2008-08-09
Vermissen
tue ich diesen kleinen Ort im Midi von Frankreich, genauer den Cevennen, irgendwo zwischen Nîmes und Montpellier, noch genauer im Vallé de la Buèges, das Haus als zweithöchstes seiner Sorte an einem Berg gelegen, darüber nur noch die restaurierte Burgruine, die unsereins noch lange vor dem ersten Restaurations-Spatenstich kannten. Die Grundmauern vom Haus zurückverfolgt bis ins 15. Jahrhundert, einst Ort der Seidenraupenzucht.
Und das ist nun die Aussicht, steht man denn morgens ungewaschen und unfrisiert mit einer Tasse Kaffee in der Hand in der Eingangs- und gleichzeitig Küchentür, atmet tief und urlaubsglücklich ein oder springt kurz darauf hektisch in die Klamotte vom Vortag, weil unten im Dorf im weißen Renault-Transporter der Bäcker hupt und man ihm mit verschlafenen Augen die Treppen hinunter entgegenrennt, um das frische, manchmal sogar noch warme Baguette und die Croissants zum Frühstück zu erwerben. Denn der wartet im Allgemeinen nicht allzulange, weswegen am Vorabend das Portemonnaie auf dem Küchentisch bereit gelegt worden ist. Ist die kurze Schlange der Kaufwilligen zu Ende, sind die wichtigsten Informationen vom Tag und von Dorf zu Dorf ausgetauscht, dann geht es sofort weiter zur nächsten Stelle, die fröhlich hupend angefahren wird. Kein Verlass ist jedoch auf die Menge der Kaufwilligen. Ist Markttag, kann sie sehr klein sein und der Bäcker ist flugs wieder weg, man sieht den Transporter nur noch kleiner werden. Hält er aber vorne an der kleinen Brücke, die über die Buéges führt, noch einmal, wo nur das eine Haus steht (hier ganz hinten unten in weiß im Bild), hat man vielleicht Glück. Muss aber sehr schnell rennen, denn die Schlange dort ist naturgegeben noch viel kürzer. Garantie und Verlass ist aber nicht auf den dortigen Halt. Und schlecht verstehen wird man den Bäcker als Nichtmuttersprachler sowieso, denn das Brot heißt dort im Midi nicht vornehm «Le Pain» sondern «Le Peng». Das will erst einmal gelernt sein und das bringt einem keiner bei hier auf den hiesigen Gymnasien. Oft stehe ich in den ersten Jahren dort, naiv glaubend wenigstens doch etwas dieser Sprache zu beherrschen, kann dennoch erst bezahlen, nachdem der Bäcker gutmütig mit den typischen handschriftlichen Kringeln der Franzosen, dafür aber akzentfrei, die Summe auf einen Zettel schreibt. Denn die «60» – damals noch in französischer Währung – Centîmes werden nicht nordfranzösisch im Klang hochnäsig «soissonte» sondern bäuerlich direkt und knapp «soisénté» gesprochen. Das «t» deutlich näher einem «k» klingend, denn einem «t».
An manchen Tagen in der Woche, genauer an zwei von ihnen, springt man unter Umständen sogar bis zu drei Mal die Treppen runter ins Dorf, bevor man endlich seine Frühstückscroissants alle beisammen hat. Denn dann kommt zuerst nur der Fleischer in seinem weißen Renault-Transporter und später noch der Gemüsemann in seinem weißen Renault-Transporter. Alle Hupen der weißen Renault-Transporter hupen gleich, wenn auch Bäcker, Fleischer und Gemüsemann immer etwas anders hupen, kaum merklich. Nicht zuviel, damit es kaum auffällt. Deren Unterschiede lernt man jedenfalls nicht so schnell. Mit etwas Glück erkennt man sie vielleicht an ihrem Klang am Ende der dritten und und dann schon letzten Urlaubswoche. Dann aber fährt man ja wieder nach Hause und das Hupen interessiert gar nicht mehr. Und das eingeschweisste chemische Baguette vom Discounter wird gar nicht mehr über riesige Höhenunterschiede mehrmals am Tag erkämpft, sondern nur noch schnöde im heimatlichen Herd aufgebacken.
Einmal im Jahr auf einer der zahlreichen Dorffeten, die wahlweise Féte de l'été oder Féte du 14. Juillet heißen und sich an jedem Wochenende die Hand reichen, an denen dann Abends beim Tanz die Live-Combo gerne «Du ju rilly want to ‘urt me!» zum Besten gibt, hauen sich die drei, der Boulanger, der Charcutier und der Marchand de Légume, bei einem jungen Roten lustig amüsiert gegenseitig männlich auf die Schultern und grinsen dabei wortkarg, weil sie wieder einmal mehr die Touristen der diesjährigen Saison mit ihren Hupen in den Wahnsinn treiben konnten. Dann sprechen sie vermutlich sich auch darüber ab, wann sie ihre Wagenflotte erneuern und sich alle gleichzeitig das neue weiße Renault-Transportermodell bestellen werden. Vor der nächsten Sommersaison, wenn möglich.
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