2019-09-12

Der Nachbar gegenüber …

… der immer so freundlich und fröhlich war, den quält nun schon sichtlich seit einiger Zeit eine schwere Erkrankung. Der Hairless-Symdrom nach vermutlich etwas von einer Chemotherapie begleitend.

Selten haben wir ihn gesehen in den letzten Monaten. Ab und zu ist er mit der Gehhilfe vor das Haus getreten, Luft atmen. Dann ist er wieder zurück gegangen. Der frühere Bauch geschrumpft. Ganz dünn geworden. Richtige – sehr seltene – Ausgänge nur noch im Rollstuhl gemeinsam mit seiner Frau und dem Krankentransport.

Heute hat ihn der Krankentransport abgeholt, erstmals liegend. Also die Treppe sitzend herunter getragen – aber dann vor dem Haus auf die Liege gelegt. Eine gepackte Tasche dabei. Keine kurze Arztvisite. Seine Frau ganz blass. Und so wie er sich in seinem, unserem Hof umgesehen hatte auf der Trage, sichtlich in dem Bewusstsein, dass er diesen womöglich nie mehr wiedersehen wird.

Da bricht die Stimmung. Da hilft auch kein Sonnenschein.

2019-09-11

Einkochenmodus

6 Flaschen Zitronade
9 Gläser Tomatensugo (püriert)

Vorbereitet, also zugeschnitten 2 Kilo Feigen – die ziehen jetzt im Gelierzucker

Morgen dann noch 8 Kilo Tomaten für die nächsten Sugo-Gläser einkochen (die komplett mit Haut nur klein geschnitten eingemacht werden also stückig.)

Danach kann man sich langsam an den Stollen machen oder?

2019-09-05

Physiologique

Mein Physiotherapeut war eine Woche in Urlaub und ich habe diese Woche selbst entschieden ausgesetzt. Hatte sich Sonntag/Montag sehr gerächt. Aber ich bin Montag trotzdem morgens zum Pilates und habe sehr gelitten zumal die wundervolle Lehrerin – nach drei Wochen Schmusekurs – nun mit uns in die tiefen (!) wundervollen Gefilde der Pilates-Kunst eingestiegen ist.

Habe ich also des öfteren in die Matte atmen müssen. Macht ja nix. Ich war dort, ich habe durchgehalten – ja, ich war sehr angetan von mir hinterher!

Gestern also wieder zur Physiotherapie – und hinterher zum Geräteturnen im ansässigen Folterraum – die Nach-Chemo-Klientin aus Ost-Anatolien neben meiner Liege bei der manuellen Therapie, erzählte uns stolz und übrigens in perfekten Deutsch von ihrer Familie. Ihre vier Kinder haben ihr Lebenspartner aus Kuba, Marokko, Bulgarien und Russland ins Nest gespült – und sie ist begeistert und freut sich über die große kulturelle Vielfalt.

Also bitte, es kann doch so einfach sein?

2019-08-28

Marzipan

Ich vergesse es auch immer mal wieder. Aber es ist so unfassbar einfach und günstig Marzipan selber zu machen. Ich habe es gerade wieder in Vorbereitung für tunesische Kekse getan …

250 Gramm gemahlene Mandeln
150 Gramm Puderzucker
20-40 ml Rosenwasser (gibt es günstig im befreundeten Supermarkt).

Kneten. Eventuell bei Bedarf noch etwas mehr Rosenwasser oder Wasser, das merkt man beim Kneten ob es noch etwas wenig mehr Flüssigkeit braucht. Bei 20 ml Rosenwasser anfangen und während des Knetens noch etwas mehr hinzufügen.

Das ist ein Wareneinsatz von weiter unter zwei Euro für 400 Gramm frisches feines Marzipan. Während 125 Gramm Marzipan in der Packung zur Weihnachtszeit mindestens 1,59 Euro kosten. Supermarktpreise.

2019-08-26

Lago Maggiore – Beveno – Verbania Pallanza – Alpe Segletta – Cardona Line – Lago Mergozzo – Domodossola

Disclosure: Ich durfte auf Einladung der Tourismusorganisationen Distretto Turistico dei Laghi und Turismo Valsesia Vercelli in den Piemont an den Lago Maggiore bzw. an den Lago Orta reisen. Die unterstützenden Unternehmen dieser Reise sind im Text verlinkt. Und wie immer gilt: Click aufs pic makes it big! Hier findet Ihr den ersten Blogbeitrag zur Reise von mir!


Jut jeschlafen und prima Aussicht am Morgen auf den Lago Maggiore vom Hotel Rosa

Der zweite Berg ruft – und wir kommen! Ich habe sehr gut geschlafen im Hotel Rosa und schon am frühen Morgen den kleinen Balkon genießen dürfen mit der Aussicht auf die erwachende kleine Stadt Baveno. Meine Hotelzimmeraussicht auf den Lago Maggiore ist auch in den frühen Morgenstunden den Blick wert. Vor einem kurzen Schwimmausflug im See kneife ich jedoch. Ich gehe lieber zum Frühstück, das ist hier reichhaltig und gut. Übrigens mit umfangreicher Auswahl an den Schär-Glutenfrei-Produkten.


Ich, frisch geduscht beim Fotografieren und Zähne putzen, weswegen ich den Bauch nicht auch noch einziehen kann.

Verbania Pallanza und Forno Pasticceria Spiga d'Oro

Zunächst fahren wir mit dem Bus den See entlang nach Verbania Pallanza und machen einen kleinen Spaziergang durch diese hübsche Stadt.



Da lasse ich, dumme Nuss, mein Geld im Bus und kann somit nicht an den Markständen am See am Steinpilzstand mit den unglaublichen Preisen zuschlagen oder bei den Salamis. Wir wandern durch die Straßen, wo viele alteingesessene Geschäfte mit originalen Werbetafeln für sich bzw. die Produkte werben. Die Straße, die uns zum Spiga d’Oro führt, scheint hier wie ein kleines Museum der Medienkommunikation im 19. Jahrhundert zu sein. Wirklich schön anzusehen, nur leider stehen heute viele der Geschäfte leer.





Unser Weg führt uns in die Forno Pasticceria Spiga d’Oro – hier dürfen wir uns alles aussuchen, was wir uns für unseren Lunch in den Bergen wünschen. Foccacia, Panino, Pizza, leckere süße Kleinigkeiten – hier gibt es alles, was das Herz begehrt. Düfte, die es einem nicht leicht machen, sich zu entscheiden.



Dann fährt uns der Bus bei allerschönstem Wetter hinauf in die Alpe Segletta an die Station der ZIPLine Lago Maggiore.

Alpe Segletta, ZIPLine Lago Maggiore und Linea Cardona

Hier kauft man die Tickets für die ZIPLine und kann mit einem Bus nach oben zur Abfahrtstation transportiert werden. Im dazugehörigen Caffè kann warten, wem das Flugabenteuer nicht geheuer ist und bei Eis oder Imbiss z. B. mit den Kindern im Garten spielen.

Oder sich mit einem Guide auf den MTB-Bikes, hier wieder für uns E-Bikes, treffen, um sich den Aufstieg zur ZIPLine durch den Val Grande Naturpark erstrampeln. Das tun wir mit dem Versprechen auf grandiose Aussichten inmitten dieser Landschaft. Die Plattform der ZIPLine Lago Maggiore ist Ausgangspunkt für unterschiedliche Touren mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden, unsere Tour „Slow Panorama: Auf der Linie Cardona des Lago Maggiore” ist Programm.


Der parallel zum Gipfel verlaufende Strich im Grün – das ist der Weg der Cardona Line

Die Linea Cardona wurde 1915-1918 errichtet mit dem Ziel im ersten Weltkrieg Norditalien vor der Invasion der Deutschen Wehrmacht über die Schweiz zu sichern. Sie verläuft westlich des Lago Maggiore und sicherte das Ossolatal vor etwaigem Grenzübertritt der streitenden Mächte. Im Grunde ist es ein – mal mehr, mal weniger – breiter Schotterweg, hier und da auch als Straße ausgebaut, ab und zu kann man noch die Ruinen der alten Steinbefestigungen erkennen. Heute ist die Cardona Line eine wundervolle Trekking- und Biking-Route. Ein Teil der Strecke führt dabei durch im Sommer angenehm kühlende Buchenwälder.



Die Guides, Elio und sein Kumpel, mahnen uns immer möglichst links, nahe zum Berg zu fahren, denn rechtsseitig (auf der Hintour) geht es bergab. Und zwar richtig bergab. Wir werden sehr kompetent und sicher geführt von unseren Begleitern, einer fährt vor, einer schließt die Truppe ab und nimmt Rücksicht auf etwaige Schwierigkeiten. Beide sind mit einem Walkie Talkie ständig in Kontakt. Diese Tour macht unendlich viel Spaß – und wir bringen die Jungs ständig an den Rand der Zeitplan-Verzweiflung, weil wir natürlich ständig fotografieren wollen. Nachdem wir verstanden haben, wie ehrlich sehr leicht mit einem E-Bike das Anfahren am Berg ist, kennen wir Ängste vor einem Foto-Stopp, sehr zum Leidwesen von Elio, überhaupt nicht mehr!



Die Aussicht auf den Lago Maggiore ist genial, wir befinden uns je nach Tourpunkt ca. 1000-1200 Meter über dem See – und sie vermittelt uns erstmals einen Eindruck seiner wirklich riesigen Größe. Der See windet sich blau mit großer Eleganz durch die Berglandschaft. Das ist an Schönheit kaum zu überbieten.



Die Natur ist herrlich grün und bunt blühend – und von ein paar Straßen, denen wir zeitweilig auch folgen, abgesehen – unberührt. Dass das so bleibt, darauf achten auch unsere Guides mit höflichen Instruktionen. Hier oben blüht jetzt erst der Ginster aufrecht in leuchtendem Gelb. Roberto, unserer Reiseleiter, seine Familie ist hier beheimatet, erklärt uns, dass der Winter in diesem Jahr hier sehr kalt und sehr lang gewesen sei, die Natur daher noch etwas zurück liege. Ich mag das: zwei Mal Frühling im Jahr, für mich kann es nichts Schöneres geben!



Die Strecke ist 26,50 Kilometer lang mit einem Höhenunterschied von 650 Metern, gilt als mittelschwer und je nach Kondition und Zeit, die man sich dafür nehmen möchte, benötigt man 1-3 Stunden für die Tour ab Alpe Segletta über Piancavallo, Cima di Morissolo, Colle, Linea Cardona, Passo Folungo bis nach Pian d’Arla.


