Anlässlich der Eröffnung der Biennale Ravenna Mosaico 2022 durfte ich auf Einladung zu einer Pressereise von Ravenna Tourismo die Stadt Ravenna und ihre Sehenswürdigkeiten sowie die umliegende Ortschaften Classe, Milano Marittima, Cervia und Comacchio in der Emilia Romagna besuchen.
Wer erstmals Classe besucht, wird kaum auf die Idee kommen, dass dieser Vorort von Ravenna einmal ein großer militärischer Hafen war, dem eine große Flotte von 240 Schiffen vorstand.
Nun, wir sprechen von den Jahren in denen Kaiser Augustus I. regierte. Dem Kaiser, der schon vor aber auch noch ein paar Jahre nach Christus sein bewegtes Leben lebte.
Die natürlichen Kanäle und Lagunen ließen damals dort nicht nur die Verteidigungsflotte des oberadriatischen Meeres als ihren Ausgangshafen (Classis lat. Flotte) entstehen, sondern auch den Handel mit dem Orient florieren. Doch schon im IV. Jahrhundert n. Christus versandeten die natürlichen Wasserwege und gaben diesen Hafen als Stützpunkt dem Verfall preis. Zwei Jahrhunderte später war der Hafen nicht mehr brauchbar, ein Überfall der Langobarden machten Classe beinahe dem Erdboden gleich.
Classe ist heute klein und von den früheren Stadtmauern oder Hafenanlage sieht man nichts mehr. Es hält aber für den an Kunst- und Historie interessierten Besucher zwei interessante Ausflugsziele bereit: Die Basilika Sant’Appolinare mit ihren wundervollen Apsis- und Mittelschiffmosaiken und ihrem zylindrischen Glockenturm. Sowie das Museo Classis Ravenna – Museo della Città e del Territorio. In einer ehemaligen restaurierten Zuckerfabrik untergebracht erzählt es von der langen Geschichte von Classe und Ravenna. hält zahlreiche Fundstücke der frühen Epochen bereit.
Ein Ausflug von Ravenna aus hierher lohnt sich absolut! Nur sechs Kilometer entfernt liegt Classe im Speckgürtel der Provinzhauptstadt, der Bahnhof von Classe – der als visuelles Horsd’œuvre ein kleines Freiluft-Eisenbahnmuseum (darf man überhaupt noch Freiluft sagen oder muss man schon von Open Air sprechen?) bereit hält – wird von der Provinzhauptstadt aus mehrmals täglich in nur drei Minuten für € 1,50 angefahren. Die Basilika und auch das Museum sind vom Bahnhof Classe fußläufig erreichbar.
Basilika Sant’Appolinare
Die Basilika verdankt ihre Existenz dem Wirken des Heiligen Appolinaris, dem man zeitlich seine Existenz vor Ort nicht so ganz genau nachweisen kann. Es wird beschrieben, dass dieser 79. n. Chr. in Ravenna sein Leben verlor und so wird er geschichtslogisch auch im I. Jahrhundert n. Chr. im Hafen von Classe angelandet sein. Er gründete dort die erste christliche Gemeinde und trieb die Verkündung des Evangeliums über die ganze Emilia voran, was ihn auch zum allerersten Bischof von Classe machte.
Selbstverständlich konnte der Heilige Appolinaris Tote wieder zum Leben erwecken, Blinde sehend machen, Kranke heilen – das übliche Heldentum jener Zeit war ihm nicht fremd und er überzeugte damit die syrischen Handelsleute, die seinerzeit Classe vorallem bevölkerten. Gedankt wurde ihm sein religiöses Schaffen schlussendlich schlecht, er starb unter Folter für seinen Glauben und fand dort, wo heute die Basilika gebaut wurde auf dem Friedhof vor den Stadtmauern von Classe seine (erste) letzte Ruhe.
Der Mann bzw. seine Reliquien scheinen in den späteren Jahrhunderten noch ziemlich weit herum gekommen. Interessanterweise liegen seine Reliquien heute im Altar dieser Basilika – und gleichzeitig sein Kopf wohl in Düsseldorf, dessen Stadtpatron er ist. Während weitere Anteile seiner Gebeine sich in einem Sarkophard in Remagen aufhalten sollen. Nun, die Jahrhunderte kann man natürlich leicht den Überblick verlieren, wessen Gebeine wo für immer ruhen.
