2006-09-27

Es ist wie in einem schlechten Film

Hat etwas von einem Freitag Abend ZDF-Krimi, wenn die Polizei vor Deiner Tür steht. So oft hat man das im Fernsehen gesehen, dass man sich überhaupt keinen Kopf macht darüber, dass es Menschen im realen Leben gibt, denen das passiert: dass die Polizei mit einer mehr als schlimmen Nachricht vor ihrer Tür steht. Noch weniger, dass sie einmal vor Deiner Tür stehen. Das ist Film. Fernsehen. Keine Wirklichkeit. Schon gar nicht Deine.

Doch. Ist sie. Und es läuft genauso ab. Nur, dass dieses eine Mal plötzlich Gefühle eine Rolle spielen. Unschöne, traurige Gefühle. Die eigenen. Etwas, was weit weg ist, ist plötzlich so nahe. Zu nahe.

Es war einer dieser fürchterlich heißen Tage im Juli. Die Nacht von Freitag zu Samstag. Ich hatte irgendwann zum x-vielten Mal geduscht an dem Tag und hatte mich nackt auf das Bett gelegt. Ich wollte gar nicht schlafen, ich wollte mich nur durch den Hauch von der geringen Kühle der Nacht, die vom Balkon um mein Bett strich, etwas abkühlen lassen. Dabei bin ich wohl vor laufendem Fernseher eingenickt.

Dann klingelte es. Mitten in der Nacht um 00.30 Uhr. Und klopfte an der Tür, als Zeichen dafür, dass man bereits oben vor der Tür stehen würde. Was, wenn das in meinem Haus passiert, panisch stimmt, denn unten sind die Türen ab 20.00 Uhr verschlossen und es gibt keine Klingel- oder Schließanlage, die einfach jemanden ins Haus kommen lässt.

Verschlafen hochgeschreckt bin ich aufgesprungen und zur Tür gegangen als es bereits ein zweites Mal klopfte. Ich habe gefragt, „wer ist da?", habe durch den Spion geguckt; eine Polizeiuniform gesehen, die mir in genau dem Moment antwortete „die Polizei!“ Und dann die Bitte, ob ich einmal die Tür öffnen könnte? Ich war wach. So Merkwürdig: zuerst hat man ein schlechtes Gewissen, das Gehirn reißt flink alle Dinge runter, die man mal angestellt hat und die einen etwaigen Polizeieinsatz erforderlich machen könnten. Viel fiel mir nicht ein – in der Zwischenzeit hatte ich die Beamten vor der Tür um Geduld gebeten und mir erst einmal etwas übergezogen, um dann die Tür zu öffnen. Nichts war in Ordnung, ich fühlte das.

Dennoch dachte ich noch, es ist vielleicht etwas im Haus passiert. Oder mit dem Auto. Wieder zuerst der Gedanke an meine mögliche Schuld, war ich zu schnell gefahren? Einen Tag zuvor hatte ich das Auto von Freunden ausgeliehen, da vor meiner Haustür in all den Jahren meine bzw. die Autos von Freunden bereits sechs Mal aufgebrochen wurde, war mein nächster Gedanke, es sei etwas mit dem Auto. Das ich nicht der rechtmäßige Halterin war, sie im Falle eines Falles wohl eher bei demjenigen geklingelt hätten, auf die Idee kam ich nicht. Ich bin aus der ersten Schlafphase geweckt worden, logisch denken gilt dann als unfein.

