2008-05-01

Can, der Coole

Da sitzt er. Der Can. S-Bahnfahrer. Jung. Irgendwann vielleicht einmal ganz gut gebaut, zurzeit jedoch noch im Aufbau befindlich. Mental allerdings sich diesbezüglich bereits unabrückbar selbst geeicht auf: groß, stark, umwerfend und unwiderstehlich, dies jeweils zu gleichen Potenzen übertrieben hochgerechnet. Gilt nunmehr nur noch, die Umgebung auch davon zu überzeugen. Das macht Can auf vielen Ebenen mit erstaunlicher Kompetenz für seine jungen Jahre. Einerseits setzt er dabei auf Öl, möglicherweise getrieben von dem Wunsch einmal die, dank des voll erwachten Teenagermodus von Can, hyperaktiven Massage- und Öl-Phantasien an sich selbst ausgeführt zu sehen. Denn Can kennt Handys mit bunter Filmchen-Abspielfunktion, er trägt auch soundspendende Knöpfe im Ohr und weiß daher genau, wie man auf YouPorn die für ihn rechtlich falsche in gleicher Funktion aber einzige ihn zum Inhalt bringende Enter-Taste drückt. So lernt Can multimedial und signalisiert dem anwesenden Weibsvolk, dass Öl für ihn zu wichtig ist in allen Lebenslagen als dass er morgens schon darauf verzichten könne. Was unten rum noch nicht passiert, passiert eben oben: So zeigt er uns massig Kopfhaut, die unter den mit viel Öl festgeklebten strähnig-schmalzig wirkenden in Form gelegten Locken bleich hervorschaut. Zu blass für Cans restliche Kunstbräune. Aber Cans € 2,50 für 10 Minuten-Lieblingstoaster vergisst die Kopfhaut mit zu bräunen. Das ist eben so. Kann Can auch nichts für.

Can riecht. Nicht ungepflegt aber gekonnt gleichfalls aufdringlich. Weil in Cans Leben schon jetzt alle Spuren auf Volldrive stehen, wird das nach günstig riechende Duftwasser olfalktorisch ergänzt durch ebenfalls günstig riechendes Deo und dupliziert mit dem günstig riechenden Rasierwasser. Gäbe es die günstig riechende Sortierung diverser chemischer Ingredentien, die der anderen anwesenden Gehirne dem Magen schnell mal gefühlte Übelkeit vorgaukeln, auch noch als Zahnpasta und Feuchttoilettenpapier: Can wäre dabei. Und zwar lässig.

Can ist cool. Das sehen wir alle, denn Can sitzt morgens in der vollen S-Bahn in dezenter Breitbeinigkeit die Zweier-Sitzbankreihe fast gänzlich ausnutzend, von der ihm das kleine schüchterne Mädchen neben ihm deutlich mehr als nur die Hälfte der ihr zustehenden Sitzfläche überlassen muss. Das ist aber völlig richtig so, denn Can hat jetzt schon diese unglaublich dicken Eier, die im Sitzen bloß nicht gequetscht werden dürfen. Can trägt auch heute wahnsinnig scharfe Rasierklingen unter den Achseln, die seinen Oberkörper sich in hübscher geometrischer Äquivalenz auf Cans breitbeinigen Sitzmode einpendeln lassen. Das sieht etwas komisch aus für den Betrachter, fast so als hätte sich Can in einen dieser neumodischen Fettanzüge gezwängt, es ist aber wirklich nur Cans Coolness, die ihn doppelt so breit wirken lässt. Ein Can-Hologram. Allerspätestens wenn man so alt ist, um Cans Mama sein zu können, sieht man es leicht wabern.