Das soll uns aber nicht von der wundervollen Mosaikkunst ablenken, die in diesem Bau die vielen Jahrhunderte überdauert hatte.
Unter Kaiser Justinian wurde der Bau der Basilika durch den Bischof Ursicinus initiiert und am 9. Mai 549 von Bischof Maximian eingeweiht. Tatsächlich war sie als letzte Ruhestätte für den Saint'Appolinares gedacht.
Sie steht heute in der flachen, sehr grünen Landschaft und wird von einer beeindruckenden Kuhherde bewacht wird. Ein Kunstprojekt, die Rindviecher sind statisch und man verliert dann doch recht schnell die Angst vor ihnen.
Die Basilika beeindruckt mit einer erstaunlich einfachen Fassade aus rotem Ziegelstein. Die offene Vorhalle (Ardika) der Basilika wurde Anfang des 20. Jahrhunderts restauriert, beherbergt einige Exponate der früheren Basilika. Von den rechts und links zur Ardika angeordneten turmartigen Bauten (Risalite) existiert heute nur noch die linke Variante – und beherbergt den Kassenraum. Die in der oberen Fassade beeindruckende Originaltrifore (dreibogiges Fenster) soll sogar noch im Original erhalten sein!
Das zur Basilika gehörende Kloster wurde 1512 völlig zerstört, dessen Nachfolger neu aber direkt in Ravenna errichtet. Zum rückseitigen linken Seitenschiff angeordnet steht der bemerkenswert hohe (37,5 Meter) Glockenturm. Er ist – wie nur für die Gegend um Ravenna üblich – in zylindrischer Form gebaut und ist nicht für Besucher zugänglich. Sein Durchmesser misst ca. 6,17 m, davon beträgt an einigen Stellen die Mauerdicke mindestens 1,91 m. Ein Durchgang ermöglicht den Zugang zum Seitenschiff der Basilika.
Diese wirkt in ihrem Innern erstaunlich weitläufig, wenn man sie betrifft. In einigen ihrer Fenster wird noch die ursprüngliche Verglasung vermutet. Die beiden Seitenschiffe trennen jeweils beeindruckende zwölf monolithische Säulen vom Mittelschiff. Die Säulen finden ihren oberen Abschluss in byzantinischen Kapitellen in Form von Akanthusblättern, stehen unten auf viereckigen Postamentbasen.
Die zahlreichen Versuche über die Jahrhunderte die Basilika zu zerstören, letztmals 1944 im zweiten Weltkrieg haben sie leider ihres originalen Fußbodens und der Decke beraubt. Ein kleiner Bereich des originalen in Mosaik gestalteten Fußbodens findet sich im rechten Seitenschiff der Basilika. Er lässt vermuten, dass der ursprüngliche Basilikaboden früher mindestens 30-40 cm tiefer lag.
Die gesamte Decke besteht heute aus einer schmucklosen Holzbalkendecke, sie soll früher mit Kassetten geschmückt gewesen sein. Auch die mit Marmor verkleideten Wände der Seitenschiffe existieren so nicht mehr.
Dafür stehen in beiden Seitenschiffen elf Mamorsarkophage aus unterschiedlichen Epochen, die unbedingte Aufmerksamkeit verdienen. Sie dienten vorrangig, zwei Kindersarkophage ausgenommen, als Gräber den ravennatischen Bischöfen bis in das VIII. Jahrhundert. Nicht immer kann deren Zugehörigkeit eindeutig bestimmt werden und da man auch hier und da mehr als ein Skelett bzw. zwei Schädel in einem der Steinsärge vorgefunden hatte, ist auch hier die reale Zugehörigkeit der Gebeine zumindest fraglich.
Sich von einer fachkundigen Person in einer Führung die Unterschiede der sakrophalen Steinkunst erzählen zu lassen, ist sehr zu empfehlen.
