2010-07-25

Geld und Gesundheit

Die taz hat diese Woche einen klugen Artikel zur Homöopathie-Debatte gebracht, das Verhältnis der Kosten im Gesamtbild aufgezeigt und deutlich macht, dass die wenigen Millionen, die Homöopathie die Deutschen Kassen tatsächlich kosten, problemlos auch als Kostenpunkt in dem Budget für das Marketing auftauchen könnten – und da gar nicht diskutiert würden.

Claudia Witt, Professorin für Alternativmedizin, die bereits im Spiegel-Artikel als Gegenpol zu Edzard Ernst (Omnipräsenter Homöopathie-Gegner) zu Wort kam, ist heute Gesprächspartnerin im Sonntaz-Gespräch (Online-Ankündigung). Im Spiegel und in der taz formuliert sie, was mich in der gesamten Homöopathie-Debatte soweit ich sie online geführt habe, am meisten geärgert hatte. Nämlich die Eingemeindung der Gegner von Homöopathie, wenn man sich nicht auf deren Seite stellen vermochte, als automatischen Homöopathiebefürworter: „Ihr …“. So diskutiert man nicht!

Ich bin weder Befürworter von Homöopathie, noch bin ich gegen sie. Ich bin Befürworter vom Respekt anderen Menschen gegenüber, die schwer krank sind und teilweise jahrelange Schmerzen ertragen – bereits in der Schulmedizin – hinter sich haben, von ihr als austherapiert gelten. Und ich habe mich geweigert dieser Debatte so folgen zu wollen, weil ich wusste, dass hier über lächerliche Summen debattiert werden, während an anderen Stellen Milliarden längst eingespart werden könnten, was aber nicht passiert infolge des Lobbyismus der riesigen Gesundheitsindustrie. Einer Industrie, die den gesunden Menschen (und somit den gesund lebenden Menschen) als ihren betriebswirtschaftlichen Feind begreifen muss. Und ich habe um etwas Respekt geworben in der Debatte, Menschen gegenüber, die einen unglaublichen Leidensweg in der Schuldmedizin bereits hinter sich haben, diesen Menschen nicht aus Unwissen über deren Schicksal heraus, die Hoffnung zu nehmen. In der Folge wurde ich mehrfach in den Diskussionen als „Ihr ( … Homöopathiebefürworter)“ bezeichnet. Soviel arrogante Trivialität ist mir in einer Diskussion lange nicht mehr begegnet!

Diskutierte man vornehmlich online, musste zwangsläufig die Vermutung greifen, dass radikale Homöopathiegegner eher unter 30 Jahre alt sind. Die Themen Schmerz und Krankheit, bis auf wenige persönliche Ausnahmen, noch nie persönlich ihren Horizont gestriffen haben. Sie ein iPhone besitzen und blauäugig wissenschaftlich zahlenhörig sind. Nur: so einfach wie Zahlenstrukturen funktioniert leider kein kranker Mensch.

Dann diese Woche der zweite Versuch in der Spardiskussion die nächsten Kostenverursacher an den Pranger stellen zu wollen. Da hat man dann mal echte Zahlen (echt im Sinne von hoher Relevanz im Vergleich) herangezogen. Haben die Homöopathiegegner kurz zuvor demonstriert, wie leidenschaftlich eine Patientengruppe als dämlich abgestempelt gebrandmarkt, bekämpft oder aussortiert gehört in unserem System – wenn sie nur überhaupt Kosten verursachen: 19 Milliarden kosten die Dicken uns, den Beitragszahlern, war zu lesen!

Man kann die Nullen von 9 Millionen im Vergleich zu 19 Milliarden zählen und nachdenken. Aber diese Dicken-Diskussion (so verwerflich ich sie fände) wird nun in den Medien deutlich weniger intensiv vorangetrieben als zuvor die zu der kleinen Gruppe alternativ denkenden (meist erstaunlich gesund lebenden) Homöopathiegläubiger. Warum? Weil 19 Milliarden für die Industrie ein viel zu großer und ungemein relevanter Geschäftsmarkt ist. Bei dem übrigens die Folgekosten, die die Patienten verursachen, die zeitlebens versuchen auf bequeme Art und Weise Gewicht zu reduzieren und dieses mit den chemischen Handwerkzeugen einer Pharmaindustrie tun, tatsächlich überhaupt nicht beziffert werden können. Und Diätmedikamente funktionieren nur in dem sie in den Stoffwechsel eingreifen. Stoffwechselerkrankung. Habt Ihr eine Idee was für eine Magie in dieser Diagnose für die Unternehmen der Pharmaindustrie liegt?