Can ist ein ganz Harter. Das demonstriert uns sein Blick. Der ruht mit eisiger Kälte auf uns ihm gegenüber sitzenden Frauen gerichtet, soviel Coolness verbreitend, dass Can uns zu Eiszapfen gefrieren könnte. Das muss uns klar sein. Er verschont uns heute nur. Einfach so. Weil er gut drauf ist. Denn das mit dem Harem um ihn herum passt Can ganz gut in die Laune. Später in der Schule wird er uns phantasievoll berichtend etwas jünger rechnen, attraktiver natürlich auch. Wir haben auch nicht gelangweilt in unseren Büchern oder Manuskripten gelesen, sondern ihm zu Füssen gelegen und im Prinzip hätte er eine jede von uns klar machen können. Das sind die Dinge, so wie sie in Cans Leben ständig passieren. Er kann nicht dafür, er ist einfach nur Can – cool, tough, eine verdammt großartige Schöpfung Allahs.

Im wirklichen Leben beschließt Can am Heidelberger Platz sobald die gegenüber liegende Seite des S-Bahn-Abteils ihm vier freie Plätze für einen Can verspricht, das Angebot anzunehmen. Can erhebt sich lässig, seine Coolness lässt ihn dabei etwas schwerfällig wirken und einen Moment später schmeißt sich Can in die Fensterecke der Sitzreihe, gekonnt breit- und langbeinig die Glieder abwerfend und so sein neues Revier absteckend.

Musik erschallt plötzlich in einer unglaublichen Lautstärke durch das Abteil. Laut und blechern wie Handy-Lautsprecher so tönen. Lange erklingt die Musik. Cans lässige Art sich zu bewegen, verbietet es ihm schnell seinen Minimalhintern zu erheben, in die hintere Hosentasche zu greifen und Handy als auch den dem Handy verloren gegangenen Stecker der soundspendenden Ohrhörereinheit wieder zu einem Ganzen zusammen zu stecken.

In der Zwischenzeit lauschen wir fassungslos türkischen Folkloren von einem Herren intoniert, in dessen Stimme sich der Herzschmerz einer ganzen Welt und etlicher Parallelgalaxien in unfassbarem Schmalz vertont wieder gefunden haben.

Can. Im Vergleich zu der männlichen Heulboje die Du da auf dem Ohr hattest, war Roy Black 'nen Metal-Rocker.

15 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

*gnihihi*

Super! Danke! Was für ein Text! Habe mich gerade uffem Boden gewälzt vor Lachen.

Im Umfeld meines Großen gibt es auch so ein paar Canoide (unterschiedlichster Herkunft, übrigens). Ich muss mich immer mächtig zusammenreißen, nicht laut loszuprusten, wenn ich in deren coole flaumbebartete Kindervisagen blicke. Richtig schlimm wird es allerdings erst dann, wenn denen ihre Mütter, Tanten, Schwestern zu Füßen liegen und das ist je nach Kulturkreis ja in der Tat recht unterschiedlich geregelt.

Anonym hat gesagt…

lol

gut beobachtet und sehr fein geschrieben.

can ist torben ist malik ist murrat. alle haben eines gemeinsam: man kann ihnen mit ein, zwei sätzen das gesammte selbstbewusstsein rauben. das macht spaß. gut, denen nicht.

Anonym hat gesagt…

Hat er Tarkan gehört? *lol*
Mir scheint, wir leben in einer Stadt. Oder aber, die sind überall gleich cool...

creezy hat gesagt…

@pepa
Alleine für «Canoid» haste Dir jetzt 'nen Rosé verdient. Aber hallo! *lmao* Mir tun sie ja immer so'n bisschen leid in ihrem Testosteron-Stau, zumal sie zu Hause meist doch noch so unschuldig und lieb sind. Aber wehe sie sind los gelassen … ,-)

@spontiv
Can ist Torben trifft es auf den Punkt. Irgendwie sind sie niedlich.