Die besondere Schönheit der Basilika Saint’Appolinare sind aber wirklich die in Technik, Farben und Geschichte beeindruckenden Mosaike, die die zum Mittelschiff zugewandten oberen Wände der Seitenschiffe zeigen. Vor allem natürlich das große gesamte Mosaik, das die Apsis der Basilika vollends auskleidet und mit dem das Licht der Fenster zu jeder Tageszeit – besonders hübsch am Morgen – spielt. Demgegenüber wirkt der Altar aus Marmor oberhalb der Treppe, der Jungfrau Maria gewidmet, erstaunlich klein, zierlich und zurückgenommen.
Man sieht im unteren Bereich der Apsis in chronologischer Reihenfolge die ravennatischen Bischhöfe um die Zeit des Heiligen Appolinaris dargestellt. Dem einen oder anderen von ihnen soll das Antlitz des Appolinaris nachts im Gebet begegnet sein, was zu deren Darstellung hier legitimierte. In dem Altar werden also (auch) die Reliquien dieses ersten Bischofs aufbewahrt und die dahinter hängenden Mamortafeln erzählen von seinem Wirken und der Überführungsgeschichte seiner sterblichen Überreste.
Die Apsismosaike werden zeitlich dem VI. Jahrhundert zugerechnet und gehören zum auslaufenden frühchristlichen ravennatischen Zyklus. Sie sind in zwei Zonen aufgeteilt, Im oberen Bereich wird die Geschichte Christi am Berg Tabor erzählt, wobei Christus hier als Symbol in Form des Kreuzes deklariert wurde mit einem nur ganz kleinen Antlitz mitten im Kreuz. Wir sehen Moses und Elias. Als drei Lämmer dargestellt und seitlich aufgeteilt die Aposteln Petrus, Jakob und Johannes. (Wie immer: click aufs pic makes it big!)
Im unteren Bereich grüßt der Heilige Appolinaris betend aus dem Paradies – zumindest aus einer paradiesischen Landschaft. Auch ihn begleiten Lämmer, hier zwölf an der Zahl, die wohl die christliche Glaubensgemeinschaft symbolisieren.
Die Szenen wirken realistisch, wenn auch etwas naiv dargestellt. Überall finden sich Motive aus der Pflanzen- und Tierwelt wieder. Und seitlich aus dem Zentrum heraus tretend werden rechts und links Szenen aus dem Alten Testamente erzählt. Es ist alles in allem eine farbliche Vielfalt, die viele Jahrhunderte überdauert hatte, stellenweise überarbeitet und Blattgold lässt häufig grüßen.
Es ist eine faszinierende Welt voller kleiner Steine. Sehenswert ist dieser Ort, dieser Kunstschatz auf jeden Fall!
Classis Ravenna – Museo della Città e del Territorio
Keine zehn Fußminuten von der Basilika Saint’Appolinare entfernt wartet das Classis Ravenna – Museo della Città e del Territorio mit einem anderthalb Hektar großen Park und einer Ausstellung auf 2600 Quadratmeter Fläche darauf, Besucher in die besondere Geschichte von Classe und somit ein Stück weit auch Ravennas zu entführen.
Die modern gestaltete Exposition zeigt multimedial ganz modern aber auch im herkömmlichen Ausstellen der archäologischen Exponate und früher verwendeten Technologien eine nie langweilige Reise zurück in weit entfernte Jahrtausende. Interessierte Besucher*innen begegnen den etruskisch-umbrischen Wurzeln der Stadt, der Ausweitung von Classe in der römischen Phase, der gotisch-byzantinischen Epoche bis in das Mittelalter.
Der Eintrittspreis für beide Sehenswürdigkeiten, also Basilika und das Classis Ravenna Museo, beträgt zusammen derzeit 8 Euro. Für die Basilika wählt man ein Zeitticket, das Museum kann den ganzen Tag von 10-17 Uhr besichtigt werden. Ermäßigungen sind möglich, Kinder bis sechs Jahre haben freien Eintritt.
Weitere Informationen zu den Sehenswürdigkeiten in und rund um Ravenna findet ihr auf ravennantica.it.
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