2023-12-15

Bitte! Applaudiert doch bitte!

Ich hatte die große Freude, mit Großcousin und Großcousine die letzten zwei Wochen an kulturellen Ereignissen für Kinder teilnehmen zu dürfen. An der einen Aufführung war die Großcousine auf Rollschuhen selber auf der Bühne (große Sporthalle) beteiligt, denn sie lernt jetzt seit knapp zwei Jahren Rollschuhtanz und hatte ihre erste Aufführung. Dieser Vorstellung lag das Musical zu Aladin und dem Geist aus der Flasche zugrunde. Die Schule, die ambitioniert auch für Wettkämpfe ausbildet, hatte die Show in sechs Wochen final auf die Beine gestellt, mit sagenhaftem Kostümbild, Lichtshow und selbst genähten Kostümen. Also auch wahnsinnig viel Einsatz der Eltern.

Für ca. 60 Rollschuhläufer*innen.
Teilweise mit drei Kostümwechseln.

Just saying! Das war alles ganz großes Show-Kino!

Und gestern sind wir zusammen mit der Cousine zu der, in diesem Jahr (aufgrund von Covid) nochmals neu aufgelegten, Kindershow „Eine Reise in die Zeit” vom Friedrichstadtpalast. Die immer noch sensationell ist. Immerhin haben der Großcousin und ich sie nun zum dritten Mal gesehen, meine Cousine zum zweiten Mal – und zum ersten Mal, weil inzwischen alt genug, auch die Großcousine.

Es war toll! Und bei beiden Vorstellungen war der Applaus … mager.

Wir Deutschen haben ein sich durch unsere Gesellschaft schleichendes Problem: nämlich den Stock im Arsch. Dieser Stock im Arsch behindert uns bei sehr vielem. Zum Beispiel darin, Künstler mit Applaus zu belohnen. Offensichtlich sieht sich der Deutsche in nur einer Situation befähigt, diesen Stock zu entfernen, und das ist unter Einfluss gehöriger Alkoholmengen auf Mallorca im Ballermann. Na gut, der ausgesuchten Klientel von Florian Silbereisens Publikum möchte ich auch höhere Klatschkompetenz zusprechen. Aber die sind von WarmUppern vor der Show auch remote controlled worden. Ob sie auch von alleine darauf kämen zu klatschen?

In beiden Vorstellungen gab es Songs, die als Up-Tempo-Nummern zum Klatschen der Zuschauer direkt animierten. Also zumindest, wenn man einen Hauch von Takt und Musik innehat. Man ist nicht doof, wenn man das tut. Man vergibt sich auch nichts, wenn man einen Hauch von Mitmachmentalität an den Tag legt. Man hat die Möglichkeit an der Show selber mitzupartizipieren, sich einzubringen. Kunstbetrieb funktioniert so in einigen Sparten (ich behaupte ja nicht, dass man in Opernhäusern zu Mozarts Viervierteltakten klatschen solle). Aber es ist Zeichen für so viel. Für: Ich sehe dich, kleiner (und großer) Künstler; ich wertschätze dein Tun hier. Ich unterstütze dich. Ich freue mich an dir. Ich möchte dich positiv durch deine Arbeit tragen!

Die allermeisten Künstler habe vor ihren Auftritten Lampenfieber. Ich, als Kind, lag zwei Tage vor den Premieren irgendwelcher Weihnachtsaufführungen mit 40 Grad Fieber flach. Immer. Ich stand aber am Premieren- bzw. Aufführungstag auch immer wie eine Eins auf der Bühne, fieberlos. Die Sache mit dem Lampenfieber ist keine kleine Sache – und selbst erfahrenste Künstler berichten davon, dass sie selbst nach Jahrzehnten vor jedem Auftritt davon geplagt sind.

Was ihnen hilft? Applaus! Du gehst auf die Bühne, es wird geklatscht – du fühlst dich willkommen! Ich habe schon erlebt, dass Künstler auf die Bühne kommen und nichts passiert. So etwas bereitet mir körperliche Qualen. Und die erlebe ich noch schlimmer, wenn da kleine Menschen auf der Bühne stehen, sie selber euch zum Klatschen auffordern, weil sie es sich selber bei bestimmten Nummern wünschen, sich darüber freuen würden – und das Publikum verweigert sich ihnen? So erlebt bei der Aufführung meiner Großcousine. Shame on you!

Diese Würmer haben sich wochenlang neben der Schule in der Freizeit für diese (drei) Abende abgestrampelt, Stürze ausgehalten, Choreografien gelernt, haben Kostümproben ausgehalten, haben (mit den Eltern) mindestens ein Adventswochenende investiert, mit den Vorstellungen – für eine Masse X, die ihre Hände nicht einmal für einen Song aneinander bekommt? (Im Fall meiner Cousine galt an drei Tagen für die tolle Show freier Eintritt mit höflicher Spendenbitte, Klatschen und Applaus war also das probate einzige Zahlungsmittel.)

Und gestern das Gleiche, bei der allerersten Nummer wurde noch am Anfang geklatscht. Danach: Ruhe im Saal. Ich saß mit meiner Cousine in der privilegierten zweiten Reihe – als den Reihen, die die Künstler von der Bühne aus bei der Lichtshow noch maximal sehen können. Um uns Mütter mit ihren Kindern: Frozen! Als ein Kind bei einer Nummer ganz glücklich aufsprang, um mitzutanzen, wurde sie sofort wieder von ihrer Mutter in den Sessel gedrückt. Warum? Es ist eine Kindershow! Solchen Shows und den Darstellern kann doch nichts Schöneres passieren, als dass die kleinen Zuschauer in ihrer emotionalen Begeisterung mitmachen möchten! Dieses Mädchen hatte das schönste Signal gesendet – und wurde niedergedrückt. Was für eine Signalgebung!

Und natürlich hatte keine der Mütter, wie später leider auch fast der gesamte (volle) Saal, zwischendurch die Hände erhoben und ihren Kindern vorgemacht, wie man Künstler glücklich macht und durch deren Ängste trägt. Vor uns lauter kleine tapfere Menschen, die Außerordentliches auf die Beine gestellt haben, von denen einigen wirklich ihre Unsicherheit auch anzumerken war. Und die Ersten rennen schon raus beim Abschlussapplaus, damit sie die Ersten an der Garderobe sind. Nicht einmal den haben sie für die tollen Künstler*innen übrig.

Ich finde es so bitterböse traurig! Immer und immer wieder.

Ich hatte den fehlenden Applaus bereits 2007 schon einmal kommentiert. Hier im Blog: Klatschen ist auch eine Art von Kultur

Für mein Empfinden ist es schlimmer geworden.

1 Kommentar:

  1. Ja, Klatschen. In solchen Fällen starte ich einfach. Meist macht dann noch jemand mit.
    Fällt in die gleiche Kategorie wie das Zurückwinken, wenn ein Kind dir zuwinkt.

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Fröhlich sein, freundlich bleiben und bitte immer gesund wieder kommen!