Mittlerweile hatte ich die Tür geöffnet. Die Beamten, eine Dame und ein Herr, fragten mich, ob ich wirklich die Frau creezy sei. Ich musste das bejahen. Ich weiß noch, ich wollte in diesem Moment den Stop-Knopf drücken. Ich wollte alles, was kommen würde, nicht. Wußte nicht was, war auch nicht neugierig, wollte nur weg. Raus aus diesem Moment. Dann fragten sie mich, ob sie hinein kommen dürften. Während ich die Tür weiter öffnete, wollte ich von ihnen wissen, was denn los sei. Man möchte Polizeibeamte nicht einfach so hinein lassen. Wir standen im Flur: nein, ich wollte sie wirklich nicht ein Stück weiter in mein Leben lassen. Der Beamte bat mich darum, ob wir nicht alle ins Wohnzimmer gehen könnten, sie hätten mir eine Mitteilung zu machen. Das war der Moment als alles in mir gefror. Wirklich, schaue ich heute mit etwas dünnem Abstand zurück, sehe ich mich in diesem Moment bei 30 Grad Celsius Außentemperatur in einem dünnen Strandkleid über und über mit Eis und Eiszapfen bedeckt. Es war so kalt.

Die Beamtin forderte mich auf, doch bitte Platz zu nehmen. Zwischen dem Moment in dem sie mich auf die Nachricht vorbereiteten und mich zum hinsetzen aufforderten, schoss mir durch den Kopf: „Mein Onkel? Nein, der hat Familie, da würden sie nicht mich informieren. Mein Bruder? Nein, dann wären sie wohl als erstes zu meiner Mutter gefahren. Meine Mutter?“ „Nein, nicht meine Mama. N i c h t meine Mama, bitte!“ Ich glaube, als ich das dachte, im Grunde schon wußte, sah ich den Beamten nur ins Gesicht und fragte „Meine Mutter?" Sie nickten.

Da war nichts, was ich fassen noch fühlen konnte. Ich weiß noch, ich habe die Hände vor das Gesicht geschlagen, ganz lange gesessen und nichts gesagt. Gedacht, habe ich überhaupt denken können? „Nein! Nein! Das ist nicht wahr. Nein! Nicht so! Bitte nicht so! Das darf nicht sein!“ Alles Ausdrücke, die mich in diesem Moment begleitet haben, aber ob ich sie auch wirklich gedacht habe? Ich weiß es nicht. Ich denke nicht, dass ich überhaupt geatmet habe.

Ich wollte erfahren, was passiert sei. Diese Frage ließen sie erst nicht gelten sondern wollten erst von mir wissen, ob sie jemanden für mich anrufen sollten. Da war keiner. Die Freunde saßen im Zug nach Frankreich. An etwas anderes konnte ich nicht denken. Ich wollte sagen, „ja, rufen sie bitte meine Mama an“, aber es stimmte etwas nicht daran, hatte ich im Gefühl. Irgend etwas formulierte in mir, das genau das nicht ginge. Ich wollte immer noch wissen, was denn passiert sei. Die Beamten wussten aber auch nichts, sie erzählten mir nur, sie sei in ihrer Wohnung gefunden worden und sie würden mir die Telefonnummern der Beamten geben, die sie gefunden hätten.

Es geht seinen Weg: wird jemand tot aufgefunden, wird von den Beamten vor Ort der nächste Angehörige ermittelt. Zu dessen Polizeiabschnitt im Wohnbezirk werden dann die Unterlagen mit dem Vorgangszeichen gefaxt. Von dort machen sich die Polizeibeamten auf den Weg mit der Nachricht. Sie wissen nur vom Tod, kaum etwas von dem wie. Da ist eine Informationslücke, die tut nicht gut. Die dauerte bei mir über eine Stunde. Die Beamten waren wieder auf Streife, als ich später dort anrief. Sie würden mich sofort zurück rufen, wenn sie zurück sind.

Irgendwann sagte die Beamtin, „sie sei ja sehr froh, dass ich die Nachricht so gefasst aufnehmen würde.“ Gefasst? Was ist das eigentlich? Ich war nicht gefasst, ich war gar nichts. Ich war im absoluten Niemandsland, keine Funktion, keine Reaktion, Nichts. Anders lässt es sich nicht ertragen. Nicht für mich. Ich kann auch erst los lassen, wenn ich alleine bin. Ich bin sicher, das Universum hatte zu diesem Zeitpunkt eine ganze Weile ohne mich funktioniert. Ich hätte und habe mich solange zusammen gerissen, solange die Beamten da waren. Ich wäre nie vor denen zusammen gebrochen. Komisch.

