Ich war noch niemals in Venedig.
Meine allererste Begegnung mit Venedig hatte ich als Kind. Sie war zum Fürchten! Ich muss ungefähr elf Jahre alt gewesen sein. Meine Mutter war ausgegangen und ich blieb alleine zu Hause und sollte irgendwann ins Bett gehen. Natürlich habe ich nicht auf meine Mum gehört in meiner besonderen Freiheit, sondern lieber lange Fernsehen geguckt. Und da lief „Wenn die Gondeln Trauer tragen”. Donald Sutherland fand ich auf den ersten Blick sehr sympathisch in der Art, dass ich ihn mir als Vater gewünscht hätte. Der Film hielt mich in meiner kindlichen Fantasie komplett gefangen obwohl ich ihn ständig fürchterlich gruselig fand. Nun, sicherlich hatte der Regisseur beim Dreh elfjährige Kinderseelen eher nicht als Zielgruppe definiert.
Leider kam meine Mum wirklich erst sehr spät heim, so dass ich den Film bis zum Ende guckte und anschließend ordnungsgemäß traumatisiert war. Das Ende hatte mich tief geschockt. Dergestalt, dass ich den roten Mantel – die tragende Requisite im Film – wirklich sehr rot gesehen habe. Und wir hatten 1977 mit Sicherheit noch gar keinen Farbfernseher. Im Dunklen einschlafen zu können war damals für mich für einige Wochen gecancelt und alleine bleiben, das wollte ich auch erst einmal nicht mehr mit so großer Begeisterung wie noch vor dem Film.
Bis heute konnte ich mir „Wenn die Gondeln Trauer tragen” übrigens nicht noch einmal ansehen. Es geht nicht. Vorspann, Beerdigungszene und zapp! So aber ist mir ein besonderer Eindruck von Venedig geblieben: Sehr dunkel, düster, grau und nass und sehr geheimnisvoll. Wann immer ich Bilder von Venedig im Sonnenschein sehe, halte ich sie für eine fantastische Fälschung. Mein erster Eindruck von Venedig auf Zelluloid sitzt sehr tief. Und den lasse ich mir doch nicht colorieren!
So fühlte ich mich beim ersten Blick in das Kochbuch „La Serenissma” von Nino Zoccati wie Zuhause. Auch hier strahtt Venedig auf den Fotos nicht wie auf einer überkünstlichen Postkarte, das schwere Papier schluckt ordentlich Farbe, die Fotos vom Markt sind sehr sympathisch an einem Regentag fotografiert. Venedig und viele der Landschaftsfotos wirken eher dunkel und schwer getragen und auch die Fotos der herrlichen Gerichte sind auf wundervolle Weise nicht neutrendisch kurz vor der Überlichtung aufgenommen, sondern farblich satt mit einem leichten dunklen Habitus, der einen Glauben macht, man hat heute drinnen gegessen – weil es draußen wieder einmal zu feucht war.
Ich finde das wunderschön! Ein Kochbuch, das sich Melancholie gestattet in der Bildesprache.
Der Autor, Nino Zoccali, ist dabei übrigens gebürtiger Australier. Als Kind italienischer Einwanderer auf einer westaustralischen Farm aufgewachsen, hat er das Gespür für die guten Produkte der Landwirtschaft mit der Muttermilch aufgesogen. Er studierte Wirtschaft und Italienisch und tendierte doch nach seinem Studium lieber zum Leben als Koch. Heute betreibt er mit seiner Frau zwei In-Restaurants in Sydney und gilt in seinem Land als Wein- und Olivenölexperte. Mit diesem, seinem zweiten Kochbuch, setzt er seiner besonderen Liebe zu Venedig ein Denkmal, die seit seinem allerersten Besuch mit 21 Jahren ungebrochen ist.
Wer dieses Buch kauft, kauft ein schönes Stück venezianische Geschichte dazu. Die Gerichte der vier Provinzen der ehemaligen Republik Venedigs werden hier mit großer Hingabe vorgestellt. Der Leser bereist die Küchen von Venedig und dessen Laguneninseln, Venetien – dem Hinterland, entlang der kroatischen Küste am adriatischen Meer und überwindet dieses hinüber zu den griechischen Inseln, die früher auch von den venezianischen Herrschern regiert wurden. Die allerheiterste Republik nannte man Venedig, dem reichhaltigen Leben als erfolgreiche Handelsmacht geschudlet seinerzeit, eben: La Serenissima!
Jeder Region sind Gerichte in Menüfolge gewidmet, alte Rezepte, die sich bis in das 15. Jahrhundert zurück verfolgen lassen, die sich Nino gestattet, sie etwas moderner zu interpretieren. Anitipasti, Pasta oder Reis, Hauptgerichte und immer wieder fantastische Dolci zum krönenden Abschluss.
Ach, diese wunderschönen Rezepte, die einfach angerichtet auf den Fotos Appetit machen. Nicht nur einmal habe ich beim Lesen fantastisches Olivenöl auf den Lippen geschmeckt. Fotos von sichtlich guten Rezepten besitzen telepathische Kompetenzen – daran glaube ich ganz fest. Man schmeckt im Anblick dieser Rezepte und Fotos die Aromen von frischem Calamari und hört insgeheim das Krachen, wenn das Messer in die knusprige Haut des Vicenza-Perlhuhn schneidet.
Nur wird es ganz so nicht leicht sein in den hiesigen Breitengraden den Seespinnen-Pie nachzukochen oder an Lefkada-Salami zu kommen, um diese Rezepte originalgetreu kochen zu können, wenn auch nicht unmöglich. Aber die hausgemachte Mascarpone können wir selber zu Hause produzieren, denn das Rezept findet sich unter den Grundrezepten ganz hinten im Buch! Und für ein herrliches Pandoro-Tiramisu, einem Tiramisu aus Panettone, wird es auch bei uns sowieso reichen oder für ein süßliches Recioto-Rotwein-Risotto mit dem lieblichen Valpolicella Recioto angesetzt und schmelzendem Lardo. Das Zypriotische Calamari-Stifado bekomme ich hier auch noch hin, natürlich nicht mit Calamaris ganz frisch aus dem Meer – es wird das erste Rezept sein, das ich aus diesem Buch kochen (und darüber hier berichten) werde.
Nicht selten werden im Rezept noch passende Weine von Nino Zoccali erwähnt. Natürlich ist der Nähe zum Meer geschuldet, dass viele der Rezepte eine häufigere Präsenz von herrlichem Fisch, Meeresfrüchten und Schalentieren aufweisen. Aber wer will es einem Kochbuch über eine Küstenregion verdenken? Dennoch begegnet uns Lesern auch zartes geschmortes Lamm, Ziege oder Geflügel im Buch. Und genauso viele reizvolle Risotti unterschiedlicher Couleur (im wahrsten Sinne des Wortes) mit Gemüse als Zutaten oder Pastagerichte mit besipielsweise Steinpilzen, sie lassen gemütlich vegetarisch durch dieses Buch speisen.
Die wunderschönen melancholischen Landschaftseindrücke hat Andrea Butti fotografiert, die Foodfotos Alan Benson gemeinsam mit Vanessa Austin (Styling) und Dean Worthy (Koch).
Das ist ein ganz wundervolles Kochbuch. Und es ist ein bisschen mehr: Es ist gleichzeitig ein mitnehmendes Reisebuch und ein Geschichtsbuch.
Und … es ist kein bisschen gruselig!
La Serenissima im Original „Venetian Republic”
Autor: Nino Zoccali
Verlag: Christian Verlag
ISBN: 9-783958-614849
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