Ich, nun nicht mehr so frisch geduscht, mit Helm und freundlichem Support vom toughen Tom – photo by Anja Thys

Unterhalb des Cima di Morissolo machen wir eine erste längere Rast auf dem Plateau der ehemaligen Festungsanlage der Linea Cardona. Ganz oben vom Gipfel soll angeblich der einzige Punkt sein, von dem man den gesamten Lago Maggiore überblicken kann. Aber auch von unserem Standpunkt aus ist die Aussicht auf den See grandios und erdet ungemein, wie sie auch euphorisch stimmt. Man kann hier durch die künstlich geschaffenen Höhlen dieser früheren Verteidigungsanlage laufen.



Sie diente den Soldaten als Aufenthaltsort und Lagerungsstätte für Nahrung, Munition. Einzelne Schießscharten in Richtung der Schweiz ins Massiv gehauen, zeugen heute von ihren Verteidigungsaufgaben in weniger schönen Zeiten. Immerhin: Zu Kampfhandlungen ist es in diesem Gebiet tatsächlich nie gekommen.



Die Natur – zu allen Seiten – wirkt majestätisch erhaben! Langsam greift der Reiz der Berge auch nach mir.



Wir finden reife Walderdbeeren im Gras und über uns amüsiert sich eine freundlichen Ziegenherde über unseren Besuch. Die Begeisterung auf beiden Seiten ist groß. Das Glockenbimmeln der Ziegen schafft augenblicklich den perfekten Sound zum Naturerlebnis. Nur unser Guide erklärt uns, dass wir an diesem wunderschönen Ort mit Blick auf den Lago Maggiore unser Picknick nicht einnehmen werden, weil es uns sonst die Ziegen abnehmen würden. Natürlich wollen wir den Ort ohne Kampfhandlung um unsere Foccacia genießen und folgen ihm.



Zurück auf das Rad, fahren wir einen Teil der Strecke zurück und bewegen uns am Scheitelpunkt des „Ospedaletto”, einer Kur-Anlage, nun ein kurzes Stück auf einer ausgebauten Straße weiter, die entlang dem Nordhang führt und uns später in die Strecke durch einen Buchenwald führt. Ich bin immer noch fasziniert, dass man mit einem Mountainbike sehr lässig über all die großen Steine fahren kann, denen ich sonst auf meinem deutlich schmaler bereiften Rad zwingend ausweichen würde. Dieser Instinkt ist bei mir gesetzt und ich muss offensiv dagegen ankämpfen. Es ist ein klein wenig wie neu Radfahren lernen, macht trotzdem irre viel Spaß – und ich fürchte mit etwas Gewöhnung und Übung in diesem Gebiet, wäre ich ganz schnell radfahrende Pistensau. Was für ein Vergnügen!

An einem Brunnen machen wir in einer sommerlich duftenden Wiese eine verdiente Pause und genießen unser Picknick. Alles schmeckt noch viel viel besser, als wir es uns vorher in dem Ladengeschäft der Pasticceria Spiga d’Oro gedacht hätten. Möglicherweise haben Urlaubsgefühl, Bewegung und diese überwältigende Landschaft einen nicht geringen Anteil daran?



Nach dem Essen teilt sich unsere Truppe. Die ganz auf das E-Bike und Gelände Versessenen von uns fahren die komplette Tour durch und gönnen sich die verdiente Abfahrt auf dem Rad und stoßen später sehr glücklich an der unteren ZIPLine-Station wieder zu uns. Die anderen, die sich für das Abenteuer ZIPLine entschieden haben, nehmen eine Abkürzung zur Start-Rampe der ZIPLIne. Ich habe mich mitten auf unserer Strecke dann mutigen Herzens (!) für die ZIPLIne entschieden. Dabei hat mir persönlich sehr gut geholfen, dass unser Ausgangspunkt für die Tour an der Einflugschneise der ZIPLine war. So konnte ich mitansehen, was der Flug bei anderen Urlaubern so macht – und die schienen vorrangig Spaß zu haben. Außerdem rief mein langsam glühender Hintern (so eine gepolsterte Radlerhose ist bei solchen Touren wohl doch ein „nice to have”) nun doch nach etwas Ruhe vor dem Sattel.

Fazit: tolle Tour, tolle Aussichten – auch ohne Guides ist die Strecke sehr gut ausgeschildert. Eine Landschaft zum Verlieben! Ich wäre sofort wieder dabei. Die Anstrengung der Tour definiert man für sich selbst indem man sich ein Zeitkonzept aufzwingt. Als Tagestour ist die Strecke ein Spaziergang – auf dem E-Bike sowieso. Zu Fuß auch machbar. Mehr Infos (mehr Touren), Pläne und GPS-Daten findet Ihr auf der Homepage.

ZIPLine Lago Maggiore



Auf der ZIPLine wart Ihr ja schon mit mir, dank des Filmes von Anja Thys aka Ophelia Talks. Ich würde es jederzeit wieder tun, sich noch einmal so fühlen wie ein Raubvogel. Der kurze Flug über die Wälder, die Physik des Windes, der eigene Mut – das alles serviert eine gehörige Portion Glückshormone, die man sich wirklich gönnen sollte.

Die verrückte Nudel Anja hat natürlich auch unsere Radtour filmisch begleitet – also wer mehr sehen möchte als die paar Standbilder von mir, möge bitte ihrem YouTube-Kanal folgen. Es ist so ein Spaß – so könnt Ihr mit auf den Berg kommen! Stefanie von Gipfel-Glück hat übrigens die Abfahrt genommen, Ihre Eindrücke dazu könnt Ihr in ihrem Blogpost lesen.


Continental Camping Village am Lao Megozzo

Es ist nun Nachmittag und der Bus fährt uns an einen der saubersten Seen Europas, dem Lago Megozzo. Wir sind zu Gast auf dem riesengroßen Campingplatz „Continental Camping Village”, im Besitz der alteingessenen Familie Manoni. Grandseigneur Manoni, hochbetagt, begrüßt uns freundlich noch selbst auf der 100.000 Quadratmeter großen Anlage, wo man – wenn man nicht Freund des Campens ist – sich auch in Bungalows und Apartments einbuchen kann.



Hier herrscht Jubel, Trubel und Heiterkeit, das ist sicher! Das hier ist kein Platz für den introvertierten Urlauber – und nach unserer Zeit in den Bergen, fremdeln wir alle anfänglich ein bisschen in Anbetracht des puren Lebens, das uns hier übermannt.



Tatsächlich wird hier einfach nur Familienurlaub groß geschrieben – und ich sehe Kühl-Gefrierkombinationen in Vorzelten stehen, was mich als Camping-DAU ungemein beeindruckt. Die Anlage ist riesig! Wir sind vom Team eingeladen am Strand des Lago Megozzo etwas zu entspannen und dürfen uns Kajaks bzw. Treetboote ausleihen und schwimmen gehen. Der Strand verläuft lange sehr flach in den See, also ideal für Kinder. Später – wieder in Berlin – werde ich lernen, dass im vergangenen Jahr mein kleiner Großcousin und Schwesterchen, mit ihren Eltern, alle vier Bullyisten, ihren Urlaub genau hier verbracht haben.



Herrlich! Wasser und so – nach einer Radtour ist das genau der richtige Abschluss des sportlichen Tages. Obendrauf werden wir später von den supernetten Leuten vom Continental Camping Village mit einem eisgekühlten Cocktail, Pizza und Pommes satt verwöhnt. Ey, habt Ihr eine Idee wie sehr gut Pommes schmecken können nach so einem Tag? Die Pizza war sowieso state of the italian art: Bonfortionös!

Ossola Tal – Domodossola 

Unser Bus bringt uns zu unserem Hotel im Ossola Tal. Wir schlafen heute Nacht in Domodossola (wäre das nicht ein super Name für einen etwas dominanten Kater?). Tatsächlich wird im italienischen Alphabet nicht „D wie Dora” sondern „D come Domodossola” diktiert. In dem gerade frisch renovierten und neu eröffneten Hotel Ristorante Eurossola gegenüber des Bahnhofs mit der pittoresken Altstadt Domodossolas direkt um die Ecke, sind wir zum Abendessen und zur Übernachtung eingeladen. Wir lieben es! Vom Bahnhof aus kann man übrigens direkt nach Milano fahren.

Das Hotel gibt es bereits seit 1903 in fortführender familiärer Hand und ist heute sehr modern, mit spürbar viel Liebe und Geschick eingerichtet. Die Zimmer sind klein, vielleicht gerade deshalb sehr gemütlich. Das Hotel hat drei Sterne, das Restaurant hat deutlich mehr verdient. Einzelzimmer kann man hier ab € 75,—, Doppelzimmer ab € 95,— buchen incl. Frühstück. Wahlweise kann man auch Halb- bzw. Vollpension wählen, was bei den Künsten des Kochs gar keine schlechte Entscheidung wäre.

Giorgio Bartolucci kocht hier in seinem Atelier Restaurant mit regionalen Produkten auf einem sehr kreativen und hohem Niveau. Er serviert uns als Vorspeise aufgeschnittenen Schinken aus dem Vigezzo Tal und einen Ricotta Gateau mit Roter Beete. Sehr fein! Dann Gnocchi d’Ossola (Gnocchi aus Kastanien) in einem Korb aus schwarzem Coimo-Brot. Die Gnocchi sind fantastisch – und nur ein klein wenig mächtig. Der Hauptgang besteht aus einem unfassbar zartem Stück aus der Lende Piedmonter Rind mit Spargel und einem Jus vom Gattinara-Wein. Den Abschluss bildet ein tolles Dessert, das pragmatisch als „Chef’s Dessert Triology” daher kommt – bei dem (nicht nur) mich ein Salbei-Sorbet von den Socken haut. Leute, Salbei-Sorbet: DAS ist es! Wirklich. So fein! Die Weinbegleitung macht Spaß, uns geht es einfach gut. Grandioses Abendessen.



Den Abend beschließen wir mit einem kurzen Spaziergang durch die historische Altstadt von Domodossola. (Entschuldigung aber ich finde des Namen so wunderschön, ich möchte ihn immer wieder niederschreiben.)



Typischer italienischer Flair, der Stadtplatz liegt im besonderen Licht der blauen Stunde und ist voller Leben und Lachen, wir kehren auf Empfehlung unserer Reiseleitung Roberto an einer der wohl besten Eisdielen dieser Region, der Gelateria Amarena, ein. Also einige von uns. Ich bin immer noch verdammt glücklich mit dem Geschmack des Salbei-Sorbetto … und überhaupt mit diesem ganzen Tag.

Und falle ins Bett, denn am nächsten Tag ruft uns mal wieder … ein Berg.

