2017-10-10

Lese- (und Guck-)empfehlung

Thomas Knüwer lässt sich von Diekmanns Beleidigung „Idiot” zu einem ganz herausragenden Text über den aktuellen deutschen Journalismus inspirieren. Der Text ist lang, ich empfehle ihn herzlich ihn zu lesen. Er verdeutlicht wie der deutsche Journalismus (so wie die deutsche Politik) immer noch glaubt, sich der zeitgemäßen Entwicklung durch bockiges Aussitzen und Abwesenheit von Flexibilität verweigern zu können. Und was die daraus resultierenden Schwäche im Informationsgeschäft mit uns Lesern macht. „Lass uns die Medien re-disruperien.

Aus zweifachem Grund möchte ich die gestrige Sendung „Kulturzeit” auf 3sat empfehlen sich anzusehen. Zum einen, weil sie einen spannenden Beitrag über den jungen Buchautoren Rutger Bregman und seinem Werk „Utopien für Realisten” enthält. „Das Anti-Utopische unserer Zeit bedeutet einen kompletten Sinn- und Bedeutungsverlust." Bregman sagt in der kurzen Zeit dieses Interviews sehr spannende Dinge – und macht auf alle Fälle Lust darauf sein Buch zu lesen! (Hier noch eine Rezension vom Deutschlandfunk Kultur zum Buch.)

Später in der Sendung folgt ein Beitrag zum Friedrichstadtpalast im Gespräch mit Berndt Schmidt, dem Intendanten des Hauses. Schmidt schrieb nach dem Wahlergebnis der Wahlen zum Deutschen Bundestages seinen Mitarbeitern, in dem Haus arbeiten zur Zeit Menschen aus 25 unterschiedlichen Nationen, einen Brief in dem er deutlich machte, sich vor sie und gegen die AfD zu stellen. „Meine Intendanz steht für Toleranz, Vielfalt und Demokratie.”

Medien machten teilweise Schlagzeilen daraus, die so von Schmidt gar nicht formuliert wurden. Aber nun … die Geschichte geht noch weiter:

In Reaktion auf seine Mail hagelte es gegen ihn Schimpfmails und mehrfache Morddrohungen, die am Samstag in einer Bombendrohung ihren bisherigen Höhepunkt fanden – und man kann davon ausgehen, dass diese Reaktionen wohl eher von AfD-nahe stehenden Personen formuliert worden sind.

Im Vorfeld der Nachmittagsveranstaltung vom vergangenen Samstag hatte der Pressesprecher der AfD, Ronald Gläser, FreikKarten für die Show erworben und diese vor dem Palast in einer hoch peinlichen Inszenierung als Freikarten an AfD-Mitglieder bzw. -Wähler verteilt. Er rechnete dabei natürlich mit einem Verweis dieser Leute des Hauses und hoffte so auf eine Show in der sich die AfD wieder einmal mehr als armes Opfer präsentieren wollte.

Berndt Schmidt ließ es sich jedoch nicht nehmen, Gläser im Haus per Handschlag zu begrüßen und hielt dann im Vorfeld der Show eine deutliche Ansprache an das gesamte Publikum und hoffte sinngemäß, dass die nun anwesenden Wähler der AfD hoffentlich nicht allzu verunsichert wären, wenn sie denn nun auf der Bühne so vielen Menschen zugucken müssten, die aus so vielen unterschiedlichen Nationen stammen würden. Das restliche Publikum soll an den richtigen Stellen geklatscht haben.

Ein anonymer Anrufer drohte später am Abend dann mit der Zündung einer Bombe im Haus. Das Haus wurde zuerst geräumt, konnte nach kurzer Zeit von der Polizei zur Abendvorstellung freigegeben werden. Mit allen unschönen Konsequenzen für das Publikum und die Künstler und Mitarbeiter im Haus. (Eine Freundin von mir arbeitete dort Samstag Abend und musste diesen sehr unschönen Abend mit ihren Kollegen und Kolleginnen aushalten.)

Ronald Gläser hatte übrigens laut Medienberichten nicht ausreichend Eier der Show selbst beizuwohnen. Der AfD-Abgeordnete Dieter Neuendorf forderte in der Konsequenz gestern im Kulturausschuss dem Friedrichstadtpalast 12 (!) Prozent der Zuschüsse für die nächsten zwei Jahre zu kürzen.

Darüber berichtet der oben verlinkte Kulturzeit-Beitrag. Wir leben also im Jahr 2017 wieder in Zeiten in der sich verantwortungsvolle Arbeitgeber um das Wohl von Mitarbeitern, die womöglich nicht ganz dem deutschen Reinheitsgebot der ganz rechts stehenden AfD-Anhängern entsprechen, sorgen.

Die Traurigkeit, die ich empfinde, kann ich nicht beschreiben.

2 Kommentare:

  1. Das Bregman-Buch ist großartig. Auch von mir eine ganz klare Lese-Empfehlung!

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  2. @Barbara
    Das ist gut zu lesen, ich packe es mir auf alle Fälle auf die Liste! :-)

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Fröhlich sein, freundlich bleiben und bitte immer gesund wieder kommen!