2017-04-16

Wasser

Wir Westberliner hatten zu Zeiten der Mauerexistenz im Grunde zwei Naherholungsgebiete: Im Norden Tegel, Frohnau.



Im Süden Zehlendorf, Wannsee bzw. Spandau. Das waren die Himmelsrichtungen in die es den Berliner jenseits der Mauer lebend, die den Teil der Stadt eher einkesselte als freigab, so etwas wie Freizeit am Wasser verbringen wollte. Persönlich glaube ich, dass gerade dieses sehr reiche und bildschöne Wasservorkommen ein gutes Stück dazu beigetragen hatte, dass die Westberliner so relativ gelassen und humorvoll das Leben hinter Mauern hingenommen hatten. Es gab immer ein großes Stück Natur, das uns eine Idee von Ferne gab. Ohne dieses Transitgedöns.

Der Westberliner an sich ist auch ein bisschen ein Gewohnheitstier, ein Bewegungsmuffel – oder sagen wir Lebensmuffel. Der Berliner (und da nehmen sich ehemalige Ost-/Westberliner nicht viel) ist sehr gerne verwurzelt. Wir bleiben gerne in unserem Kiez oder ziehen dorthin gerne zurück, selbst wenn wir diesen einmal in einem Zustand kurzzeitlicher Verwirrung verlassen haben. Ein besonderes Merkmal der Treue, die diese Gentrifizisten auf unmenschliche Weise arrogant ignorier(t)en und vom Tisch wisch(t)en in den letzten Jahren der Wiedervereinigung – und ihnen hoffentlich einmal vom Leben sehr deutlich um die Ohren gehauen wird. Denn man tut das nicht: man verpflanzt keine alten Bäume. Auch nicht dem schnöden Mamor zuliebe.



Ob man nun damals also in Tegel seine Wasserfreizeit gestaltete oder im schönen Süden, das war ein bisschen vom Familiencredo gesetzt. Meine Familie war seit jeher in Charlottenburg und im Westend niedergelassen – uns zog es eher Richtung Wansee bzw. Richtung Havel, Spandauer Seite als meine Eltern dort kurzzeitig einen Garten in Kladow besaßen. Und so machte ich bisher, wann immer mein Lustlevel auf Dampferfahrt im Umland stand, sei es, weil mir danach war oder Stadtbesuch darauf auch Lust hatte, die Dampferfahrten eher vom Wansee aus. Auch weil die Wanseetouren üblicherweise die Glienicker Brücke unterfahren, was für mich heute noch ein Moment ist, der mir Tränen in die Augen treibt, denn die war für uns Westberliner Sperrgebiet – dahinter lag eine andere Welt und ich habe viele Nächte dort mit Freunden verbracht und das für uns immer Unfassbare dieser DDR und BRD greifbar zu machen.

Das erste Mal fuhr ich mit einem Dampfer unter dieser Brücke durch, kurz nach dem Mauerfall, als mein damaliger Chef heiratete. Viele der Gäste – das Brautpaar entstammte diesem Westdeutschland, sie aus dem Süden, er aus dem Norden – wussten natürlich von der Bedeutung dieser Brücke an sich. Aber dass mir West-Berlinerin beim darunter durchfahren, erstmals in meinem Leben, das Herz gerade zersprang – wie hätten sie das erahnen können? Ich bin heute noch still, wenn mich der Wasserweg darunter durch führt. Ich bin dann glücklich und fühle dennoch das Unglück der früheren Jahre, die diese unsägliche Politik und Architektur uns täglich begleitete, immer noch.

So war ich ewig nicht mehr in Tegel. Kein Verlangen an den Teil der Stadt, langweilige Schulausflüge trübten meine Erinnerung und sechs Monate sehr sehr unglücklich in einem Job aushaltend, hatten mir diesen Teil der Stadt nicht zu meinem Lieblingsausflugsort werden lassen.

Die geographische Nähe der Maßnahme hinsichtlich meines Planes für Glück und Lebensfreude und der geschuldeten Tatsache, dass Mitstreiter dort Angstpatienten sind, die ihre Umgebung eh nur unter viel Sorge und Angst verlassen können und weitere Wege durch die Stadt ihnen gar nicht erlauben ohne an einer Krise zu kratzen, ließ uns nun diese Dampferfahrt von Tegel aus starten.