2019-08-24

Lago Maggiore – Stresa – Isola Bella – Mottarone – Baveno

Disclosure: Ich durfte auf Einladung der Tourismusorganisationen Distretto Turistico dei Laghi und Turismo Valsesia Vercelli in den Piemont an den Lago Maggiore bzw. an den Lago Orta reisen. Die unterstützenden Unternehmen dieser Reise sind im Text verlinkt. Und wie immer gilt: Click aufs pic makes it big!



Lago Maggiore – Stresa

Italienische Seen … kannte ich bisher nur aus den kitschigen Filmen der 50iger Jahre, wo sie als Kulisse für allerlei Herz, Schmerz, Kitsch und meist gesungene Weisen herhalten mussten. Oder wenn wieder einmal über einen charismatischen US-Schauspieler, Ehemann einer berühmten Rechtsanwältin für Menschenrecht und deren italienische Immobilie an einem See berichtet wird. Oder wenn im Reisekatalog beim Discounter für günstige Busreisen nach Italien mit dem unausgeschriebenen Touch einer gemütlichen Reise für Rentner geworben wird. Urlaub to be für Oma. Romantik. Geranien. Kaffeegedeck. Jemütlich war’s jewesen! So etwas in der Art.

Also nicht zwingend ein Ort, wo man sich selber (schon) urlauben sieht. Bis man zum Lago Maggiore eingeladen wird und eines viel Besseren belehrt wird! Der Lago Maggiore gilt als zweitgrößter See Italiens, dessen Fläche er sich ein klitzekleines bisschen auch mit der Schweiz teilen muss. 80 Prozent der italienischen Fläche des Lago Maggiore teilen sich die Provinzen Piedmont im Westen und die Lombardei im Osten. Der Rest geht an den Schweizer Kanton Tessin. Der Gletschersee ist bis zu 372 Meter tief, seine Länge misst 64,37 Kilometer, die Breite zehn Kilometer. Mit seinen Windungen ist er mit einem Auge nicht in seiner Gänze zu übersehen.

Am Lago Maggiore ist die Vielfalt für einen Urlaub erstaunlich groß. In nur fünf Tagen haben wir Bekanntschaft mit dem sehr alt eingesessenen Geldadel Italiens machen dürfen, traumhaft romantisch-kitschige Inseln in Seen besucht. Wir haben – selbstverständlich – fantastisch gegessen, alle Fünfe gerade sein lassen im Sonnenschein, heimische Food-Produzenten besucht und auch dabei immer wieder die wundervolle italienische Gastfreundschaft genießen dürfen – und gleichzeitig ein recht umfangreiches, sehr viel Spaß bringendes Sportprogramm mit Wandern, Aufstieg, Abstieg, Fahrrad fahren (neumodern Mountain Biking mit dem E-Bike), Schwimmen, Paddeln und gemütlich aufgeregt ZIPLine fliegen. Und das alles unter sechs Tagen – und trotz diesem, darüber wundere ich mich immer noch, aktiven Programm war es: Urlaub. Vom ersten Espresso bis zum letzten! Eine tolle Zeit in einer wunderschönen und vielfältigen Umgebung.



Früh in Berlin ins Flugzeug gestiegen, lande ich auch früh am Tag auf dem Flughafen Milano Malpensa, Terminal 2 und darf schon, auf dem Weg zum Terminal 1, unserem Treffpunkt, Kunst betrachten. Die Italiener haben ein Händchen dafür einen willkommen zu heißen! Ich tue das, was ich am Besten kann in Italien und bestelle mir ein Cornetto mit Pistaziencreme und natürlich den passenden Caffè dazu. Meine zweite Amtshandlung, Stefanie anzusprechen vom Blog Gipfel-Glück, die offensichtlich mit mir auf den Rest der Teilnehmer wartet – die schon vor mir das Cornetto mit Pistaziencreme geordert hatte.



Isola Bella



Als wir Reisenden komplett sind, stürzen wir uns umgehend in unser Reiseprogramm und fährt uns Pirazzi Autoservi S.R. L. eine knappe Stunde mit dem Kleinbus zum Lago Maggiore. Hier begrüßt uns Silvia Lorenzini, die Tourismusbeauftragte von Distretto Touristico dei Laghi, die uns die kommenden Tage sehr enagiert und professionell als Tourbegleitung für alle unsere Fragen zur Verfügung steht.

Der erste herrliche kitschige Programmpunkt des Tages besteht in einer kurzen Überfahrt ab Stresa zur Isola Bella mit einem der kleinen schnellen Boote. Die größte der drei Borromäischen Inseln im See ist aber nur 320 Meter lang und 180 Meter breit. Carlo III. Borromeo – italienischer Geldadel – ließ hier ab 1632 die Insel planieren und bebauen und schenkte seiner Gemahlin Isabella d’Adda den heute noch stehenden Palazzo mit Gartenanlage, entworfen vom Architekten Angelo Crivelli. Nach Isabella wurde die Insel damals Isola Isabella genannt, heute spricht man nur noch kurz von der Isola Bella.

Dieser Name ist Programm. Wir besuchen den barocken Palazzo der Familie Borromeo und es folgt ein „Wow!”-Moment nach dem anderen. Der Teil des Palazzos, der für die Öffentlichkeit geöffnet ist, denn tatsächlich leben die Borromeos dort immer noch – geöffnete Vorhänge und Fahnen auf Halbmast künden von deren aktueller Anwesenheit – ist voller ursprünglicher Kunst, Fresken, einen riesigen dreidimensional wirkenden Wandteppich (alleine für den lohnt es sich dorthin zu reisen!), Bodenmosaikgemälde und historischen Möbeln aus dem 16. bis 19. Jahrhundert. So steht hier immer noch das Bett in dem Napoléon Bonaparte mit seiner Frau Joséphine als Gäste des Giberto V. Borromeo auf der Insel genächtigt haben sollen:



Die Aussicht aus den Palazzo-Fenstern auf das Festland ist von jeder Seite aus märchenhaft.





Ach ja, kleiner Hinweis: Das Wappentier der Borromeos ist das Einhorn, es ist überall im Palazzo zu finden – nicht zuletzt im Garten als Standbild im Theater, dem Halbrund der zehn herab gestuften Gartenterrassen. Es ist nur … entschuldigt bitte meine gnadenlose Offenheit, liebe Internet-Gemeinde … so gar nicht rosa.





Wenn eine Familie über Jahrhunderte sehr reich ist, sie mit dem Geld über die vielen vielen Jahre, Zeiten und Moden zeitgenössische Kunst finanziert hat, und somit künstlerische Ideen in ihrer Umsetzung überhaupt erst möglich machten – das hat schon einen ganz besonderen Charme. Reichhaltigkeit. Passt hier gut.



Mein persönliches Highlight der Wandteppich aus Flämen aus dem 16. Jahrhundert. Ein riesiges Wandgebilde gearbeitet aus Seiden- und Goldfäden, das für die damalige Zeit ein Novum in der Bildgestaltung, die Dreidimensionalität in einer Szenerie darstellte, durch eine sehr lebendige Gestaltung des Hintergundes. In dem Gemälde selber sind lauter Fabelwesen in der Natur zu sehen – natürlich auch das Borromäische Einhorn!



Dann im Kellergewölbe des Palazzos ein architektonisches Highlight, das man nicht oft sieht: Sechs unterirdische Säle als künstliche Grotten aus Tuffstein gestaltet führen weitläufig und heute noch faszinierend modern wirkend durch ihre farbliche Gestaltung in schwarz und weiß in den Garten. Sie dienen auch heute noch ihrem damaligen Zweck: etwas Kühle zu finden in der heißen Sommerzeit.



Leider ist uns nur ein viel zu kurzer Besuch in dem wunderschönen barock angelegten Garten, der zum Palazzo gehört, gegönnt. Deswegen weint das Herz der Laien-Gärtnerin in mir. Blühender Oleander, Magnolien, Zitronenbäume mit Früchten und neuer Blüte, dieser Duft – so muss Italien eben riechen! Und: seltene weiße Pfauen, die gemütlich faul den Garten und das Wetter genießen, die man angeblich nur hier findet.



Das Ticket inklusive Übersetzung zu den drei Borromäischen Inseln im Lago Maggiore kostet 17,— Euro/Person. Ein Besuch ist von Ende März bis Ende Oktober jeweils von 9:00-17:30 Uhr täglich möglich. Mehr Informationen über das Portal zur Insel.



Eilig müssen wir durch die kleinen Gassen des unmittelbar an den Palazoo grenzenden kleines Dorfes mit den vielen kleinen hübschen Geschäften zu unserem ersten kulinarischen Event. Unser Mittagstisch wartet bereits mit einem Prosecco zur Begrüßung in der Ristolounge Elvezia.



Hier werden uns typische – und sehr fantastische – Antipasti serviert, eine geschmackvoller als die andere. Der kühle weiße Wein tut herrlich gut, der Service ist wahnsinnig charmant – dazu die Kulisse der Bella Isola – unterhalb unserer Restaurantterrasse treiben die Touristen entlang der kleinen Stände der Souvenir-Händler. Alles ist lebhaft, italienisch, traumhaft, lecker, romantisch … nur unser Aufenthalt viel zu kurz!



Ein Hauptgang ist uns noch gegönnt, ich wähle aus der Karte der Vorspeisen „Tavolozza del pescatore”, die – da ist der Name aber so etwas von Programm – Fischerpalette. Wie gemalt serviert man mir marinierte Renke, ein Forellen-Tatar mit ebensolchem Kaviar, Zitronen-Maynonnaise und Flussgarnelen und einen Barsch-Salat mit Fenchel und Orange. Wunderschön, wie gemalt auf dem Teller. Die Fraktion der Pasta-Liebhaber wählt „Raviolini alle melanzane e scarmorza affumicita” – Ravioli mit Aubergine und geräuchertem Scarmozakäse, Paprikatropfen und Poleiminzöl. Die Karte des Elevzia bietet auch vegetarische Gerichte an. Das Essen ist so gut, wie es aussieht. Und ich bin froh, dass ich die Speisekarte fotografiert habe, denn Bandnudeln mit einem Pesto aus Seesardinen, Haselnüssen und Petersilie zum Nachkochen – hätte ich vermutlich schon wieder vergessen.

