Heute war Normas Beerdigung. Meine erste Beerdigung auf einem Friedhof in Berlin-Mitte. Der II. Sophien-Friedhof in der Bergstraße. Allererste Lage, für Norma nur das Beste.
Wie es sich für die kleine Sonnenanbeterin geziemt, schien heute die Sonne hell und leuchtend. Sie tauchte die Scheiben in der kleinen Kapelle in wunderschönes Licht und wärmte uns während der Trauerrede im kalten Gemäuer die Oberkörper. Die Familie hatte zu der roten Urne ein Foto von Norma aufgestellt, das sie schon als ältere Dame zeigte. Sie trägt auf dem Foto so etwas wie das, was man heute „Fascinator” nennt. Ein Hauch von Etwas seitlich am Kopf. Sie guckt auf dem Foto genauso wie sie war, heiter bis belustigt, irgendwo in dem Gesicht und in den Augen saß immer eine Portion Schabernack. Diese Frau war noch im Alter wunderschön!
Der Trauerredner erzählte von ihrem Leben. Ich war dabei erstaunt, wie viel ich davon tatsächlich schon wusste, obwohl ich sie nicht lange kannte und wir nun auch nicht immer beisammen saßen. Aber sie hat mir in der kurzen Zeit viel erzählt. Nur vom Heinz war nie die Rede, ihre unglückliche Liebe, die kurze Ehe, die sie wohl mehrmals noch nach der Scheidung versuchte wieder zum Leben zu erwecken, was nie mehr gelingen sollte bis der Mann dann nach Westdeutschland gegangen war. Was damals halt hieß, die DDR verlassen hatte.
Aber von der Mauer und Stadtteilung war in dieser Trauerrede nie die Rede, wenn doch vom Krieg, dessen Anfang sie als 13-Jährige erlebt hatte, die Schrecken also sehr bewusst wahrnehmen musste, und dann ihren ältesten Bruder mit 17 Jahren in der Uniform am ersten Weihnachtsfeiertag verlor. Das hatte sie mir einmal – Jahrzehnte später – tiefbekümmert über die Balkonbrüstung hinweg erzählt, wie sie danach nie wieder fröhlich Weihnachten feiern konnte. Bis einer ihrer Urenkel an dem ersten Weihnachtsfeiertag geboren wurde, was ihr erst den Frieden wieder gegeben hatte.
Norma hatte dieser Tage Angst vor einem neuen Krieg aufgrund der ganzen Entwicklungen im Nahen Osten und vor allem in Russland. Der Russe im Krieg, davon haben die Menschen ihrer Generation ihr sehr eigenes Erleben. Sie erzählte mir einmal von ihrer Angst, die ich mit ihr teilen konnte. Ich stand da und hatte Gänsehaut und wusste nicht, wie ich sie beruhigen hätte können. Da habe ich lieber die Angst mit ihr geteilt und ihre ernst genommen.
Ich habe mich immer bewusst bemüht in den Zusammentreffen mit Norma keine platten Sprüche zu bringen, die man gerne älteren Menschen gegenüber anwendet, wenn sie von den Dingen sprechen wie Tod, Verlust und Müdigkeit, von denen man selbst noch nichts hören will. Ich bin froh, jetzt froh, dass ich bei unserem letzten Gespräch als sie mir sagte, dass sie müde sei, einfach nur gesagt habe, das ich das verstehen würde aber dass es mich auch traurig machen würde, wenn sie nicht mehr sei. Ehrlichkeit im Leben ist später ein prima Begleiter in der Trauer.
Der Redner sprach von der Fröhlichkeit, die Norma so ausgezeichnet hätte und dass Musik ihr ständiger Begleiter gewesen wäre, er sprach an, dass sie alle Arten von Musik liebte, im Chor gesungen hätte, gerne Klassik gehört hätte und André Rieu. Norma hatte immer den Radiosender an, der Rockmusik spielte, laut. Sie beschallte damit gerne den Hof und somit meinen Weg zum Müll, was ich doch außerordentlich reizend fand. Immer wieder.
Ich habe heute oft auf ihr Foto geblickt und musste immer denken: „Norma, Du kleiner Rocker!” Doch ja, Norma war noch mit 88 irgendwie Rock'n Roll! Die 15-jährige Tochter einer Nachbarin im Haus, heute tapfer dort die Familie vertretend, erzählte mir, dass ihre Mutter ihr immer erzählt hatte, wie sie mit Norma und einer Nachbarin „damals” nebenan in das besetzte Haus gegangen seien und mit den Bewohnern musiziert hätten.
Ich hatte Normas Tochter angesprochen und ihr gesagt, bevor sie den Gartenzwerg auf Normas Balkon wegwirft, denn die Wohnung wird ein Unternehmen auflösen, möge sie ihn bitte mir geben. Sie wollte noch ihre Enkel fragen und hat ihn mir dann neulich in die Hand gedrückt. Ich bin keine Gartenzwergliebhaberin aber dass ich nun vom Normchen den Zwerg hier stehen habe, erheitert mich und meinen Balkon. Ich erinnere mich sehr gerne an sie.
Wie der Redner sprach mit Hinweis auf die Urne, man könne eben nichts mitnehmen, deswegen gehe es im Leben vorrangig darum zu schenken: Freundlichkeit, Fröhlichkeit, Wärme und Liebe. So kurz ich diese Frau nur kannte, zweifle ich keinen Moment daran, dass sie sehr reich gegangen ist, weil sie Zeit ihres Lebens all das oft und nachhaltig verschenkte.
Nun haben wir sie begraben an einer wunderschönen Stelle, umrahmt von zwei Kirschlorbeerpflanzen mitten in ihrem Berlin. Ich habe mich bei ihr am Grab bedankt, dass ich sie kennenlernen durfte.
Danke für diese sehr schöne und persönliche Geschichte vom Abschiednehmen, das fühlt sich ganz warm und innig an.
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