Eines meiner Geburtstagsgeschenke in diesem Jahr war die Einladung eines Freundes ins Kino. Wir einigten uns auf „Joker”, den Voraussagen „der Film sei sehr gruselig” und „die Menschen würden aus den Kinos rennen” zum Trotze.
Ich bin persönlich kein Filmgucker des Horror-Genre, ich grusele mich wirklich zu früh und zu schnell und ich zappe heute noch schnell auf einen anderen TV-Sender, wenn in der 25. Inspector-Barnaby-Folgen-Wiederholung gemordet wird. Da reicht bei mir alleine die Säge, die die Titelmelodie intoniert. So gruselfest bin ich! Immerhin habe ich über die Jahre wenigstens die Angst vor dem Monster unter dem Bett ablegen können.
Ich fand die Trailer zu Joker schon sehr Angst einflößend – schon deswegen, weil man in den Trailern im Grund gar nicht die Gewaltszenen des Filmes zu sehen bekommt, sondern lediglich Joaquin Phoenix als Joker durch die Szene schreiten sieht: und das wirkt in kurzen Sequenzen sehr … creepy!
Aber eben: Joaquin Phoenix – der nun mal in seiner Schauspielkunst ein großes (überlebendes) Talent ist. In dessen Filme ich auch immer gehen würde, wenn sie mich inhaltlich nicht die Bohne interessieren würden. Insofern war Joker gesetzt.
A. und ich sind ins International gegangen. Schande auf unser Haupt, dass wir noch nie in diesem Kino waren – obwohl eine Instanz der ehemaligen cineastischen DDR und von meiner Wohnung aus fußläufig zu erreichen. Mittwoch ist der Film hier angelaufen, Mittwochabend standen wir mit vielen anderen Menschen vor den Türen der Kinosaals.
tl;dr: Ich bin nicht aus dem Kino vor dem Ende des Filmes gelaufen. Ich habe gelitten – aber in einer ganz anderen Art als erwartet.
Niemand läuft aus dem Film, der z. B. die Filme von Quentin Tarantino gesehen hat. Nicht alle Szenen sind gewaltfrei und interessanterweise enden vor allem die Szenen, die Gewalt als logische Konsequenz erwarten lassen, offen. Die Gewaltszenen geschehen eher aus der Situation heraus in der man sie nicht (mehr) erwartet, das macht womöglich ihre Faszination aus.
Der Joker tötet zumeist mit Waffen, es gibt eine Tötung, die mit brachialer körperlicher Gewalt erfolgt, die Szene mochte ich nicht – aber schlussendlich hat man ähnlich brutale Szenen auch schon im sonntäglichen Prime Time-Programm öffentlich-rechtlicher TV-Sender sehen können. (Auch wenn ich nicht der Meinung bin, dass Unterhaltung derartige Zurschaustellung von Gewalt wirklich bedarf.)
Das wirklich Gruselige dieses Filmes liegt in den Szenen jenseits der Gewalt. Und die werden von Joaquin Phoenix so getragen, dass sein Leid, sein Wahnsinn riechbar wird. Die Geschichte des Jokers ist im Grunde schon mehrfach erzählt worden – zumal stellenweise als Comic veröffentlicht. Wenngleich seine Historie in der Realität der Comics weit entfernt ist von der, wie sie in den zahlreichen Batman-Verfilmungen erzählt worden ist. In Joker (2019) heißt er erstmals Arthur Fleck anstatt, wie in den Verfilmungen, Jack (Napier), der in den originalen Comic-Vorlagen nie einen bürgerlichen Namen trug.
Ich mag mich nicht in die Diskussion einklinken der Hardcore-Comic-Fans, welche Verfilmung nun näher dran ist am Original etc., das kann ich auch gar nicht. Aber natürlich wird diese Verfilmung hier heiß diskutiert – zumal auch diese sich nicht zwangsläufig an die Einzelheiten der Comic-Vorlagen hält. Aber das ist im Grunde auch nicht wirklich wichtig, denn hier kommt der Joker ohne seinen Gegenspieler Batman aus, das ist die eine Besonderheit dieses Filmes. Gut, nicht ganz, die beiden Gegenspieler begegnen sich schon – aber erzählerisch auf einer ganz anderen Ebene und zeitlich sehr lange bevor Batman als solcher aktiv ist.
Der Film hat zwei Varianten eines Endes – beide sind ziemlich großartig; die erste Szene interpretiert auf poetische Weise das Ende des Jokers der Batman-Verfilmung von 1989 – in der Jack Nicholson als Joker zu Grabe getragen wird – … (den letzten Teil meines Satzes kneife ich mir hier, denn dann würde ich spoilern und das tut man nicht.) Die andere Szene zeichnet das Interim im Leben des Jokers bis zur Fortsetzung seines Schaffens – hoffentlich irgendwann als Film vom gleichen Regisseur, den gleichen Drehbuchautoren geschaffen und wieder von Joaquin Phoenix gespielt!