Dann müssen wir schon wieder zurück auf das Boot. Gischt. Seeluft. Dieselduft, hinter uns eine wunderschöne Insel, vor uns die wundervolle Bergkulisse des Mottarone – ein einziger Urlaubstraum, den wir hier für einen kurzen Moment leben dürfen. Auf alle Fälle, wenn Ihr einmal zum Lago Maggiore reist und der Bella Isola Eure Anwesenheit gönnt, was Ihr zwingend tun solltet, reserviert Euch unbedingt einen Tisch im Elvezia. Man sollte hier wirklich gegessen haben, es ist so ein Genuss! Oder noch besser: Bucht im dazugehörigen Boutique Hotel Elvezia gleich die Übernachtung dazu! Ich denke eine Nacht wie Napoléon auf der Isola Bella schlafen, die darf man sich ruhig gönnen. Also … sich hier für einen runden Geburtstag einquartieren oder für eine kleinere Hochzeitsgesellschaft – da kann man nichts falsch machen.

Mottarone

Wir indes, noch voll mit diesen schönen Eindrücken, steigen nach kurzem Fußweg in die Gondelbahn, die uns von Stresa auf den Berg Mottarone in 1492 Meter Höhe nach Alpino transportiert. Dort wartet schon unser Guide Silvio Musso (Borromeo MTB Guide) auf uns vom Mottarone Trail Park und ordnet uns der Größe nach die bereits auf uns wartenden Bianchi (!) E-Bikes zu. Es gilt (m)eine erste echte Mountain Bike-Tour über Stock und Stein, hoch und runter zu absolvieren. Die ca. zweistündige Tour führte uns durch den Nationalpark Mottarone. Hier wird im Winter natürlich Ski gefahren.



Wir düsen radelnd zur „Bar Stazione”, einer modernen kleinen Ausflugsbar, die ihren Namen trägt, weil sie in den Räumlichkeiten eines ehemaligen Bahnhofes liegt. Die Schienen, die einmal zu ihr führten, liegen längst nicht mehr. Aber direkt nebenan wurde kürzlich erst der Mottari Abenteuerpark eröffnet, wo Familien sich auf unterschiedlich anspruchsvolle Weise hoch oder noch höher in der Luft durch die Bäume bewegen können. Je nach Alter, Anspruch und Mut. Dieser Park wurde übrigens unter ökologischen Bedingungen gebaut und wird auch so betrieben.

Wir klettern nicht, wir fahren weiter entspannt durch die schöne Waldgegend, nun auch mehr bergab. Holla die Waldfee sind E-Bikes schnell! Ich habe dann bei 45 km/h laut Tacho ab und zu abgeregelt – Spaß hin, Vernunft her! Hier in der eher platten Stadt würde ich sie immer noch für mich ablehnen – aber dort in den Bergen wäre es für mich durchaus ein „must have” – so dermaßen viel Spaß, den die dort bringen! Unsere Guides sind übrigens die Strecken mit uns mit normalen Mountain Bikes gefahren. Sie hatten nicht mal Schweißperlen auf der Stirn. E-Bikes mit (immer sinnvoller) Guide-Führung sind zu buchen über die Homepage Mottarone Trail Park. Es sollte übrigens nicht unsere letzte E-Bike-Tour in diesen Tagen sein.

Stresa ****Hotel La Palma



Die Gondelbahn trägt uns wieder mit der fantastischen Aussicht elegant auf den – und hinunter zum – Lago Maggiore, wo wir einen kleinen Spaziergang entlang des Wassers durch Stresa machen. Wer den Berg noch nicht verlassen möchte, könnte hier oben auch den Botanischen Garten besuchen. (Mein kleines Gärtner-Laien-Herz weinte natürlich wieder.)



Nächster Stopp für uns: Die Terrasse im ****Hotel La Palma in Stresa.



Hier erwartet uns zur Belohnung eine Wahnsinnsaussicht über den See, Loungmöbel und -musik und ein Aperitif zum Sonnenuntergang über den Lago Maggiore … und wundervolle Antipasti. Es ist ein perfekter Moment dort!

Baveno ****Hotel Rosa



Da wir ja erst zwei Mal gegessen haben, geht es nun in unser beschauliches Hotel Rosa nach Baveno zum … Abendessen! Das Hotel liegt für mich als Bahnfan idyllisch am Bahnhof und ich kann von meinem Fenster aus die Züge ankommen und abfahren sehen. (Sehen, nicht hören!) Also links von meinem kleinen Balkon italienische Bahnkultur und rechts hinten glitzert der See. Im Hotel gibt es einen kleinen SPA-Bereich.

Der Name des Hotels ist wohl dem rosafarbigen Granit geschuldet, für den Baveno weltweit bekannt ist. Oder Mount Rosa, der als zweithöchster Berg dieser Alpenregion hier dominiert. Oder, zu simpel, der Tatsache, dass es der Familienname der Eigentümer ist. Wir können es uns aussuchen.

Nach dem sehr frühen Aufstehen für die Anreise und dem umfangreichen Tagesprogramm, das uns bereits am ersten Tag intensiv in die Historie, Kultur, Küche und Sportwelt rund um den Lago Maggiore entführt hat, werden wir nach dem reichhaltigen Abendessen mit süß-sauren Sardinen, Risotto mit Chicorée und Barsch, Lachsfilet und Gemüse und Tiramisu, alle nicht mehr sehr alt.



Denn es gilt am nächsten Tag: Der Berg ruft!

2019-08-19

Berliner Einkaufstipps

Es ist heutzutage üblich über den stationären Einzelhandel zu meckern. Angeblich ist es toller, klüger, wirtschaftlicher, ökologischer und mit viel mehr Breite sortierter im Internet einzukaufen.

Das glaube ich nicht. Alles hat Vor- und Nachteile. Und gerade den Leuten, die mir mit der absoluten Vielfalt des Internets kommen, den sage ich gerne, dass sie mit ihrer Abkehr vom Einzelhandel dessen Diversifikation offensiv mitgestaltet haben. Wo weniger eingekauft wird, kann Verschiedenartigkeit nicht mehr finanziert werden.

Die Nase sitzt mitten im Gesicht, die eigene, anfassen, Bitte!

Ich gehe gerne einkaufen. Es ist nicht nur der Kontakt zu den Menschen und ihrem Wissen, das durchaus sehr profund immer noch ist. Man muss halt einkaufen gehen wollen ohne den Selbstzweck sich über den „nur” Fachverkäufer mit dem eigenen Intellekt stellen zu müssen. Dann kann der persönliche Einkauf ein sehr zufrieden stellendes, fast glücklich machendes Erlebnis sein.

In Berlin hat das mittlerweile zur Folge, dass nicht nur alteingesessene Läden ihre Pforten schließen müssen, mangels Kundschaft. Hier geht es zur Zeit sogar den Wochenmärkten an den Kragen. Das finde ich wirklich bitter. Wer dort nicht mehr einkauft, vertraut auf die „Regionalität” der Discounter. Das ist ungefähr so clever wie auf die „Bioqualität” der Äpfel (aus China) der Discounter zu vertrauen.

Neulich war ich wieder auf dem Markt in Charlottenburg am Karl-August-Platz. Dem Markt meines Herzens, weil ich hier als Kind schon immmer mit meiner Mama und Oma einkaufen gegangen bin und am Imbiss Krumme Straße Ecke Goethe Straße am Kindertisch im Kinderstuhl meine klein geschnittene Wiener in Tomatensoße serviert bekam. Meine Sozialisierung zur Currywurst, quasi. Die glücklichen Momente meiner Kindheit. Ich habe es geliebt.

Ich gehe heute immer noch sehr sehr gerne dort einkaufen, alle Waren sind definitiv deutlich teurer als z. B. auf dem Wochenmarkt am Maybachufer, wo ich mittlerweile öfter enttäuscht über die eingekauften Lebensmittel als beglückt bin. Wenn man da überhaupt noch Lebensmittel erhält, den zunehmend wird dieser Wochenmarkt zu einem touristischen Schmuck- und Designmarkt. Die Produkte, die indes auf dem Wochenmarkt im Pestalozzi-Kiez angeboten sind, sind von wirklich hoher Qualität und meist regionaler Herkung, die Verkäufer sind allermeist sehr charmant. Ich finde in keinem der Wochenmärkte den typischen Berliner-Flair mehr wie hier.

Erst vor zwei Wochen bin ich dort am Mittwoch gewesen (dieser Markt findet Mittwochs und Samstags statt), habe an einem Stand Kartoffeln gekauft und bin von einem sehr jungen Mann mit fröhlichen Sprüchen und ziemlich smarten Lebensweisheiten unterhalten worden. Der Art, die schönen Dinge in den einfachen Dingen zu sehen. Das war wundervoll!

Skarvelis Olivenöl und Oliven



Kommen wir zu den Einkaufstipps – auf diesem Karl-August-Platz-Markt am Mittwoch, wie auch am Winterfeldplatz am Samstag, hat Carmen Skarvelis ihren Stand mit Produkten rund um die Olive. Manolis und Carmen Skarvelis besitzen in Mani, im Süden auf der griechischen Halbinsel Peleponnes ihre Olivenbaumplantage, die sie nach bewusst ökologischen Maßstäben betreiben. Also ohne chemische Dünger, keine Bewässerung. Die Ernte der Oliven der Sorte Koroneiki geschieht möglichst früh, um die guten Wirkstoffe (Vitamin E, ungesättigte Fettsäuren, Polyphenole) im Öl in hoher Menge zu erhalten. Aus den Koroneiki Oliven produziert man von einem Baum lediglich 1-3 Liter des grünen Olivenöls. Aus Olivenbäumen anderer Olivensorten lassen sich bis zu 10 Liter erzielen. Die Intensität des Olivenöls der Skarvelis liegt auf der Hand.

Das Öl ist kalt extrahiert ohne Filterung abgefüllt.

Wir haben in Berlin einige Händler, die sehr gute Olivenöle anbieten – ob nun aus Griechenland, Italien oder Spanien. Aber das Olivenöl von den Skarvelis ist für meinen Geschmack das beste, feinste und geschmacklich mehr als überzeugende Öl zu dieser Zeit in dieser Stadt! Die Skarvelis liefern auf ihrer Homepage das Argument für ihr Olivenöl transparent in der aktuellen Olivenöl-Analyse.

Ich kaufe dort sehr gerne ein. Wenn ich eines auf meinen Reisen nach Apulien gelernt habe, dann dass ein sehr gutes Olivenöl nicht für weniger als zehn Euro für eine 750 ml-Flasche zu haben ist. Das geht nicht, dann ist es höchstsicher gepanscht. Gutes reines Olivenöl mit gutem Ertrag zu produzieren, das dauert Jahre, die Bäume wachsen nicht schnell. Baumschnitt, die Ernte sind harte, sehr intensive Arbeit. Bei den Skarevelis kostet der 5 Liter-Kanister 79,— Euro, 500 ml in der Flasche 15,50 Euro und 750 ml 17,50 Euro. Dieses Öl ist jeden Cent wert!