@scholli
Soweit ich das mitbekommen habe, war die letzte Tarkan-CD sogar relativ rockig aber selbst Tarkans Kiss (von dem Song habe ich neulich mal die Übersetzung im Vorbei gehen mitgenommen, was'n Scheiß! *lol*) war im Vergleich zu Cans Mukke eher Hardrock. Die sind überall so cool – wie gesagt, wenn sie dann erst mal losgelasse wurden … ,-)

Anonym hat gesagt…

Find isch nisch witzisch.

creezy hat gesagt…

Nee Can, glaube ich Dir! ,-)

Anonym hat gesagt…

wunderbar beobachtet, frau creezy! und noch wunderbarer festgehalten. so gut, dass sich mir beim lesen selbst hier am lieblichen waldrand, der solcherlei gestalten nie gesehen, die zehennägel hochrollen. diese cans reden ja auch grundsätzlich 'nen tick zu laut. ich liebe ja klischees, aber ich frage mich immer, wo sind cans eltern geblieben, die ihm mal sagen, was faul ist. später darf can dann den 7er-bmw von onkel ali fahren. spätestens dann wird's ernst. das schlimme, es ist alles eben kein vorurteil.

creezy hat gesagt…

@schneck
Oh ich danke, jetzt mache ich mir aber dennoch Sorgen wegen meines Einflusses auf die Ihrigen Zehennägel. Ich hoffe, der Schuh schmerzt nun nicht. Ist doch noch nicht warm genug für barfüssige Erfahrungen im Wald.

Die Cans sind immer einen Tick zu laut, da kommt bei den Cans noch das südländische Temperament durch – das ist kulturell vorbestimmt, da können sie vielleicht gar nichts für.

Ach und die 7er-BMWs. Ich sach's Ihnen, wer so nahe an der Hermannstraße wohnt wie ich das darf, der weiß, wie man sich auf dem Rad noch schnell in die Ecke hechtet vor tief fliegenden Onkel Ali-Fahrzeugen sich in Sicherheit bringen. Das ist alles eine prima Schule für's Leben. Auch wenn die Knochen darunter leiden …

Anonym hat gesagt…

hihihi.
Die fahren auch überall dieselben Autos. Hier:
Unter 22: 3er.
Zwischen 22 und 27: 5er.
Ab 28: 7er.
Alter: An der ledrigen, sonnenbankgebeutelten Beschaffenheit der Haut zu erkennen.
Unter 22: Sieht aus wie 28.
Zwischen 22 und 27: Sieht aus wie 35.
Ab 28: Sieht aus, wie etwa 40

Anonym hat gesagt…

Oh man, wenn's nicht so traurig wäre...und was heißt hier Ohrstöpsel tragen..ein echter Can läßt seine Mucke doch über die Handylautsprecher scheppern (da kommen Erinnerungen an die alten Quelle Kofferadios hoch), damit alle die qualitativ "hochwertige" Gesangeskunst des Orients (wahlweise auch Bushido) teilen können :))

Ringelstrümpfe hat gesagt…

Can gibt es ueberall. Auch hier in Baerenstadt, NY. Irgendwie fuehle ich mich da doch gleich wieder ein bisschen mehr mit meiner alten Heimat verbunden. (Nicht dass ich sie bis jetzt so wirklich vermisst haette, aber immerhin.)

Danke, fuer die Lachtraenen. hat gut getan!

Anonym hat gesagt…

Hihi, habe mich prächtig amüsiert und freue mich schon auf das Abenteuer U-Bahn-Fahren, das ich mir für heute in der Sommerfrische in Berlin vorgenommen habe. ;-)

ker0zene hat gesagt…

Ich habe mich auch immer gefragt, wie dieses Instant-Machotum und diese, na, ... hmmm ... nenne ich sie mal "Eierschneider"-Musik zusammen passen. Ich meine, Kultur, Herkunft, Prägung ok, aber ich habe im Sportstudio noch keinen zu Schlager pumpen sehen. Aber zu dem orentalischen Herzschmerz scheint das zu gehen.
Großartiger Text von Ihnen!

Anonym hat gesagt…

Im Grunde sind sie aber wirklich SEHR nett. Und SEHR hilfsbereit. Richtige Kumpels ... wenn man sie braucht, sind sie da.

Anonym hat gesagt…

Bin gerade S-Bahn gefahren.
Habe Can getroffen.
....
Gleich dreimal hintereinander.

Ick kann Dir saren!
Dit hat mir einje Jesichtsakrobatik jekostet, nicht laut loszuprusten.

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