Sie fragten dann recht schnell aber vorsichtig, da wäre noch ein Kater, was denn mit ihm geschehen solle? Ich weiß, für viele Menschen ist so ein Tier eine Sache. Nett, aber nicht wichtig. Für mich war der Kater in diesem Moment der Halt, der einzige. Ich ahnte, wußte, ihm geht es noch schlechter als mir. Dache, „ich muss mich zusammen reissen, er braucht mich jetzt, meine Unterstützung.“ Der Kater war für mich ganz viel in dem Moment. Ein bisschen wie meine Rettung. „Natürlich werde ich ihn nehmen, gleich morgen früh abholen,“ habe ich gesagt. Sie saß doch da bei unserem letzten Treffen auf ihrer Couch, guckte mir offen in die Augen und sagte: „Du kümmerst Dich doch um ihm, wenn mir mal etwas passiert? Du lässt ihn nicht im Stich?“ und nahm meine Hand in dem Moment. Ein merkwürdig intensiver Moment. „Natürlich tue ich das, Mama.“ Ich war genervt, weil ihr das Thema so wichtig war. Für mich war es noch so weit weg, habe ihr gesagt, so weit wäre sie doch noch lange nicht. „Das hoffe ich auch,“ sagte sie dann, „ich würde ihn ja doch überleben wollen, auch wenn das sehr traurig wäre!“

In der gleichen Nacht habe ich es mir noch nicht zugetraut, ihn zu holen. Sie sagten, sie würden im Abschnitt anrufen, dass sie ihn nicht ins Tierheim bringen sollen, sondern aufbewahren für mich bis zum nächsten Vormittag. Gaben mir wieder Telefonnummern und Ansprechpartner. Sie waren sehr geduldig, erklärten mir alles mehrmals, waren sehr vorsichtig. Fragten mich, ob sie mich denn jetzt wirklich alleine lassen könnten, ich bejahte das. Ich bin gerne alleine, wenn es mir nicht gut. Tierpsyschologie: Bin ich verletzt und angeschlagen, komme ich unsichtbar in irgendeiner Ecke versteckt besser wieder zu Kräften. Meistens jedenfalls. Es gibt keine so große Ecken, wie ich sie in der Nacht gebraucht hätte.

Ich habe sie rausgebracht, wir haben uns noch über die Katzen unterhalten – über die eine, die andere sieht man ja nie. Nishia hat wieder das Gespräch an sich gezogen auf ihre Art, das macht sie immer so: erst die Blicke, dann das Gespräch. Sureal, ich hatte gerade vom Tod meiner Mum erfahren und sollte nun die Rasse meiner Katze definieren. Sie, die Polizeibeamtin, meinte das nur gut, ich weiß das. Ich weiß nicht, wie beide ausgesehen haben. Ich kann mich nicht erinnern, ob der Mann Haare hatte und welche Haarfarbe die Frau hatte. Ich würde diese beiden Menschen nie wieder erkennen. Dann brachte ich die Beamten hinunter, die Tür war wieder abgeschlossen. Der Nachbar, den sie zufällig trafen, hatte ihnen aufgeschlossen – sie hatten wohl schon eine Weile vor der Tür gewartet – und sie wieder eingeschlossen.

Dann war ich wieder alleine. So wie ich es vorher gewesen war. Nur war nichts mehr wie vorher. Alles ganz anders. Endgültig. Traurig. Kalt.

Den schlechtesten Film spielt immer noch das eigene Leben.

