2015-10-01

Wie ich mich in der Pirschheide verlief, das aber ganz schnieke fand!

Eine weitere Wanderung aus meinem Wanderführer hatte ich mir vor einigen Wochen bereits einmal ausgesucht: „Werder – Pirschheide – Potsdam” auf dem E10 (Europäischer Fernwanderweg 10) Ich entschied mich aber die Strecke rückwärts vorwärts „Potsdam – Pirschheide – Werder” zu laufen und fuhr am frühen Mittag nach Potsdam, wetterliches Fachwissen im Gepäck, dass es Abends regnen sollte. Nun regnet es in Potsdam gelegentlich etwas früher, wie ich lernen sollte. Das tat es dann auch prompt an diesem Tag, just nachdem ich den Hauptbahnhof verlassen hatte. Und zwar und wie! Also ließ ich mich den ersten Kilometer nassregnen, philosophierte warum Meteorologen immer von gelegentlichen Schauern sprechen, wenn ich die volle Kanne über Stunden abbekomme und zog mich nass in das Einkaufszentrum am Bahnhof zurück.

Neuer Tag, neuer Glück. Dieses Mal fuhr ich gleich bis Werder durch, über fünf Ecken, denn die Deutsche Bahn macht es uns in ihrem Bastelmodus auch nicht leicht. Den Bahnhof in Werder mag ich irgendwie, ich fahre dort gerne ab und komme dort gerne an. Also kam ich dort gerne an.



Der Wanderweg ist am Bahnhof gut ausgeschildert und so machte ich mich auf den Weg an der Werder Schiffsbauerwerft vorbei und ich überlegte, weswegen ich eigentlich in diesem Leben keine Schiffbauerin geworden bin? Jedenfalls war dort die Aussicht auf die Havel schon sehr hübsch!







Der Weg führt dann zu Fuß über eine autobefreite Eisenbahnbrücke über das Wasser, die mein romantisches Eisenbahnerherz in großes Entzücken versetzte – denn wo hat man das schon mal, dass man sich mit einer Eisenbahn eine Brücke teilen darf? Ich „hachzte” sehr verzückt und aus diesem Grund entschied prompt eine Eisenbahn sich mit mir die Brücke zu teilen.



Am Fuße der Treppe zeigte mir ein Wegweiser den Weg in Richtung Wildpark-West, wohin ich lt. Wanderführer gehen sollte.

Ich weiß auch nicht warum: bei „Wildpark West” hatte ich das Gefühl, ich würde mich im ehemaligen Osten in den wilden Westen begeben und ich erwartete dort aus irgendeinem Grund Cowboys, Saloons und holzige Hütten.



Tatsächlich fand ich Holzhäuser. Aber die mir begegnenden Cowboys auf dem Weg trugen alle Helme auf grauem Haar und fuhren Fahrrad. So hatte ich mich das nicht vorgestellt. Und dass mir plötzlich ein junger hübscher Jogger entgegenlief und mir ein fröhliches „Servus!” entgegen rief, entwirrte meine Verwirrung kein bisschen.



Als ich dann dieses Boot sah, entschied ich mich doch dafür im nächsten Leben Schiffbauerin zu werden.

So lief ich dann durch diesen Ort namens Geltow und bewunderte viele hübsche Häuschen und konnte mir prompt sehr gut vorstellen, auch eines dieser Wassergrundstücke zu besitzen. Wie überall, wenn man durch ehemaliges ostzonales Gebiet wandert, fällt auf, dass dort getätigte neue Bauten viel mehr von der Arroganz der – so ist es leider stark zu vermuten – zugewanderten Neubürger aus den alten Bundesländer geprägt ist als von einem Händchen und Gespür für die etablierte Umgebung. An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass das eine neue Haus bei dem ich innerlich am lautesten „Boah. Wat ist dat hässlich?!!” rief, natürlich als das Besitztum einer Architektin ausgewiesen war. Grün milchige Fensterscheiben als äußeres Accessoire eines Hauses – das kann nur jemand haben wollen, der gerne möchte, dass sein Haus bereits in nur zwei Jahren deutliche Signale von „ist aus der Mode” vorzuweisen hat.

Die gute Nachricht, in Geltow dürfen auch Frauen parken.





Wie schon gesagt, wir befinden uns auf dem E10 und gelegentlich guckte doch ein bisschen der wilde Westen durch.



