2017-09-10

Beerdigung

Freitag war dann die Beisetzung vom verstorbenen Vater in der Urne. Wieder eine Beerdigung ohne Worte. Dieses Mal war ich darauf vorbereitet und insofern nicht mehr ganz so schockiert, wie ich es sehr war als die 104jährige Mama, Oma und Urgroßmutter beerdigt worden ist. Ein wundervoller Mensch, lebendig und liebevoll bis zum Schluss, drei Generationen – und all die, die diesen Abschied organisiert hatten (andere wurden nicht einbezogen), hatten nicht ein Wort für die Frau übrig. Nur Musik. Hätte nicht eine ihrer „Bibliothekskinder”, Oma arbeitete in Köpenick in einer Bibliothek und der Kontakt zu ihren deutlich jüngeren Kolleginnen hielt bis zum Schluss, wenigstens ein Gedicht von Fontane am Grab aufgesagt … ach nee, nicht schön. Gar nicht schön war das!

Und dann hat man die Frau, die Zeit ihres Lebens die Natur und den Wald liebte und sehr gerne in ihrer langjährigen Wohnung in unterster Etage wohnte, weil sie dort fast im Garten wohnte, in so ein Marzahner Plattenbau-Grab gestellt (diese hochwändigen Grabschränke, in denen die Urnen hinter Marmorplatten verschwinden). Für Mutti nur das Beste, wie man es selber meint es so für sich haben zu wollen. Kaum einen Gedanken daran zu verschwenden, was Mutti wirklich für sich gewollt hätte.

Schlussendlich ist es so, wenn man nicht vorher klipp und klar abklärt – oder wenigstens im sofortigen Zugriff es aufschreibt – wie man seinen eigenen Abschied sich wünscht oder vorstellt, wird man so begraben werden, wie andere es für sich selbst wünschen. Im Grunde ist jetzt der Vater auch so so beerdigt, wenn auch deutlich schöner als die Oma auf dem gleichen Friedhof, wie sich die Mutter es für sich selbst vorstellen kann. Der neueste Trend: Urnen werden um einen Baum in einer abgesteckten Baumscheibe in Gräber abgedeckt mit runden Metallplatten in einer Art Gemeinschaftsgrab beerdigt. Der Partner kann später dazu gelegt werden. Sehr kleines Grab, dessen Pflege genauso obsolet sein kann, weil der Friedhof eh etwas Grün auf die Scheibe pflanzt, wie man es aber auch pflegen kann – wenn man es wünscht bzw. noch kann.

Es sind dann doch erstaunlich viele Menschen zum Abschied nehmen gekommen. Menschen, die zwar im gelebten Alltag der Eltern kaum noch vorkamen – wer mag es ihnen verdenken, besuchen konnte man die Eltern in der Wohnung nicht mehr. Und raus konnten die Eltern nur noch selten. Wenigstens wollte man die Witwe bei diesem schweren Gang unterstützen.

Auch die Mutter des Verstorbenen, im neunten Lebensjahrzehnt, familiär unter „die Hexe” laufend, der Bruder – zu denen der Verstorbene keinen Kontakt mehr hielt – sind auf den Friedhof gekommen. Die Schwester zu der der Verstorbene wohl auch kaum Kontakt hielt, wenngleich man sich nicht gram war, kam extra nicht aus dem anderen Bundesland angereist, um nicht auf diesen Teil der Sippe stoßen zu müssen. Die Tragik, dass sie in der Woche in der er im Sterben lag, gerade in Berlin weilte. Mehrschichtige Stimmung also, Menschen, die sich gar nicht mehr die Hände reichen wollen und es nun doch taten. Und trotz der unschönen Geschichten, die ich natürlich im Laufe der Jahre immer wieder mal hörte: keine Mutter sollte verdammt noch mal am Grab ihres Sohnes (oder Tochter) stehen müssen.

„Wir gedachten N. M. in der Musik.” So heißt es dann, wenn der arbeitslose Trauerredner sich kurz vor der Urne verneigt und die Anwesenden auffordert, die eigenen Blumen wieder an sich zu nehmen und zum Auszug aus der Kapelle draußen ein Spalier zu bilden. Die Musik aus der Klischeekiste (okay, der CD-Sammlung zufolge war der Mann auch Klischeemusikliebhaber): Conquest of Paradise, Time to Say Goodbye. Geht immer in solchen Momenten! Kann man nichts falsch machen, Songs, die in dieser Umgebung auch Leuten feuchte Augen bescheren, die vielleicht gar keinen realen Grund dazu haben müssten.