Und so könnte man in jedes Thema, das der deutsche Patient bietet, reingreifen und überall den zahlenden Patienten als Ursache für sein eigenes Schicksal ausmachen. Das wird künftig auch geschehen unter dem heeren Mantel der Kosteneinsparung und das Fass dafür, die Legitimierung dafür haben genau dieses Jahr die Homöopathiegegner aufgemacht. Ehrlich für so viel Blindheit und Ahnungslosigkeit verachte ich Euch. Ihr habt Patienten in diesem Land damit geschadet. Ihr habt den Ball nur wieder der Industrie zugespielt.

Aber keine Sorge, das Thema Dicke und ihre Kosten wird zumindest nicht weiter medial in gleicher Vehemenz verfolgt werden. Schon gar nicht außerhalb des Sommerloches. Macht Euch den Spaß und streicht alle Anzeigen die Medikamente bewerben in Euren Tageszeitungen oder sonstigen Druckerzeugnissen durch. Soviel Leerstand von Anzeigenfläche verkraftet kein Verlag. Das Thema ist durch. Die Pharmaindustrie ist nämlich keine mit der man sich anlegt.

Es ärgert mich, dass Homöopathiegegner sofort auf die Straße gegen würden und gegen die paar wenigen Befürworter demonstrieren würden, um lächerliche 9 Millionen zu sparen aber gleichfalls nicht den Arsch hoch kriegen in einer Zeit, in der die sozial ungerechteste Gesundheitsreform verabschiedet wird, die vor allem mal wieder den geringer verdienenden Beitragszahler Milliarden kosten wird. Warum sie das nicht tun? Weil sie das System in der Gänze weder begreifen, noch es sie auch überhaupt interessiert. Die paar Esoteriker verbal verkloppen, das geht gerade noch.

Eine aktuelle Meldung aus der wundersamen Rappelkiste deutscher Gesundheitsreformen: Dem Tagesspiegel liegt ein SPD-Gutachten vor, das aussagt, abgesehen von der sozialen Ungerechtigkeit, dass Röslers Gesundheitsreform natürlich gegen unsere Verfassung verstößt.

Ansonsten möchte ich Euch den Tipp geben, dass es bei den Wohltat‘schen Buchhandlungen (Ich glaube, die gibt es aber nur in Berlin oder?) gerade das Buch von Sibylle Herbert „Diagnose: unbezahlbar – Aus der Praxis der Zweiklassenmedizin“ (Kiepenheuer & Witsch) für € 2,95 verkauft wird. Lesen! Vor allem wer das Gefühl hat, das Gesundheitssystem in Deutschland nicht mehr zu überblicken oder es verstehen zu können, kauft Euch dieses Buch. Ihr werdet Euch hinterher natürlich nicht besser fühlen. Aber Ihr werdet verstehen und im schlimmsten Falll hier und da in Erinnerung an das Gelesene Euer Recht einfordern wollen.

Oder vielleicht den Sinn darin erkennen für eine sinnvolle und gerechte Gesundheitsreform für Patienten und Beitragszahler auf die Straße gehen.

4 Kommentare:

  1. Hmm wenn mich nicht alles täuscht gibt es bei uns in Osnabrück auch eine Kleine.

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  2. Das Buch ist mittlerweile 5 Jahre alt. Hat sich einiges verändert. Ich würde das nicht mehr empfehlen.

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  3. @anonym
    Ach, meine klugen Leser wissen wann und wieso üblicherweise Bücher aus der Festpreisbindung fallen.

    Das Buch ist natürlich in Feinheiten nicht mehr brandaktuell. Thematisch im Großen und Ganzen sehr wohl doch noch. Auf die Kleinstinterna geht diese Literatur ja eh nicht ein.

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  4. Ich habe den Eindruck, Sie haben Ahnung davon. Wollen Sie nicht mal ein aktuelles Werk schreiben?

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Fröhlich sein, freundlich bleiben und bitte immer gesund wieder kommen!