Und wenn man schon am Stand ist, sollte man auch immer von den grünen Koroneiki Oliven mitnehmen. Sie schmeckt intensiv zitronig. Oder der Kalamata (Leseempfehlung!). Es ist eine besondere Freude, wenn Carmen mit ihrer freundlich und fröhlichen Persönlichkeit die abgewogenen Olivensorten mit dem hauseigenen Olivenöl auffüllt. Mittlerweile kaufe ich meine Oliven nur noch dort. Leider haben die Skarvelis (noch?) keinen Online-Shop – aber sie antworten auf Mails sehr schnell.

Shiina übrigens liebt die Koroneiki, also mit lieben meine ich, sie spielt nicht nur begeistert mit der Olive, sie frisst sie auch. Mehr Qualitätsprädikat geht wohl nicht.

Terra Verde – Sizilianische Spezialitäten in Bio-Qualität



Meine neu gewonnene Leidenschaft zum Wandern (neudeutsch Trekking) lässt mich gerade nach günstigen Möglichkeiten suchen, Kleidung zu finden, die mich auch unbekümmert im kommenden Herbst bei Regen den Weg ins Draußen machen lassen. Bei einer Sportbekleidungskette erzählt die Homepage von einem Regenjacken-Angebot, das es, in meiner Größe, in einer Filiale in Steglitz nur noch geben sollte. Also habe ich mich gestern aufgemacht, wieder einmal den Süden Berlins zu erobern. Ab in die Schlossstraße, die auf ihrer Länge mit Hauptstraße über die Rheinstraße schon ein besonderes Flair im Berliner Kommerzgeschehen offeriert. Ich war hier lange nicht mehr unterwegs, kenne die Gegend aber noch sehr gut, weil dort meine Ausbildungsstätte lag. Aus der Zeit weiß ich noch, dass für die Menschen aus Lichterfelde oder Steglitz zum Kurfürstendamm (die U-Bahnlinie bringt einen dort ratzfatz hin) fahren, gleichbedeutend war mit „in die Stadt fahren.” Ich vermute, es gibt immer noch Menschen in Lichterfelde, die keinen Fuß in den Ostteil der Stadt setzen. Nicht wegen der Ablehnung, sondern weil der eigene Kiez Zenith genug ist für sie.

Nun denn, ich machte mich gestern auf den Weg, erst per Bus, dann mit der S-Bahn. Darf auch mal sein. Ich hatte so eine unbestimmte Idee an welchem S-Bahnhof von den drei möglichen Stationen im Bezirk ich aussteigen wollte, entschied mich für den in der Mitte, Feuerbachstraße, nahm aber einen (Friedenau) zu früh. Was kein besonderes Ärgernis für mich ist, weil ich generell gerne laufe und hier lief ich halt durch den schönen Altbaubestand von Friedenau, was immer ein besonderes Vergnügen ist.

Interessanterweise ist mir dabei aufgefallen, haben sich dort in den ehemaligen italienischen Restaurants nun verstärkt indische Köche breit gemacht. In deutlich kleineren Läden als dieser Massentourismus-Indien-Food von Amri & Co. Nun denn, da kann man sicher noch die eine oder andere Entdeckung machen.

Mein verkehrter Ausstieg führte in der Rheinstraße 18 an einem sehr kleinen italienischen Laden vorbei, der alles an Lebensmitteln – also vor allem auch Gemüse und Obst – feil bietet, was mein Herz gerne begehrt und man genau nicht überall bekommt. Die milden weißen Zwiebeln für Antipasti (hier so ein Züchtung zwischen Borettana und Allium Cepa), unbehandelte Zwiebeln aus Sizilien – fielen mir sofort ins Auge.

Terra Verde – Landkost aus Sizilien nennt sich dieser hübsche Laden von Nicolo Sparacino und Michele Ferraro in dem es alles gibt, was so ein italienisch infiziertes Herz begehrt. Der kleine Imbiss offeriert Antipasti, kleine warme Gerichte (Mittagstisch) und natürlich Caffè. In der Kühltheke liegen frische Pasta und Käse aus Sizilien, in den Regalen Weine und sonstige italienische Spirituosen, vorgebackene (abgepackte) Cannolli und das Olivenöl des Hause gibt es frisch abgefüllt vom Faß. Das Olivenöl schmeckt auch wirklich sehr fein, ich habe es getestet.

Und – da schlug mein Herz ganz wild – in dem Gemüsefach unter dem Regal gab es sogar die Cocomero pugliese – die wundervolle Gurkenmelone!

Der Laden gehört zur BioFruit Trading, einem in Deutschland (Berlin) ansässigen Unternehmen, das auf Sizilien 100%ig biologisch produziert, vor allem Zitrusfrüchte. Die Ware wird frisch geerntet ohne Zwischenhändler direkt an den Handel ausgeliefert. Ich mochte es dort sehr und kaufte Zitronen, Zwiebeln natürlich die Cocomero – und war sehr happy mit meiner neuen Entdeckung!

Man braucht etwas Zeit, um sich dort in der typisch italienisch präsentierten Vielfalt auf kleinstem Raum zurechtzufinden. Deswegen trinkt man dort ja auch einen Espresso … oder zwei. Dort war ich bestimmt nicht zum letzten Mal. Nee, ganz sicher nicht!

2019-08-18

Was für ein Text … über Depression!

„Das Ermüdende an der Depression ist, dass sie immer noch und immer wieder da ist, auch wenn sie weg ist. Was ich damit meine: Nachdem ich mein Leben mithilfe der Verhaltenstherapie geflickt, gepflastert und repariert hatte, war dieses Leben wirklich sehr viel besser, und ich war in diesem Leben sehr viel zufriedener.

Aber die Depression lächelte im Hintergrund und sagte: Schön, jetzt bist du ein Depressiver mit einem reparierten Leben. Aber denk nicht, dass du mich los bist.”


Von Till Raether „Depressiv oder „nur" unzufrieden?” in der Brigitte

Ich finde den Text gut, weil er hier eine Form der Depression beschreibt, die Dysthymie, die ein Leben lang begleitet. Chronisch. Sie charakterisiert Menschen, die ein Leben lang versuchen, souverän und mit Leichtigkeit ihr Leben zu beschreiten, wie es in der Gesellschaft vorgelebt wird. Sie selber das Leben aber eher in Grautönen sehen, denen das Glas einfach nie „halb voll” erscheint. Das impliziert ein ständiges Gefühl, nie gut genug zu sein. Und das ist sehr sehr anstrengend.

Dysthmie kann – das macht dieser Artikel sehr deutlich – auch in Menschen innewohnen, die gesellschaftlich das Prädikat erfolgreich bekommen würden. Menschen, die vielleicht gut situiert leben dürfen, beruflich großartige Dinge leisten, gesunde und wundervolle Kinder großgezogen haben – all das, woran in dieser Gesellschaft gemessen wird, dass man gefälligst glücklich zu sein hat. Also Menschen, denen man die Depression eher nicht ansieht. Die – wie sie im Text genannt werden – Hochfunktionalen.

Fatal.

Für diese Menschen ist dieses Glück aber immer nur halb, wenn nicht noch weniger. Denn ihnen sitzen immer Gewichte auf der Schulter, die deren Handeln um ein Vielfaches schwerer erleben lassen, die Anschubenergie zum täglichen Tun – über die andere Menschen nicht einmal nachdenken – muss täglich neu verhandelt werden. Die Freude, der Genuss, den Menschen aus ihrem Leben ziehen dürfen, wird nicht empfunden, weil deren Ursachen für Patienten mit Dysthymie im Vorfeld immer nur mit unsäglichem Kampf vorab erzielt werden können. Es ermüdet sehr.

Man hangelt sich von einem hellen Moment zum nächsten, nur sie sind nie so selbstverständlich wie für andere. Man dreht ständig im Hamsterrad, um die Sonne zu sehen – während andere einfach entspannt nebenan in der Hängematte längst in der Sonne liegen.

Zwischen – und übrigens auch während – dieser dunklen Phasen können diese Menschen sehr leistungsfähig sein, fröhlich, lustig, ungemein selbstsicher wirken. Bis zum nächsten Schub. Und das ist der Punkt, therapeutisch kann man diesen Patienten Hilfsmittel, Medikamente und Therapien, an die Hand geben. Und dennoch: die Krankheit bleibt. Sie ist ein Teil von einem selbst. Man kann mit diesen Instrumentarien und dem frühzeitigen Erkennen der tieferen dunklen Perioden besser Fürsorge vorsorglich für sich betreiben.

Nur endgültig und für immer verschwinden, das wird die Dysthymie einfach nicht. Der Schein ist nicht immer das Sein.

2019-08-15

Der Mensch ist so dumm!

Im vergangenen Jahr haben wir Nachbarn, die wir gerne auf dem Hof wegen Kinder oder Tiere beisammen stehen und Kontakte untereinander pflegen, die Idee geboren, dass es schön wäre wenn wir auch in unserem Bereich der Wohnbautengenossenschaft einen anständigen Kinderspielplatz hätten, einen für etwas größere Kinder.

Vorteile einer Wohnbautengenossenschaft sind definitiv, dass die Geschäftsleitung solchen Anregungen erst einmal generell positiv gegenüber steht – man spricht miteinander. So gab es eine Begehung mit einem der Geschäftsführer (übrigens bei uns eine Geschäftsführerin und ein Geschäftsführer – es geht also, wenn man nur will), wir trugen unsere Ideen vor und im Grunde gab es damals schon das Okay! Das war im Frühsommer. Im Spätsommer begannen die ersten Baumaßnahmen, die sich allerdings hinsichtlich der Fertigstellung bis in dieses Jahr hinzogen, weil die Spielgeräte nicht so schnell lieferbar waren. Aber die notwendigen Geländearbeiten, Zaunerweiterung, Umbaumaßnahmen hinsichtlich der Feuerwehrzufahrt – das alles war geregelt.

Da wir den Spielplatz als offene Begegnungsstätte haben wollten, blieben die Türen im erweiterten Zaun ohne Schloss. Das war der Wunsch von uns Nachbarn, wir wollten mehr Interaktion hier mit anderen Nachbarn im Umfeld. Seitens der Geschäftsführung gab es ein „wir gucken uns das an”-Credo. Die Türen selbst waren notwendig, damit Kinder nicht auf die Straße laufen konnten – das impliziert die Notwendigkeit, dass man die Türen schließt. Wenn man kommt und wenn man geht.