Joaquin Phoenix ist so sehr großartig in dieser Rolle. Er vereint Arthur Flecks Suche nach Liebe und Anerkennung, seine Freundlichkeit, seine Umkehr von Talentlosigkeit als Comedian zum fragwürdigen Talent mit hässlichen Vorzeichen; seine Hilflosigkeit bis hin zum Umlegen des Schalters dieser seiner guten Anlagen in Reaktion auf sein Umfeld in das tiefe Böse des Jokers mit einer Intensität, dass man glaubt, den Mann, sein Leid, riechen zu können.
Alleine die physische Präsenz – vor allem in den Szenen, die mit nacktem Oberkörper gespielt werden – die er dem Joker mitgibt, schafft womöglich den größten Grusel des Filmes. Davon abgesehen, dass Phoenix für die Rolle wohl sehr viel Gewicht verloren hatte, gibt er seinem Oberkörper in den (Halb-)Nacktszenen eine Physiognomie, die man nur hinbekommt, wenn man in die Brust einatmet und den Bauch einzieht. Da kann jeder einmal selber probieren – wie lange er das aushält: Joaquin Phoenix lebt, spielt, spricht, leidet und bewegt sich in diesem Moment – ich kann es nicht. Und ich habe keine Ahnung, wie der Kerl das hinbekommen hat. Da werden physische Grenzen im Spiel übertreten, das nötigt den allergrößten Respekt ab!
Phoenix ist im Grunde in fast jeder Szene dieses Filmes zu sehen – und jede dieser Szenen bietet er eine so tiefe Präsenz, dass das ihm dabei Zuschauen fast zu einer unerträglichen Last wird. Nein, ein reiner Spaß ist es nicht diesen Film zu gucken, ich fand es teilweise sehr anstrengend dieser seiner – vermeintlich für mich – Anstrengung, das Leben eines Arthur Fleck auszuhalten, zugucken zu müssen.
A. und ich waren uns hinterher einig, dass seine Darstellung gar keine Kulisse bedürft hätte – der ist alleine mit seinem Augenspiel so raumübergreifend, man sieht daneben nichts mehr. (Weswegen man den Film nachvollziehbar öfter sehen möchte.)
Ja, dieser Joker ist sehr poetisch in seinem Leiden und, das macht das Aushalten des Filmes auch so schwierig, denn man kann zu jeder Zeit seine Entwicklung nachvollziehen – was nicht das Gleiche ist, wie sie gutheißen. Weswegen ich die kritische Diskussion über den Film hinsichtlich der Amokläufe (bzw. eines ganz bestimmten Amoklaufes) in den USA verkehrt finde. Schlussendlich wird hier nichts glorifiziert, schon gar nicht das Böse, allenfalls erklärt. Sympathie trägt man am Ende zu diesem Joker auch nicht wirklich mit sich herum. Eher bleibt das Entsetzen über die Gesellschaft des Molochs von Gotham City, der hier – entgegen der Comic-Vorlage – vordatiert in 1981 dargestellt wird. Der Zuschauer hat hier seinen persönlichen „1984”-Moment. Wir erleben die Zukunft der Comic-Vorlagen als die harte, unschöne Realität.
Mein Problem mit dem Film ist, dass ich bei alledem, was dort als gesellschaftliche Kritik gezeigt wird, an Verfall von den menschlichen Sitten und der Stadt selbst, mir nicht mehr schön lügen kann, es wäre überhaupt noch eine Zukunftsvision. Was ich/wir alle im ersten Batman von 1989 noch irgendwie tun konnte/n. In Joker von 2019 wird gelebter Alltag widerspiegelt. Der hässliche, verletzende Alltag nicht nur dieser „sie sind so weit weg”-Städte in Amerika. Das passiert alles längst hier, z. B. auch in Berlin, wo Menschen angegriffen, verletzt, getötet – in Brand gesteckt – werden, nur weil ihnen nicht das Sieger-Icon auf die Stirn gedruckt wurde.
Im Grunde wird Joker zu einer hässlichen Person gemacht, von Menschen, die von der Gesellschaft hässlich gemacht wurden. Diesen Kreislauf zu sehen und heute zu wissen, den werden wir gar nicht mehr stoppen können, das ist hart. Das ist der eigentliche Gruselmoment von Joker.
Dieser Grusel hält lange vor in mir, nachdem ich diesen Film geguckt habe. Wir leben in genau dieser Gesellschaft, die diese Joker in Massen generiert, wie in dieser Woche einmal mehr bewiesen wurde. Deswegen tut dieser Film sehr weh zu sehen.
Das ist aber nicht das Problem des Filmes, sondern unserer Gesellschaft und wie wir darin mit Menschen umgehen. Deswegen ist Joker auch so richtig und wichtig. Und beileibe kein nur Genre-Movie.
Ich hoffe sehr, dass Joaquin Phoenix für diese Rolle alle alle Auszeichnungen der Filmbranche mindestens seines Landes erhält – ich kann mich an keine vergleichbare schauspielerische Leistung eines Schauspielers erinnern. Er schafft etwas, was all die großartigen Meryl Streeps, Tom Hanks‘ oder Tom Cruises nicht schaffen: man sieht den Joaquin Phoenix nicht mehr in dieser seiner Rolle – was nichts mit der Clown-Rolle zu tun hat. Die trägt er im Film noch selten.
Eine tolle Rezension! Richtig gut geschrieben, inhaltlich analysiert und bewertet.
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