LOST – Looking For The Sustainability Of Taste in Europe – ist eine von der EU geförderte Kooperation (Enjoy it’s from Europe) von acht italienischen Schutzkonsortien, die auf sehr traditionelle Weise Käse produzieren und es weiterhin tun möchten – unabhängig der nicht immer sinnvollen Regularien innerhalb der Europäischen Union. Gute Nachrichten, innerhalb der EU sind früher in den Auflagen gemachte Fehler, die gerade den kleinen traditionelle Betrieben das Überleben sehr schwer gemacht haben, erkannt worden. Heute unterstützt sie die Produzenten heimischer Produkte, um sie auch überregional bekannter zu machen und deren historische Produktvielfalt im Erhalt zu sichern.
Formaggio di Pecorino, Parmiggiana, Gran Padano, Gorgonzola, Taleggio oder Mozzarella und Burrata. Alles gängige Käsesorten, die wir hierzulande in jeder halbwegs gut sortierten Käsetheke im Supermarkt vorfinden. Aber habt ihr schon einmal etwas von Murazzano, Ossolano, Roccaverano, Strachítunt, Puzzone di Moena, Vastedda della Valle del Belice, Provolone del Monaco gehört? Oder sie gar kosten dürfen?
Historische Käsesorten aus Italien – mit geschützter Ursprungsbezeichnung
Sie alle entstammen teils größeren, teils sehr kleinen Regionen Italiens. Acht Käse aus fünf Gebieten Italiens, die unterschiedlicher kaum sein können. Traumhafte Landschaften, Respekt und die Rückbesinnung auf die enge Beziehung zur Natur, begleitet von Geschichte und Tradition. Sie werden unter dem Anspruch der Nachhaltigkeit produziert, endemische Tierrassen werden in ihrer Vielfalt geschützt – und werten das Erbe jeder einzelnen Region auf, ihre natürlichen Ressourcen und Kultur ihrer Käse. Kurz:
Es sind alles Käsesorten, die mit hohem traditionellem Anspruch und nur in einer bestimmten Region produziert werden und daher mit dem Denominazione d’Origine Protetta-Siegel – kurz: DOP – zertifiziert sind. Immer an dem rot-gelben Signet der geschützten Ursprungsbezeichnung der Europäischen Union zu erkennen. Und einige davon stelle ich euch nun vor:
Murrazano DOP aus dem Piemont
Es geht hier nicht alleine nur um die Herkunft. Wenn Käse aus einer bestimmten Region stammt, bedeutet das so viel mehr. Es bedeutet zum Beispiel, dass die Milch für einen Käse von einer ganz bestimmten Tierrasse nur produziert werden kann – und somit gerade diese Rasse unter besonderem Schutz zu stellen ist. Oder Landschaften durch Beweidung erhalten werden müssen.
Ein Beispiel hierfür ist der Murazzano DOP aus dem nordwestlichen Teil des Piemont. Dieser vollfette Frischkäse muss zu einem Mindestanteil aus Schafsmilch der Rasse Langa, alternativ mit einem Mindestanteil von 60 % derer Milch und maximal 40 % Kuhmilch hergestellt werden. Und diese Schafe gibt es heute kaum noch; ihr Bestand ist von über vierzigtausend Tieren im Jahr 1960 auf heute nur noch zweitausend Tiere geschrumpft!
Wenn diese Rasse stirbt, stirbt auch dieser Käse – der Angriff durch Überregulierung innerhalb der EU und durch große Produzenten auf unsere Produktvielfalt in der EU wird so sehr deutlich! Das große Geld winkt wohl nicht, wenn man sich der Produktion eines solchen heutigen Nischenproduktes verschreibt. Und dennoch gibt es heute noch in der Region Alta Langa 50 Gemeinden, wie Bossolasco, Serrvavalle und Somano, Käseproduzenten, die an ihren Langa-Schafen festhalten und für den Erhalt dieser Rasse kämfpen. Um weiterhin diesen einen Käse zu produzieren, wie ihre Vorfahren. Einen Käse, von dem erzählt wird, dass er mit seinem zarten Geschmack und würzigen Noten den Teufel dazu brachte, sich in eine Krähe zu verwandeln – nur um diesen Murazzano DOP zu stehen und mit in die Hölle nehmen zu können.
Strachítunt DOP aus der Lombardei
Reisen wir weiter in die Lombardei Italiens, in das Taleggio Tal. Von hier stammt der Strachítunt DOP, ein Käse, der fast in Vergessenheit geraten war. Ein Aristokrat unter den Käsearten – von neun mit dem DOP-Siegel ausgezeichneten Käse in der Region Bergamos. Er ist ein Blauschimmelkäse mit mindestens 75 Tagen Reifezeit, nachdem er mit einem morgendlichen und einem abendlichen Käsebruch hergestellt wird. Beide Brüche vermengen sich nicht perfekt – und in den Zwischenräumen bilden sich die Schimmelpilze, nachdem durch Einstechen einer Kupfernadel Luft in den Käse gebracht worden ist.