Der Spielplatz wurde von Eltern und Kindern, die bei uns nicht wohnen, eingeweiht als dann die Geräte geliefert und installiert waren, da waren die „Hier bitte noch nicht spielen!”-Bänder der Gartenbaufirma, die natürlich auch Spielrasen aufgebracht hatte, der anständig anwachsen können sollte, noch gar nicht entfernt.

Es gibt für die Nutzung des Spielplatzes einige Regeln, die natürlich mit einem Schild kommuniziert werden; so gilt es die Mittagsruhe einzuhalten (die bei uns, Genossenschaft, im Mietvertrag für das Wochenende klar geregelt ist) und das Ballspielen ist generell verboten. Unsere Häuser sind nachträglich außen wärmegedämmt, solche Fassaden sind so stabil halt nicht. Und die Wohngenossenschaft möchte halt die Fassaden noch eine Weile nicht gleich wieder neu streichen müssen. Und die besondere Lärmkulisse, kaputte Fenster etc., wollte die Geschäftsführung von vorne herein nicht.

Der Spielplatz ist in einem Bereich der Anlage, die nach hinten hier (wo z. B. mein Schlafzimmerfenster liegt) eine Grünanlage ist, die ganz klar nicht mehr Spielbereich ist. Dort steht ein Baum, der wachsen soll, damit wir Mieter über die nächsten Jahre, mit etwas Glück, irgendwann einen Sicht- und Klimaschutz haben. Dieser Baum ist leider so gewachsen, dass man prima in ihm herum klettern kann. Dieser Baum hat an seinem unteren Stamm und den prima zu bekletternden Ästen bereits massive Schäden, weil leider schon immer ständig in ihm herum geklettert wird.

Lange Rede: ich mag Kinder, ich habe als eine der kinderlosen Mieter für den Spielplatz plädiert aber ich will, dass dieser Baum leben darf – länger leben darf. Und so habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, wann immer ich es mitbekomme, die Kinder und deren daneben stehenden Eltern höflich zu bitten, das Kind wieder aus dem Baum zu holen. An manchen Wochenendetagen machste das schon mal fünf Mal. Und das nervt, zumal sich einige Eltern bemüßigt sehen mit mir (oder Nachbarn) zu diskutieren, wenn wir Mieter uns erdreisten deren Königskinder halt nicht den besonderen Baumspaß zu gönnen. Die kapieren das auch nicht, wenn man ihnen sachlich den Hintergrund erklärt, dass es einfach uncool ist, wenn jedes zweite Kind in diesem Baum herum klettert. Es ist ihnen sch…egal. Zumal: sie zahlen auch nicht für die Grünanlagenpflege, so wie wir direkten Anwohner.

Der Spielplatz ist ein voller Erfolg, denn es kommen sehr viele Eltern mit ihren Kindern, die gar nicht Mieter bei uns sind. Einerseits sind das die Eltern mit ihren Kindern, die Beschäftigte der chinesischen Botschaft sind, die mehrere Hausstränge der Wohnanlage über die Straße gegenüber für ihre Bedienstete komplett angemietet hat. Andererseits sind das die Eltern der umliegenden Eigentumsbauten, die hier in den letzten Jahren hoch gezogen worden sind, die sich schön hinter dichten weißen Eisenzäunen isolieren und nicht im Traum daran dächten, auch uns andere anwohnenden Nachbarn ihre schönen – teilweise mit Springbrunnen – ausgestatteten floralen Gärten besuchen zu lassen. (Interessanterweise sind das teilweise auch die Nachbarn, die dann ihre Hunde in unsere (noch) offen Grünanlage scheißen lassen ohne den Mist mitzunehmen.) Und an sich sind sie uns alle willkommen.

Der Spielplatz ist so dermaßen ein voller Erfolg, dass wir Mieter hier nicht mehr hinterher kommen. Wir kommen nicht mehr hinterher den anwesenden Eltern mit ihren Kindern zu erläutern, dass man die Türen immer zu schließen hat, damit die kleinen Kinder nicht auf die Straße laufen. (Eigentlich eine Schutzmaßnahme, die deren eigenen Kindern zugute käme.) Wir kommen nicht hinterher, den Eltern zu erklären, dass unsere Grünanlage keine öffentliche Grünanlage ist, wo man sich wie im Volkspark einfach ins Grün legen kann und danach seinen Müll liegen lässt. Wir müssen da sehr hinterher sein, weil wir ständig die Junkies vom Moritzplatz eben hier rumliegen haben. Wir Anwohner, die wir das selber sehr sehr selten tun, bei einem Kindergeburtstag z. B., erbitten immer vorher explizit um die Erlaubnis bei der Genossenschaft.

Wir kommen nicht hinterher, die Eltern zu bitten, dass sie nicht in der Grünanlage mit teilweise harten Bällen Fußball mit ihren Kindern spielen – was man sich da teilweise gerade von vermeintlich eloquenten gut situierten Papis anhören muss, ist an Dreistigkeit nicht zu überbieten. Funfact: Wenn es im Kiez etwas wirklich häufig gibt, dann sind das Bolzplätze.

Wir kommen nicht hinterher, Eltern darauf hinzuweisen, dass nicht alle Nachbarn vor deren Fenster der Spielplatz liegt supi begeistert sind von andauerndem Kinderlärm – und es einfach klar definierte Zeiten gibt, wo Ruhe herrschen darf und soll – weil man auch diesen Nachbarn diese Ruhe ab und zu gönnen darf.

Wir kommen nicht hinterher Eltern darauf hinzuweisen, dass man Müll wieder mitnehmen kann – wenn der Mülleimer voll ist – und man überhaupt Müll nicht einfach hinschmeißt und liegen lässt, sondern in den Mülleimer tun kann (solange dieser eben nicht voll ist.)

Mittlerweile müssen sich Eltern – also Mieter unserer Wohnanlage – richtig blöde anpampen lassen von Eltern, die eindeutig nicht in unserer Anlage wohnen (man kennt sich halt dann doch mit der Zeit), wenn sie diese darum bitten, dass ihre Kinder auch mal mit dem Karussell fahren möchten oder darauf hinweisen, dass man die um den Spielplatz neu angelegte Grünanlage gar nicht von deren Kindern zerstört sehen will. Oder Mieter werden angepflaumt, wenn sie Abends nach acht Uhr dann doch um etwas Ruhe bitten. (Und ich kann die verstehen, selbst ich kann jetzt im Sommer – obwohl meine Wohnung am anderen Ende liegt – nicht mehr telefonieren bei offenem Fenster.)

Also dieses Gespür, dass der Spielplatz gar kein so öffentlicher Spielplatz ist, wie von manchen Eltern hingenommen, ein Gespür sich wie Gäste zu benehmen, die diese Eltern mit ihren Kindern nun mal hier sind – die auch wirklich als solche am Anfang herzlich willkommen waren, lassen leider erstaunlich viele Eltern wirklich missen. In einer Art und Weise, die uns Mieter hier seit Wochen nur noch fragend zurück lässt.

Heute kam dann das Anschreiben der Genossenschaft. Die Türe bekommen Schlösser Anfang des kommenden Monats aus genau den oben genannten Gründen, dem Spielplatz wird sein halböffentlicher Status in Gänze entzogen. Einfach weil anwohnende Nachbarn keine Lust haben auf die hier wohnenden Nachbarn und deren Eigentum (Genossenschaft = Anteilseigner) Rücksicht zu nehmen – und sich nicht benehmen möchten.

Und nun frage ich mich, seit ich heute den Brief aus dem Kasten entnommen habe, wie blöd kann man sein?

2019-08-12

10 Regenwürmer 1 Euro

Habe heute im Angelgeschäft 80 Regenwürmer eingekauft. Eine Dose mit 40 Regenwürmern für 4 Euro.

Die Jungs ackern sich jetzt durch meinen Vorgarten – und haben hoffentlich ihren Spaß an der neu gewonnen Freiheit. Und eben gab es noch mal künstlichen Regen. So wie der Typ im Angelgeschäft seinen Spaß an mir hatte. „Man muss auch mal was Gutes tun.”

2019-07-31

Worte für Sophie

… von Kaltmamsell. Elemente einer Tragödie.

2019-07-29

Schneller Aprikosenkuchen in … na, sagen wir 20 Minuten!



Ich habe am Wochenende diesen Aprikosenkuchen gebacken. Den kann man unfassbar schnell auf den Tisch bringen!

Die Zutaten sind schnell zusammen gestellt und abgewogen, die längste Zeit geht wohl auf das Aprikosenentkernen ins Land. Backzeit sind lediglich lässige 15 Minuten! Und da er in der Auflaufform gebacken werden kann, ist dieses Kuchenrezept der praktische Begleiter für jede Ferienwohnung, Wohnwagen oder Hausboot. Hauptsache Ofen! Und die Aprikosen sind natürlich durch fast jedes Obst ersetzbar – nur recht hartes Obst wie Äpfel oder Birnen sollte man vorher leicht anschmoren.


Zutaten

110 g Mehl
150 g Zucker
1 Teelöffel Backpulver
50 g Mandelpulver (gemahlene Mandeln)
2 Eier (lieber größer als klein)
Abrieb einer Zitrone

ca. 20 Aprikosen (in meine kleine Ries-Auflaufform passten 12 Aprikosen, ich würde beim nächsten Mal ein paar mehr Früchte etwas enger legen.)

1-2 Esslöffel Mandelblättchen
2 Esslöffel Puderzucker

50 g Butter (schmelzen)
etwas Butter für die Form zum Ausfetten



Zubereitung

Die Aprikosen entkernen und in Hälften schneiden. Die Schale der Zitrone abreiben. Die Form ausfetten. Die Butter kann bei kleiner Temperatur auf dem Herd schmelzen. Den Ofen auf 200 Grad vorheizen.

Mehl, Mandelpulver, Backpulver vermischen.

Den Zucker mit den Eiern schön weiß und luftig aufschlagen, den Abrieb der Zitrone hinzugeben und dann die Mehl-Backpulver-Mandelmischung unterrühren.

Den Teig in die gefettet Form gießen, darin die Aprikosenhälten anrichten – und die gesamte Oberfläche mit der geschmolzenen Butter vorsichtig einpinseln bzw. die Butter darüber gießen. Die Mandelblättchen darüber streuen.

In den Ofen auf die mittlere Schiene (falls Dreisatzofen eher im unteren Bereich) schieben und bei 200 Grad Ober- u. Unterhitze 15 Minuten backen. Entweder im Ofen nach zehn Minuten Backzeit mit Puderzucker bestreuen, weiterbacken und ganz Ende den Kuchen noch einmal für nicht mehr als eine Minute unter den Grill karamellisieren. Oder man lässt ihn kurz abkühlen und stäubt den Puderzucker erst vor dem Servieren darüber. (Aber die mit Puderzucker leicht krossen Mandeln sind schon das berühmte Tüpfelchen …)

2019-07-28

Sophie Hingst †

Marie Sophie Hingst ist tot.

