2022-08-24

Winnetou

Nachdem sich nun auch Apanatschi (Uschi Glas) zur Debatte geäußert hatte, möchte ich auch meinen Psalm zur Ravensburger-Verlag-Winnetou-Kinderbuch-Debatte geben.

Als diese ganzen Winnetou-Filme rauskamen, bin ich gerade geboren worden. Ich bin also altersbedingt nicht ins Kino gegangen, um sie zu sehen, sondern habe sie dann in der Erstausstrahlung im deutschen Fernsehen Jahre später irgendwie mitbekommen. Kindlich naiv mochte ich die nie, weil immer einer sterben musste (meist ein Guter) von irgendjemanden gemolcht (meist von einem Bösen). Das in der weiteren Handlung dann meist die Guten auch die Bösen molchten, um den Tod des Guten bei den Bösen zu rächen, war mir kindlich suspekt.

Fakt ist aber: Ich bin (durch diese Filme) in dem Glauben sozialisiert worden, dass die Guten allermeist die weißen Cowboys waren, die Bösen allermeist die Indianer, die noch böser waren, weil sie nicht nur töteten sondern auch den Skalp zogen. Und nur weil Old Shatterhand Winnetou die Hand reichte, hatte ich eine Idee, dass es eventuell noch einige gute Indianer neben den vielen Bösen gab. Ich bin nicht neutral zu Indianern in dieser Zeit sozialisiert worden. Und das finde ich – heute realisiert – sehr sehr bitter!

Mein Bruder, dreieinhalb Jahre älter als ich, war indes früh großer Fan dieser Buchverfilmungen. Ob er je eines der Karl May-Bücher gelesen hatte, weiß ich nicht, denn er hatte es mit dem Lesen nicht so. Später hatte ich einmal angefangen diese Bücher zu lesen, denn es gab sie in meinem Elternhaus. Interessanterweise – obwohl ich sobald ich halbwegs lesen konnte immer alles weggelesen hatte, was meinen Weg kreuzte (ich habe sehr früh Hermann Hesse gelesen) – konnten mich die Bücher von Karl May nie überzeugen sie zu Ende zu lesen. Was gestern auf Twitter sehr viele Menschen auch erzählt haben.

Ich bin mindestens einmal zum Fasching als Indianerin gegangen, das beweist ein Foto. Erinnern kann ich mich daran selber nicht mehr. Apanatschi (Uschi Glas) war die schöne, gute und vor allem „nur” Halbdindianerin, die Glas in. Als die durfte man gehen zum Fasching. Inwieweit ich überhaupt darauf echten Einfluss genommen hatte, weiß ich heute nicht mehr. Ich vermute eher nein, tatsächlich traf die Kostümentscheidungen meine Mum – zeitgemäß mit großer Kreativität hinsichtlich ihres kleinen Budgets. Ich ging auch einmal als Frau Antje, Rotkäppchen und einmal als Charleston Girl. Mein Bruder indes ist mehrmals als Cowboy gegangen. Inwieweit er da inhaltlich geschichtlich wirklich verankert war, keine Ahnung. Beim ihm tippe ich eher auf die Liebe zum Colt und Platzpatronenpapier.

Tatsächlich haben wir in meiner Kindheit aber sehr oft Cowboy und Indianer gespielt. Ich möchte in meiner Erinnerung behaupten, dass allermeist in dem Faschingsspiel Jungs die Cowboys waren und Mädchen die Indianerinnen, die Indianer mussten öfter sterben. Das kann man tiefenpsychologisch ruhig wirken lassen.

Interessant übrigens, die erste Verfilmung eines Karl May-Werkes im Jahr 1920 (!) war ein Stummfilm namens „Auf den Trümmern des Paradieses”. Ist verschollen. Persönlich finde ich die Vita von Carl Friedrich May spannender als eines seiner von mir ungelesenen Werke. (Ich habe es wirklich versucht.)

Dass die May-Bücher, Filme zu dieser Zeit in (West-)Deutschland vor allem in der Nachkriegszeit so einen Erfolg haben konnten, vermute ich, lag daran, dass alles was in Amerika spielte oder passierte irgendwie toll war, denn es waren die wundervollen Alliierten aus Amerika, die uns trotz unserer jüngsten Geschichte des Holocausts irgendwie gerade noch einmal so die Hand zur Versöhnung gereicht hatten. (Was ich den Amerikanern tatsächlich hoch anrechne, wie auch den Briten und Franzosen. Nicht den Russen, die sind meiner Meinung nach den gleichen Weg sehr falsch gegangen.)