Mein Wanderführer befahl mich die Strecke bis „Zum Markt” zu laufen, ein niedlicher kleiner Platz an dem ein Bus wendet und mich dann links in den Amselweg zu begeben. Den Amselweg säumten rechts und links Kastanienbäume, die nichts Besseres zu tun hatten als in dieser fortgeschrittenen Jahreszeit auszuschlagen indem sie ständig mit Kastanien nach mir warfen!



Am Ende des Amselwegs wartete wie besprochen ein Feldweg auf mich und der war sehr schön, er stand saftig im Grün.



Ich lief diesen entlang und ließ mich prompt formidabel vor dem bösen Bullen warnen.



Kurz darauf warnte man mich wieder vor dem bösen Bullen, stellte mir aber auch eine schön verschrobene Bank





in den Weg und sortierte einen kleinen Tümpel vor dieser. Im Tümpel spiegelten sich aber nur die Wolken und kein Bullenantlitz. Mittlerweile bewarfen mich auf dem Weg auch nur noch die Eicheln.





Und die Luft tat richtig gut und überhaupt war es dort einfach wunderschön!



Rechter Hand traf ich einen Hochsitz und ich gestattete mir, kurz vor meinem Fünfzigsten, zu gucken wie schnell und behebe ich so einen Hochsitz noch hoch- und runterklettere – also: ob ich das noch kann. Ich kann das noch und fand die Aussicht ganz bonfortionös.





Der Wanderführer führte mich zum „Rastplatz Entenfanganlage”,



die wohl so etwas wie eine echt alte Entenmastanlage in Freilandhaltung war, wenn ich seinen Tafeltext richtig deuten durfte.



Und da gefälligst Rast zu machen ist, wo Rastplatz drauf steht, ließ ich mich darnieder und trank etwas Tee und knabberte an meinem Brötchen. Tatsächlich quakten im Hintergrund Enten. Wohl jene, die 1694 die Jagd nach ihnen überlebt hatten.

An dieser Stelle übrigens trennten sich die Wege meines Wanderführers mit meinen in der Realität. Er schickte mich irgendwohin, wo ich trotz allen Bemühens partout nicht landen sollte. Ich gab mir schon sehr viel Mühe! Eine hübsche kleine militärische Anlage wollte meinem Smartphone den Zugriff auf etwaige Erläuterung verweigern, der E10 hörte auch prompt auf mich visuell zu geleiten und so fing ich an den Begriff „vorbei am Rastplatz Entenfang” in neuer Weise zu interpretieren – nämlich indem ich zurück lief. Vorbei muss ja nicht heißen auch kreuzen. Kann ja auch heißen links liegen lassen. So begann ich an einem anderen Ausgangspunkt wieder auf den Wanderführer zu hören, der mich nun aber direkt auf ein Feld mit elektronisch grüßendem Schutzdraht führte. An der Stelle war mir jetzt der böse Bulle auch egal, denn der Wanderführer erzählte was von Bahnstrecke und Unterquerung und die sah ich in der Ferne. Also kletterte ich mit Hilfe eines Hochsitzes über den Draht (es gibt ja solche und solche) und gruselte mich ein bisschen vor dem unsichtbaren bösen Bullen.



Ich marschierte zu den Bahngleisen, fand dort eine Unterquerung die aber mal locker und lässig drei Mal so gruselig war wie ein unsichtbarer böser Bulle und gruselte mich nun aber mal so richtig im Quadrat hoch zehn



– ging da aber durch wie ein unbekümmertes Stadtkind und trat auf ein schönes sattes Feld. Ohne bösen Bullen. Zumindest war er nicht sichtbar. Dafür überall Stellen, wo sich wohl vor kurzem erst die Wildsäue prächtig amüsiert hatten. Aber die waren auch unsichtbar.

In der Ferne hörte ich eine Straße, vermutlich die, an der ich eine halbe Stunde zuvor schon gestanden hatte und hier gab ich nun auf und näherte mich dem befahrenen Ding. Nach rechts wollte ich nicht mehr, da war ich ja schon. Also ging ich nach links, durchquerte eins, zwei, Bahnlinien und war im schönen Kuhfort!



Ich beschloss mich nun gar nicht mehr um den bösen unsichtbaren Bullen kümmern zu müssen, denn auf den Namen „Kuhfort” könnte nur Verlass sein. Da stand linksseitig ein friedliches Schild, das mich zum Einkauf von Gemüse, Obst und Eiern lud. Und nachdem der Wanderführer und ich uns immer noch nicht wieder verstehen wollten, ging ich auf das Gelände, wo der Bauer elegant in einer Hollywoodschaukel lag vor einem kleinen Laptop und bestimmt seine Steuer erledigte. Um ihn, und mittlerweile auch um, mich pickten freundliche Hühner und er begrüßte mich mit einem lässigen „Na, haste Dich verlaufen?”