Und mutmaßlich hat sie sich selbst dazu entschieden, zu gehen.

Sophie Hingst hat unter dem Pseudonym Fräulein Read On auf ihrem Blog „Read On, My Dear” Texte verfasst. Öffentlich, das hatte Ende Mai der Autor Martin Doerry in einem langen Artikel im Spiegel aufgedeckt, waren zumindest alle Geschichten über ihre jüdische Familie und Großmutter und Arbeit in einem inidschen Slum und einiges mehr erfunden. Ihr großes Versäumnis: sie hatte diese Texte nie als Fiktion gekennzeichnet. Sie konnte wohl auch viele andere Texte, das haben die Recherchen ergeben, gar nicht so selbst erlebt haben, weil sie so in der von ihr beschriebenen Art nicht an Orten bzw. Unternehmungen gewesen war.

Das ist verwerflich. Es ist nicht verwerflich, solche Texte zu verfassen und zu veröffentlichen. Aber man muss sie als erfunden klar kennzeichnen. Das hatte Sophie nicht getan und uns somit im Glauben gelassen, ihr Blog handelt ausschließlich von ihrer gelebten Realität.

Dass sie sich nun hierbei eine Realität als Enkeltochter einer jüdischen Großmutter geschrieben hatte, machte den Skandal um ein Vielfaches größer. Die Geschichte der Deutschen mit dem Judentum ist zu groß, zu furchtbar, viel zu komplex in ihrer Abartigkeit, wie wir Deutschen mit Juden umgegangen sind, als dass wir darüber falsche Geschichte schreiben dürfen. Nicht, wenn wir sorgsam mit der Herkunft umgehen.

Sophie Hingst war Historikerin. Als solche wusste sie natürlich viel über Geschichte. Und sie muss um die Regeln von Veröffentlichungen Bescheid gewusst haben.

Sophie Hingst war hochintelligent. Das schreibe ich ohne sie persönlich getroffen zu haben. Und ihre Texte haben sowieso zu keiner Zeit Zweifel an ihrem Intellekt hinterlassen.

Sophie Hingst war liebenswert. Sehr – das hatte ihren großen Erfolg als Bloggerin ausgemacht. Ich habe Sophies Blog nicht von Anfang an gelesen, irgendwie bin ich an ihrem Radar vorbei gesegelt – wenngleich mir immer mal wieder Texte von ihr begegnet sind. Dies geschah zu einer Zeit in der ich aus persönlichen Gründen keine weiteren Blogs an mich heran lassen konnte. Sophie ist mir erstmals bewusst aufgefallen, als sich meine halbe Timeline wie Bolle freute, weil Fräulein Read On endlich unter dem Twitteraccount @MlleReadOn einen nächsten Schritt in diesen Teil der Online-Welt unternahm. Das war vergleichsweise sehr spät, erst 2016. Sophie hatte nämlich viel weniger die Öffentlichkeit gesucht, als ihr heute von Menschen, denen sie bis zum Skandal gar nicht bekannt war, unterstellt wird.

Zwei Mal hätten wir uns in Berlin beinahe getroffen, einmal konnte ich nicht – bei einem Gartenpflegenotruf einer uns bekannten Twitterin, die frisch entbunden Menschen brauchte, die ihr halfen – ich war nicht da. Sophie Hingst war dort! Das andere Mal waren wir mit mehreren Bloggern in einer Gaststätte verabredet, da musste sie ihren Berlinbesuch früher abbrechen und wir haben uns alleine getroffen. Die anwesenden Blogger, die sie schon persönlich kannten und freundschaftlich mit ihr verbunden waren, haben voller Zuneigung über Sophie gesprochen.

Sophie Hingst war höflich. Es mag sie geben, nur ich habe auf Twitter keinen anderen Menschen erlebt, der so höflich, umsichtig, liebevoll, wortreich postete, antwortete – sehr aufmerksam mit ihren Followern kommunizierte. Wenige Twitterer können sich heute noch – wie früher unter uns Bloggern üblich – sich offen über die guten, wichtigen Texte anderer Blogger freuen. Sophie konnte das sehr gut.

Sophie Hingst war unfassbar talentiert. Und begreift dies bitte mit als Kernaussage zu Sophie, denn das ist die größte Tragik in der Sache. Die Texte von Sophie waren großartig. Ich bin kein Mensch, der schnell weint – aber wie oft habe ich vor Sophies Texten gesessen und hatte Tränen in den Augen? So oft wie bei keinem anderen Blog. Sophie hatte ein wundervolles Talent, Worte zu finden und zu vereinen, sie konnte Gerüste zu bauen, Erleben beschreiben, uns Leser mitnehmen, führen, uns Welten erleben lassen, reisen, leiden, lieben, sich schämen, verweilen, loszulassen, aufbauen. Sophies Schreibtalent war eines der Größten, die ich in der deutschsprachigen Blogwelt erlebt habe. Es gab kaum ein Text von ihr, der nicht etwas in mir ausgelöst hatte.

Diese wundervollen Texte hatten später leider, wie sich Ende Mai 2019 zeigen sollte, einen Makel: Sie suggerierten ein Erleben, das so nicht stattgefunden haben wird. Oder doch. Teilweise. Vielleicht. Wir werden es nun nie erfahren.

Und das ist für mich mein großes Debakel, das ich in der Sache habe. Denn gerade mit ihren Texten zum Judentum, zu dem was sie über ihre vermeintliche jüdische Großmutter und ihrem Erleben, dem dieser vielen Menschen, die zwar real existiert hatten, jedoch nie in dem von ihr konstruierten Umfeld, denen sie Geschichten angedichtet hatte, die vielleicht trotzdem womöglich wahr (und recherchiert von ihr) waren, hat sie so viel Bewusstsein geschaffen für eine Zeit voller Grauen, die wir so nie wieder geschehen lassen dürfen, was verdammt noch einmal unser Vermächtnis ist. In einer Zeit, dem Heute, in der wir leider darin offensichtlich versagen. Und ich frage mich, ist das hier offensichtlich Falsche wirklich so falsch gewesen? In Sophies Bemühen? Ja, jeder hat Recht in den Vorwürfen ihr gegenüber gerade bei diesem Thema.

Diese ihre Texte waren falsch. Und dennoch so wichtig.

Vergessen wir bitte nicht „Kunstgeschichte als Brotbelag” – Sophies wundervolle Idee uns auf Twitter Kunst auf die Stulle zu bringen und dort nachzubilden. Ja, das hat Sophie nämlich auch getan: uns ganz viel Freude miteinander an unserem gemeinsamen Tun geschenkt!

Nachdem Ende Mai der Skandal Sophie Hingst durch die Twitter- und restlich Online-Welt schoss, sie sich auf ihre Art versuchte auf ihrem Twitter-Aaccount zu erklären, dem was kommen sollte zu entziehen (was ich übrigens für eine nachvollziehbare menschliche Reaktion halte), sich die Online-Redaktionen, die ganz wenige Texte von ihr eingekauft hatten, von ihr offiziell zurück gezogen haben und ihre Texte vom Netz nahmen, hatte Sophie ihr Blog stillgelegt und ihr – das wissen wir heute – Vermächtnis vor der Öffentlichkeit verborgen.

Mich ärgern übrigens gerade diese Leute auf Twitter sehr, die sich an Sophies Tun, einer nun viel zu jung gestorbenen Sophie, abarbeiten und ihr große finanzielle Verdienste mit ihren erfundenen Texten im Blog unterstellen. Sehr wahrscheinlich hat Sophie mit einigen ihrer Texte Geld verdient, ob sie davon jemals ihr Leben hätte wirklich bestreiten können, das ist dahin gestellt. Und selbst „Kunstgeschichte als Brotbelag” – wie viel Exemplare hatte überhaupt die erste Auflage? 1.000? Da wird man natürlich total reich mit! Und wer diesbezüglich hinsichtlich Sophie keine Ahnung hat, haben kann, können bitte diejenigen bitte jetzt in der heutigen unfassbaren traurigen Realität die Griffel still halten?

Ich war verwirrt als ich damals zeitgleich mit dem Posten ihrer Tweets diese auf Twitter las, kommunizierte in ihre Richtung meinen Willen ihr zur Seite zu stehen – etwas anderes ging erst einmal nicht, denn auch ich musste mich sortieren im Rahmen des neuen Sachverhaltes. Darauf gab es ihrerseits keine Reaktion. Für mich nicht verwunderlich, wir waren uns, wie gesagt, nie persönlich begegnet, sicherlich immer wohl gesonnen – in einer solchen Situation, die für sie sehr schrecklich gewesen sein muss – braucht man enge Freunde für sich. Und viel Ruhe.

Und dennoch: irgendwie war ich gar nicht erstaunt zu erfahren, dass viele ihrer Texte offensichtlich fiktiv waren. Da ich ihr Blog nicht von Anfang an gelesen hatte, fehlte mir zu vielen Fortführungen der Zugang und fehlte mir auch die Information dazu, ob es je dazu Erklärung von ihr gegeben hatte (ich bin selten Blog-Nachleserin) ob manche Textstränge fiktiver Natur waren. Für mich war immer instinktiv klar, da passiert viel zu viel in ihrem viel zu jungen (also kurzem) Leben als das alles so stimmen konnte. War mir aber egal, wie gesagt, ich hatte viele Texte als wunderschön gelesen – aber auch erfunden teilweise. Es gab da in mir eine Sortierung.

Das mag daran liegen, weil ich mit einem Bruder groß geworden bin, der seit ich denken kann, Geschichten erzählt hatte. Unfassbare Geschichten, unhaltbare Geschichten, märchenhafte Geschichten – unglaubliche Geschichten. Für sein Umfeld. Das Problem nur: er hat diese Geschichten geglaubt. Wirklich inständig geglaubt. Der hat die für sich erlebt. Und der ist sehr rabiat geworden, wenn man ihm unterstellte, diese erfunden zu haben. Und er hatte erstaunliche Energien (vor allem im späteren Leben) darauf gesetzt, Menschen manipuliert, um seine Geschichten anderen gegenüber als real darstellen zu können.