Dass wir Deutsche nach unserer hässlichen jüngeren Gesichte in dieser Zeit uns mit den Amerikanern besonders verbunden gefühlt haben, geschichtlich inhaltlich, mag vielleicht auch daran gelegen haben, dass die First People (Europäer btw.) seit der Besiedlung von Amerika im Jahr 1776, das Volk der Indianer von 6-7 Millionen im Jahr 1500 auf nur noch 237 000 Menschen im Jahr 1900 dezimiert haben. Und das sehr bewusst. Man ist auf dem „Trail of Tears” weder mit den Cherokee und auch beim „Long Walk” mit den Navajo human umgegangen.

Wir erinnern uns, Deb Haaland, ist unter Präsident Joe Biden die erste (!!!) indigene Politikerin als Innenministerin. Im Jahr 2021. Soweit ich informiert bin, haben die Amerikaner den Genozid an den Indianern immer noch nicht als solchen in ganzer Tragweite zugegeben. Schade eigentlich, hinsichtlich anderer Völker können sie es nämlich.

Es mag in den Augen der damaligen unter Hitlers brauner Politik sozialisierten Deutschen durchaus sympathisch gewirkt haben von jemanden gerettet worden zu sein, der auch ziemlich viel inhumanen Dreck am Stecken hatte. Also bei den knapp 5000 Deutschen, die sich nach dem Krieg weiterhin zum Nationalsozialismus bekannt haben. Der Rest, das wissen wir ja heute, waren alle Friedenskämpfer. Immer schon. (/ironietag_off)

Unter all diesen Gesichtspunkten finde ich die Verehrung der Bücher und Filme von Karl May in der deutschen Gesellschaft als heutige Erwachsene sehr bewusst völlig daneben, wie ich immer schon fassungslos vor Berichterstattung zu diesen Bad Segeberg-Spielen stand, wie ich das auch schon als ehemaliges Kind ganz unbewusst einfach nicht mochte, wie oben schon beschrieben. Natürlich mag man als Kind das Töten und Sterben sowieso nicht, egal wo es passiert und wen es trifft.

Auf. So. Verdammt. Vielen. Ebenen. Finde ich das daneben!

Die erste: Es stehe uns einfach nicht zu Cowboy und Indianer-Kriege unseren Kindern in der heutigen Gesellschaft als Unterhaltungsform anzubieten. Nicht bei der Geschichte. Nicht, wenn der Verursacher sich bis heute der Anerkennung seiner Vergehen entzieht! Ich will das nicht mehr: Weder in Büchern noch in Filmen! Und wenn Uschi Glas sich heute so zitieren lässt: Und – die ist ja nicht blöd, die Frau – in ihrem Zitat: „In den Filmen und den Romanen gibt es Gute und Böse. Sie haben weiße oder rote Haut.” in genau dieser Reihenfolge auf das Gute „weiße Haut” und auf das Böse „rote (sic!) Haut” (–> Wikipedia Artikel) folgen lässt, dann werde ich so unendlich sauer, dass ich dieser ollen weißen Frau zu gerne ins Gesicht speien möchte! Wie wenig kann man in 78 Lebensjahren kapiert haben?

Meiner persönlichen Meinung nach ist Uschi Glas eine elendige Rassistin.

Ich sage es mal so: Nur weil ich als Kind ein Buch gerne gelesen habe (oder auch gar nicht oder gar nicht gerne) heißt das nicht, dass ein Buch aus dem Jahr 1893, das damals vermutlich sogar von dem Autoren mit durchaus völkervereinigenden Zielsetzung verfasst worden ist, über einhundert Jahre später weiterhin gesellschaftliche Relevanz haben sollte mit dem gleichen Ausdruck in der Thematik.

Wir sind mittlerweile klüger, wir sind weiter. Wir leben in der Zeit der Globalisierung. Und vermutlich vermag Karl May mit seinen Büchern ein Stück weit das Bewusstsein für ein faires Miteinander bei einigen Lesern geweckt haben. Frühzeitig.

Und trotzdem müssten sie heute ganz anders erzählt werden. Denn wir müssen leider jeden Tag gegen wieder erstarkenden Rassismus kämpfen! Bücherbildung gerade bei jungen Menschen halte ich hier für eines der klügsten Instrumente – direkt nach persönlichem Austausch und dem klugen Vorleben des sozialen Umfeldes. Wir können heute die Geschichte der Indigenen Völker wirklich anders, wahrheitsgemäßer besser erklären als Karl May es damals vermochte. Der Ravensburg Verlag hat gut entschieden.

1 Kommentar:

  1. Ich habe bis jetzt nicht von der Diskussion mitbekommen. Dein Post ist großartig. Gleich mal in meine Bubble gepostet.
    Vielen Dank.

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