2012-09-14

Habt Mut, Frauen!

Und liebe Mütter: gebt Euren Kindern, vor allem aber Töchtern, Mut mit auf den Weg!

Heute nachmittag bin ich wieder U-Bahn gefahren. Ich steige Schönleinstraße ein, zwei lächerliche Stationen, die ich sonst immer laufe – aber die Füße taten weh und ich war müde.

Im Wagon steht ein Typ merkwürdig im Gang in eine Sitzreihe übergebeugt und versperrt halb den Weg zum Sitz, den ich einnehmen möchte und ich denke noch bei mir, mich an seinem Rucksack grob vorbei schiebend, „wat stehst Du hier so bräsig rum?” Als ich sitze fällt mir auf, der spricht mit jemandem auf der anderen Seite und es klingt alles nach Abrechnung. „Wenn ich mit Dir fertig bin, ich werde Dir alles zurück zahlen, was Du mir angetan hast …”, ganz merkwürdig monoton. Die junge Mutter mir gegenüber fängt schon an ihre Tochter von der anderen Seite einzusammeln, die dieser Person gegenüber sitzt, die der Typ zulabbert. Ich denke bei mir, aha, Beziehungskrise galore!

Irgendwann ändert sich sein Vokabular und er fängt an ihr zu drohen, was er alles mit ihr anstellen will, wenn sie aus der Bahn raus sind und sie alleine sind. Aber immer noch ganz ruhig und unaufgeregt, monton.

Nun muss ich sagen, ich bin ja das Kind eines unter Alkohol prügelnden Vaters – der aber mich nie angerührt hatte. Immer nur meinen Bruder und meine Mutter. Insofern stand ich mit vier Jahren vor meinem Vater, mehrmals, nachts, wenn er wieder besoffen auf Prügeltour (und bei meiner Mum Schlimmeres) war und habe die beiden beschützt. Da war meine Kindheit dann auch vorbei – aber er hat mich eben nie angerührt, ich hatte dieses Gottvertrauen. (Heute erzähle ich das immer recht lapidar und fast lustig, aber das war es natürlich nie. Gar nicht.) Das hat aber heute immer noch zur Folge, dass ich a) sehr aggressiv werde, wenn ein Typ einer Frau gegenüber übergriffig wird und ihr Schläge androht und b) ich dummerweise auch glaube, mir könnten solche Typen nichts, denn ich bin m. E. nach irgendwie seit jüngster Jugend unverletzbar. Tatsächlich haben diese Situationen häufig in meinem Leben gezeigt, dass die allermeisten Männer in solchen Situationen, sobald sie Gegenwehr bekommen von Außen, ganz schnell ablassen.

Kurz: die Situation in der U-Bahn nahm meiner Meinung nach eine Richtung, die ich ziemlich zum Kotzen fand. Ich beugte mich also über und fragte die Frau, die da saß, sehr gepflegt, ca. 25 Jahre alt, relativ groß sogar, ob sie Hilfe bräuchte. Sie antwortete, „im Moment noch nicht.” Ich fragte sie, ob ich mich zu ihr setzen solle und in dem Moment kamen bei ihr schon die Tränen.

Der Typ ließ übrigens in dem Moment, als ich ihn ignorierend über den Haufen stoßend den Platz einnahm, sofort ab von ihr. Der Mann ihr gegenüber reichte ihr dann ein Taschentuch und war auch sehr hilfsbereit. Interessanterweise stellte sich nämlich kurz darauf heraus, sie kannte den Kerl gar nicht! Der hatte uns alle richtig gut gefoppt mit seiner Psychose. Letztendlich war er nur eine versandete Seele auf Exkurs. Der stand mittlerweile auch wie unbeteiligt in der Ecke an der Tür und traute sich uns keines Blickes zu würdigen. (Ich guckte ihn mir nochmals sehr genau an, falls wir das Zeugenspiel spielen sollten.)

Ich bot der Frau an mit ihr zu fahren und sie dorthin zu begleiten, wo sie hinwollte, damit sie sich überhaupt beruhigen konnte, denn es ging ihr wirklich schlecht. Wir klärten wo sie hin müsste, und es erklärten sich der Mann gegenüber als auch eine weitere Frau bereit mit ihr zu fahren und sie auch ein Stück zu begleiten. Ich bot ihr auch an, dass wir den Zug verlassen könnten und falls er auch nachkäme, sofort die Polizei rufen würden. Aber das wollte sie nicht.

Sie also in guten Händen wissend, bin ich dann ausgestiegen. Die andere Frau nahm dann meinen Platz ein.

Okay, ich nehme das als Zeichen – ich sollte vielleicht wieder einfach weniger U-Bahn fahren, der Deppenalarm ist momentan ausreichend groß. Aber am meisten tut mir weh, dass diese junge Frau nicht den Mut hatte aufzustehen, und dem Mann ganz klar zu signalisieren, dass er sie in Ruhe lassen soll. Am besten ihn siezend, denn dann hätte wir anderen vielleicht nicht solange still gehalten, weil wir früher bemerkt hätten, die streiten sich gar nicht gerade auf sehr ruhige eigene Art.

Es tut mir so leid, was der Mann ihr emotional angetan hat. Wirklich sehr!

8 Kommentare:

  1. Manchmal macht nicht der eigene Mut den Unterschied,sondern der einer helfenden Person,wie Deiner!
    (alles voll beschissen,wie es bei Dir früher war,und die alltägliche Gewalt :( )

    AntwortenLöschen
  2. Danke. Jede solche Erzählung gibt mir ein weiteres Stück Selbstvertrauen, dass auch ich helfen könnte. (Habe ja sogar einen Kurs gemacht, wie mit solchen Situationen umzugehen ist, inklusive Konzentration aufs Opfer statt auf den Aggressor etc. - doch es bleiben die bösen Zweifel, ob ich nicht einfach feige abhauen würde.)