Und auch dieser Käse darf nur aus einer bestimmten Kuhrasse hergestellt werden, der Bruna Alpina-Kuh. Deren Futter muss zu 60 % aus Gras und Heu bestehen, das wiederum zu 90 % aus der Region stammen muss. Heute gibt es noch elf Erzeuger, die in den Gemeinden Taleggio, Vedeseta, Gerosa und Blello, den aromatischen, je nach Reifegrad tief pikant-würzigen Strachítunt herstellen.
Provolone del Monaco DOP
Kampanien – ein Name „Il Provolone del Monaco DOP” und seine Geschichte: Gingen früher die Käser aus vielen verschiedenen Orten der Halbinsel Sorrent und der Monti Lattari in Neapel an Land, waren sie in mehreren Schichten Sackleinen gehüllt, um sich vor der Kälte und Feuchtigkeit auf dem Meer zu schützen. Ihr Aussehen ähnelte dem der Mönche in ihren Kutten und so wurde der Käse, den sie auf den Märkten verkauften, im Volksmund zu dem Provolone der Mönche.
Sein Herstellungsprozess ist kompliziert: Die Rohmilch von maximal zwei Melkvorgängen der Agerolese Rinder (mit TGA-Kennzeichnung für „einheimische genetische Rasse”) werden mit Ziegenlab versetzt. Die hölzerene Sassa zwingt den Käsebruch auf die Größe sehr kleiner Körner, die blanchiert und anschließend geschleudert werden. Für das anschließende Drehen der Käsemasse braucht es mindestens zwei starke Personen. Sobald die Käsemasse die richtige Konsistenz erreicht hat, wird die typische Provolone-Form geformt und paarweise geschnürt und auf ein Metallgestell gehängt, wo sie bis zu 20 Tage bei Raumtemperatur trocknen. Danach reifen sie bei ca. 8-15 Grad Celsius in einem Raum, werden nach sechs Monaten in Salzlake getaucht und reifen 4-18 Monate in Käsekellern. Je dunkler seine Außenhaut – desto näher ist der Provolone del Monaco dem Alter der Mönche gekommen.
13 Gemeinden mit klangvollen Namen wie Casola di Napoli, Castellammare di Stabia, Lettere oder Piano di Sorrento züchten und schützen die vom Aussterben bedrohte Rinderrasse Agerolese heute in der Region und produzieren diesen aufwändigen Käse.
Vastedda della Valle del Belice DOP von Sizilien
Besuchen wir Sizilien. Von hier stammt nicht nur der älteste Käse Europas, der Pecorino Siciliano DOP, der O Picurinu, sondern auch der Vastedda della Valle del Belice DOP. Ein Schafskäse, der seine Existenz, einer kleinen Katastrophe verdankt. Im Vastedda della Valle del Belice lebt die Schafrasse Valle Del Belice auf offenen Weideflächen.
Einem alten Käser ist dessen Milch, die er in alten Schilfkörben aufbewahrte, in der Hitze sauer geworden. In seiner Verzweiflung tauchte er sie in heißes Wasser und der Käsebruch begann sich zu drehen und nahm den Körben entnommen seine charakteristische flache Fladenform an. Auch heute noch wird dieser Käse mit vielen einzelnen Arbeitsschritten und vor allem heute noch mit den historischen Werkzeugen – innerhalb der Familien weitergegeben – aus Holz über mehrere Tage produziert. Sie reichern mit ihrer Mikrobodenflora den Käse an. Abschließend wird er geschleudert, in Zöpfe geformt und in tiefe Schalen gelegt – und immer wieder gewendet, bis er seine seltene Form erhält.
Der Schleuderprozess wäscht aus dem Käse viel Fett – aber 35 % muss seine Trockenmasse mindestens davon enthalten. Der Vastedda della Valle del Belice DOP hat einen frischen, leicht süßen Geschmack und hat einen höheren Proteingehalt als andere Käsesorten; er ist leicht verdaulich und wird jung gegessen.
Viele dieser Käsesorten durfte ich in diesem Jahr anlässlich des Italian Cheese Day kosten – und deren Produzenten kennenlernen, hier in Berlin. Acht unterschiedliche Käsesorten, denen man nicht überall begegnet, durften wir probieren. Die waren nicht nur sehr lecker, sondern teilweise auch völlig neue Käseentdeckungen für mich. Bonus-Freude: uns wurden auch köstliche italienische Weine angeboten – und ein Pasta-Buffet gab es obendrauf. Es war sehr spannend von den teilweise sehr jungen Produzent*innen deren Geschichte zu hören, dabei ihre Überzeugung zum Produkt und die Begeisterung zu erleben, mit der sie die Tradition der Tierhaltung besonderer – und meist leider vom Aussterben bedrohter – Tierrassen und das Käsen ihrer Familien fortführen.
Wir haben so wundervolle, vielfältige Traditionen in diesem, unserem Europa. Es gilt wirklich sie zu schützen und zu probieren – und im besten Fall beim Händler nachzufragen!
Mehr Informationen über diese wundervolle Vielfalt alter italienischer Käsesorten aus unserem Europa findet ihr aufauf der Homepage Lost Cheese in Europe!
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