Drei Songs, ein Spalier, ein kurzer Gang hinter die Kapelle zum Grab, ein bisschen am Grab stehen. Außerordentlich viele Blumene. Im Grunde nicht mal große Beileidsbekundungen an die Ehefrau, vor allem nicht an die Mutter. Allgemeine Verabschiedung. Der Rest: Abgang zum Essen.

69 Jahre Leben. Und das war's dann. Formeller Abschied, Teil eins.

Formeller Abschied, Teil zwei, führte uns in den Ratskeller in der Köpenicker Altstadt. Dort, wo er immer noch mal hin wollte, aber wie es mit Kellern so ist: es führen Treppen in den Keller, die befährt kein Elektrorollstuhl. Das Buffet war mehr als ordentlich, gutes Brot, frische Salate, Mozzarella Caprese mit Analogmozzarella, gedünsteter Fisch mit Kräuterkruste an frischem Gemüse, dto. die etwas trockene Hühnerbrust und Sauerkraut mit Haxe satt. Zum Dessert Mohnpielen, Berliner Luft und Rote Grütze. Was ich übrigens nach wie vor so sehr schätze an den älteren Generationen, vor allem denen aus dem ehemals Ostsektor dieser Stadt kommend: da wird kein Gewese um das Essen gemacht! Durchaus erholsam, wenn einfach nur gegessen wird, sich alle über eine Haxe freuen und nicht einmal das Wort „Glutamat” fällt.

Über den Verstorbenen wurde so gut wie gar nicht gesprochen – außer vielleicht von denen, die von außerhalb angereist waren und über die Jahre noch etwas Update in seiner Entwicklung bzw. Nichtentwicklung haben wollten. Naja. Ich weiß nicht, vielleicht ist das auch eine familiäre Sache von Pragmatismus: was weg ist, ist eben weg. Bei den Beerdigungen in meiner Familie wurde dann doch immer etwas mehr über die gesprochen, wegen denen man sich aus traurigem Anlass zusammen gefunden hatte.

Schön im Unschönen: der Mutter geht es im Moment erstaunlich gut! Sie scheint zu sich zu kommen, zu erwachen. Sie ist einer neuen Therapie und dem vorsichtigen Abbau der, sie so emotionslos machenden, Medikamente gegenüber nicht abgeneigt. Auch dem Thema Tagesklinik öffnet sie sich immer mehr. Dass Freunde sich ihr nun wieder zuwenden, tut ihr gut. Die Blumen auf dem Balkon, den ich neulich für sie putzte und bepflanzte, die gießt sie fleißig und freut sich über die Blumen. Und kommentiert das sogar von selbst. Ich, für meinen Teil, bin wirklich voller Hoffnung, dass sie jetzt vielleicht noch mal ohne diesen Ballast in ihrem Leben, die Kurve bekommen kann.

Tsja, manchmal muss einer erst dafür sterben.

Ich indes werde in den nächsten Tage eine Rede schreiben, von der ich mir wünsche, dass sie zu meiner Abschiedsveranstaltung vorgelesen wird. Und ich werde die Songs aufschreiben, die ich mir wünsche, dass sie gespielt werden sollen (und auch aufschreiben, warum gerade diese Songs gespielt werden sollen.) Ich fürchte, das sind vielleicht nicht so die Lieder, die dem Anlass angemessen sein werden – nach heutigem Beerdigungsstandard – dafür sind es dann meine Lieder.

Ich möchte keine Stille. Ob überhaupt jemand da sein wird, der etwas über mich sagen könnte, ist unwahrscheinlich. Familie ist da kaum (gehen wir davon aus, ich werde älter als der bisherige Durchschnitt meiner Familie). Wohl eher Freunde. Ich möchte da keine Mühe machen, aber ich möchte in meinem letzten Moment post mortem danken und vielleicht noch einen Lacher spenden.

Ich möchte, dass auf meiner Beerdigung gelacht wird. Viel, herzlich und laut. Vielleicht sogar über mich. Das fände ich knorke.

1 Kommentare:

AnGarasu hat gesagt…

Ich habe auch seit Jahren eine Playlist für meine Beerdigung. Als ich damals meiner Mutter erzählte, dass ich eine Beerdigungsparty mit meiner Musik, Gelächter und Snacks haben möchte, hat sie das kategorisch abgelehnt. OT: Beerdigungen sind für die Hinterbliebenen da und nicht für die Toten. Als Toter dürfe man nicht bestimmen, wie die Lebenden ihn unter die Erde bringen.
Daraufhin habe ich sie direkt ausgeladen.

Weißte Bescheid. ;-)

Kommentar veröffentlichen

Fröhlich sein, freundlich bleiben und bitte immer gesund wieder kommen!