Hatte ich mich, da gab es ja nun nix zu beschönigen und er meinte mit Blick auf meinen Plan, ich hätte es nicht mehr so weit. Er versicherte mir, er würde mir den Weg zeigen, weswegen ich vorrangig zu meinem Gunsten beschloss, erst noch zehn frische Eier von lustigen roten ganz zufrieden wirkenden Hühnern zu kaufen. Er machte sich Sorgen, ob ich die denn auch weg bekäme aber da spielte mein Rucksack eine treue Rolle und eigentlich wollte ich auch gleich noch Tomaten und Zwiebeln erwerben. Aber dafür schien mir dann das letzte Stück weg in seiner Weite ein wenig zu ungenau.

Also: kauft Eier und Tomaten und Zwiebeln bei dem netten Bauern am Aus- oder Eingang „Kuhfort”!

Er schlurfte dann netterweise mit mir zurück an den Eingang seines Geländes, zeigte über die Straße auf den Kuhfort Damm, befahl mir dort hinein zu gehen, dort nach 20 Metern links dem Kopfsteinplasterweg zu folgen, welcher in einem Waldweg münden würde und dann solle ich immer geradeaus durch den Wald laufen. Immer geradeaus.

Ich mochte den Mann – so sehr freundlich und entspannt. Vor allem fand ich sein Lebenstempo sehr interessant. Ob ich mich jemals auf so ein Schritttempo werde runterregeln können?

Jedenfalls war ab dieser Stelle entschieden, ich würde nicht die Route des Wanderführers am Ufer der Havelbucht nehmen sondern eine nicht geplante Waldroute. Was ja auch sehr schön ist. Ich lief also geradeaus.



Und dann geradeaus.



Plötzlich stand linksseitig im Wald ein Grabstein Gedenkstein und kündete davon, das an genau jener Stelle der olle Kaiser Wilhelm I seinerzeit einen weißen „Edelhirsch” geschossen hätte.



Edelhirsch. Pah! Hätten die damals schon Wikipedia gehabt, dann hätten sie gewusst, dass weiße Hirsche nur ein Produkt der halbdomestizierten Wildparkhaltung gewesen sind. Nix mit Edel und so! Inzucht! Ich beschied so und so des Kaisers Wilhelm Jagderfolge nicht so dolle zu finden und zog weiter: geradeaus.



Der Weg macht so seine Späßeken mit mir, denn nicht immer war geradeaus so eine einfache Sache nicht. Aber den Antioniusweg



nahm ich nicht, sondern beschritt weiterhin hin den Werder Steg.



Ab und an überholten mich wieder Menschen mit Helmen auf ihren grauen Haaren auf dem Rad. Ansonsten ging mir aber die Menschheit dort nicht all zu sehr auf den Keks und die Eicheln hatten auch endlich aufgehört nach mir zu werfen.

Ich lief also geradeaus. Was nicht immer leicht war.



Am Ende nach ziemlich viel geradeaus Gelaufe



endete der Waldweg am Wildpark und die Zivilisation hatte mich wieder. Ich überlegte, ob ich nun die 2-3 Kilometer Richtung Potsdamer Zentrum bewältigen sollte oder den nahegelegenen Bahnhof Potsdam Park Sanssouci entern sollte.

Meine Füße in den erst zum zweiten Mal angehabten Wanderschuhen plädierten aber nach gut 15 Kilometern Strecke in ca. vier Stunden für den Bahnhof und so marschierte ich ganz glücklich über meine zurückgelegte Strecke auf den Bahnsteig, wo ich noch zu lernen hatte, dass es womöglich klüger ist hartgekochte Eier auf Wanderungen besser schon zu Hause zu pellen, weil es, wenn sie erst mal gequetscht wurden im Rucksack, verdammt schwierig wird das noch tun zu können. Das restliche Brötchen und der letzte Tee schmeckte auch während ich auf den Zug wartete und im Großen und im Ganzen war ich sehr zufrieden mit meiner Wanderung und die kleine Wegesänderung. Wenigstens hatte ich Eier!

Und auf dem Gegengleis kam sogar ab und zu ein Zug!

1 Kommentare:

Bhuti hat gesagt…

Rückwärts vorwärts laufen gefällt mir. Erinnert mich an eine Kollegin die mal sagte, sie hätte mit dem Rücken nach hinten gesessen.

Kommentar veröffentlichen

Fröhlich sein, freundlich bleiben und bitte immer gesund wieder kommen!