    AntwortenLöschen
  3. @Immertreu
    Den größten Schaden nimmt diese Welt leider wirklich an der Ignoranz. Bemerken und Dasein kostet nichts, gibt aber oft sehr viel.

    @kaltmamsell
    hör mal, die Zweifel habe ich auch immer wieder. Ich habe die Erfahrung gemacht, kurz nachfragen ist immer gut. Da greifst Du ja kaum ein, unterbrichst aber schon mal den Schwung der Aktion. Du kannst helfen. Jederzeit. Selbstverständlich kommt das immer auf die jeweilige Situation an. In manchen Situationen ruft man besser nur die Polizei.

    Was gar nicht hilft, ist diese Gefühl (ich habe die Frau schon sehr gut verstanden in ihrer Nichtaktion, setzen wir mal eigene frühere schlechte Erfahrungen als hoffentlich nicht gegeben voraus bei ihr): man denkt als Opfer natürlich man macht sich lächerlich, wenn man um Hilfe bittet. Das muss gelernt werden, dass das genau gar nicht passiert und dass das aktive Ansprechen in einer solchen Situation immer auch Reaktion abruft.

    Die andere (beobachtende) Seite ist immer auch unsicher darin, ob die Situation dergestalt schon entgleist ist, dass man fürsorglich sein soll. Deswegen ist die simple Frage „Kann ich helfen?” ganz gut, Und nimmt die Aufmerksamkeit von Aggressor und lenkt sie auf das Opfer. Das können die gar nicht gut ab. Das klaut ihnen die schöne Routine und nimmt ihnen meist den Spaß, da haben Dir meiner persönlichen Erfahrung nach, die Dozenten in den Kursen genau das Richtige gelehrt.

    AntwortenLöschen
  4. ... dass das aktive Ansprechen in einer solchen Situation immer auch Reaktion abruft.

    Also aus eigener schmerzhafter Erfahrung und Beobachtung kann ich diesen Teil des Satzes leider nicht unterschreiben. Es kann einem als Opfer durchaus auch passieren, dass man um Hilfe bittet und trotzdem rührt keiner einen Finger. Ein extrem schockierendes Erleben, weil man da schon ein Stück den Glauben an die Menschheit verliert. Wer so etwas einmal erlebt hat, tut sich noch schwerer um Hilfe zu bitten und natürlich hat sich der Angstpegel, mit dem Wissen im Hinterkopf, dass Dir im Ernstfall unter Umständen keiner hilft, selbst wenn Du Leute direkt ansprichst, stark erhöht. Sehr schlechte Voraussetzungen für ein evtl. nächstes Mal. Aber es gibt natürlich auch Gegenbeispiele und Menschen wie Dich und natürlich stimmt es, dass manche Menschen einfach nur ein klares Signal vom Opfer brauchen, um evtl. vorhandene Hemmschwellen zu überwinden und hilfreich einzugreifen.

    AntwortenLöschen
  5. @Liisa
    Also mir tut es leid, wenn Du so eine Erfahrung hast machen müssen. Aber dennoch: ich bin mir sehr sicher, dass in den allermeisten Fällen Menschen helfen! Vor allem, wenn sie direkt aufgefordert werden. Den allermeisten Menschen ist der Andere nicht scheißegal.

    AntwortenLöschen
  6. Hut ab vor so viel Zivilcourage, die in dieser Zeit nicht selbstverständlich ist. Und ich muss Liisa hier recht geben: Die Oma-Mama ist vor nun knapp 8 Jahren vor der eigenen Haustür bedroht wurden. Sie hat wirklich um ihr Leben geschrieen und keiner hat das gehört oder hören wollen. Der (Übel)Täter wurde angezeigt, kam aber ungestraft davon (trotz Bedrohung mit dem Elektroschocker), da der Staatsanwalt der Meinung war, das kein öffentliches Interesse an einer Verurteilung besteht. Zwei Jahr später wurde die Zweibeinerin Panikpatientin! 5 Jahre hat die Seele gebraucht, um zu heilen. Vielleicht haben Sie ja der Frau heute so ein Schicksal erspart. Also, noch einnmal Hut ab ... Thor Löwenherz

    AntwortenLöschen
  7. @Thor
    Die Frau hat natürlich so oder so leider Schaden genommen. Das steckt man nicht so weg, ganz klar. Aber vielleicht motiviert sie die Hilfeleistung irgendwann in einem anderen Fall ähnlich aktiv zu werden.

    Ja, es gibt natürlich Fälle, in denen nicht Hilfe geleistet wird. Das sind die Fälle, die es auch dann immer in die Medien schaffen. Wir gucken ja lieber auf die Negativfälle und rechnen dann hoch. Was natürlich komplett falsch ist, in diesem Land wird täglich viel häufiger geholfen und unterstützt – darüber wird nur nie berichtet. Leider führt der umgekehrte Weg zu einer falschen Erziehung der Allgemeinheit: es gilt als legitim nicht zu helfen, denn man kann eher nachvollziehen sich nicht selbst in Gefahr bringen zu wollen. Dennoch: das sind in der Mass lediglich Negativeinzelfälle.

    AntwortenLöschen
  8. Ganz ehrlich weiß ich nicht, ob ich Deinen Mut gehabt hätte?! Du bist eine wunderbare Frau, das wusste ich vorher - das bestätigt sich quasj nur noch.

    Mut, für alle.

    AntwortenLöschen

Fröhlich sein, freundlich bleiben und bitte immer gesund wieder kommen!