Zwei Stunden auf dem Wasser. Im April. Mitten in der Woche. Das war ziemlich großartig. Wir fuhren zwei Stunden auf dem Tegeler See umher, an der Halbinsel Reiherwerder mit der Villa Borsig vorbei und hatten ein Aprilwetter, wie man es sich nicht klassischer auf diesem Breitengrad hätte wünschen können. Okay, der Schnee fehlte. Aber von wolkig zu wolkenfrei bis sonnig hinzu wolkig mit Wind und Regen, die Kamera vom Smartphone konnte vergnüglich voll aus ihrem Repertoire der Weißabgleiche schöpfen. Doch doch, dieses ist eigentlich ein Farbbild:



Die Greenwichpromenade empfing uns im Sonnenschein mit großem Tulpenangebot inmitten ihrem Grün sich tief entspannt die Enten in der Sonne aalten. Der Dampfer selbst – dem Wochentag und der frühen Saison geschuldet – wäre ohne unsere knapp zehn Leute fassende Gruppe mit genau sechs Leuten nur losgefahren. Was völlig unfassbar war: die Ruhe auf dem Wasser. Unserem Dampfer sind in den zwei Stunden genau ein kleines motorisiertes Anglerboot und ein Motorschiff begegnet. Das kann man sich, kennt man die Gewässer im Sommer, kaum vorstellen. (Oder auch: wenn ich das einem Berliner erzähle, hält der mich für bekloppt!) Der Kaffee an Bord war, für sein Geld, denkbar schlecht, was ich übrigens nicht als Damoklesschwert für die Restauration der Berlin Stern- und Kreisschifffahrt verstanden sehen möchte. Im letzten Jahr hatte ich meine beste Kartoffelsuppe mit Wiener auf einem Dampfer während einer Brückentour im innerstädtischen Bereich der Stadt. Die können gut kochen – nur Kaffee, den können sie leider nicht.



Diese Stunden auf dem Wasser taten uns denkbar gut – oben auf dem Deck oder unten in der warmen Kajüte. Und wieder einmal war ich völlig überwältig von der Schönheit dieser Stadt, die viele Berlin-Besucher gar nicht begreifen, wenn sie nur die Mitte von ihr kurz heimsuchen. Berlin hat so viel Grün, so viel Wasser – da ist so viel mehr Lebensqualität als sich viele vorstellen können. Und die Vielfalt der Angebote der Schifffahrt hier in der Stadt und ihrer Umgebung, ob nun kurze Touren oder Tagestouren – vergessen wir auch nicht die Depeche Mode- bzw. Abba-Mottopartys – ist, das ist mir heute wieder einmal mehr aufgefallen beim Lesen des Tourenplans.

Jedenfalls stellte ich einmal mehr fest, trotz der wassergeschichtlichen Verankerung im südlichen Bereich der Stadt und der vielen Neuentdeckungen der östlichen Wassergebiete (also östlich von DDR-geschichtlich her gesehen) meinereine, dass auch der Norden Berlins, sprich Tegel, ein ganz hübsches Fleckchen dieser Metropole ist. Auf dem Wasser allemal.

3 Kommentare:

  1. Ein ganz wunderbarer Text!! Hab ich sehr gerne gelesen.
    Gibt es Schiffstouren, die du noch nicht kennst? Z.B. Müggelsee oder "Rund um die Müggelberge"?

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  2. Der winzige Haken: "Macht Sinn" wurde schon 1760 von Lessing verwendet.
    https://sprachlupe.wordpress.com/2012/05/02/ergibt-sinn-machen-keinen-sinn/

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  3. Bitte machen Sie allernächstens `Die große Umfahrt` (vom Treptower Park an Schöneweide vorbei über Köpenick, Friedrichshagen, Großen und Kleinen Müggelsee, Gosener Kanal, Seedinsee, Dahme) im Südosten unserer schönen Stadt uns schreiben dann bitte auch so toll darüber.
    Und ja, Glienicker Brücke ist ... einzigartig.
    Frau Irgendwas ist immer

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