2023-03-25

Hosen mit Gummizug

Geständnis: Ich musste heute erst einmal Wermelskirchen googeln. Ich hatte so eine Ahnung, wo das liegen könnte und jetzt, da ich es gegoogelt habe, weiß ich es wieder. Das liegt da im Bergischen Land. Bin ich immer vorbeigekommen, als ich noch nach Aachen gefahren bin. Irgendeine dieser Autobahnabfahrten, die sich in dieser Gegend schnell summieren.

Irgendeine Schule möchte nicht, dass Schüler in Schulen Jogginghosen anziehen. Das Tweet dazu hatte ich letzte Woche schon kommentiert, weil es mich wirklich ratlos zurückgelassen hatte – auf zeitlicher, auf modischer, auf intellektueller sowie auf gesellschaftlicher Entwicklungsebene. Inzwischen vereint dieses Wermelskirchen mit seiner Absage an die Jogginghose in Schulen die alten und neuen Bundesländer, wie es vorher keine Bundeskanzler*innen vermocht haben.

Das ist doch auch schön!

Ganz ehrlich? Man kann zu Jogginghosen eine Meinung haben. Aber schlussendlich sind die Dinger nicht erst Kult seit diesem einen Titanic–Cover. Und auch wenn die pastellisierten Seidenballonanzüge mit Gummizug in der Hose oben und unten von Dieter Bohlen und Thomas Anders nicht die schönste Modeepoche unserer Nation in den 90ern eingeleitet haben, spätestens seit denen ist die Jogginghose salonfähig. Das ist halt so. Die Jogginghose ist das Pendant zu den Leggins, die das Pendant zu den Röhrenjeans in den 50ern sind, die das Pendant zu den weiten Marlene Dietrich-Hosen der 40er Jahren waren.

Mittlerweile gibt es alle möglichen Hosenschnitte auch in Sweat-Stoffen – also ganz ehrlich, wo fängt heute die Jogginghose an, wo hört sie auf? Und da finde ich dann die Befindlichkeitsträger aus Wermelskirchen etwas aus der modischen Zeit gefallen. Grundsätzlich finde ich natürlich gut, wenn es im Schulunterricht hinsichtlich von Kleidung im Alltag – von der unterschiedlichen Wirkung im Alltag – einen Austausch gibt. Wir haben eine gesellschaftliche Entwicklung genommen, die allen Menschen – und vor allem uns Frauen – eine große Freiheit heutzutage ermöglicht im persönlichen Kleidungsstil.

Ich schrieb bewusst große Freiheit und nicht die größtmögliche Freiheit. Diese haben wir erst erreicht, wenn wir Frauen auf BHs verzichten können – ohne dass uns auf die Nippel gestarrt wird oder es Kommentare zu Größe oder Fliehkraft gibt. (Auftrag an die Herren: Eure Stillzeit ist echt vorbei!)

Und ja, stimmt. Ich will nicht alles sehen möchte, was mir so im täglichen Berliner Streetstyle entgegen schlürft. Aber das ist mein Ding. Und ich habe nicht zum Ding des Trägers zu machen. Wenn er/sie sich wohlfühlt in der eigenen Klamotte – who cares?

Kleines Beispiel: Neulich stand mit mir eine junge Frau auf dem Bahnhof, die hatte eine Jeggins an, also eine Leggins mit Reißverschluss und Knopf in einem glänzenden Chintz-Material. Das ist die Hose, die ich zu meiner Kindheit nur an den öffentlichen Frauen gesehen habe, die in der Nacht auf der Straße des 17. Juli autofahrende Herren mit ihren nun formbetonten Körpern und hohen Plateauschuhen zu einem von den Herren finanzierten Beischlaf animieren sollten/wollten. Weil diese Art der Hose bei mir so gesetzt ist aus einer Erfahrung in der Vergangenheit, war also mein erster Gedanke: Das ist wirklich interessant, dass sich die jungen Frauen heute mit einer Selbstverständlichkeit so kleiden, wie es „zu meiner Zeit” (was immer das auch ist) als „nuttig” galt. Aber es heute gar nicht mehr so viele Menschen interessiert. Es gehört zum Alltags-Setting. Streetstyle.

Denn zwischenzeitlich haben viele Frauen (und Männer) solche Hosen in ihrer jeweiligen Kunstform, meist als Sänger*innen erst bühnentauglich, dann clubtauglich und mittlerweile – zurück zur Straße – eben straßentauglich gemacht. Und nein, deswegen sind die Menschen, die solche Hosen tragen, weder an dem oben beschriebenen Berufsbild interessiert, noch haben sie kein Benehmen, sie haben durchaus Bildung (und sind auf dem Weg sie weiter auszubauen) und einen eigenen Stil. Gleiches gilt für die Träger von Jogginghosen.

Und ja, ich würde vermutlich echt tief einatmen müssen, wenn sich in fünf Jahren meine Großcousine mit Vorliebe so kleiden wollte. (Während ich es vermutlich ganz cool fände, würde mein Großcousin selbstverständlich einen Rock tragen, weil er sie schick findet.) Ja, ich begreife mein Problem diesbezüglich natürlich. Aber ich hätte es zu respektieren, denn das ist die Freiheit, die auch ich mir damals irgendwann genommen habe. Z. B. in kurzen Kleidern zur Arbeit zu gehen, weil der Mini mal wieder in war und ich schöne lange Beine hatte, die ich gerne gezeigt habe. Damals war das mein Ding. Heute ist es deren Ding. Und das haben wir gesellschaftlich zu akzeptieren.

Schlussendlich ist es eine Frage, wie man sich selber gesellschaftlich entwickeln will – also offen sein möchte und sich von Konventionen frei machen möchte. Und dazu gehört das Aushalten der unterschiedlichen Kleidungsstille aller Generationen. Ich muss die Klamotten von anderen nicht lieben, aber ich habe sie zu respektieren.

Und dann ist das noch ein Punkt: Wir leben heute in einer Zeit von Fast Fashion. Und wir leben in einer Zeit, in der sich junge engagierte Menschen (wieder) sehr gerne mit Secondhand-Kleidung anziehen – wie es seit Generationen junge Menschen schon tun. Da kauft man solche Klamotten! Aus ökologischen Gründen und übrigens auch (nicht erst seit Covid und Ukraine-Krieg, in einer Zeit in der in vielen Familien das Geld richtig knapp ist) aus ökonomischen Gründen.

Wenn eine Schule nicht möchte, dass Schüler in Alltagskleidung – was die Jogginghose nun längst ist – zur Schule kommen, sollte sie den Schülern das Gefühl vermitteln ein besonderer Ort zu sein und nicht ein Alltagsübel, wo man seine Zeit absitzt und eine derartige schlechte Schulbildung erhält, die einen sehr negativ in die Zukunft blicken lässt. Was, meiner Meinung nach, das größere Problem an Schulen ist, wenn ich die Meldungen zur allgemeinen Schulbildung in Deutschland in den letzten zehn Jahren so überschaue.

Jogginghosen sind cool. Hauptsache sie sind sauber. Wenn Lehrer glauben, Jogginghosen würden für den jungen Träger zu Einbahnstraße im Leben führen, gibt es andere Möglichkeiten diese darauf aufmerksam zu machen – als ausgerechnet ein Verbot.

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