Das ist medizinisch ein sehr spannendes Thema. Ist man persönlich als Verwandter, Partner, Freund betroffen, macht es einen wahnsinnig. Und irgendwann macht es einem sehr schwer diesen Menschen, der krank ist, noch zu lieben. Und: zu vertrauen. Diese Krankheit nennt man Pseudologia Phantastica. Sie wird im Katalog der ICD unter dem Code 10: F68.1 als artifizielle Störung (gleichsam wie das Münchhausen Syndrom bzw. Münchhausen Syndrom-by-proxy) geführt. Jemand hat das krankhafte Verlangen zu lügen. Es gibt hierfür eine Ursache – die unterscheidet den Kranken von dem bewusst (boshaft) Lügenden.

Der Pschyrembel definiert die Krankheit so: Erzählen ausgedachter Erlebnisse als wahre Begebenheiten, wobei der unwahre Gehalt vom Erzählenden in der Regel nicht mehr realisiert wird (im Gegensatz zur beabsichtigten Lüge). Vorkommen: vor allem in Folge von Abwehr bzw. Kompensation eines Selbstwert-Mangels, seltener aus übertriebener Phantasie und starkem Geltungsbedürfnis, z. B. beim Münchhausen-Syndrom. Auch bei neuro-psychiatrischen Störungen wie dem Korsakow-Syndrom als chronischer Folgezustand einer nicht erfolgreich behandelten Wernicke-Encephalopathie.

Das ist fürchterlich tragisch. Der Kranke versucht mit dem Erfinden eines absurden Lebensalltages Geltung und Anerkennung zu gewinnen, die ihm meist als Kind versagt wurde. Diese Lügen verbleiben ganz oft nicht im Wort sondern wechseln auch hinüber in ein Handeln. Und das ist dieser Unterschied zur normalen absichtlichen Lüge. Diese Patienten lügen nicht bewusst, die glauben das, was sie erzählen. Sie würden worauf – auf was auch immer – schwören, dass sie das so erlebt haben. Bei meinem Bruder ist der Ursprung klar: es gab einen Vater, der seinem Erstgeborenen vom Tag seiner Geburt vorgeworfen hatte, sein Leben verdorben zu haben. Wenn mein Bruder Aufmerksamkeit von ihm bekam, dann nur über Prügel.

Ich werde nicht behaupten, dass Sophie dieser Erkrankung hatte. Ihre Mutter deutete an, dass Sophie in mehreren Welten lebte, was immer es bedeuten mag. Ich möchte nur einmal darauf hinweisen, dass es eine Krankheit gibt, die Menschen zwingt Geschichten zu erfinden, die sie zu ihren gelebten Geschichten machen, was wiederum diese Geschichten zu Lügen werden lässt – und dass diese Menschen für ihr Verhalten nicht können, weil sie damit einen täglich zu spürenden Missstand kompensieren müssen. Mit Betonung: MÜSSEN! Mit einer unglaublich Präzision. Sie gehören in eine gute Psychotherapie.

Diese Krankheit hat grauenvolle Folgen für den Betroffenen und sein Umfeld. Da werden Kartenhäuser gebaut, die irgendwann zusammen brechen. Dem Patienten – der wahnsinnig liebenswert sein kann in seiner Krankheit – bleibt nur die Flucht in ein anderes soziales Umfeld, das betroffene alte Umfeld bleibt sehr ratlos zurück. Einerseits, weil man dem Menschen vertraut hatte und ihm so vieles geglaubt hatte und andererseits, weil man sich fürchterlich betrogen und manipuliert fühlt und sich selbst hinterfragen muss.

Mein Bruder, Maler und Lackierer, im Auftreten durchaus als Prolet zu benennen, körperlich (zumindest für mich) nicht so der Adonis, dank Bier, Currywurst & Co., hatte übrigens immer die traumhaftesten Frauen, ganz oft mit akademischen Abschlüssen, als Freundinnen – die ihm lange Zeit alles geglaubt haben, was er ihnen erzählte – und vor allem über lange Zeit hingenommen haben von ihm belogen zu werden. Nur um diese Komplexität der Krankheit zu verdeutlichen! Das ist eine sehr fiese Geschichte. Für alle Beteiligten.

Und ich, für meinen Teil – mit eben meiner persönlichen Historie mit meinem Bruder – fühlte mich bei der Sophies fremdgesteuerten Coming Out als Geschichtenerzählerin sofort wie zu Hause, für mich ist das ein Stück weit Normalität.

Nochmal: ich kann und werde nicht behaupten, dass Sophie diese Erkrankung oder überhaupt psychisch krank war, das kann ich gar nicht beurteilen.

Nur ich versuche mir (!) zu erklären, warum ich persönlich für mich gar nicht so entsetzt war als die Wahrheit über ihre nicht realen Texte heraus kam. Ihre Texte waren für mich immer viel zu besonders, viel zu fantastisch, viel zu reichhaltig auf allen Ebenen, als das ich sie als wahr hingenommen hatte. Bis auf das geschriebene Leben in Irland und dem Tierarzt seinem tragischen Ende, wozu heute natürlich auch enorme Zweifel da sind (ich hab für mich beschlossen, dass sie real war, Sophie soll diese Liebe für sich gelebt haben dürfen egal in welcher ihrer Welten) – instinktiv waren diese für mich erfunden. Ich habe mir da nicht mal bewusst Gedanken darüber gemacht, für mich waren das besonders schöne und besonders kluge Texte. Ob sie wirklich gelebt wurden, war mir herzlich egal.

Sophie Hingst war verletzlich. Als ich Sophie bei den Golden Blogger Awards zum ersten Mal (auf dem Screen) persönlich und lebendig gesehen hatte, war mein erster Gedanke (ich wusste von ihren Ängsten dorthin zu gehen im Vorfeld aus Twitter) „Diese Frau gehört überhaupt nicht in die Öffentlichkeit.” Sie hatte dort als Bloggerin des Jahres 2017 gewonnen. Dieser Preis wurde ihr nach dem Spiegel-Artikel aberkannt.

Sophie Hingst hatte ein riesengroßes Herz. Das sprach nicht nur aus ihren vielen wundervollen Texten und Geschichten. Sophie hatte jeden Tag, nachdem die Verhaftung von Deniz Yücel bekannt geworden war, dem Mann eine Postkarte ins Gefängnis geschrieben – über 360 Tage lang. Diese Aktion war von türkischen Journalisten initiiert worden, Sophie hatte sich daran festgebissen – zugunsten eines ihr unbekannten Menschen! Nachdem die Verhaftung von Mesale Tolu, anfänglich mit ihrem kleinen Sohn, bekannt wurde, schrieb sie dieser dann auch. Das sollten wir ihr nie vergessen! Auch ihre Rede auf der Bühne der Goldenen Blogger Awards war im Sinne dieser Menschen so wichtig und großartig – und vor allem: ganz uneigennützig! Das war Sophie nämlich auch.

Und ich möchte das anmerken, denn bei all den Fehlern, die Sophie nachweislich gemacht hatte mit der mangelhaftn Kennzeichnung ihrer Texte, sie hatte immer im Bewusstsein geschrieben und gesprochen, die Dinge gut machen zu wollen für andere. Das war ihre Mission, auf Dinge aufmerksam zu machen, manchmal mahnend. Aber Sophie wollte uns nie etwas Böses. Und ich möchte, dass wir uns dessen bewusst werden – auch wenn wir verletzt waren oder noch sind – wir haben doch an Sophie geglaubt, sie wertgeschätzt, sie verehrt, weil sie und das so sehr leicht machte, es zu tun. Weil von ihr nie ein böses Wort kam.

Und wir müssen vielleicht begreifen, dass ihre Offenheit uns gegenüber – auch wenn sie heute als Lüge enttarnt wurde – trotz alledem für Sophie die wahre und echte und gelebte Offenheit war.

Was mag es für sie bedeutet haben, dass wir nun daran zweifelten?

Ja, sie hatte die Ursachen für das Zusammenbrechen ihres Kartenhause selber gesetzt. Aber sie war nie von Bosheit angetrieben, das glaube ich keine Sekunde. Und niemand, der ihre Texte – oder sie persönlich – kannte, würde das wohl von ihr behaupten. Deswegen finde ich das Heute ohne Sophie so wenig erträglich. (Und so manche Leute in den Sozialen Medien, die sich nun noch post mortem über sie das Maul zerreißen – ohne sehr wahrscheinlich je einen Text von ihr gelesen zu haben, weil diese gar nicht mehr verfügbar waren – ganz ehrlich unerträglich.)

Sophie Hingst war ein Mensch. Haben ich mich, haben wir uns ihr gegenüber in ihrer persönlichen Krise im guten Sinn menschlich verhalten?

Das frage ich mich seit gestern, wo sich zu unserem Ärger über Sophies Verhalten nun die Trauer über ihre Entscheidung gesellen muss. Ich habe neulich noch sehr lange und instinktiv an Sophie gedacht, weil ich sie vermisst habe – hier in dieser unserer Onlinewelt. Weil mir ihre Texte fehlten, weil mir ihre Schönheit fehlte, ihr Sanftmut, ihr Blick auf die Dinge, ihre Worte. Ich dachte insgeheim bei mir: „Sophie, lass es gut sein. Entschuldige Dich und komm zurück!” Ich habe es nur gedacht, ihr nicht geschrieben. Ich hatte ihre E-Mail-Adresse nicht und habe keine ernsthaften Anstrengungen unternommen, an sie zu kommen. Das werfe ich mir heute vor. Natürlich.

Womöglich fehlte Sophie zur Entschuldigung die Kraft. Sofern die abschließenden polizeilichen Untersuchungen und die Befürchtung ihrer Mutter sich bewahrheitet, fehlte ihr auch die Kraft weiter zu leben. Das ist tragisch. Vor allem ist das ein ganz großer Verlust für uns alle!

Sophie Hingst war ein ganz besonderer Mensch. Mit einem ganz besonderen Talent. Sie konnte schreiben. Sie hat immer gute, sehr wichtige Texte verfasst. Texte, die ganz tief berühren konnten. Dieses, ihr Vermächtnis ist nun für immer verschwunden.

Mit ihr. Und ich bin fürchterlich traurig über das alles. Sophie Hingst hatte eine wunderschöne und zarte Seele. Wir haben das womöglich zwischenzeitlich vergessen, lasst uns bitte daran wieder erinnern und sie so in Erinnerung behalten.

Und noch etwas, zur Erinnerung, weil wichtiger denn je: "Das Internet ist ein guter Ort, wenn wir es dazu machen." (Johannes Korten)

DAS hat Marie Sophie Hingst viele viele Jahre lang hier in diesem Internet auf ihre ganze eigene Weise getan. Und ich – für mich – werde sie nur daran messen.

(Kommentare aus – aus Gründen.)