8 Kommentare:

  1. Keine Ahnung, ob Du deine heutigen 0,8 Kommentare schon hattest (... und der Text ist eigentlich auch einer von der Sorte, die viel zu intensiv für einen profanen Kommentar sind). Fällt schwer, eine Bezeichnung für diesen Eintrag zu finden, "toll" und "schön" kann man in dem Kontext nicht gebrauchen, möglicherweise "eindringlich". Vielleicht kann ich Dein Gefühl aus dieser Situation ein kleines wenig nachvollziehen. Wünsche Dir weiterhin viel Kraft bei der Bewältigung, die sicher noch nicht abgeschlossen ist.

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  2. oje. bei mir haben sie geklingelt um mir mitzuteilen, dass mein kind vergewaltigt worden ist. von angeblichen freunden. alles ist schon passiert, wenn sie klingeln und man kann nichts mehr ändern. ich weiß, das ist ein großer unterschied ob jemand gestorben ist oder "nur" opfer einer gewalttat wurde. dennoch: der moment der aufforderung sich setzen zu sollen lässt einem immer das blut gefrieren. mein beileid, hoffe du kommst damit zurecht. naja, muss man ja....

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  3. @ker0zene
    Hatte ich noch nicht. ;-) Trotzdem danke. Kein Kommentar wäre auch gut gewesen, aber Deiner kam auch richtig an! Ich weiß, das ist schon manches Mal starker Tobak, den ich Euch hier aufdrücke.

    Und vielen Dank für die guten Wünsche, ist Arbeit – aber zu schaffen, denke ich.

    @morticia
    Ehrlich gesagt, ob man die Wertigkeit bei einem entgültigen Bescheid oder der Nachricht, jemand den Du liebst und nur das Beste wünschst, ist so etwas Schreckliches passiert wie Deiner Tochter … dezimieren kann oder vergleichen sollte. In mir gefriert gleich alles noch einmal, wenn ich das lese.

    Ich vermute, ‘nur‘ Trauer kann man noch besser händeln als Trauer UND die Wut. Ich wünsche Deiner Kleinen, sie schafft es irgendwann das hässliche Erlebnis durch viele gute und schöne Momente wieder ausgleichen zu können. Das sie das stärker macht!

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  4. das allerschärfste war der richter, nachdem das kind auf eine verurteilung verzichtet hat: der täter (der noch nicht volljährig war) sollte eine wiedergutmachung in form von "pralinen", kinogutscheinen oder geld nach eigenem ermessen leisten. darauf wurde dann direkt auch verzichtet. das ganze ist zum glück schon ne weile her. komisch, wenn ich sowas lese wie heute bei dir, fällt mir gleich das eigene elend ein. aber nicht zum auskotzen und loswerden, sondern weil es manchmal tröstet, dass fast jeder irgendeine oder mehrere abgründe hat oder hatte. : ))

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  5. Sehr intensiv, creezy. So haargenau könnte ich Gefühle wohl nicht beschreiben. Danke.

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  6. @morticia
    Pralinen? Kinogutschein? Geld? Und? Sollte sie vielleicht mit dem Täter gemeinsam dorthin gehen? Das finde ich ja hammerhart. Also, irgendwie ist das ja die Aufforderung von Richterseite zur Prostitution, oder? Was war das für ein Signal in Richtung dieses Knaben? 'Du nimmst Dir die Frau selbst wenn sie nein sagt, wenn Du ihr Geld gibst, ist wieder alles in Ordnung!'??? Unfassbar.

    Naja, ich wollte das nicht bei Dir wieder hochkommen lassen, bei Dir Narana auch nicht. Ich weiß, Du kennst das ja auch.

    Für mich ist nur dieser Moment immer noch so sureal. Ich dachte, wenn ich das mal aufschreibe, raus lasse, dann verschwinden die Geister irgendwann einmal. Irgendwann.

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  7. Ist schon okay, ich hab an der Stelle schon etwas Hornhaut auf der Seele - obwohl morgen der 30.09. sein wird und es somit 7 Jahre her ist.

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Fröhlich sein, freundlich bleiben und bitte immer gesund wieder kommen!