt beerntet wurden, legte man zusammen und sie wurden nach der sogenannten französischen Methode nur noch einmal im Jahr mit großen Gerätschaften geerntet. Die Handkarren wurden durch einen kleinen Zug ersetzt, Arbeitskräfte spezialisiert, anderen dagegen eingespart – das übliche Dilemma.
Im Jahr 1994 wollte der Staat die Salinen sogar ganz schließen – die Produktion schien nicht mehr kommerziell attraktiv. Nicht so lukrativ wie es sicher gewesen wäre, das attraktive Gebiet am Meer den Bauspekulanten für den sich gerade sehr erfolgreich entwickelnden Strandtourismus zu überlassen. Was man in Cervia wohl schon Jahre früher hatte kommen sehen, sodass man das Gebiet 1971 in das RAMSAR-Abkommen in Feuchtzonen von internationaler Bedeutung aufnehmen ließ, 1979 wurden die Salinen zum Tierschutzgebiet erklärt und 1988 als südliche Destination in den Regionalpark des Po-Deltas aufgenommen.
Gegen das Vorhaben, die Salinen nun endgültig zu schließen, liefen die Cervianer Sturm und engagierten sich für den Erhalt des Gebietes, in dem Wunsch, die wichtigen ökologischen Aspekte ihrer Region zu erhalten. Aber vor allem kämpften sie dagegen, dass man ihnen die historisch gewachsene Identität und Geschichte nehmen wollte. Man entwickelte Konzepte, die Salinen zu erhalten und in ein Projekt zu überführen, das ihren naturalistischen, ökologischen und auch didaktischen Wert in die Zukunft hinein sichern sollte. Dass nebenbei die Region um Cervia auch immer mehr für den Tourismus interessant wurde, spielte hier natürlich mit hinein.
2003 trat der italienische Staat die Verwaltung des Gebietes an die Gruppo Culturale Civiltà Salinara ab und erlaubt ihren (oft ehrenamtlichen) Mitarbeitern in geregelter Menge das Salz di Cervia zu schöpfen. Und auch weiterhin Schlamm und Meerwasser für die Thermalbäder abzuführen.
Saline Camillone
Das Gebiet der Saline 89 von den insgesamt 148 Salinen – bevor es zu ihrer Zusammenlegung kam – ist heute die Saline Camillone. Sie ist das Add-on zu dem Museo del Sale, MUSA, in Cervia und wird vom Kulturverein mithilfe vieler engagierter ehrenamtlicher Mitarbeiter bestellt. Es ist ausgerechnet die Saline, die von allem am schwierigsten zu beernten ist, heute das Freiluft-Museum vom MUSA.
Auf einer Gesamtfläche von 23.570 Quadratmetern wird das Salz nach der Methode „cervese”, wie oben schon beschrieben, immer weiter in die Felder umgeleitet, bis es in den kleinsten Feldern, der sogenannten Ausblühfläche, geerntet wird. Getrennt durch einen Entwässerungskanal, der das Wasser wieder zurück ins Meer leitet – und auf dem die Besucher in Booten an die Saline gefahren werden.
Je näher das Wasser in den Feldern steht in denen die Ernte erfolgt, desto mehr nimmt es an rosa Färbung zu. Der Grund ist die einzellige Alge Dunaliella Salina. Sie wächst mit dem Salzgehalt und bildet unter der Sonneneinstrahlung β-Carotin aus.
Davon nicht wenig, immerhin 5-15 % ihres Trockengewichts. Da sie auf dem Speiseplan von Garnelen und Flamingos steht, kommt die rosa Färbung der Schale (Garnele) und dem Federkleid (Flamingo) nicht von ungefähr. Ihr findet Dunaliella Salin übrigens häufig in eurer Kosmetik oder in Nahrungsergänzungsprodukten.
Nach historischem Vorbild Salz ernten!
Die Arbeiter schöpfen hier noch barfuß bzw. in Badelatschen und tatsächlich ausschließlich von Hand. Sie arbeiten mit den alten Gerätschaften, die ich schon in dem Blogpost zum Museum zeigte, und tragen die Ernte in Holzkörben zur Sammelstelle. In der Erntezeit Mitte Juni bis Mitte September kann man sich am Besucherzentrum anmelden und wird in Gruppen mit einem Salzarbeiter auf die Saline geführt, wo die Salzproduktion genau erklärt wird.
Wer immer schon einmal Salz selber ernten wollte (wie ich), kann dies sogar auch tun für einen Tag (Terminabsprache) und gegen eine Spende. Bequeme, leichte und vor der Sonne schützende Kleidung ist dann unbedingt empfohlen – von einem Salzbauern bekommt man gezeigt, wie die Ernte vonstattengeht. 50 bis 200 Tonnen Salz Jahresernte wollen schließlich in den Handel gebracht werden!
Nach der Ernte wird das Salz einfach gewaschen und zentrifugiert für die Trocknung. Es ist daher nicht ultraweiß. Aber so erhält es alle Bestandteile und Spurenelemente der Adria. Der restliche Feuchtigkeitsgehalt liegt bei 2 %, wenn es also in der Verpackung nach einiger Zeit härter wird: Das gehört sich so und ist mit etwas Krafteinwirkung wieder verschwunden. Es ist halt pur ohne Rieselhilfe, ein Qualitätsmerkmal.
Salina Camillone
via Salara
48015 Cervia (RA)
musa@comunecervia.it
web: Salina Camillone
Musea Del Sale Di Cervia
via Nazario Sauro, 24
48015 Cervia (RA)
musa@comunecervia.it
web: MUSA
Cervia – Vielfalt an der Adria
Ravenna – einfach köstlich!
Die Sehenswürdigkeiten von Classe
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